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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830.

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Materie bedingen, so würden wir sagen, da die Kraft des Zusam-
menhanges nicht unendlich sein kann, so muß es möglich sein,
diese Kraft des Zusammenhanges zu überwinden, eine Trennung
der Theile von einander zu bewirken. Die Mittel, die uns in
der Erfahrung hiezu dargeboten werden, sind mannigfaltig und
größtentheils bekannt. Sie bestehen zum Beispiel darin, daß wir
einen Körper zwischen die Theilchen des andern hinein drängen und
dann schneidend, brechend und so ferner, die Zertrennung be-
wirken. Am merkwürdigsten ist die sehr feine Zertheilung, die bei
Mischung flüssiger Körper statt findet, und die sich durch chemische
Veränderungen sehr deutlich darthut. Die chemischen Reagentien,
das ist diejenigen Stoffe, welche das Vorhandensein eines be-
stimmten Körpers in einer Auflösung zeigen, geben Beispiele hiezu.
So ist zum Beispiel die Gallapfeltinctur ein vorzügliches Mittel,
die Gegenwart des Eisens zu erkennen, indem ein Tropfen jener
Tinctur, selbst in einer sehr verdünnten Eisen-Auflösung, eine
Schwärzung hervorbringt. Eine eben solche auf Eisen reagirende
Substanz ist die Blutlauge *). Ein Gran derselben färbt 20
Pfund oder 1/4 Cubicfuß **) Eisen-Auflösung merklich blau; wenn
man nun bedenkt, daß eine Masse von mehr als 700000 Cubic-
linien hier eine Färbung erhält, daß das Auge noch Zehntel der
Linie, also Tausendtel der Cubiclinie, deutlich erkennt, so kann
man den Gran als in jedem der 700 Millionen sichtbarer Theil-
chen seine Wirkung zeigend, ansehen. Aehnliche Beispiele geben
die practisch anwendbaren Färbemittel. Venturi bemerkt, daß
man mit 1 Unze Cochenille 10 Unzen Seide stark genug gefärbt
erhält. Aber die so gefärbten 10 Unzen Seidenfäden waren 145000
Fuß lang und die microscopische Untersuchung zeigte in jedem Faden

*) Cyankali in kaltem Wasser aufgelöst.
**) Ein Cubicfuß ist der körperliche Raum von 1 Fuß lang, 1 Fuß
breit, 1 Fuß hoch. Da 1 Fuß 12 Zolle enthält, so hat der Quadrat-
fuß eine Fläche von 1 Fuß lang und 1 Fuß breit, 144 Quadratzoll,
und der Cubicfuß 12144 = 1728 Cubiczoll. Ebenso hat der Längen-
zoll 12 Linien, der Quadratzoll 144 Quadratlinien, der Cubiczoll
1728 Cubiclinien, also der Cubicfuß 17281728 = 2985984, (bei-
nahe 3 Millionen) Cubiclinien.

Materie bedingen, ſo wuͤrden wir ſagen, da die Kraft des Zuſam-
menhanges nicht unendlich ſein kann, ſo muß es moͤglich ſein,
dieſe Kraft des Zuſammenhanges zu uͤberwinden, eine Trennung
der Theile von einander zu bewirken. Die Mittel, die uns in
der Erfahrung hiezu dargeboten werden, ſind mannigfaltig und
groͤßtentheils bekannt. Sie beſtehen zum Beiſpiel darin, daß wir
einen Koͤrper zwiſchen die Theilchen des andern hinein draͤngen und
dann ſchneidend, brechend und ſo ferner, die Zertrennung be-
wirken. Am merkwuͤrdigſten iſt die ſehr feine Zertheilung, die bei
Miſchung fluͤſſiger Koͤrper ſtatt findet, und die ſich durch chemiſche
Veraͤnderungen ſehr deutlich darthut. Die chemiſchen Reagentien,
das iſt diejenigen Stoffe, welche das Vorhandenſein eines be-
ſtimmten Koͤrpers in einer Aufloͤſung zeigen, geben Beiſpiele hiezu.
So iſt zum Beiſpiel die Gallapfeltinctur ein vorzuͤgliches Mittel,
die Gegenwart des Eiſens zu erkennen, indem ein Tropfen jener
Tinctur, ſelbſt in einer ſehr verduͤnnten Eiſen-Aufloͤſung, eine
Schwaͤrzung hervorbringt. Eine eben ſolche auf Eiſen reagirende
Subſtanz iſt die Blutlauge *). Ein Gran derſelben faͤrbt 20
Pfund oder ¼ Cubicfuß **) Eiſen-Aufloͤſung merklich blau; wenn
man nun bedenkt, daß eine Maſſe von mehr als 700000 Cubic-
linien hier eine Faͤrbung erhaͤlt, daß das Auge noch Zehntel der
Linie, alſo Tauſendtel der Cubiclinie, deutlich erkennt, ſo kann
man den Gran als in jedem der 700 Millionen ſichtbarer Theil-
chen ſeine Wirkung zeigend, anſehen. Aehnliche Beiſpiele geben
die practiſch anwendbaren Faͤrbemittel. Venturi bemerkt, daß
man mit 1 Unze Cochenille 10 Unzen Seide ſtark genug gefaͤrbt
erhaͤlt. Aber die ſo gefaͤrbten 10 Unzen Seidenfaͤden waren 145000
Fuß lang und die microſcopiſche Unterſuchung zeigte in jedem Faden

