Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

dem ist, was sie bei neunmal so großer Nähe sein würde. Befände
sich also ein Körper etwa in der Mitte zwischen dem achten und
neunten Theilungspuncte, so würde er vom Mond und der Erde
gleich stark angezogen, schwebend bleiben, und wenn ein Körper
vom Monde aus mit solcher Gewalt geworfen würde, daß er sich
5200 bis 5300 Meilen von ihm entfernte, so würde er jenen
Punct erreichen, und wenn er etwas weniges darüber hinaus ge-
langte, zur Erde herab fallen. Hieraus läßt sich bestimmen, daß
eine Geschwindigkeit von 8000 Fuß in der Secunde für einen auf
dem Monde aufwärts geworfenen Körper ausreicht, um ihn so
weit fortzutreiben, daß er nicht auf den Mond zurückfallen könnte,
sondern zur Erde herübergehen müßte, wenn nämlich die Richtung
des Wurfes gegen die Erde zu ginge. Dies gilt zwar alles nur,
wenn Mond und Erde einander ruhend gegenüberständen, aber es
zeigt doch, worauf es bei der Frage, ob diese Steine vom Monde
kommen, ankömmt. Obgleich die Beschreibung solcher Steinregen
nicht hieher gehört, wo wir bloß nach der Möglichkeit eines solchen
Fallens fragen, so darf ich doch wohl bei einer der merkwürdigsten
dieser Erscheinungen einen Augenblick verweilen. Im Jahre 1803,
als man zwar angefangen hatte, den Nachrichten von Steinregen
einige Aufmerksamkeit zu widmen, aber doch den Zweifeln an der
Wahrheit derjenigen Nachrichten, die von Steinregen in Gegen-
den, weit von Vulcanen entfernt, redeten, noch sehr viel Raum
gab, erregte ein Steinregen, der im Departement der Orne (in der
ehemaligen Normandie) am 26. April gefallen war, allgemeine
Aufmerksamkeit. Auf einem Raume von ungefehr 21/2 Lieues Länge
und 1 Lieue Breite waren wenigstens 2000 Steine herabgefallen,
die an Gewicht von 17 Pfunden bis zu 1/2 Loth verschieden waren.
Eine Feuerkugel hatte sich in der Luft sehen lassen, die sich schnell
fortbewegte, und sehr bald nachher hörte man eine heftige Explosion,
die 5 bis 6 Minuten fortdauerte und auf 30 Lieues umher hörbar
war. Sie glich anfangs einigen Canonenschüssen, und dann einem
lange dauernden Getöse, das mit einer Menge von Schüssen aus
kleinem Gewehr und mit sehr heftigem Trommeln verglichen wurde.
Dieses Getöse schien von einer kleinen viereckigen Wolke auszugehen,
die sehr hoch in der Atmosphäre stehen mußte, da man sie an ziem-
lich entfernten Orten im Zenith sah. -- Bei Nacht hätte diese

dem iſt, was ſie bei neunmal ſo großer Naͤhe ſein wuͤrde. Befaͤnde
ſich alſo ein Koͤrper etwa in der Mitte zwiſchen dem achten und
neunten Theilungspuncte, ſo wuͤrde er vom Mond und der Erde
gleich ſtark angezogen, ſchwebend bleiben, und wenn ein Koͤrper
vom Monde aus mit ſolcher Gewalt geworfen wuͤrde, daß er ſich
5200 bis 5300 Meilen von ihm entfernte, ſo wuͤrde er jenen
Punct erreichen, und wenn er etwas weniges daruͤber hinaus ge-
langte, zur Erde herab fallen. Hieraus laͤßt ſich beſtimmen, daß
eine Geſchwindigkeit von 8000 Fuß in der Secunde fuͤr einen auf
dem Monde aufwaͤrts geworfenen Koͤrper ausreicht, um ihn ſo
weit fortzutreiben, daß er nicht auf den Mond zuruͤckfallen koͤnnte,
ſondern zur Erde heruͤbergehen muͤßte, wenn naͤmlich die Richtung
des Wurfes gegen die Erde zu ginge. Dies gilt zwar alles nur,
wenn Mond und Erde einander ruhend gegenuͤberſtaͤnden, aber es
zeigt doch, worauf es bei der Frage, ob dieſe Steine vom Monde
kommen, ankoͤmmt. Obgleich die Beſchreibung ſolcher Steinregen
nicht hieher gehoͤrt, wo wir bloß nach der Moͤglichkeit eines ſolchen
Fallens fragen, ſo darf ich doch wohl bei einer der merkwuͤrdigſten
dieſer Erſcheinungen einen Augenblick verweilen. Im Jahre 1803,
als man zwar angefangen hatte, den Nachrichten von Steinregen
einige Aufmerkſamkeit zu widmen, aber doch den Zweifeln an der
Wahrheit derjenigen Nachrichten, die von Steinregen in Gegen-
den, weit von Vulcanen entfernt, redeten, noch ſehr viel Raum
gab, erregte ein Steinregen, der im Departement der Orne (in der
ehemaligen Normandie) am 26. April gefallen war, allgemeine
Aufmerkſamkeit. Auf einem Raume von ungefehr 2½ Lieues Laͤnge
und 1 Lieue Breite waren wenigſtens 2000 Steine herabgefallen,
die an Gewicht von 17 Pfunden bis zu ½ Loth verſchieden waren.
