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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1831.

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Andre physiologische und pathologische Farben-Er-
scheinungen.

Die farbigen Erscheinungen, die sich uns bei geschlossenem
Auge zeigen, gehören zum Theil gewiß auch in die Reihe dieser Far-
bengegensätze. Wenn wir auf eine sehr erhellte grüne Fläche gese-
hen haben, so zeigt sich vor dem geschlossenen Auge eine ähnliche
Figur in violetter Färbung, die sich mit einem mehr oder minder
lebhaften grünen Rande umgiebt. Auch die Wechsel, die in diesen
Farben vorgehen, gehören gewiß hieher, und sie eben sind es, die
vorzüglich auf eine lebendige Gegenwirkung des Auges, welche sich
in dem Entstehen dieser Ergänzungsfarben zeigt, hindeuten.

Als krankhafte Eigenthümlichkeit mancher Augen aber muß
ich noch die Unsicherheit einiger Menschen im Unterscheiden der Far-
ben erwähnen. Sie besteht darin, daß sie, bei sonst vollkommen
deutlichem Sehen aller Gegenstände, selbst bei der reinsten Beleuch-
tung, wo andre Menschen gar keine Schwierigkeit finden, dunkel-
blau und hellroth, grün und braun, zu unterscheiden, diese Farben
für ganz gleich erkennen. Die Fälle, deren man viele gesammelt
hat, sind nicht alle übereinstimmend, indem der eine dunkelblau
und hellroth nicht unterscheiden konnte, während er dunkleres Roth
als eine ganz andre Farbe anerkannte, der andre hellgrün mit hell-
roth und tieferes Grün mit dunkelm Roth für einerlei hielt, und
so weiter. Aus dieser Ungleichheit scheint zu erhellen, daß von
Göthe
's Meinung, daß dieser Augenfehler in einer Akyanoblepsie,
in einer Unfähigkeit das Blau zu erkennen, bestehe, nicht auf alle
Fälle passe; indeß ist die genaue Bestimmung jener Eindrücke
schwer, und wenn es auch nicht immer das Blau ist, was in dem
Farbenkreise fehlt, so ist doch von Göthe's Ansicht, daß eine Un-
fähigkeit des Sehenerven, von gewissen Farbenstrahlen afficirt zu
werden, der Grund des Uebels sei, nicht unwahrscheinlich. Uebri-
gens läßt sich wohl hoffen, daß über die Farbenreihe, die solche
Augen zu unterscheiden vermögen, vielleicht noch irgend eine allge-
meinere Regel aufgefunden werden kann *).



*) Vgl. v. Göthe zur Farbenlehre I. und Gehlers Wörter-
buch. Art. Gesicht. S. 1423.
Andre phyſiologiſche und pathologiſche Farben-Er-
ſcheinungen.

Die farbigen Erſcheinungen, die ſich uns bei geſchloſſenem
Auge zeigen, gehoͤren zum Theil gewiß auch in die Reihe dieſer Far-
bengegenſaͤtze. Wenn wir auf eine ſehr erhellte gruͤne Flaͤche geſe-
hen haben, ſo zeigt ſich vor dem geſchloſſenen Auge eine aͤhnliche
Figur in violetter Faͤrbung, die ſich mit einem mehr oder minder
lebhaften gruͤnen Rande umgiebt. Auch die Wechſel, die in dieſen
Farben vorgehen, gehoͤren gewiß hieher, und ſie eben ſind es, die
vorzuͤglich auf eine lebendige Gegenwirkung des Auges, welche ſich
in dem Entſtehen dieſer Ergaͤnzungsfarben zeigt, hindeuten.

