erst die Mittel, die zu Erreichung jener einzelnen Zwecke dienen können, noch näher müssen kennen lernen, ehe die Einrichtung des Ohres verständlich werden kann. Denn das Ohr soll nicht bloß die Schallwellen aufnehmen und fortpflanzen, sondern es soll außer der Zahl der Vibrationen, die den Ton bestimmt, auch noch die Eigenthümlichkeiten des Klanges der Empfindung überliefern; es soll mehrere Schallwellen zugleich empfangen und im gefunden Zu- stande sie alle, vorausgesetzt daß kein betäubend starker Laut darunter sei, unvermischt dem Gehörnerven zuführen u. s. w. Es ist ein bei der Schwerhörigkeit nicht selten auffallender Umstand, daß ganz vorzüglich das Unterscheiden der einzelnen Laute, wenn mehrere zu- gleich das Ohr treffen, erschwert ist, und daß der Schwerhörige sich daher mit einer einzelnen Person leicht unterhält, aber zwischen anderm Geräusche oder wenn mehrere zugleich sprechen, die Worte, die er zwischen den übrigen heraus wahrnehmen will, nicht so wie bei gesundem Ohre heraushören kann. Daß einige Menschen, wie Wollaston bemerkt, die sehr hohen und scharfen Töne nicht wahrnehmen, ließe sich vielleicht daraus, daß nicht jede Membran eine Resonanz so hoher Töne giebt, erklären, indem vielleicht auch das Trommelfell, von dessen Resonanz doch wohl das Empfinden der Töne abhängt, hier Grenzen der Empfänglichkeit darbietet. Woher bei einigen Personen die Unfähigkeit rührt, die Höhe und Tiefe der Töne zu unterscheiden, da sie doch sonst gut hören, ist ebenfalls unerklärt.
Als eine bekannte Sache darf ich wohl noch erwähnen, daß auch die Knochen des Kopfes zum Hören mitwirken, daher manche Schwerhörige durch einen an den Kopf gehaltenen Stab sich in Verbindung mit dem Gegenstande setzen, von welchem der Schall ausgeht. Nach E. Weber's schöner Bemerkung geht hier der Schall nicht durch den Gehörgang, sondern gelangt auf anderm Wege zu den Gehörnerven; denn wenn man eine tönende Stimm- gabel mit dem Stiele auf den Kopf setzt, während man ein Ohr mit dem Finger verstopft, so hört man den Ton der Stimmgabel grade mit diesem Ohre am lautesten.
Ueber die Richtung, von woher ein Schall kömmt, bleiben wir sehr oft in Ungewißheit. Diese Unsicherheit, die durch die viel- fältigen, fast überall vorkommenden Zurückwerfungen des Schalles
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erſt die Mittel, die zu Erreichung jener einzelnen Zwecke dienen koͤnnen, noch naͤher muͤſſen kennen lernen, ehe die Einrichtung des Ohres verſtaͤndlich werden kann. Denn das Ohr ſoll nicht bloß die Schallwellen aufnehmen und fortpflanzen, ſondern es ſoll außer der Zahl der Vibrationen, die den Ton beſtimmt, auch noch die Eigenthuͤmlichkeiten des Klanges der Empfindung uͤberliefern; es ſoll mehrere Schallwellen zugleich empfangen und im gefunden Zu- ſtande ſie alle, vorausgeſetzt daß kein betaͤubend ſtarker Laut darunter ſei, unvermiſcht dem Gehoͤrnerven zufuͤhren u. ſ. w. Es iſt ein bei der Schwerhoͤrigkeit nicht ſelten auffallender Umſtand, daß ganz vorzuͤglich das Unterſcheiden der einzelnen Laute, wenn mehrere zu- gleich das Ohr treffen, erſchwert iſt, und daß der Schwerhoͤrige ſich daher mit einer einzelnen Perſon leicht unterhaͤlt, aber zwiſchen anderm Geraͤuſche oder wenn mehrere zugleich ſprechen, die Worte, die er zwiſchen den uͤbrigen heraus wahrnehmen will, nicht ſo wie bei geſundem Ohre heraushoͤren kann. Daß einige Menſchen, wie Wollaſton bemerkt, die ſehr hohen und ſcharfen Toͤne nicht wahrnehmen, ließe ſich vielleicht daraus, daß nicht jede Membran eine Reſonanz ſo hoher Toͤne giebt, erklaͤren, indem vielleicht auch das Trommelfell, von deſſen Reſonanz doch wohl das Empfinden der Toͤne abhaͤngt, hier Grenzen der Empfaͤnglichkeit darbietet. Woher bei einigen Perſonen die Unfaͤhigkeit ruͤhrt, die Hoͤhe und Tiefe der Toͤne zu unterſcheiden, da ſie doch ſonſt gut hoͤren, iſt ebenfalls unerklaͤrt.