*) Cyankali in kaltem Waſſer aufgeloͤſt.
**) Ein Cubicfuß iſt der koͤrperliche Raum von 1 Fuß lang, 1 Fuß
breit, 1 Fuß hoch. Da 1 Fuß 12 Zolle enthaͤlt, ſo hat der Quadrat-
fuß eine Flaͤche von 1 Fuß lang und 1 Fuß breit, 144 Quadratzoll,
und der Cubicfuß 12⋅144 = 1728 Cubiczoll. Ebenſo hat der Laͤngen-
zoll 12 Linien, der Quadratzoll 144 Quadratlinien, der Cubiczoll
1728 Cubiclinien, alſo der Cubicfuß 1728⋅1728 = 2985984, (bei-
nahe 3 Millionen) Cubiclinien.
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[14/0036] Materie bedingen, ſo wuͤrden wir ſagen, da die Kraft des Zuſam- menhanges nicht unendlich ſein kann, ſo muß es moͤglich ſein, dieſe Kraft des Zuſammenhanges zu uͤberwinden, eine Trennung der Theile von einander zu bewirken. Die Mittel, die uns in der Erfahrung hiezu dargeboten werden, ſind mannigfaltig und groͤßtentheils bekannt. Sie beſtehen zum Beiſpiel darin, daß wir einen Koͤrper zwiſchen die Theilchen des andern hinein draͤngen und dann ſchneidend, brechend und ſo ferner, die Zertrennung be- wirken. Am merkwuͤrdigſten iſt die ſehr feine Zertheilung, die bei Miſchung fluͤſſiger Koͤrper ſtatt findet, und die ſich durch chemiſche Veraͤnderungen ſehr deutlich darthut. Die chemiſchen Reagentien, das iſt diejenigen Stoffe, welche das Vorhandenſein eines be- ſtimmten Koͤrpers in einer Aufloͤſung zeigen, geben Beiſpiele hiezu. So iſt zum Beiſpiel die Gallapfeltinctur ein vorzuͤgliches Mittel, die Gegenwart des Eiſens zu erkennen, indem ein Tropfen jener Tinctur, ſelbſt in einer ſehr verduͤnnten Eiſen-Aufloͤſung, eine Schwaͤrzung hervorbringt. Eine eben ſolche auf Eiſen reagirende Subſtanz iſt die Blutlauge *). Ein Gran derſelben faͤrbt 20 Pfund oder ¼ Cubicfuß **) Eiſen-Aufloͤſung merklich blau; wenn man nun bedenkt, daß eine Maſſe von mehr als 700000 Cubic- linien hier eine Faͤrbung erhaͤlt, daß das Auge noch Zehntel der Linie, alſo Tauſendtel der Cubiclinie, deutlich erkennt, ſo kann man den Gran als in jedem der 700 Millionen ſichtbarer Theil- chen ſeine Wirkung zeigend, anſehen. Aehnliche Beiſpiele geben die practiſch anwendbaren Faͤrbemittel. Venturi bemerkt, daß man mit 1 Unze Cochenille 10 Unzen Seide ſtark genug gefaͤrbt erhaͤlt. Aber die ſo gefaͤrbten 10 Unzen Seidenfaͤden waren 145000 Fuß lang und die microſcopiſche Unterſuchung zeigte in jedem Faden *) Cyankali in kaltem Waſſer aufgeloͤſt. **) Ein Cubicfuß iſt der koͤrperliche Raum von 1 Fuß lang, 1 Fuß breit, 1 Fuß hoch. Da 1 Fuß 12 Zolle enthaͤlt, ſo hat der Quadrat- fuß eine Flaͤche von 1 Fuß lang und 1 Fuß breit, 144 Quadratzoll, und der Cubicfuß 12⋅144 = 1728 Cubiczoll. Ebenſo hat der Laͤngen- zoll 12 Linien, der Quadratzoll 144 Quadratlinien, der Cubiczoll 1728 Cubiclinien, alſo der Cubicfuß 1728⋅1728 = 2985984, (bei- nahe 3 Millionen) Cubiclinien.

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Zitationshilfe: Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre01_1830/36>, abgerufen am 21.11.2024.