1000 Pfunden nöthige Kraft nach der vorigen Regel freilich nur 220 Pfund. Soll aber diese Last hinauf gezogen werden, so wider- steht zugleich die Reibung, die wenn sie ein Drittel des Druckes betrüge, hier über 300 Pfund wäre, und es bedürfte daher freilich gar keiner Kraft, um die Last auf der Ebne ruhend zu erhalten, indem die Reibung hiezu völlig ausreicht, aber um sie hinaufzuzie- hen, wären über 500 Pfund Kraft erforderlich. Auf diese Weise tritt uns sehr oft die Reibung hindernd entgegen, und nöthiget uns weit größere Kräfte aufzuwenden als sonst erforderlich wären; und wir suchen daher sie in vielen Fällen zu vermindern. Auf dieser Vermin- derung der Reibung beruht zum Beispiel ein großer Theil des Vor- theils, den die Eisenbahnen gewähren, auf welchen 1 Pferd leistet, was sonst 8 bis 10 Pferde leisteten, ja wo bei recht glatten Eisen- bahnen ein Pferd 400 Centner soll ziehen können *). Aber so sehr die Reibung uns oft hindert, so ist sie doch keinesweges immer eine nachtheilig wirkende Kraft. Wie es uns beim Hinaufgehen auf den sanftesten Abhang ergehen würde, wenn es keine Reibung gäbe, davon überzeugen wir uns, wenn wir beim Glatt-Eise eine nur etwas geneigte Straße gehen wollen; wir finden dann nöthig, durch wollene Ueberschuhe oder dergleichen, die beinahe ganz fehlende Rei- bung zu vermehren. Ebenso finden wir im Fahren, da die Reibung des Rades beim Wälzen nur geringe ist, zuweilen die Nothwendig- keit, durch Festbinden des Rades die wälzende Reibung in eine schleifende zu verwandeln oder durch den angelegten Hemmschuh die Reibung noch zu vermehren, damit nicht der Wagen in zu schnelle Bewegung gerathe. Der Reibung verdanken wir es, daß nicht alle an einem Abhange liegenden Steine in das Thal hinabgleiten, daß nicht beim geringsten Winde alle auf der Straße oder auf dem Felde unbefestigt stehenden Dinge fortgeführt werden; ja wir selbst würden auf dem genau horizontalen Boden der Gewalt des Windes nicht widerstehen können, wenn keine Reibung wäre, so wie es uns ja schon auf glattem Eise, wo doch immer noch Friction vorhanden ist, schwer wird, bei stärkerem Winde grade fortzugehen. Wäre keine Reibung so würde kein Festhalten zwischen den Fingern oder zwischen den flachen Endplatten einer Zange möglich sein, sondern alles
*)Poppe, die Fuhrwerke. S. 140.
1000 Pfunden noͤthige Kraft nach der vorigen Regel freilich nur 220 Pfund. Soll aber dieſe Laſt hinauf gezogen werden, ſo wider- ſteht zugleich die Reibung, die wenn ſie ein Drittel des Druckes betruͤge, hier uͤber 300 Pfund waͤre, und es beduͤrfte daher freilich gar keiner Kraft, um die Laſt auf der Ebne ruhend zu erhalten, indem die Reibung hiezu voͤllig ausreicht, aber um ſie hinaufzuzie- hen, waͤren uͤber 500 Pfund Kraft erforderlich. Auf dieſe Weiſe tritt uns ſehr oft die Reibung hindernd entgegen, und noͤthiget uns weit groͤßere Kraͤfte aufzuwenden als ſonſt erforderlich waͤren; und wir ſuchen daher ſie in vielen Faͤllen zu vermindern. Auf dieſer Vermin- derung der Reibung beruht zum Beiſpiel ein großer Theil des Vor- theils, den die Eiſenbahnen gewaͤhren, auf welchen 1 Pferd leiſtet, was ſonſt 8 bis 10 Pferde leiſteten, ja wo bei recht glatten Eiſen- bahnen ein Pferd 400 Centner ſoll ziehen koͤnnen *). Aber ſo ſehr die Reibung uns oft hindert, ſo iſt ſie doch keinesweges immer eine nachtheilig wirkende Kraft. Wie es uns beim Hinaufgehen auf den ſanfteſten Abhang ergehen wuͤrde, wenn es keine Reibung gaͤbe, davon uͤberzeugen wir uns, wenn wir beim Glatt-Eiſe eine nur etwas geneigte Straße gehen wollen; wir finden dann noͤthig, durch wollene Ueberſchuhe oder dergleichen, die beinahe ganz fehlende Rei- bung zu vermehren. Ebenſo finden wir im Fahren, da die Reibung des Rades beim Waͤlzen nur geringe iſt, zuweilen die Nothwendig- keit, durch Feſtbinden des Rades die waͤlzende Reibung in eine ſchleifende zu verwandeln oder durch den angelegten Hemmſchuh die Reibung noch zu vermehren, damit nicht der Wagen in zu ſchnelle Bewegung gerathe. Der Reibung verdanken wir es, daß nicht alle an einem Abhange liegenden Steine in das Thal hinabgleiten, daß nicht beim geringſten Winde alle auf der Straße oder auf dem Felde unbefeſtigt ſtehenden Dinge fortgefuͤhrt werden; ja wir ſelbſt wuͤrden auf dem genau horizontalen Boden der Gewalt des Windes nicht widerſtehen koͤnnen, wenn keine Reibung waͤre, ſo wie es uns ja ſchon auf glattem Eiſe, wo doch immer noch Friction vorhanden iſt, ſchwer wird, bei ſtaͤrkerem Winde grade fortzugehen. Waͤre keine Reibung ſo wuͤrde kein Feſthalten zwiſchen den Fingern oder zwiſchen den flachen Endplatten einer Zange moͤglich ſein, ſondern alles
*)Poppe, die Fuhrwerke. S. 140.