Eine Feuerkugel hatte ſich in der Luft ſehen laſſen, die ſich ſchnell
fortbewegte, und ſehr bald nachher hoͤrte man eine heftige Exploſion,
die 5 bis 6 Minuten fortdauerte und auf 30 Lieues umher hoͤrbar
war. Sie glich anfangs einigen Canonenſchuͤſſen, und dann einem
lange dauernden Getoͤſe, das mit einer Menge von Schuͤſſen aus
kleinem Gewehr und mit ſehr heftigem Trommeln verglichen wurde.
Dieſes Getoͤſe ſchien von einer kleinen viereckigen Wolke auszugehen,
die ſehr hoch in der Atmoſphaͤre ſtehen mußte, da man ſie an ziem-
lich entfernten Orten im Zenith ſah. — Bei Nacht haͤtte dieſe

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0104" n="82"/>
dem i&#x017F;t, was &#x017F;ie bei neunmal &#x017F;o großer Na&#x0364;he &#x017F;ein wu&#x0364;rde. Befa&#x0364;nde<lb/>
&#x017F;ich al&#x017F;o ein Ko&#x0364;rper etwa in der Mitte zwi&#x017F;chen dem achten und<lb/>
neunten Theilungspuncte, &#x017F;o wu&#x0364;rde er vom Mond und der Erde<lb/>
gleich &#x017F;tark angezogen, &#x017F;chwebend bleiben, und wenn ein Ko&#x0364;rper<lb/>
vom Monde aus mit &#x017F;olcher Gewalt geworfen wu&#x0364;rde, daß er &#x017F;ich<lb/>
5200 bis 5300 Meilen von ihm entfernte, &#x017F;o wu&#x0364;rde er jenen<lb/>
Punct erreichen, und wenn er etwas weniges daru&#x0364;ber hinaus ge-<lb/>
langte, zur Erde herab fallen. Hieraus la&#x0364;ßt &#x017F;ich be&#x017F;timmen, daß<lb/>
eine Ge&#x017F;chwindigkeit von 8000 Fuß in der Secunde fu&#x0364;r einen auf<lb/>
dem Monde aufwa&#x0364;rts geworfenen Ko&#x0364;rper ausreicht, um ihn &#x017F;o<lb/>
weit fortzutreiben, daß er nicht auf den Mond zuru&#x0364;ckfallen ko&#x0364;nnte,<lb/>
&#x017F;ondern zur Erde heru&#x0364;bergehen mu&#x0364;ßte, wenn na&#x0364;mlich die Richtung<lb/>
des Wurfes gegen die Erde zu ginge. Dies gilt zwar alles nur,<lb/>
wenn Mond und Erde einander ruhend gegenu&#x0364;ber&#x017F;ta&#x0364;nden, aber es<lb/>
zeigt doch, worauf es bei der Frage, ob die&#x017F;e Steine vom Monde<lb/>
kommen, anko&#x0364;mmt. Obgleich die Be&#x017F;chreibung &#x017F;olcher Steinregen<lb/>
nicht hieher geho&#x0364;rt, wo wir bloß nach der Mo&#x0364;glichkeit eines &#x017F;olchen<lb/>
Fallens fragen, &#x017F;o darf ich doch wohl bei einer der merkwu&#x0364;rdig&#x017F;ten<lb/>
die&#x017F;er Er&#x017F;cheinungen einen Augenblick verweilen. Im Jahre 1803,<lb/>
als man zwar angefangen hatte, den Nachrichten von Steinregen<lb/>
einige Aufmerk&#x017F;amkeit zu widmen, aber doch den Zweifeln an der<lb/>
Wahrheit derjenigen Nachrichten, die von Steinregen in Gegen-<lb/>
den, weit von Vulcanen entfernt, redeten, noch &#x017F;ehr viel Raum<lb/>
gab, erregte ein Steinregen, der im Departement der Orne (in der<lb/>
ehemaligen Normandie) am 26. April gefallen war, allgemeine<lb/>
Aufmerk&#x017F;amkeit. Auf einem Raume von ungefehr 2½ Lieues La&#x0364;nge<lb/>
und 1 Lieue Breite waren wenig&#x017F;tens 2000 Steine herabgefallen,<lb/>
die an Gewicht von 17 Pfunden bis zu ½ Loth ver&#x017F;chieden waren.<lb/>
Eine Feuerkugel hatte &#x017F;ich in der Luft &#x017F;ehen la&#x017F;&#x017F;en, die &#x017F;ich &#x017F;chnell<lb/>
fortbewegte, und &#x017F;ehr bald nachher ho&#x0364;rte man eine heftige Explo&#x017F;ion,<lb/>
die 5 bis 6 Minuten fortdauerte und auf 30 Lieues umher ho&#x0364;rbar<lb/>
