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Braun, Karl: Die Vagabundenfrage. Berlin, 1883.

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Zustand unserer Gesetzgebung zu klagen und sich in phantasti-
schen und utopistischen Declamationen und Projecten zu er-
schöpfen, welche schwerlich etwas dazu beitragen, die öffentliche
Autorität zu befestigen und zu stärken.

In der Literatur anderer Länder, welche zur Zeit ebenfalls
an der Vagabunden-Plage leiden, namentlich in der französi-
schen, wird die Deportation empfohlen, "la transportation", und
zwar auf Lebenszeit wie in England. Ich will über den Gegen-
stand mich nicht weiter verbreiten, sondern nur auf die betreffende
Literatur verweisen, namentlich auf die Schrift von Alfred Lagre-
sille, "du Vagababondage et de la transportation", (Nancy, 1881),
in welcher es heißt:

Für die Deportation erhebt sich in Frankreich zur Zeit
die öffentliche Meinung, welche angeregt ist einestheils durch
die Erfahrungen, welche man in England mit diesem Aus-
kunftsmittel gemacht hat, anderntheils durch den Gesetzentwurf,
mit welchem sich unsere Regierung beschäftigt und der die An-
wendung der Deportation (transportation) in Vorschlag bringt
für Rückfällige und für Vagabunden.

Wie ich die Frage auffasse, würde die Deportation nicht
eigentlich als "Strafe" zu behandeln sein. Sie würde vielmehr
erst nach der Strafe kommen und den Zweck haben, die öffent-
liche Sicherheit zu befestigen und den Verurtheilten, nachdem
er die Bestrafung erlitten, zu heilen.

Die Deportation in diesem Sinne wäre von den Gerichten
zu verhängen. Denn nur durch richterliche Entscheidung kann
ein so schwerer Eingriff in die bürgerliche Freiheit des Einzelnen
gerechtfertigt werden.

Das Gericht würde die Ermächtigung haben, die Deportation
zu verhängen wider einen überführten Vagabunden, welcher vor-
her schon zweimal Bestrafungen wegen desselben Vergehens er-
litten. Der zweifache Rückfall würde in der Regel genügen, die
Vermuthung zu begründen, daß diese fehlerhafte Art zu existiren
bei diesem Manne zu einer eingerosteten Lebensgewohnheit ge-
worden, aus welcher ihn herauszureißen selbst wiederholte Straf-
verbüßung nicht vermocht hat. Die ordentliche Strafe hat sich
sonach bei ihm als gänzlich unwirksam erwiesen, sie muß also
durch eine außerordentliche Maaßregel ersetzt werden. Diese

Zustand unserer Gesetzgebung zu klagen und sich in phantasti-
schen und utopistischen Declamationen und Projecten zu er-
schöpfen, welche schwerlich etwas dazu beitragen, die öffentliche
Autorität zu befestigen und zu stärken.

In der Literatur anderer Länder, welche zur Zeit ebenfalls
an der Vagabunden-Plage leiden, namentlich in der französi-
schen, wird die Deportation empfohlen, «la transportation», und
zwar auf Lebenszeit wie in England. Ich will über den Gegen-
stand mich nicht weiter verbreiten, sondern nur auf die betreffende
Literatur verweisen, namentlich auf die Schrift von Alfred Lagré-
sille, «du Vagababondage et de la transportation», (Nancy, 1881),
in welcher es heißt:

Für die Deportation erhebt sich in Frankreich zur Zeit
die öffentliche Meinung, welche angeregt ist einestheils durch
die Erfahrungen, welche man in England mit diesem Aus-
kunftsmittel gemacht hat, anderntheils durch den Gesetzentwurf,
mit welchem sich unsere Regierung beschäftigt und der die An-
wendung der Deportation (transportation) in Vorschlag bringt
für Rückfällige und für Vagabunden.

Wie ich die Frage auffasse, würde die Deportation nicht
eigentlich als «Strafe» zu behandeln sein. Sie würde vielmehr
erst nach der Strafe kommen und den Zweck haben, die öffent-
liche Sicherheit zu befestigen und den Verurtheilten, nachdem
er die Bestrafung erlitten, zu heilen.

Die Deportation in diesem Sinne wäre von den Gerichten
zu verhängen. Denn nur durch richterliche Entscheidung kann
ein so schwerer Eingriff in die bürgerliche Freiheit des Einzelnen
gerechtfertigt werden.

Das Gericht würde die Ermächtigung haben, die Deportation
zu verhängen wider einen überführten Vagabunden, welcher vor-
her schon zweimal Bestrafungen wegen desselben Vergehens er-
litten. Der zweifache Rückfall würde in der Regel genügen, die
Vermuthung zu begründen, daß diese fehlerhafte Art zu existiren
bei diesem Manne zu einer eingerosteten Lebensgewohnheit ge-
worden, aus welcher ihn herauszureißen selbst wiederholte Straf-
verbüßung nicht vermocht hat. Die ordentliche Strafe hat sich
sonach bei ihm als gänzlich unwirksam erwiesen, sie muß also
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[12/0014] Zustand unserer Gesetzgebung zu klagen und sich in phantasti- schen und utopistischen Declamationen und Projecten zu er- schöpfen, welche schwerlich etwas dazu beitragen, die öffentliche Autorität zu befestigen und zu stärken. In der Literatur anderer Länder, welche zur Zeit ebenfalls an der Vagabunden-Plage leiden, namentlich in der französi- schen, wird die Deportation empfohlen, «la transportation», und zwar auf Lebenszeit wie in England. Ich will über den Gegen- stand mich nicht weiter verbreiten, sondern nur auf die betreffende Literatur verweisen, namentlich auf die Schrift von Alfred Lagré- sille, «du Vagababondage et de la transportation», (Nancy, 1881), in welcher es heißt: Für die Deportation erhebt sich in Frankreich zur Zeit die öffentliche Meinung, welche angeregt ist einestheils durch die Erfahrungen, welche man in England mit diesem Aus- kunftsmittel gemacht hat, anderntheils durch den Gesetzentwurf, mit welchem sich unsere Regierung beschäftigt und der die An- wendung der Deportation (transportation) in Vorschlag bringt für Rückfällige und für Vagabunden. Wie ich die Frage auffasse, würde die Deportation nicht eigentlich als «Strafe» zu behandeln sein. Sie würde vielmehr erst nach der Strafe kommen und den Zweck haben, die öffent- liche Sicherheit zu befestigen und den Verurtheilten, nachdem er die Bestrafung erlitten, zu heilen. Die Deportation in diesem Sinne wäre von den Gerichten zu verhängen. Denn nur durch richterliche Entscheidung kann ein so schwerer Eingriff in die bürgerliche Freiheit des Einzelnen gerechtfertigt werden. Das Gericht würde die Ermächtigung haben, die Deportation zu verhängen wider einen überführten Vagabunden, welcher vor- her schon zweimal Bestrafungen wegen desselben Vergehens er- litten. Der zweifache Rückfall würde in der Regel genügen, die Vermuthung zu begründen, daß diese fehlerhafte Art zu existiren bei diesem Manne zu einer eingerosteten Lebensgewohnheit ge- worden, aus welcher ihn herauszureißen selbst wiederholte Straf- verbüßung nicht vermocht hat. Die ordentliche Strafe hat sich sonach bei ihm als gänzlich unwirksam erwiesen, sie muß also durch eine außerordentliche Maaßregel ersetzt werden. Diese

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Zitationshilfe: Braun, Karl: Die Vagabundenfrage. Berlin, 1883, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braun_vagabundenfrage_1883/14>, abgerufen am 22.11.2024.