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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1832.

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Die Erscheinungen des Thaues bestehen darin, daß nach war-
men, heitern Sommertagen, bei stiller Luft, schon vor Sonnen-
Untergang im Schatten, nach Sonnen-Untergang an allen hin-
reichend freien Orten, die meisten Gegenstände feucht werden, und
sich endlich mit Wassertropfen bedecken, daß dieses bei bedeckter Luft
und in eingeschlossenen Räumen, wo hohe Gebäude den Himmel
verdecken, wenig oder gar nicht statt findet, und daß ungleichartige
Körper sehr ungleich vom Thau befeuchtet werden. Diese Ungleich-
heiten haben in früherer Zeit zu unrichtigen Ansichten Anlaß gege-
ben, und das Verdienst, welches Wells sich um die Lehre vom
Thau erworben hat, besteht vorzüglich darin, daß er den richtigen
Gedanken, der Thau könne sich nur auf Körpern, die kälter als die
Luft sind, anlegen, durch Beobachtungen bewährte, und daß er die
Umstände, durch welche das Erkalten der Gegenstände eintritt,
sorgfältig erforschte.

Das bethauende Gras ist zuweilen um 4 bis 5 Gr. Cent.
kälter als die Luft, Wollflöckchen und Schwanenfedern zuweilen 8
bis 9 Gr. kälter als die Luft, und wenn der Himmel sich bewölkt,
wobei der Unterschied zwischen der Wärme der Luft und des Grases
abnimmt, so wird auch die Vermehrung des Bethauens gerin-
ger, und hört auf, wenn jener Unterschied verschwindet. Wenn
man während des Thauens ein Thermometer in das Gras und
eines in unbewachsene Erde setzt, so steht jenes niedriger, und das
Gras bethauet mehr als die freie Erde. Metallplatten bethauen,
wenn sie polirt sind, gewöhnlich nicht, sind aber dann auch nicht
kälter als die Luft; bethauen sie, so sind sie gewiß auch kälter als die
Luft. Wenn man ein Uhrglas so auf polirtes Metall legt, daß es
in der Mitte das Metall berührt, so bleibt es in der Mitte unbe-
thauet, während es am Rande sich mit Thau belegt; -- dort
nämlich erhält es die Wärme des Metalles, das sich in diesem
Falle nicht so sehr als die Luft abkühlt, während das Glas für sich
allein kälter als die Luft wird. Der Thau befolgt also darin ganz
die Regel aller Dampfniederschläge, daß er an kältern Körpern sich
anlegt. Aber warum werden denn einige Körper mehr als andre
abgekühlt? -- Die mehr erkaltenden sind die, von denen wir auch
sonst schon wissen, daß sie mehr Wärme durch Ausstrahlung ver-
lieren. Polirte Metalle erkalten sehr langsam und bleiben daher

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Die Erſcheinungen des Thaues beſtehen darin, daß nach war-
men, heitern Sommertagen, bei ſtiller Luft, ſchon vor Sonnen-
Untergang im Schatten, nach Sonnen-Untergang an allen hin-
reichend freien Orten, die meiſten Gegenſtaͤnde feucht werden, und
ſich endlich mit Waſſertropfen bedecken, daß dieſes bei bedeckter Luft
und in eingeſchloſſenen Raͤumen, wo hohe Gebaͤude den Himmel
verdecken, wenig oder gar nicht ſtatt findet, und daß ungleichartige
Koͤrper ſehr ungleich vom Thau befeuchtet werden. Dieſe Ungleich-
heiten haben in fruͤherer Zeit zu unrichtigen Anſichten Anlaß gege-
ben, und das Verdienſt, welches Wells ſich um die Lehre vom
Thau erworben hat, beſteht vorzuͤglich darin, daß er den richtigen
Gedanken, der Thau koͤnne ſich nur auf Koͤrpern, die kaͤlter als die
Luft ſind, anlegen, durch Beobachtungen bewaͤhrte, und daß er die
Umſtaͤnde, durch welche das Erkalten der Gegenſtaͤnde eintritt,
ſorgfaͤltig erforſchte.

