Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

stände, die zu Fehlern, und zu solchen Fehlern, denen selbst die
Sorgfalt des Beobachters nicht ganz abhelfen kann, führen können.
Der erste Fehler beruht auf der Unvollkommenheit der Schneide, auf
welcher das Pendel aufliegt. Hätten wir es mit einer dicken, cylin-
drischen Axe auf die Unterlage gelegt, so würde offenbar die Länge
des Pendels nicht so gradezu von dem Puncte, mit welchem die Axe
die Unterlage berührt, an zu rechnen sein, sondern man müßte auf
das Wälzen dieses Cylinders Rücksicht nehmen, und etwas Aehnli-
ches, wenn gleich in viel geringerm Maaße, findet selbst bei der
feinsten Schneide statt, die doch immer noch mit andern Berüh-
rungspuncten aufliegt, wenn das Pendel rechts ausweicht, mit an-
dern, wenn es links ausweicht. So wenig dies auch bei einer
Schneide, deren Breite nur einige Tausendtel einer Linie beträgt,
ausmacht, so ist es doch gegen die Feinheit der Versuche, die sich
hier erreichen läßt, nicht ganz unbedeutend. Noch wichtiger ist der
Widerstand der Luft. Jene Regel, daß der Abstand der beiden
Axen die wahre Länge des Pendels angiebt, wenn beide eine genau
gleiche Schwingungszeit geben, gilt nur im leeren Raume mit völli-
ger Schärfe, und fordert wegen des Widerstandes der Luft eine
schwer zu bestimmende Correction. Ein Pendel, das im leeren
Raume in beiden Lagen gleiche Schwingungszeiten hat, behält nicht
nothwendig diese Eigenschaft in der Luft.

Diese, auch hier übrig bleibende Unvollkommenheit hat in der
allerneuesten Zeit Bessel zu einer anders eingerichteten Reihe von
Versuchen veranlaßt, die sich auf die Betrachtung stützt, daß es nicht
nothwendig ist, die genaue Länge eines Pendels zu kennen, sondern
daß die genaue Kenntniß des Unterschiedes der Längen zweier Pen-
del, deren Schwingungszeiten man beobachtet, eben so gut zur Be-
stimmung der Länge des einfachen Secundenpendels führt. Bessel
bediente sich deshalb zweier Pendel, deren Länge genau um eine
Toise verschieden war, und bestimmte ihre Schwingungszeit mit
möglichster Sorgfalt.

Ich würde besorgen, daß ich Ihnen zu lange bei diesem Gegen-
stande zu verweilen schiene, wenn ich nicht sicher hoffen dürfte, daß
ein Beispiel von der großen Genauigkeit, welche Versuche dieser Art
gestatten, jedem von Ihnen merkwürdig genug scheinen werde, um
gern dabei etwas länger zu verweilen. Da ich das Mittel, die sehr

ſtaͤnde, die zu Fehlern, und zu ſolchen Fehlern, denen ſelbſt die
Sorgfalt des Beobachters nicht ganz abhelfen kann, fuͤhren koͤnnen.
Der erſte Fehler beruht auf der Unvollkommenheit der Schneide, auf
welcher das Pendel aufliegt. Haͤtten wir es mit einer dicken, cylin-
driſchen Axe auf die Unterlage gelegt, ſo wuͤrde offenbar die Laͤnge
des Pendels nicht ſo gradezu von dem Puncte, mit welchem die Axe
die Unterlage beruͤhrt, an zu rechnen ſein, ſondern man muͤßte auf
das Waͤlzen dieſes Cylinders Ruͤckſicht nehmen, und etwas Aehnli-
ches, wenn gleich in viel geringerm Maaße, findet ſelbſt bei der
feinſten Schneide ſtatt, die doch immer noch mit andern Beruͤh-
rungspuncten aufliegt, wenn das Pendel rechts ausweicht, mit an-
dern, wenn es links ausweicht. So wenig dies auch bei einer
Schneide, deren Breite nur einige Tauſendtel einer Linie betraͤgt,
ausmacht, ſo iſt es doch gegen die Feinheit der Verſuche, die ſich
hier erreichen laͤßt, nicht ganz unbedeutend. Noch wichtiger iſt der
Widerſtand der Luft. Jene Regel, daß der Abſtand der beiden
Axen die wahre Laͤnge des Pendels angiebt, wenn beide eine genau
gleiche Schwingungszeit geben, gilt nur im leeren Raume mit voͤlli-
ger Schaͤrfe, und fordert wegen des Widerſtandes der Luft eine
ſchwer zu beſtimmende Correction. Ein Pendel, das im leeren
Raume in beiden Lagen gleiche Schwingungszeiten hat, behaͤlt nicht
nothwendig dieſe Eigenſchaft in der Luft.

