Obgleich aber diese Versuche uns über die Ausdehnung der Körper in den Temperaturen, wo wir uns ihrer am meisten bedie- nen, sehr genügende Belehrung verschaffen, so würde es doch in Hinsicht auf unsre Kenntniß von der innern Beschaffenheit der Körper angenehm sein, sie noch vollständiger durchzuführen. Welche Verschiedenheit in dem Gesetze der Ausdehnung nahe bei dem Ge- frierpuncte oder bei dem Uebergange in den festen Zustand eintritt, sehen wir am Wasser, welches sich bei schon geringer Wärme, wenn die Wärme abnimmt, nur wenig mehr zusammenzieht, bei einer schon dem Gefrierpuncte nahen Abkühlung sich ein wenig ausdehnt, und im Gefrieren sich so stark ausdehnt, daß es oft genug die Ge- fäße zersprengt. Nachdem es in Eis verwandelt ist, geht die Ab- nahme des Volumens bei stärkerer Kälte wieder regelmäßig fort und zwar ungefähr so wie bei dem auf 25° Centes. erwärmten Wasser. Diese Erfahrung an einem so bekannten Körper veranlaßte Er- man, auch über das Verhalten des Phosphors und einer leicht flüssigen Metallmischung, weil diese schon in mäßiger Wärme schmelzen, Versuche anzustellen *). Er stellte diese Versuche so an, daß er durch Abwägung des Körpers in einer Flüssigkeit die Aus- dehnung genau bestimmte, und diese Methode verdient gewiß da, wo man durch eine ganze Reihe von Temperaturen die Ausdehnung zu bestimmen wünscht, den Vorzug. Die Metallmischung aus 2 Theilen Wismuth, 1 Theil Blei und 1 Theil Zinn schmilzt schon bei 94° Cent. (75° R.) und wurde in Oel bis auf 160° R. erhitzt. Bei den Abwägungen so wohl des festen als des flüssigen, immer unter Oel eingetaucht bleibenden, Metalls fand sich, daß von 0° bis 35° R. das Metall sich ausdehnt, dann bis 55° R. sich bedeu- tend zusammenzieht, von 55° bis 75° R. (wo es schmilzt,) sich ausdehnt, und nach dem Schmelzen in einen nicht ganz so schnellen Maaße sich auszudehnen fortfährt. Bei 75° und 35° Wärme ist das Volumen des Metalles gleich. Der Phosphor dehnt sich un- unterbrochen, aber im Augenblicke des Schmelzens plötzlich sehr stark, aus. -- Diese beiden Erfahrungen zeigen, daß wir noch wohl manche Merkwürdigkeit in dem Verhalten fester Körper wahrneh- men könnten, wenn wir ohne große Schwierigkeit in der Nähe
*)Poggend. Ann. IX. 557.
Obgleich aber dieſe Verſuche uns uͤber die Ausdehnung der Koͤrper in den Temperaturen, wo wir uns ihrer am meiſten bedie- nen, ſehr genuͤgende Belehrung verſchaffen, ſo wuͤrde es doch in Hinſicht auf unſre Kenntniß von der innern Beſchaffenheit der Koͤrper angenehm ſein, ſie noch vollſtaͤndiger durchzufuͤhren. Welche Verſchiedenheit in dem Geſetze der Ausdehnung nahe bei dem Ge- frierpuncte oder bei dem Uebergange in den feſten Zuſtand eintritt, ſehen wir am Waſſer, welches ſich bei ſchon geringer Waͤrme, wenn die Waͤrme abnimmt, nur wenig mehr zuſammenzieht, bei einer ſchon dem Gefrierpuncte nahen Abkuͤhlung ſich ein wenig ausdehnt, und im Gefrieren ſich ſo ſtark ausdehnt, daß es oft genug die Ge- faͤße zerſprengt. Nachdem es in Eis verwandelt iſt, geht die Ab- nahme des Volumens bei ſtaͤrkerer Kaͤlte wieder regelmaͤßig fort und zwar ungefaͤhr ſo wie bei dem auf 25° Centeſ. erwaͤrmten Waſſer. Dieſe Erfahrung an einem ſo bekannten Koͤrper veranlaßte Er- man, auch uͤber das Verhalten des Phosphors und einer leicht fluͤſſigen Metallmiſchung, weil dieſe ſchon in maͤßiger Waͤrme ſchmelzen, Verſuche anzuſtellen *). Er ſtellte dieſe Verſuche ſo an, daß er durch Abwaͤgung des Koͤrpers in einer Fluͤſſigkeit die Aus- dehnung genau beſtimmte, und dieſe Methode verdient gewiß da, wo man durch eine ganze Reihe von Temperaturen die Ausdehnung zu beſtimmen wuͤnſcht, den Vorzug. Die Metallmiſchung aus 2 Theilen Wismuth, 1 Theil Blei und 1 Theil Zinn ſchmilzt ſchon bei 94° Cent. (75° R.) und wurde in Oel bis auf 160° R. erhitzt. Bei den Abwaͤgungen ſo wohl des feſten als des fluͤſſigen, immer unter Oel eingetaucht bleibenden, Metalls fand ſich, daß von 0° bis 35° R. das Metall ſich ausdehnt, dann bis 55° R. ſich bedeu- tend zuſammenzieht, von 55° bis 75° R. (wo es ſchmilzt,) ſich ausdehnt, und nach dem Schmelzen in einen nicht ganz ſo ſchnellen Maaße ſich auszudehnen fortfaͤhrt. Bei 75° und 35° Waͤrme iſt das Volumen des Metalles gleich. Der Phosphor dehnt ſich un- unterbrochen, aber im Augenblicke des Schmelzens ploͤtzlich ſehr ſtark, aus. — Dieſe beiden Erfahrungen zeigen, daß wir noch wohl manche Merkwuͤrdigkeit in dem Verhalten feſter Koͤrper wahrneh- men koͤnnten, wenn wir ohne große Schwierigkeit in der Naͤhe
*)Poggend. Ann. IX. 557.