Das bethauende Gras iſt zuweilen um 4 bis 5 Gr. Cent.
kaͤlter als die Luft, Wollfloͤckchen und Schwanenfedern zuweilen 8
bis 9 Gr. kaͤlter als die Luft, und wenn der Himmel ſich bewoͤlkt,
wobei der Unterſchied zwiſchen der Waͤrme der Luft und des Graſes
abnimmt, ſo wird auch die Vermehrung des Bethauens gerin-
ger, und hoͤrt auf, wenn jener Unterſchied verſchwindet. Wenn
man waͤhrend des Thauens ein Thermometer in das Gras und
eines in unbewachſene Erde ſetzt, ſo ſteht jenes niedriger, und das
Gras bethauet mehr als die freie Erde. Metallplatten bethauen,
wenn ſie polirt ſind, gewoͤhnlich nicht, ſind aber dann auch nicht
kaͤlter als die Luft; bethauen ſie, ſo ſind ſie gewiß auch kaͤlter als die
Luft. Wenn man ein Uhrglas ſo auf polirtes Metall legt, daß es
in der Mitte das Metall beruͤhrt, ſo bleibt es in der Mitte unbe-
thauet, waͤhrend es am Rande ſich mit Thau belegt; — dort
naͤmlich erhaͤlt es die Waͤrme des Metalles, das ſich in dieſem
Falle nicht ſo ſehr als die Luft abkuͤhlt, waͤhrend das Glas fuͤr ſich
allein kaͤlter als die Luft wird. Der Thau befolgt alſo darin ganz
die Regel aller Dampfniederſchlaͤge, daß er an kaͤltern Koͤrpern ſich
anlegt. Aber warum werden denn einige Koͤrper mehr als andre
abgekuͤhlt? — Die mehr erkaltenden ſind die, von denen wir auch
ſonſt ſchon wiſſen, daß ſie mehr Waͤrme durch Ausſtrahlung ver-
lieren. Polirte Metalle erkalten ſehr langſam und bleiben daher

L 2
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[163/0177] Die Erſcheinungen des Thaues beſtehen darin, daß nach war- men, heitern Sommertagen, bei ſtiller Luft, ſchon vor Sonnen- Untergang im Schatten, nach Sonnen-Untergang an allen hin- reichend freien Orten, die meiſten Gegenſtaͤnde feucht werden, und ſich endlich mit Waſſertropfen bedecken, daß dieſes bei bedeckter Luft und in eingeſchloſſenen Raͤumen, wo hohe Gebaͤude den Himmel verdecken, wenig oder gar nicht ſtatt findet, und daß ungleichartige Koͤrper ſehr ungleich vom Thau befeuchtet werden. Dieſe Ungleich- heiten haben in fruͤherer Zeit zu unrichtigen Anſichten Anlaß gege- ben, und das Verdienſt, welches Wells ſich um die Lehre vom Thau erworben hat, beſteht vorzuͤglich darin, daß er den richtigen Gedanken, der Thau koͤnne ſich nur auf Koͤrpern, die kaͤlter als die Luft ſind, anlegen, durch Beobachtungen bewaͤhrte, und daß er die Umſtaͤnde, durch welche das Erkalten der Gegenſtaͤnde eintritt, ſorgfaͤltig erforſchte. Das bethauende Gras iſt zuweilen um 4 bis 5 Gr. Cent. kaͤlter als die Luft, Wollfloͤckchen und Schwanenfedern zuweilen 8 bis 9 Gr. kaͤlter als die Luft, und wenn der Himmel ſich bewoͤlkt, wobei der Unterſchied zwiſchen der Waͤrme der Luft und des Graſes abnimmt, ſo wird auch die Vermehrung des Bethauens gerin- ger, und hoͤrt auf, wenn jener Unterſchied verſchwindet. Wenn man waͤhrend des Thauens ein Thermometer in das Gras und eines in unbewachſene Erde ſetzt, ſo ſteht jenes niedriger, und das Gras bethauet mehr als die freie Erde. Metallplatten bethauen, wenn ſie polirt ſind, gewoͤhnlich nicht, ſind aber dann auch nicht kaͤlter als die Luft; bethauen ſie, ſo ſind ſie gewiß auch kaͤlter als die Luft. Wenn man ein Uhrglas ſo auf polirtes Metall legt, daß es in der Mitte das Metall beruͤhrt, ſo bleibt es in der Mitte unbe- thauet, waͤhrend es am Rande ſich mit Thau belegt; — dort naͤmlich erhaͤlt es die Waͤrme des Metalles, das ſich in dieſem Falle nicht ſo ſehr als die Luft abkuͤhlt, waͤhrend das Glas fuͤr ſich allein kaͤlter als die Luft wird. Der Thau befolgt alſo darin ganz die Regel aller Dampfniederſchlaͤge, daß er an kaͤltern Koͤrpern ſich anlegt. Aber warum werden denn einige Koͤrper mehr als andre abgekuͤhlt? — Die mehr erkaltenden ſind die, von denen wir auch ſonſt ſchon wiſſen, daß ſie mehr Waͤrme durch Ausſtrahlung ver- lieren. Polirte Metalle erkalten ſehr langſam und bleiben daher L 2

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Zitationshilfe: Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1832, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre03_1832/177>, abgerufen am 27.11.2024.