Als krankhafte Eigenthuͤmlichkeit mancher Augen aber muß
ich noch die Unſicherheit einiger Menſchen im Unterſcheiden der Far-
ben erwaͤhnen. Sie beſteht darin, daß ſie, bei ſonſt vollkommen
deutlichem Sehen aller Gegenſtaͤnde, ſelbſt bei der reinſten Beleuch-
tung, wo andre Menſchen gar keine Schwierigkeit finden, dunkel-
blau und hellroth, gruͤn und braun, zu unterſcheiden, dieſe Farben
fuͤr ganz gleich erkennen. Die Faͤlle, deren man viele geſammelt
hat, ſind nicht alle uͤbereinſtimmend, indem der eine dunkelblau
und hellroth nicht unterſcheiden konnte, waͤhrend er dunkleres Roth
als eine ganz andre Farbe anerkannte, der andre hellgruͤn mit hell-
roth und tieferes Gruͤn mit dunkelm Roth fuͤr einerlei hielt, und
ſo weiter. Aus dieſer Ungleichheit ſcheint zu erhellen, daß von
Goͤthe
's Meinung, daß dieſer Augenfehler in einer Akyanoblepſie,
in einer Unfaͤhigkeit das Blau zu erkennen, beſtehe, nicht auf alle
Faͤlle paſſe; indeß iſt die genaue Beſtimmung jener Eindruͤcke
ſchwer, und wenn es auch nicht immer das Blau iſt, was in dem
Farbenkreiſe fehlt, ſo iſt doch von Goͤthe's Anſicht, daß eine Un-
faͤhigkeit des Sehenerven, von gewiſſen Farbenſtrahlen afficirt zu
werden, der Grund des Uebels ſei, nicht unwahrſcheinlich. Uebri-
gens laͤßt ſich wohl hoffen, daß uͤber die Farbenreihe, die ſolche
Augen zu unterſcheiden vermoͤgen, vielleicht noch irgend eine allge-
meinere Regel aufgefunden werden kann *).



*) Vgl. v. Goͤthe zur Farbenlehre I. und Gehlers Woͤrter-
buch. Art. Geſicht. S. 1423.
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[230/0244] Andre phyſiologiſche und pathologiſche Farben-Er- ſcheinungen. Die farbigen Erſcheinungen, die ſich uns bei geſchloſſenem Auge zeigen, gehoͤren zum Theil gewiß auch in die Reihe dieſer Far- bengegenſaͤtze. Wenn wir auf eine ſehr erhellte gruͤne Flaͤche geſe- hen haben, ſo zeigt ſich vor dem geſchloſſenen Auge eine aͤhnliche Figur in violetter Faͤrbung, die ſich mit einem mehr oder minder lebhaften gruͤnen Rande umgiebt. Auch die Wechſel, die in dieſen Farben vorgehen, gehoͤren gewiß hieher, und ſie eben ſind es, die vorzuͤglich auf eine lebendige Gegenwirkung des Auges, welche ſich in dem Entſtehen dieſer Ergaͤnzungsfarben zeigt, hindeuten. Als krankhafte Eigenthuͤmlichkeit mancher Augen aber muß ich noch die Unſicherheit einiger Menſchen im Unterſcheiden der Far- ben erwaͤhnen. Sie beſteht darin, daß ſie, bei ſonſt vollkommen deutlichem Sehen aller Gegenſtaͤnde, ſelbſt bei der reinſten Beleuch- tung, wo andre Menſchen gar keine Schwierigkeit finden, dunkel- blau und hellroth, gruͤn und braun, zu unterſcheiden, dieſe Farben fuͤr ganz gleich erkennen. Die Faͤlle, deren man viele geſammelt hat, ſind nicht alle uͤbereinſtimmend, indem der eine dunkelblau und hellroth nicht unterſcheiden konnte, waͤhrend er dunkleres Roth als eine ganz andre Farbe anerkannte, der andre hellgruͤn mit hell- roth und tieferes Gruͤn mit dunkelm Roth fuͤr einerlei hielt, und ſo weiter. Aus dieſer Ungleichheit ſcheint zu erhellen, daß von Goͤthe's Meinung, daß dieſer Augenfehler in einer Akyanoblepſie, in einer Unfaͤhigkeit das Blau zu erkennen, beſtehe, nicht auf alle Faͤlle paſſe; indeß iſt die genaue Beſtimmung jener Eindruͤcke ſchwer, und wenn es auch nicht immer das Blau iſt, was in dem Farbenkreiſe fehlt, ſo iſt doch von Goͤthe's Anſicht, daß eine Un- faͤhigkeit des Sehenerven, von gewiſſen Farbenſtrahlen afficirt zu werden, der Grund des Uebels ſei, nicht unwahrſcheinlich. Uebri- gens laͤßt ſich wohl hoffen, daß uͤber die Farbenreihe, die ſolche Augen zu unterſcheiden vermoͤgen, vielleicht noch irgend eine allge- meinere Regel aufgefunden werden kann *). *) Vgl. v. Goͤthe zur Farbenlehre I. und Gehlers Woͤrter- buch. Art. Geſicht. S. 1423.

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Zitationshilfe: Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1831, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre02_1831/244>, abgerufen am 21.11.2024.