meiner Heimath dürft' ich um aller Welt Gut willen mich keiner Seele entdecken. Freunde die mich zu retten wißten, hab' ich keine; wohl ein Paar die noch eher von mir Hülf erwarten könnten; dem Spott aber von Halbfreunden oder Unbekannten mich auszu- setzen --- Nein! da will ich tausendmal lieber das Al- leräusserste erwarten. -- Und nun mit sehnlicher Un- geduld und kindlichem Zutrauen, erwartet, auch zu- letzt nur eine Zeile Antwort von dem Mann, auf den noch einzig meine Seele hoffet,
Der in den letzten Zügen des Elends lie- gende, arme, geplagte Tockenburger H * *, bey L * * *, U. B. den 12. Herbstm. 1777.
LXXV. Dießmal vier Jahre.
(1778-1781.)
Diesen Brief, mein Sohn! den ich in jener angst- vollen Nacht schrieb, gedacht' ich gleich Morgens dar- auf an seine Behörde zu senden; allein bey mehrma- ligem Lesen und Ueberlesen desselben, wollt' er mir nie recht, und immer minder gefallen; als ich zumal mittlerweil' erfuhr, wie der theure Menschenfreund Lavater von Kollektanten, Betlern und Betlerbrie- fen so bestürmt werde, daß ich auch den blossen Schein, die Zahl dieser Unverschämten zu mehren, vermeiden wollte. Also -- unterdrückt' ich mein Ge-
schreib-
meiner Heimath duͤrft’ ich um aller Welt Gut willen mich keiner Seele entdecken. Freunde die mich zu retten wißten, hab’ ich keine; wohl ein Paar die noch eher von mir Huͤlf erwarten koͤnnten; dem Spott aber von Halbfreunden oder Unbekannten mich auszu- ſetzen --- Nein! da will ich tauſendmal lieber das Al- leraͤuſſerſte erwarten. -- Und nun mit ſehnlicher Un- geduld und kindlichem Zutrauen, erwartet, auch zu- letzt nur eine Zeile Antwort von dem Mann, auf den noch einzig meine Seele hoffet,
Der in den letzten Zuͤgen des Elends lie- gende, arme, geplagte Tockenburger H * *, bey L * * *, U. B. den 12. Herbſtm. 1777.
LXXV. Dießmal vier Jahre.
(1778-1781.)
Dieſen Brief, mein Sohn! den ich in jener angſt- vollen Nacht ſchrieb, gedacht’ ich gleich Morgens dar- auf an ſeine Behoͤrde zu ſenden; allein bey mehrma- ligem Leſen und Ueberleſen deſſelben, wollt’ er mir nie recht, und immer minder gefallen; als ich zumal mittlerweil’ erfuhr, wie der theure Menſchenfreund Lavater von Kollektanten, Betlern und Betlerbrie- fen ſo beſtuͤrmt werde, daß ich auch den bloſſen Schein, die Zahl dieſer Unverſchaͤmten zu mehren, vermeiden wollte. Alſo -- unterdruͤckt’ ich mein Ge-
ſchreib-
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meiner Heimath duͤrft’ ich um aller Welt Gut willen
mich keiner Seele entdecken. Freunde die mich zu
retten wißten, hab’ ich keine; wohl ein Paar die noch
eher von mir Huͤlf erwarten koͤnnten; dem Spott
aber von Halbfreunden oder Unbekannten mich auszu-
ſetzen --- Nein! da will ich tauſendmal lieber das Al-
leraͤuſſerſte erwarten. -- Und nun mit ſehnlicher Un-
geduld und kindlichem Zutrauen, erwartet, auch zu-
letzt nur eine Zeile Antwort von dem Mann, auf
den noch einzig meine Seele hoffet,
Der in den letzten Zuͤgen des Elends lie-
gende, arme, geplagte Tockenburger
H * *, bey L * * *, U. B.
den 12. Herbſtm. 1777.
LXXV.
Dießmal vier Jahre.
(1778-1781.)
Dieſen Brief, mein Sohn! den ich in jener angſt-
vollen Nacht ſchrieb, gedacht’ ich gleich Morgens dar-
auf an ſeine Behoͤrde zu ſenden; allein bey mehrma-
ligem Leſen und Ueberleſen deſſelben, wollt’ er mir
nie recht, und immer minder gefallen; als ich zumal
mittlerweil’ erfuhr, wie der theure Menſchenfreund
Lavater von Kollektanten, Betlern und Betlerbrie-
fen ſo beſtuͤrmt werde, daß ich auch den bloſſen
Schein, die Zahl dieſer Unverſchaͤmten zu mehren,
vermeiden wollte. Alſo -- unterdruͤckt’ ich mein Ge-
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Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/240>, abgerufen am 16.02.2025.
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