Abweichung ihren größesten Werth erreicht; jetzt ist sie noch immer westlich, aber abnehmend. Von Paris und London haben wir am längsten fortgesetzte Beobachtungen. In Paris betrug die Ab- weichung östlich 11° im Jahre 1580, die Nadel zeigte genau nach Norden im Jahre 1666, ihre westliche Abweichung war 10° im Jahre 1712, 20° im Jahre 1771, und erreichte gegen das Jahr 1819 beinahe 23°. In London betrug 1580 die östliche Abwei- chung 11 Grad, 1657 fand weder östliche noch westliche Abweichung statt, 1692 war die westliche Abweichung 6°, 1750 ungefähr 18°, 1797 war sie 24° und nahm nun sehr langsam zu, so daß die Nadel 1819 die größte westliche Abweichung, etwas mehr als 241/2°, erreichte; seitdem ist dort die Declination in langsamem Abnehmen. Im östlichen Deutschland ist die Abweichung schon länger abnehmend und hat sich seit 1814 stark vermindert.
Diese Aenderungen der Abweichung an jedem Orte bringen im Fortgange der Zeit die auffallendsten Aenderungen der Linien gleicher Abweichung hervor, und diese Aenderungen sind vorzüglich darum zu merken, damit man sich nicht verleiten lasse, solche Un- regelmäßigkeiten, wie sie jetzt die Linie ohne Abweichung in Asien zeigt, für bloße Folge örtlicher Einwirkungen der Gebirge und der unveränderlichen Theile der Erde anzusehen. Im Jahre 1600 ging die Linie ohne Abweichung von Africa beinahe genau nördlich bis nach Finnland und Lappland, wo sie sich westlich wandte und dann an der Südostküste von Island vorbei, südlich auf die Nord- küste von Süd-America zulief. Sie umschloß in Europa ovale Linien gleicher Abweichung, in deren Mitte England mit 9° öst- licher Abweichung lag. Im Jahre 1700 hatte sich diese starke Krümmung mit den eingeschlossenen ovalen Linien gleicher Abwei- chung ganz verloren, und der regelmäßigere Theil der Linie ohne Abweichung hatte sich auf die Westseite Africa's hin begeben, von wo sich diese Linie in mäßiger Krümmung nach der Küste von Nord-America wandte. Dagegen scheint im Jahre 1700 die durch das östliche Asien gehende Linie ohne Abweichung frei von den Krümmungen gewesen zu sein, die sie jetzt angenommen hat. Die schon seit 1700 durch das atlantische Meere gehende Linie ohne Abweichung hat sich immer mehr gegen die Küste von Bra- silien hin gezogen und hat sie, nach Erman, jetzt wirklich erreicht.
Abweichung ihren groͤßeſten Werth erreicht; jetzt iſt ſie noch immer weſtlich, aber abnehmend. Von Paris und London haben wir am laͤngſten fortgeſetzte Beobachtungen. In Paris betrug die Ab- weichung oͤſtlich 11° im Jahre 1580, die Nadel zeigte genau nach Norden im Jahre 1666, ihre weſtliche Abweichung war 10° im Jahre 1712, 20° im Jahre 1771, und erreichte gegen das Jahr 1819 beinahe 23°. In London betrug 1580 die oͤſtliche Abwei- chung 11 Grad, 1657 fand weder oͤſtliche noch weſtliche Abweichung ſtatt, 1692 war die weſtliche Abweichung 6°, 1750 ungefaͤhr 18°, 1797 war ſie 24° und nahm nun ſehr langſam zu, ſo daß die Nadel 1819 die groͤßte weſtliche Abweichung, etwas mehr als 24½°, erreichte; ſeitdem iſt dort die Declination in langſamem Abnehmen. Im oͤſtlichen Deutſchland iſt die Abweichung ſchon laͤnger abnehmend und hat ſich ſeit 1814 ſtark vermindert.
