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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830.

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gegangen ist. Die einfache Betrachtung, daß eine Bewegung,
ohne neue Einwirkung einer Kraft, ungeändert in Rücksicht auf
Richtung und Geschwindigkeit fortdauern müsse, führte uns zu der
Frage, wie denn Kräfte, welche die Bewegung zu ändern streben,
ihre Wirkung zeigen, wie sie sich im Gleichgewichte erhaltend, ein-
ander zerstören, und im entgegengesetzten Falle Bewegung hervor-
bringen. Die leichte Untersuchung, welche Gesetze diejenige Bewegung
befolgen werde, die durch eine gleichförmig wirkende Kraft hervorge-
bracht wird, lehrte uns die Schwere als eine solche gleichförmig
wirkende Kraft kennen, und da es uns gelang, die Gesetze der
Bewegung vertical aufwärts geworfener Körper aus dem, was
die Trägheit und die gleichförmig wirkende Kraft hervorbringen
mußten, vollständig herzuleiten, so suchten wir eben die Princi-
pien auf die krummlinigte Bewegung schief geworfener Körper
anzuwenden. Es gelang uns, auch hier die Bahn des gewor-
fenen Körpers zu bestimmen, und wir fanden uns aufgemuntert,
nach den Gesetzen zu fragen, die ein die Erde umkreisender Körper
befolgen müsse; wir überzeugten uns, daß eine Kreisbewegung
um einen anziehenden Mittelpunct statt finden könne, wir fanden
Mittel die Frage zu beantworten, wie stark die anziehende Kraft
der Erde auf den Mond, wie stark die anziehende Kraft der Sonne
auf die Erde wirke, und indem wir die Beobachtungen mit
den Resultaten unsrer theoretischen Rechnungen verglichen, ent-
deckte sich uns das Gesetz der in größern Abständen abnehmenden
allgemeinen Attraction der Weltkörper. Ein ganzes Heer von
Erscheinungen war jetzt auf einmal erklärt; -- wir erkannten
deutlich, daß es nur einer sorgfältig durchgeführten Berechnung be-
dürfe, um die genaue Bewegung der Planeten und Cometen in
ihren Bahnen kennen zu lernen, um die Figur der Erde zu be-
stimmen, und so weiter. Und so wie diese eine Reihe von Un-
tersuchungen sich gleichsam von selbst entwickelte, wie hier eine
beantwortete Frage uns sogleich zu einer neuen leitete, deren Be-
antwortung wir schon vorauszusehen im Stande waren, so ging
es auch in den übrigen Gegenständen, bei denen ich jetzt nicht ver-
weilen will.

Aufgemuntert durch diesen glücklichen Erfolg betreten wir
heute ein neues Feld lehrreicher Untersuchungen. Bisher richteten

gegangen iſt. Die einfache Betrachtung, daß eine Bewegung,
ohne neue Einwirkung einer Kraft, ungeaͤndert in Ruͤckſicht auf
Richtung und Geſchwindigkeit fortdauern muͤſſe, fuͤhrte uns zu der
Frage, wie denn Kraͤfte, welche die Bewegung zu aͤndern ſtreben,
ihre Wirkung zeigen, wie ſie ſich im Gleichgewichte erhaltend, ein-
ander zerſtoͤren, und im entgegengeſetzten Falle Bewegung hervor-
bringen. Die leichte Unterſuchung, welche Geſetze diejenige Bewegung
befolgen werde, die durch eine gleichfoͤrmig wirkende Kraft hervorge-
bracht wird, lehrte uns die Schwere als eine ſolche gleichfoͤrmig
wirkende Kraft kennen, und da es uns gelang, die Geſetze der
Bewegung vertical aufwaͤrts geworfener Koͤrper aus dem, was
die Traͤgheit und die gleichfoͤrmig wirkende Kraft hervorbringen
mußten, vollſtaͤndig herzuleiten, ſo ſuchten wir eben die Princi-
pien auf die krummlinigte Bewegung ſchief geworfener Koͤrper
anzuwenden. Es gelang uns, auch hier die Bahn des gewor-
fenen Koͤrpers zu beſtimmen, und wir fanden uns aufgemuntert,
nach den Geſetzen zu fragen, die ein die Erde umkreiſender Koͤrper
befolgen muͤſſe; wir uͤberzeugten uns, daß eine Kreisbewegung
um einen anziehenden Mittelpunct ſtatt finden koͤnne, wir fanden
Mittel die Frage zu beantworten, wie ſtark die anziehende Kraft
der Erde auf den Mond, wie ſtark die anziehende Kraft der Sonne
auf die Erde wirke, und indem wir die Beobachtungen mit
den Reſultaten unſrer theoretiſchen Rechnungen verglichen, ent-
deckte ſich uns das Geſetz der in groͤßern Abſtaͤnden abnehmenden
allgemeinen Attraction der Weltkoͤrper. Ein ganzes Heer von
Erſcheinungen war jetzt auf einmal erklaͤrt; — wir erkannten
deutlich, daß es nur einer ſorgfaͤltig durchgefuͤhrten Berechnung be-
duͤrfe, um die genaue Bewegung der Planeten und Cometen in
ihren Bahnen kennen zu lernen, um die Figur der Erde zu be-
ſtimmen, und ſo weiter. Und ſo wie dieſe eine Reihe von Un-
terſuchungen ſich gleichſam von ſelbſt entwickelte, wie hier eine
beantwortete Frage uns ſogleich zu einer neuen leitete, deren Be-
antwortung wir ſchon vorauszuſehen im Stande waren, ſo ging
es auch in den uͤbrigen Gegenſtaͤnden, bei denen ich jetzt nicht ver-
weilen will.