Als eine bekannte Sache darf ich wohl noch erwaͤhnen, daß auch die Knochen des Kopfes zum Hoͤren mitwirken, daher manche Schwerhoͤrige durch einen an den Kopf gehaltenen Stab ſich in Verbindung mit dem Gegenſtande ſetzen, von welchem der Schall ausgeht. Nach E. Weber's ſchoͤner Bemerkung geht hier der Schall nicht durch den Gehoͤrgang, ſondern gelangt auf anderm Wege zu den Gehoͤrnerven; denn wenn man eine toͤnende Stimm- gabel mit dem Stiele auf den Kopf ſetzt, waͤhrend man ein Ohr mit dem Finger verſtopft, ſo hoͤrt man den Ton der Stimmgabel grade mit dieſem Ohre am lauteſten.
Ueber die Richtung, von woher ein Schall koͤmmt, bleiben wir ſehr oft in Ungewißheit. Dieſe Unſicherheit, die durch die viel- faͤltigen, faſt uͤberall vorkommenden Zuruͤckwerfungen des Schalles
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erſt die Mittel, die zu Erreichung jener einzelnen Zwecke dienen
koͤnnen, noch naͤher muͤſſen kennen lernen, ehe die Einrichtung des
Ohres verſtaͤndlich werden kann. Denn das Ohr ſoll nicht bloß
die Schallwellen aufnehmen und fortpflanzen, ſondern es ſoll außer
der Zahl der Vibrationen, die den Ton beſtimmt, auch noch die
Eigenthuͤmlichkeiten des Klanges der Empfindung uͤberliefern; es
ſoll mehrere Schallwellen zugleich empfangen und im gefunden Zu-
ſtande ſie alle, vorausgeſetzt daß kein betaͤubend ſtarker Laut darunter
ſei, unvermiſcht dem Gehoͤrnerven zufuͤhren u. ſ. w. Es iſt ein bei
der Schwerhoͤrigkeit nicht ſelten auffallender Umſtand, daß ganz
vorzuͤglich das Unterſcheiden der einzelnen Laute, wenn mehrere zu-
gleich das Ohr treffen, erſchwert iſt, und daß der Schwerhoͤrige ſich
daher mit einer einzelnen Perſon leicht unterhaͤlt, aber zwiſchen
anderm Geraͤuſche oder wenn mehrere zugleich ſprechen, die Worte,
die er zwiſchen den uͤbrigen heraus wahrnehmen will, nicht ſo
wie bei geſundem Ohre heraushoͤren kann. Daß einige Menſchen,
wie Wollaſton bemerkt, die ſehr hohen und ſcharfen Toͤne nicht
wahrnehmen, ließe ſich vielleicht daraus, daß nicht jede Membran
eine Reſonanz ſo hoher Toͤne giebt, erklaͤren, indem vielleicht auch
das Trommelfell, von deſſen Reſonanz doch wohl das Empfinden
der Toͤne abhaͤngt, hier Grenzen der Empfaͤnglichkeit darbietet.
Woher bei einigen Perſonen die Unfaͤhigkeit ruͤhrt, die Hoͤhe und
Tiefe der Toͤne zu unterſcheiden, da ſie doch ſonſt gut hoͤren, iſt
ebenfalls unerklaͤrt.
Als eine bekannte Sache darf ich wohl noch erwaͤhnen, daß
auch die Knochen des Kopfes zum Hoͤren mitwirken, daher manche
Schwerhoͤrige durch einen an den Kopf gehaltenen Stab ſich in
Verbindung mit dem Gegenſtande ſetzen, von welchem der Schall
ausgeht. Nach E. Weber's ſchoͤner Bemerkung geht hier der
Schall nicht durch den Gehoͤrgang, ſondern gelangt auf anderm
Wege zu den Gehoͤrnerven; denn wenn man eine toͤnende Stimm-
gabel mit dem Stiele auf den Kopf ſetzt, waͤhrend man ein Ohr mit
dem Finger verſtopft, ſo hoͤrt man den Ton der Stimmgabel grade
mit dieſem Ohre am lauteſten.
Ueber die Richtung, von woher ein Schall koͤmmt, bleiben
wir ſehr oft in Ungewißheit. Dieſe Unſicherheit, die durch die viel-
faͤltigen, faſt uͤberall vorkommenden Zuruͤckwerfungen des Schalles
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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre01_1830/377>, abgerufen am 27.11.2024.
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