Dieſe Aenderungen der Abweichung an jedem Orte bringen im Fortgange der Zeit die auffallendſten Aenderungen der Linien gleicher Abweichung hervor, und dieſe Aenderungen ſind vorzuͤglich darum zu merken, damit man ſich nicht verleiten laſſe, ſolche Un- regelmaͤßigkeiten, wie ſie jetzt die Linie ohne Abweichung in Aſien zeigt, fuͤr bloße Folge oͤrtlicher Einwirkungen der Gebirge und der unveraͤnderlichen Theile der Erde anzuſehen. Im Jahre 1600 ging die Linie ohne Abweichung von Africa beinahe genau noͤrdlich bis nach Finnland und Lappland, wo ſie ſich weſtlich wandte und dann an der Suͤdoſtkuͤſte von Island vorbei, ſuͤdlich auf die Nord- kuͤſte von Suͤd-America zulief. Sie umſchloß in Europa ovale Linien gleicher Abweichung, in deren Mitte England mit 9° oͤſt- licher Abweichung lag. Im Jahre 1700 hatte ſich dieſe ſtarke Kruͤmmung mit den eingeſchloſſenen ovalen Linien gleicher Abwei- chung ganz verloren, und der regelmaͤßigere Theil der Linie ohne Abweichung hatte ſich auf die Weſtſeite Africa's hin begeben, von wo ſich dieſe Linie in maͤßiger Kruͤmmung nach der Kuͤſte von Nord-America wandte. Dagegen ſcheint im Jahre 1700 die durch das oͤſtliche Aſien gehende Linie ohne Abweichung frei von den Kruͤmmungen geweſen zu ſein, die ſie jetzt angenommen hat. Die ſchon ſeit 1700 durch das atlantiſche Meere gehende Linie ohne Abweichung hat ſich immer mehr gegen die Kuͤſte von Bra- ſilien hin gezogen und hat ſie, nach Erman, jetzt wirklich erreicht.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0459"n="445"/>
Abweichung ihren groͤßeſten Werth erreicht; jetzt iſt ſie noch immer<lb/>
weſtlich, aber abnehmend. Von Paris und London haben wir<lb/>
am laͤngſten fortgeſetzte Beobachtungen. In Paris betrug die Ab-<lb/>
weichung oͤſtlich 11° im Jahre 1580, die Nadel zeigte genau nach<lb/>
Norden im Jahre 1666, ihre weſtliche Abweichung war 10° im<lb/>
Jahre 1712, 20° im Jahre 1771, und erreichte gegen das Jahr<lb/>
1819 beinahe 23°. In London betrug 1580 die oͤſtliche Abwei-<lb/>
chung 11 Grad, 1657 fand weder oͤſtliche noch weſtliche Abweichung<lb/>ſtatt, 1692 war die weſtliche Abweichung 6°, 1750 ungefaͤhr 18°,<lb/>
1797 war ſie 24° und nahm nun ſehr langſam zu, ſo daß die<lb/>
Nadel 1819 die groͤßte weſtliche Abweichung, etwas mehr als<lb/>
24½°, erreichte; ſeitdem iſt dort die Declination in langſamem<lb/>
Abnehmen. Im oͤſtlichen Deutſchland iſt die Abweichung ſchon<lb/>
laͤnger abnehmend und hat ſich ſeit 1814 ſtark vermindert.</p><lb/><p>Dieſe Aenderungen der Abweichung an jedem Orte bringen<lb/>
im Fortgange der Zeit die auffallendſten Aenderungen der Linien<lb/>
gleicher Abweichung hervor, und dieſe Aenderungen ſind vorzuͤglich<lb/>
darum zu merken, damit man ſich nicht verleiten laſſe, ſolche Un-<lb/>
regelmaͤßigkeiten, wie ſie jetzt die Linie ohne Abweichung in Aſien<lb/>
zeigt, fuͤr bloße Folge oͤrtlicher Einwirkungen der Gebirge und der<lb/>
unveraͤnderlichen Theile der Erde anzuſehen. Im Jahre 1600<lb/>
ging die Linie ohne Abweichung von Africa beinahe genau noͤrdlich<lb/>
bis nach Finnland und Lappland, wo ſie ſich weſtlich wandte und<lb/>
dann an der Suͤdoſtkuͤſte von Island vorbei, ſuͤdlich auf die Nord-<lb/>
kuͤſte von Suͤd-America zulief. Sie umſchloß in Europa ovale<lb/>
Linien gleicher Abweichung, in deren Mitte England mit 9° oͤſt-<lb/>