Dieſe, auch hier uͤbrig bleibende Unvollkommenheit hat in der
allerneueſten Zeit Beſſel zu einer anders eingerichteten Reihe von
Verſuchen veranlaßt, die ſich auf die Betrachtung ſtuͤtzt, daß es nicht
nothwendig iſt, die genaue Laͤnge eines Pendels zu kennen, ſondern
daß die genaue Kenntniß des Unterſchiedes der Laͤngen zweier Pen-
del, deren Schwingungszeiten man beobachtet, eben ſo gut zur Be-
ſtimmung der Laͤnge des einfachen Secundenpendels fuͤhrt. Beſſel
bediente ſich deshalb zweier Pendel, deren Laͤnge genau um eine
Toiſe verſchieden war, und beſtimmte ihre Schwingungszeit mit
moͤglichſter Sorgfalt.

Ich wuͤrde beſorgen, daß ich Ihnen zu lange bei dieſem Gegen-
ſtande zu verweilen ſchiene, wenn ich nicht ſicher hoffen duͤrfte, daß
ein Beiſpiel von der großen Genauigkeit, welche Verſuche dieſer Art
geſtatten, jedem von Ihnen merkwuͤrdig genug ſcheinen werde, um
gern dabei etwas laͤnger zu verweilen. Da ich das Mittel, die ſehr