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1000 Pfunden noͤthige Kraft nach der vorigen Regel freilich nur
220 Pfund. Soll aber dieſe Laſt hinauf gezogen werden, ſo wider-
ſteht zugleich die Reibung, die wenn ſie ein Drittel des Druckes
betruͤge, hier uͤber 300 Pfund waͤre, und es beduͤrfte daher freilich
gar keiner Kraft, um die Laſt auf der Ebne ruhend zu erhalten,
indem die Reibung hiezu voͤllig ausreicht, aber um ſie hinaufzuzie-
hen, waͤren uͤber 500 Pfund Kraft erforderlich. Auf dieſe Weiſe tritt
uns ſehr oft die Reibung hindernd entgegen, und noͤthiget uns weit
groͤßere Kraͤfte aufzuwenden als ſonſt erforderlich waͤren; und wir
ſuchen daher ſie in vielen Faͤllen zu vermindern. Auf dieſer Vermin-
derung der Reibung beruht zum Beiſpiel ein großer Theil des Vor-
theils, den die Eiſenbahnen gewaͤhren, auf welchen 1 Pferd leiſtet,
was ſonſt 8 bis 10 Pferde leiſteten, ja wo bei recht glatten Eiſen-
bahnen ein Pferd 400 Centner ſoll ziehen koͤnnen *). Aber ſo ſehr
die Reibung uns oft hindert, ſo iſt ſie doch keinesweges immer eine
nachtheilig wirkende Kraft. Wie es uns beim Hinaufgehen auf den
ſanfteſten Abhang ergehen wuͤrde, wenn es keine Reibung gaͤbe,
davon uͤberzeugen wir uns, wenn wir beim Glatt-Eiſe eine nur
etwas geneigte Straße gehen wollen; wir finden dann noͤthig, durch
wollene Ueberſchuhe oder dergleichen, die beinahe ganz fehlende Rei-
bung zu vermehren. Ebenſo finden wir im Fahren, da die Reibung
des Rades beim Waͤlzen nur geringe iſt, zuweilen die Nothwendig-
keit, durch Feſtbinden des Rades die waͤlzende Reibung in eine
ſchleifende zu verwandeln oder durch den angelegten Hemmſchuh die
Reibung noch zu vermehren, damit nicht der Wagen in zu ſchnelle
Bewegung gerathe. Der Reibung verdanken wir es, daß nicht alle
an einem Abhange liegenden Steine in das Thal hinabgleiten, daß
nicht beim geringſten Winde alle auf der Straße oder auf dem Felde
unbefeſtigt ſtehenden Dinge fortgefuͤhrt werden; ja wir ſelbſt wuͤrden
auf dem genau horizontalen Boden der Gewalt des Windes nicht
widerſtehen koͤnnen, wenn keine Reibung waͤre, ſo wie es uns ja
ſchon auf glattem Eiſe, wo doch immer noch Friction vorhanden iſt,
ſchwer wird, bei ſtaͤrkerem Winde grade fortzugehen. Waͤre keine
Reibung ſo wuͤrde kein Feſthalten zwiſchen den Fingern oder zwiſchen
den flachen Endplatten einer Zange moͤglich ſein, ſondern alles
*) Poppe, die Fuhrwerke. S. 140.
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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre01_1830/70>, abgerufen am 21.11.2024.
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