licher Abweichung lag. Im Jahre 1700 hatte ſich dieſe ſtarke<lb/>
Kruͤmmung mit den eingeſchloſſenen ovalen Linien gleicher Abwei-<lb/>
chung ganz verloren, und der regelmaͤßigere Theil der Linie ohne<lb/>
Abweichung hatte ſich auf die Weſtſeite Africa's hin begeben, von<lb/>
wo ſich dieſe Linie in maͤßiger Kruͤmmung nach der Kuͤſte von<lb/>
Nord-America wandte. Dagegen ſcheint im Jahre 1700 die<lb/>
durch das oͤſtliche Aſien gehende Linie ohne Abweichung frei von<lb/>
den Kruͤmmungen geweſen zu ſein, die ſie jetzt angenommen hat.<lb/>
Die ſchon ſeit 1700 durch das atlantiſche Meere gehende Linie<lb/>
ohne Abweichung hat ſich immer mehr gegen die Kuͤſte von Bra-<lb/>ſilien hin gezogen und hat ſie, nach <hirendition="#g">Erman</hi>, jetzt wirklich erreicht.<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[445/0459]
Abweichung ihren groͤßeſten Werth erreicht; jetzt iſt ſie noch immer
weſtlich, aber abnehmend. Von Paris und London haben wir
am laͤngſten fortgeſetzte Beobachtungen. In Paris betrug die Ab-
weichung oͤſtlich 11° im Jahre 1580, die Nadel zeigte genau nach
Norden im Jahre 1666, ihre weſtliche Abweichung war 10° im
Jahre 1712, 20° im Jahre 1771, und erreichte gegen das Jahr
1819 beinahe 23°. In London betrug 1580 die oͤſtliche Abwei-
chung 11 Grad, 1657 fand weder oͤſtliche noch weſtliche Abweichung
ſtatt, 1692 war die weſtliche Abweichung 6°, 1750 ungefaͤhr 18°,
1797 war ſie 24° und nahm nun ſehr langſam zu, ſo daß die
Nadel 1819 die groͤßte weſtliche Abweichung, etwas mehr als
24½°, erreichte; ſeitdem iſt dort die Declination in langſamem
Abnehmen. Im oͤſtlichen Deutſchland iſt die Abweichung ſchon
laͤnger abnehmend und hat ſich ſeit 1814 ſtark vermindert.
Dieſe Aenderungen der Abweichung an jedem Orte bringen
im Fortgange der Zeit die auffallendſten Aenderungen der Linien
gleicher Abweichung hervor, und dieſe Aenderungen ſind vorzuͤglich
darum zu merken, damit man ſich nicht verleiten laſſe, ſolche Un-
regelmaͤßigkeiten, wie ſie jetzt die Linie ohne Abweichung in Aſien
zeigt, fuͤr bloße Folge oͤrtlicher Einwirkungen der Gebirge und der
unveraͤnderlichen Theile der Erde anzuſehen. Im Jahre 1600
ging die Linie ohne Abweichung von Africa beinahe genau noͤrdlich
bis nach Finnland und Lappland, wo ſie ſich weſtlich wandte und
dann an der Suͤdoſtkuͤſte von Island vorbei, ſuͤdlich auf die Nord-
kuͤſte von Suͤd-America zulief. Sie umſchloß in Europa ovale
Linien gleicher Abweichung, in deren Mitte England mit 9° oͤſt-
licher Abweichung lag. Im Jahre 1700 hatte ſich dieſe ſtarke
Kruͤmmung mit den eingeſchloſſenen ovalen Linien gleicher Abwei-
chung ganz verloren, und der regelmaͤßigere Theil der Linie ohne
Abweichung hatte ſich auf die Weſtſeite Africa's hin begeben, von
wo ſich dieſe Linie in maͤßiger Kruͤmmung nach der Kuͤſte von
Nord-America wandte. Dagegen ſcheint im Jahre 1700 die
durch das oͤſtliche Aſien gehende Linie ohne Abweichung frei von
den Kruͤmmungen geweſen zu ſein, die ſie jetzt angenommen hat.
Die ſchon ſeit 1700 durch das atlantiſche Meere gehende Linie
ohne Abweichung hat ſich immer mehr gegen die Kuͤſte von Bra-
ſilien hin gezogen und hat ſie, nach Erman, jetzt wirklich erreicht.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1832, S. 445. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre03_1832/459>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.