Aufgemuntert durch dieſen gluͤcklichen Erfolg betreten wir
heute ein neues Feld lehrreicher Unterſuchungen. Bisher richteten

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[127/0149] gegangen iſt. Die einfache Betrachtung, daß eine Bewegung, ohne neue Einwirkung einer Kraft, ungeaͤndert in Ruͤckſicht auf Richtung und Geſchwindigkeit fortdauern muͤſſe, fuͤhrte uns zu der Frage, wie denn Kraͤfte, welche die Bewegung zu aͤndern ſtreben, ihre Wirkung zeigen, wie ſie ſich im Gleichgewichte erhaltend, ein- ander zerſtoͤren, und im entgegengeſetzten Falle Bewegung hervor- bringen. Die leichte Unterſuchung, welche Geſetze diejenige Bewegung befolgen werde, die durch eine gleichfoͤrmig wirkende Kraft hervorge- bracht wird, lehrte uns die Schwere als eine ſolche gleichfoͤrmig wirkende Kraft kennen, und da es uns gelang, die Geſetze der Bewegung vertical aufwaͤrts geworfener Koͤrper aus dem, was die Traͤgheit und die gleichfoͤrmig wirkende Kraft hervorbringen mußten, vollſtaͤndig herzuleiten, ſo ſuchten wir eben die Princi- pien auf die krummlinigte Bewegung ſchief geworfener Koͤrper anzuwenden. Es gelang uns, auch hier die Bahn des gewor- fenen Koͤrpers zu beſtimmen, und wir fanden uns aufgemuntert, nach den Geſetzen zu fragen, die ein die Erde umkreiſender Koͤrper befolgen muͤſſe; wir uͤberzeugten uns, daß eine Kreisbewegung um einen anziehenden Mittelpunct ſtatt finden koͤnne, wir fanden Mittel die Frage zu beantworten, wie ſtark die anziehende Kraft der Erde auf den Mond, wie ſtark die anziehende Kraft der Sonne auf die Erde wirke, und indem wir die Beobachtungen mit den Reſultaten unſrer theoretiſchen Rechnungen verglichen, ent- deckte ſich uns das Geſetz der in groͤßern Abſtaͤnden abnehmenden allgemeinen Attraction der Weltkoͤrper. Ein ganzes Heer von Erſcheinungen war jetzt auf einmal erklaͤrt; — wir erkannten deutlich, daß es nur einer ſorgfaͤltig durchgefuͤhrten Berechnung be- duͤrfe, um die genaue Bewegung der Planeten und Cometen in ihren Bahnen kennen zu lernen, um die Figur der Erde zu be- ſtimmen, und ſo weiter. Und ſo wie dieſe eine Reihe von Un- terſuchungen ſich gleichſam von ſelbſt entwickelte, wie hier eine beantwortete Frage uns ſogleich zu einer neuen leitete, deren Be- antwortung wir ſchon vorauszuſehen im Stande waren, ſo ging es auch in den uͤbrigen Gegenſtaͤnden, bei denen ich jetzt nicht ver- weilen will. Aufgemuntert durch dieſen gluͤcklichen Erfolg betreten wir heute ein neues Feld lehrreicher Unterſuchungen. Bisher richteten

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Zitationshilfe: Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre01_1830/149>, abgerufen am 24.11.2024.