war. Sie glich anfangs einigen Canonen&#x017F;chu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, und dann einem<lb/>
lange dauernden Geto&#x0364;&#x017F;e, das mit einer Menge von Schu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en aus<lb/>
kleinem Gewehr und mit &#x017F;ehr heftigem Trommeln verglichen wurde.<lb/>
Die&#x017F;es Geto&#x0364;&#x017F;e &#x017F;chien von einer kleinen viereckigen Wolke auszugehen,<lb/>
die &#x017F;ehr hoch in der Atmo&#x017F;pha&#x0364;re &#x017F;tehen mußte, da man &#x017F;ie an ziem-<lb/>
lich entfernten Orten im Zenith &#x017F;ah. &#x2014; Bei Nacht ha&#x0364;tte die&#x017F;e<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[82/0104] dem iſt, was ſie bei neunmal ſo großer Naͤhe ſein wuͤrde. Befaͤnde ſich alſo ein Koͤrper etwa in der Mitte zwiſchen dem achten und neunten Theilungspuncte, ſo wuͤrde er vom Mond und der Erde gleich ſtark angezogen, ſchwebend bleiben, und wenn ein Koͤrper vom Monde aus mit ſolcher Gewalt geworfen wuͤrde, daß er ſich 5200 bis 5300 Meilen von ihm entfernte, ſo wuͤrde er jenen Punct erreichen, und wenn er etwas weniges daruͤber hinaus ge- langte, zur Erde herab fallen. Hieraus laͤßt ſich beſtimmen, daß eine Geſchwindigkeit von 8000 Fuß in der Secunde fuͤr einen auf dem Monde aufwaͤrts geworfenen Koͤrper ausreicht, um ihn ſo weit fortzutreiben, daß er nicht auf den Mond zuruͤckfallen koͤnnte, ſondern zur Erde heruͤbergehen muͤßte, wenn naͤmlich die Richtung des Wurfes gegen die Erde zu ginge. Dies gilt zwar alles nur, wenn Mond und Erde einander ruhend gegenuͤberſtaͤnden, aber es zeigt doch, worauf es bei der Frage, ob dieſe Steine vom Monde kommen, ankoͤmmt. Obgleich die Beſchreibung ſolcher Steinregen nicht hieher gehoͤrt, wo wir bloß nach der Moͤglichkeit eines ſolchen Fallens fragen, ſo darf ich doch wohl bei einer der merkwuͤrdigſten dieſer Erſcheinungen einen Augenblick verweilen. Im Jahre 1803, als man zwar angefangen hatte, den Nachrichten von Steinregen einige Aufmerkſamkeit zu widmen, aber doch den Zweifeln an der Wahrheit derjenigen Nachrichten, die von Steinregen in Gegen- den, weit von Vulcanen entfernt, redeten, noch ſehr viel Raum gab, erregte ein Steinregen, der im Departement der Orne (in der ehemaligen Normandie) am 26. April gefallen war, allgemeine Aufmerkſamkeit. Auf einem Raume von ungefehr 2½ Lieues Laͤnge und 1 Lieue Breite waren wenigſtens 2000 Steine herabgefallen, die an Gewicht von 17 Pfunden bis zu ½ Loth verſchieden waren. Eine Feuerkugel hatte ſich in der Luft ſehen laſſen, die ſich ſchnell fortbewegte, und ſehr bald nachher hoͤrte man eine heftige Exploſion, die 5 bis 6 Minuten fortdauerte und auf 30 Lieues umher hoͤrbar war. Sie glich anfangs einigen Canonenſchuͤſſen, und dann einem lange dauernden Getoͤſe, das mit einer Menge von Schuͤſſen aus kleinem Gewehr und mit ſehr heftigem Trommeln verglichen wurde. Dieſes Getoͤſe ſchien von einer kleinen viereckigen Wolke auszugehen, die ſehr hoch in der Atmoſphaͤre ſtehen mußte, da man ſie an ziem- lich entfernten Orten im Zenith ſah. — Bei Nacht haͤtte dieſe

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre01_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre01_1830/104
Zitationshilfe: Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre01_1830/104>, abgerufen am 22.11.2024.