kaltem Nordostwinde begleiteten heitern Frühlingstagen. Wenn dieser kalte Wind in unsern Gegenden eine feuchte Luft findet, so wird er eine Ursache des Regen- oder Schneeniederschlages; aber wenn er lange genug kalte Luft zugeführt hat, so daß wir nur die aus den nördlichen Gegenden kommende Luft allein zu berücksichti- gen haben, so muß diese uns als trocken und austrocknend erschei- nen. Diese Luft kömmt aus sehr kalten Gegenden und erwärmt sich daher bei ihrem Fortgange nach Süden; wäre sie dort - 3° gewesen, hier + 12° Cent. geworden, so würde sie in jedem Cu- bicfuß 3 Gran Wasser aufzunehmen fähig, selbst wenn sie dort voll- kommen feucht war; sie erscheint uns daher als sehr austrocknend, und darauf beruht diese Wirkung des Frühlings-Ostwindes, der nicht allein keine Wolken hervorgehen läßt, sondern auch die Erde schnell abtrocknet und uns durch diese austrocknende Eigenschaft das Gefühl größerer Kälte bringt, als der Stand des Thermometers zu rechtfertigen scheint.
Ich kehre zu der Wolkenbildung zurück, und füge an das Vorige zunächst die Betrachtung, daß wo die Nebelbildung rasch fortschreitet, ein Entstehen von Tropfen und Regen die natürliche Folge ist. Diese Tropfenbildung scheint schon da einzutreten, wo der Fortgang der Wolkenmassen ein Hinderniß findet; daher reg- net es bei Winden, die vom Meere herkommen oder überhaupt mit Dämpfen erfüllt sind, am meisten an den Bergen, gegen welche zu die Wolken getrieben werden. Dieses ist der Grund man- cher periodischer Regen, die zum Beispiel auf der Halb-Insel dies- seits des Ganges bei dem beständigen Südwestwinde auf der einen Seite, bei dem beständigen Nordostwinde auf der andern Seite der Gebirge statt finden. Indem so die Wolken sich diesseits der Gebirge ihres Wassers entladen, bringen sie an die andre Seite keinen Regen; und aus denselben Gründen ist es klar, warum die südwestliche Küste Englands so viel mehr Regen als das mittlere Land und die Ostküste hat, warum der heiße und feuchte Italieni- sche Sirocco anhaltende Regen bis nach dem südlichen Deutschland bringt, während das nördliche Deutschland zu solchen Zeiten eines heitern Himmels genießen kann.
So sehr viele Erscheinungen des Regens erklären sich voll- kommen leicht, und Huttons Theorie des Regens, daß zwei
kaltem Nordoſtwinde begleiteten heitern Fruͤhlingstagen. Wenn dieſer kalte Wind in unſern Gegenden eine feuchte Luft findet, ſo wird er eine Urſache des Regen- oder Schneeniederſchlages; aber wenn er lange genug kalte Luft zugefuͤhrt hat, ſo daß wir nur die aus den noͤrdlichen Gegenden kommende Luft allein zu beruͤckſichti- gen haben, ſo muß dieſe uns als trocken und austrocknend erſchei- nen. Dieſe Luft koͤmmt aus ſehr kalten Gegenden und erwaͤrmt ſich daher bei ihrem Fortgange nach Suͤden; waͤre ſie dort - 3° geweſen, hier + 12° Cent. geworden, ſo wuͤrde ſie in jedem Cu- bicfuß 3 Gran Waſſer aufzunehmen faͤhig, ſelbſt wenn ſie dort voll- kommen feucht war; ſie erſcheint uns daher als ſehr austrocknend, und darauf beruht dieſe Wirkung des Fruͤhlings-Oſtwindes, der nicht allein keine Wolken hervorgehen laͤßt, ſondern auch die Erde ſchnell abtrocknet und uns durch dieſe austrocknende Eigenſchaft das Gefuͤhl groͤßerer Kaͤlte bringt, als der Stand des Thermometers zu rechtfertigen ſcheint.