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Obgleich aber dieſe Verſuche uns uͤber die Ausdehnung der
Koͤrper in den Temperaturen, wo wir uns ihrer am meiſten bedie-
nen, ſehr genuͤgende Belehrung verſchaffen, ſo wuͤrde es doch in
Hinſicht auf unſre Kenntniß von der innern Beſchaffenheit der
Koͤrper angenehm ſein, ſie noch vollſtaͤndiger durchzufuͤhren. Welche
Verſchiedenheit in dem Geſetze der Ausdehnung nahe bei dem Ge-
frierpuncte oder bei dem Uebergange in den feſten Zuſtand eintritt,
ſehen wir am Waſſer, welches ſich bei ſchon geringer Waͤrme, wenn
die Waͤrme abnimmt, nur wenig mehr zuſammenzieht, bei einer
ſchon dem Gefrierpuncte nahen Abkuͤhlung ſich ein wenig ausdehnt,
und im Gefrieren ſich ſo ſtark ausdehnt, daß es oft genug die Ge-
faͤße zerſprengt. Nachdem es in Eis verwandelt iſt, geht die Ab-
nahme des Volumens bei ſtaͤrkerer Kaͤlte wieder regelmaͤßig fort und
zwar ungefaͤhr ſo wie bei dem auf 25° Centeſ. erwaͤrmten Waſſer.
Dieſe Erfahrung an einem ſo bekannten Koͤrper veranlaßte Er-
man, auch uͤber das Verhalten des Phosphors und einer leicht
fluͤſſigen Metallmiſchung, weil dieſe ſchon in maͤßiger Waͤrme
ſchmelzen, Verſuche anzuſtellen *). Er ſtellte dieſe Verſuche ſo an,
daß er durch Abwaͤgung des Koͤrpers in einer Fluͤſſigkeit die Aus-
dehnung genau beſtimmte, und dieſe Methode verdient gewiß da,
wo man durch eine ganze Reihe von Temperaturen die Ausdehnung
zu beſtimmen wuͤnſcht, den Vorzug. Die Metallmiſchung aus
2 Theilen Wismuth, 1 Theil Blei und 1 Theil Zinn ſchmilzt ſchon
bei 94° Cent. (75° R.) und wurde in Oel bis auf 160° R. erhitzt.
Bei den Abwaͤgungen ſo wohl des feſten als des fluͤſſigen, immer
unter Oel eingetaucht bleibenden, Metalls fand ſich, daß von 0°
bis 35° R. das Metall ſich ausdehnt, dann bis 55° R. ſich bedeu-
tend zuſammenzieht, von 55° bis 75° R. (wo es ſchmilzt,) ſich
ausdehnt, und nach dem Schmelzen in einen nicht ganz ſo ſchnellen
Maaße ſich auszudehnen fortfaͤhrt. Bei 75° und 35° Waͤrme iſt
das Volumen des Metalles gleich. Der Phosphor dehnt ſich un-
unterbrochen, aber im Augenblicke des Schmelzens ploͤtzlich ſehr ſtark,
aus. — Dieſe beiden Erfahrungen zeigen, daß wir noch wohl
manche Merkwuͤrdigkeit in dem Verhalten feſter Koͤrper wahrneh-
men koͤnnten, wenn wir ohne große Schwierigkeit in der Naͤhe
*) Poggend. Ann. IX. 557.
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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1832, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre03_1832/28>, abgerufen am 21.11.2024.
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