Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789.höht. Oder geh' mir einmal im Maymond auf je- hoͤht. Oder geh’ mir einmal im Maymond auf je- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0295" n="279"/> hoͤht. Oder geh’ mir einmal im Maymond auf je-<lb/> nen Raſenhuͤgel vor unſerer Huͤtte. Schau durch’s<lb/> buntgeſchmuͤckte Thal hinauf; ſieh’, wie die <hi rendition="#fr">Thur</hi><lb/> ſich mitten durch die ſchoͤnſten Auen ſchlaͤngelt; wie<lb/> ſie ihre noch truͤben Schneewaſſer gerade unter dei-<lb/> nen Fuͤſſen fortwaͤlzt. Sieh’, wie an ihren beyden<lb/> Ufern unzaͤhlige Kuͤbe mit geſchwollnen Eutern im<lb/> Gras waden. Hoͤre das Jubelgetoͤn von den groſſen<lb/> und kleinen Buſchſaͤngern. Ein Weg geht zwar an<lb/> unſern Fenſtern vorbey; aber der iſt noch nichts.<lb/> Sieh’ erſt jenſeits der <hi rendition="#fr">Thur</hi> jene Landſtraſſe mitten<lb/> durch’s Thal, die nie laͤr iſt. Sieh’ jene Reihe<lb/> Haͤuſer, welche <hi rendition="#fr">Lichtenſteig</hi> und <hi rendition="#fr">Wattweil</hi> wie<lb/> zuſammenketten. Da haſt du einigermaaſſen, was<lb/> man in Staͤdten und auf dem Lande nur haben<lb/> kann. Ha! (ſagſt du vielleicht) Aber dieſe Matten<lb/> und Kuͤhe ſind nicht unſer! — Naͤrrchen! freylich<lb/> ſind ſie — und die ganze Welt iſt unſer. Oder wer<lb/> wehrt dir, ſie anzuſehn, und Luſt und Freud’ an<lb/> ihnen zu haben? Butter und Milch bekomm’ ich ja<lb/> von dem Vieh, das darauf weidet, ſo viel mir geluͤ-<lb/> ſtet; alſo haben ihre Eigenthuͤmer nur die Muͤhe<lb/> zum Vortheil. Was braucht’ es, jene Alpen mein<lb/> zu heiſſen? Oder jene zierlich prangenden Obſtbaͤu-<lb/> me? Bringt man uns ja ihre ſchoͤnſten Fruͤchte in’s<lb/> Haus! Oder jenen groſſen Garten? Riechen wir<lb/> ja ſeine Bluhmen von weitem! Und ſelbſt unſer ei-<lb/> gener kleiner; waͤchst nicht alles darinn, was wir<lb/> hinein ſetzen, pflegen und warten? — Alſo, lieber<lb/> Junge! wuͤnſch’ ich dir, daß du bey all’ dieſen Ge-<lb/> genſtaͤnden nur das empfinden moͤchteſt, was ich da-<lb/> bey ſchon empfunden habe, und noch taͤglich empfin-<lb/> de; daß du mit eben dieſer Wonne und Wolluſt den<lb/> Hoͤchſtguͤtigen in allem findeſt und fuͤhleſt, wie ich<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [279/0295]
hoͤht. Oder geh’ mir einmal im Maymond auf je-
nen Raſenhuͤgel vor unſerer Huͤtte. Schau durch’s
buntgeſchmuͤckte Thal hinauf; ſieh’, wie die Thur
ſich mitten durch die ſchoͤnſten Auen ſchlaͤngelt; wie
ſie ihre noch truͤben Schneewaſſer gerade unter dei-
nen Fuͤſſen fortwaͤlzt. Sieh’, wie an ihren beyden
Ufern unzaͤhlige Kuͤbe mit geſchwollnen Eutern im
Gras waden. Hoͤre das Jubelgetoͤn von den groſſen
und kleinen Buſchſaͤngern. Ein Weg geht zwar an
unſern Fenſtern vorbey; aber der iſt noch nichts.
Sieh’ erſt jenſeits der Thur jene Landſtraſſe mitten
durch’s Thal, die nie laͤr iſt. Sieh’ jene Reihe
Haͤuſer, welche Lichtenſteig und Wattweil wie
zuſammenketten. Da haſt du einigermaaſſen, was
man in Staͤdten und auf dem Lande nur haben
kann. Ha! (ſagſt du vielleicht) Aber dieſe Matten
und Kuͤhe ſind nicht unſer! — Naͤrrchen! freylich
ſind ſie — und die ganze Welt iſt unſer. Oder wer
wehrt dir, ſie anzuſehn, und Luſt und Freud’ an
ihnen zu haben? Butter und Milch bekomm’ ich ja
von dem Vieh, das darauf weidet, ſo viel mir geluͤ-
ſtet; alſo haben ihre Eigenthuͤmer nur die Muͤhe
zum Vortheil. Was braucht’ es, jene Alpen mein
zu heiſſen? Oder jene zierlich prangenden Obſtbaͤu-
me? Bringt man uns ja ihre ſchoͤnſten Fruͤchte in’s
Haus! Oder jenen groſſen Garten? Riechen wir
ja ſeine Bluhmen von weitem! Und ſelbſt unſer ei-
gener kleiner; waͤchst nicht alles darinn, was wir
hinein ſetzen, pflegen und warten? — Alſo, lieber
Junge! wuͤnſch’ ich dir, daß du bey all’ dieſen Ge-
genſtaͤnden nur das empfinden moͤchteſt, was ich da-
bey ſchon empfunden habe, und noch taͤglich empfin-
de; daß du mit eben dieſer Wonne und Wolluſt den
Hoͤchſtguͤtigen in allem findeſt und fuͤhleſt, wie ich
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