Ich kehre zu der Wolkenbildung zuruͤck, und fuͤge an das Vorige zunaͤchſt die Betrachtung, daß wo die Nebelbildung raſch fortſchreitet, ein Entſtehen von Tropfen und Regen die natuͤrliche Folge iſt. Dieſe Tropfenbildung ſcheint ſchon da einzutreten, wo der Fortgang der Wolkenmaſſen ein Hinderniß findet; daher reg- net es bei Winden, die vom Meere herkommen oder uͤberhaupt mit Daͤmpfen erfuͤllt ſind, am meiſten an den Bergen, gegen welche zu die Wolken getrieben werden. Dieſes iſt der Grund man- cher periodiſcher Regen, die zum Beiſpiel auf der Halb-Inſel dies- ſeits des Ganges bei dem beſtaͤndigen Suͤdweſtwinde auf der einen Seite, bei dem beſtaͤndigen Nordoſtwinde auf der andern Seite der Gebirge ſtatt finden. Indem ſo die Wolken ſich diesſeits der Gebirge ihres Waſſers entladen, bringen ſie an die andre Seite keinen Regen; und aus denſelben Gruͤnden iſt es klar, warum die ſuͤdweſtliche Kuͤſte Englands ſo viel mehr Regen als das mittlere Land und die Oſtkuͤſte hat, warum der heiße und feuchte Italieni- ſche Sirocco anhaltende Regen bis nach dem ſuͤdlichen Deutſchland bringt, waͤhrend das noͤrdliche Deutſchland zu ſolchen Zeiten eines heitern Himmels genießen kann.
So ſehr viele Erſcheinungen des Regens erklaͤren ſich voll- kommen leicht, und Huttons Theorie des Regens, daß zwei
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kaltem Nordoſtwinde begleiteten heitern Fruͤhlingstagen. Wenn
dieſer kalte Wind in unſern Gegenden eine feuchte Luft findet, ſo
wird er eine Urſache des Regen- oder Schneeniederſchlages; aber
wenn er lange genug kalte Luft zugefuͤhrt hat, ſo daß wir nur die
aus den noͤrdlichen Gegenden kommende Luft allein zu beruͤckſichti-
gen haben, ſo muß dieſe uns als trocken und austrocknend erſchei-
nen. Dieſe Luft koͤmmt aus ſehr kalten Gegenden und erwaͤrmt
ſich daher bei ihrem Fortgange nach Suͤden; waͤre ſie dort - 3°
geweſen, hier + 12° Cent. geworden, ſo wuͤrde ſie in jedem Cu-
bicfuß 3 Gran Waſſer aufzunehmen faͤhig, ſelbſt wenn ſie dort voll-
kommen feucht war; ſie erſcheint uns daher als ſehr austrocknend,
und darauf beruht dieſe Wirkung des Fruͤhlings-Oſtwindes, der
nicht allein keine Wolken hervorgehen laͤßt, ſondern auch die Erde
ſchnell abtrocknet und uns durch dieſe austrocknende Eigenſchaft das
Gefuͤhl groͤßerer Kaͤlte bringt, als der Stand des Thermometers
zu rechtfertigen ſcheint.
Ich kehre zu der Wolkenbildung zuruͤck, und fuͤge an das
Vorige zunaͤchſt die Betrachtung, daß wo die Nebelbildung raſch
fortſchreitet, ein Entſtehen von Tropfen und Regen die natuͤrliche
Folge iſt. Dieſe Tropfenbildung ſcheint ſchon da einzutreten, wo
der Fortgang der Wolkenmaſſen ein Hinderniß findet; daher reg-
net es bei Winden, die vom Meere herkommen oder uͤberhaupt
mit Daͤmpfen erfuͤllt ſind, am meiſten an den Bergen, gegen
welche zu die Wolken getrieben werden. Dieſes iſt der Grund man-
cher periodiſcher Regen, die zum Beiſpiel auf der Halb-Inſel dies-
ſeits des Ganges bei dem beſtaͤndigen Suͤdweſtwinde auf der einen
Seite, bei dem beſtaͤndigen Nordoſtwinde auf der andern Seite
der Gebirge ſtatt finden. Indem ſo die Wolken ſich diesſeits der
Gebirge ihres Waſſers entladen, bringen ſie an die andre Seite
keinen Regen; und aus denſelben Gruͤnden iſt es klar, warum die
ſuͤdweſtliche Kuͤſte Englands ſo viel mehr Regen als das mittlere
Land und die Oſtkuͤſte hat, warum der heiße und feuchte Italieni-
ſche Sirocco anhaltende Regen bis nach dem ſuͤdlichen Deutſchland
bringt, waͤhrend das noͤrdliche Deutſchland zu ſolchen Zeiten eines
heitern Himmels genießen kann.
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kommen leicht, und Huttons Theorie des Regens, daß zwei
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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1832, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre03_1832/174>, abgerufen am 23.11.2024.
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