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0130" n="108"/>
&#x017F;ta&#x0364;nde, die zu Fehlern, und zu &#x017F;olchen Fehlern, denen &#x017F;elb&#x017F;t die<lb/>
Sorgfalt des Beobachters nicht ganz abhelfen kann, fu&#x0364;hren ko&#x0364;nnen.<lb/>
Der er&#x017F;te Fehler beruht auf der Unvollkommenheit der Schneide, auf<lb/>
welcher das Pendel aufliegt. Ha&#x0364;tten wir es mit einer dicken, cylin-<lb/>
dri&#x017F;chen Axe auf die Unterlage gelegt, &#x017F;o wu&#x0364;rde offenbar die La&#x0364;nge<lb/>
des Pendels nicht &#x017F;o gradezu von dem Puncte, mit welchem die Axe<lb/>
die Unterlage beru&#x0364;hrt, an zu rechnen &#x017F;ein, &#x017F;ondern man mu&#x0364;ßte auf<lb/>
das Wa&#x0364;lzen die&#x017F;es Cylinders Ru&#x0364;ck&#x017F;icht nehmen, und etwas Aehnli-<lb/>
ches, wenn gleich in viel geringerm Maaße, findet &#x017F;elb&#x017F;t bei der<lb/>
fein&#x017F;ten Schneide &#x017F;tatt, die doch immer noch mit andern Beru&#x0364;h-<lb/>
rungspuncten aufliegt, wenn das Pendel rechts ausweicht, mit an-<lb/>
dern, wenn es links ausweicht. So wenig dies auch bei einer<lb/>
Schneide, deren Breite nur einige Tau&#x017F;endtel einer Linie betra&#x0364;gt,<lb/>
ausmacht, &#x017F;o i&#x017F;t es doch gegen die Feinheit der Ver&#x017F;uche, die &#x017F;ich<lb/>
hier erreichen la&#x0364;ßt, nicht ganz unbedeutend. Noch wichtiger i&#x017F;t der<lb/>
Wider&#x017F;tand der Luft. Jene Regel, daß der Ab&#x017F;tand der beiden<lb/>
Axen die wahre La&#x0364;nge des Pendels angiebt, wenn beide eine genau<lb/>
gleiche Schwingungszeit geben, gilt nur im leeren Raume mit vo&#x0364;lli-<lb/>
ger Scha&#x0364;rfe, und fordert wegen des Wider&#x017F;tandes der Luft eine<lb/>
&#x017F;chwer zu be&#x017F;timmende Correction. Ein Pendel, das im leeren<lb/>
Raume in beiden Lagen gleiche Schwingungszeiten hat, beha&#x0364;lt nicht<lb/>
nothwendig die&#x017F;e Eigen&#x017F;chaft in der Luft.</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;e, auch hier u&#x0364;brig bleibende Unvollkommenheit hat in der<lb/>
allerneue&#x017F;ten Zeit <hi rendition="#g">Be&#x017F;&#x017F;el</hi> zu einer anders eingerichteten Reihe von<lb/>
Ver&#x017F;uchen veranlaßt, die &#x017F;ich auf die Betrachtung &#x017F;tu&#x0364;tzt, daß es nicht<lb/>
nothwendig i&#x017F;t, die genaue La&#x0364;nge <hi rendition="#g">eines</hi> Pendels zu kennen, &#x017F;ondern<lb/>
daß die genaue Kenntniß des Unter&#x017F;chiedes der La&#x0364;ngen zweier Pen-<lb/>
del, deren Schwingungszeiten man beobachtet, eben &#x017F;o gut zur Be-<lb/>
&#x017F;timmung der La&#x0364;nge des einfachen Secundenpendels fu&#x0364;hrt. <hi rendition="#g">Be&#x017F;&#x017F;el</hi><lb/>
bediente &#x017F;ich deshalb zweier Pendel, deren La&#x0364;nge genau um eine<lb/>
Toi&#x017F;e ver&#x017F;chieden war, und be&#x017F;timmte ihre Schwingungszeit mit<lb/>
mo&#x0364;glich&#x017F;ter Sorgfalt.</p><lb/>
          <p>Ich wu&#x0364;rde be&#x017F;orgen, daß ich Ihnen zu lange bei die&#x017F;em Gegen-<lb/>
&#x017F;tande zu verweilen &#x017F;chiene, wenn ich nicht &#x017F;icher hoffen du&#x0364;rfte, daß<lb/>
ein Bei&#x017F;piel von der großen Genauigkeit, welche Ver&#x017F;uche die&#x017F;er Art<lb/>
ge&#x017F;tatten, jedem von Ihnen merkwu&#x0364;rdig genug &#x017F;cheinen werde, um<lb/>
gern dabei etwas la&#x0364;nger zu verweilen. Da ich das Mittel, die &#x017F;ehr<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[108/0130] ſtaͤnde, die zu Fehlern, und zu ſolchen Fehlern, denen ſelbſt die Sorgfalt des Beobachters nicht ganz abhelfen kann, fuͤhren koͤnnen. Der erſte Fehler beruht auf der Unvollkommenheit der Schneide, auf welcher das Pendel aufliegt. Haͤtten wir es mit einer dicken, cylin- driſchen Axe auf die Unterlage gelegt, ſo wuͤrde offenbar die Laͤnge des Pendels nicht ſo gradezu von dem Puncte, mit welchem die Axe die Unterlage beruͤhrt, an zu rechnen ſein, ſondern man muͤßte auf das Waͤlzen dieſes Cylinders Ruͤckſicht nehmen, und etwas Aehnli- ches, wenn gleich in viel geringerm Maaße, findet ſelbſt bei der feinſten Schneide ſtatt, die doch immer noch mit andern Beruͤh- rungspuncten aufliegt, wenn das Pendel rechts ausweicht, mit an- dern, wenn es links ausweicht. So wenig dies auch bei einer Schneide, deren Breite nur einige Tauſendtel einer Linie betraͤgt, ausmacht, ſo iſt es doch gegen die Feinheit der Verſuche, die ſich hier erreichen laͤßt, nicht ganz unbedeutend. Noch wichtiger iſt der Widerſtand der Luft. Jene Regel, daß der Abſtand der beiden Axen die wahre Laͤnge des Pendels angiebt, wenn beide eine genau gleiche Schwingungszeit geben, gilt nur im leeren Raume mit voͤlli- ger Schaͤrfe, und fordert wegen des Widerſtandes der Luft eine ſchwer zu beſtimmende Correction. Ein Pendel, das im leeren Raume in beiden Lagen gleiche Schwingungszeiten hat, behaͤlt nicht nothwendig dieſe Eigenſchaft in der Luft. Dieſe, auch hier uͤbrig bleibende Unvollkommenheit hat in der allerneueſten Zeit Beſſel zu einer anders eingerichteten Reihe von Verſuchen veranlaßt, die ſich auf die Betrachtung ſtuͤtzt, daß es nicht nothwendig iſt, die genaue Laͤnge eines Pendels zu kennen, ſondern daß die genaue Kenntniß des Unterſchiedes der Laͤngen zweier Pen- del, deren Schwingungszeiten man beobachtet, eben ſo gut zur Be- ſtimmung der Laͤnge des einfachen Secundenpendels fuͤhrt. Beſſel bediente ſich deshalb zweier Pendel, deren Laͤnge genau um eine Toiſe verſchieden war, und beſtimmte ihre Schwingungszeit mit moͤglichſter Sorgfalt. Ich wuͤrde beſorgen, daß ich Ihnen zu lange bei dieſem Gegen- ſtande zu verweilen ſchiene, wenn ich nicht ſicher hoffen duͤrfte, daß ein Beiſpiel von der großen Genauigkeit, welche Verſuche dieſer Art geſtatten, jedem von Ihnen merkwuͤrdig genug ſcheinen werde, um gern dabei etwas laͤnger zu verweilen. Da ich das Mittel, die ſehr

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre01_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre01_1830/130
Zitationshilfe: Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre01_1830/130>, abgerufen am 16.05.2024.