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Braun, Karl: Die Vagabundenfrage. Berlin, 1883.

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Abg. Graf Posadowski die jetzigen Mißstände erörtert. Die
Opfer, welche sie der Bevölkerung auferlegen, die Frage, ob die
Vagabondage eine vorübergehende oder bleibende Calamität ist,
hat er in vollständig objectiver und leidenschaftsloser Weise be-
handelt.

Ueber die Bekämpfung der Vagabondage auf dem Wege
des Vereinswesens bemerkt er, solche Vereine könnten nur dann
erfolgreich wirken, wenn sie über die ganze Monarchie verbreitet
würden; andernfalls, wenn dieselben nur sporadisch existirten, so
dienten sie nur dazu, die Etappenstraße der Vagabunden zu ver-
legen. "Auch der Eifer der Vereine pflegt, sobald man sieht,
daß die Sache schwierig und undankbar ist, und daß man nur
halben Erfolg hat, sehr bald zu erkalten, sie pflegen wieder ein-
zuschlafen, und auf dem Lande, wo die Leute sich schutzlos
fühlen, giebt der Bauer seinen Tribut, da er sonst für Haus und
Hof zu fürchten hat.

Es ist also zu prüfen, ob die bestehenden gesetzlichen und
administrativen Bestimmungen ausreichend sind, die Landescala-
mität zu bekämpfen."

Das ist in der That ein vernünftiger, objectiver, praktischer
Standpunkt, daß man zuerst untersucht, ob man nicht auf dem
Wege des Vollzugs der bestehenden Gesetze des Uebels Herr
werden kann.

Nach dieser einleitenden Auseinandersetzung hat der Mi-
nister des Innern, Herr v. Puttkamer das Wort ergriffen. Zu-
nächst hat er hervorgehoben eine Thatsache, die Beachtung ver-
dient, daß nämlich die Vagabundenfrage in verschiedenen Pro-
vinzen ganz verschieden liegt, indem es am wenigsten Vaga-
bunden giebt in denjenigen Provinzen, die schon lange, d. h. seit
Anfang des Jahrhunderts, wie das bei der Mehrzahl der altpreußi-
schen Provinzen der Fall ist, sich der Freizügigkeit erfreuen, daß
dagegen die meisten Vagabunden sich vorfinden in denjenigen Lan-
destheilen (also namentlich den neuen Provinzen), wo erst durch
die neuere Gesetzgebung die Freizügigkeit eingeführt worden ist,
also in denjenigen Territorien, die sich zur Zeit noch in einem
Uebergangsstadium befinden. Er hat namentlich erwähnt die
Provinz Schleswig-Holstein, wo der Bauer noch, wie er sagt, "aus
Gutmüthigkeit" sich nicht dem Schicksal entzieht, dem Vaga-
bunden tributpflichtig zu sein. Er hat ferner angeführt, daß er,

2*

Abg. Graf Posadowski die jetzigen Mißstände erörtert. Die
Opfer, welche sie der Bevölkerung auferlegen, die Frage, ob die
Vagabondage eine vorübergehende oder bleibende Calamität ist,
hat er in vollständig objectiver und leidenschaftsloser Weise be-
handelt.

Ueber die Bekämpfung der Vagabondage auf dem Wege
des Vereinswesens bemerkt er, solche Vereine könnten nur dann
erfolgreich wirken, wenn sie über die ganze Monarchie verbreitet
würden; andernfalls, wenn dieselben nur sporadisch existirten, so
dienten sie nur dazu, die Etappenstraße der Vagabunden zu ver-
legen. «Auch der Eifer der Vereine pflegt, sobald man sieht,
daß die Sache schwierig und undankbar ist, und daß man nur
halben Erfolg hat, sehr bald zu erkalten, sie pflegen wieder ein-
zuschlafen, und auf dem Lande, wo die Leute sich schutzlos
fühlen, giebt der Bauer seinen Tribut, da er sonst für Haus und
Hof zu fürchten hat.

Es ist also zu prüfen, ob die bestehenden gesetzlichen und
administrativen Bestimmungen ausreichend sind, die Landescala-
mität zu bekämpfen.»

Das ist in der That ein vernünftiger, objectiver, praktischer
Standpunkt, daß man zuerst untersucht, ob man nicht auf dem
Wege des Vollzugs der bestehenden Gesetze des Uebels Herr
werden kann.

Nach dieser einleitenden Auseinandersetzung hat der Mi-
nister des Innern, Herr v. Puttkamer das Wort ergriffen. Zu-
nächst hat er hervorgehoben eine Thatsache, die Beachtung ver-
dient, daß nämlich die Vagabundenfrage in verschiedenen Pro-
vinzen ganz verschieden liegt, indem es am wenigsten Vaga-
bunden giebt in denjenigen Provinzen, die schon lange, d. h. seit
Anfang des Jahrhunderts, wie das bei der Mehrzahl der altpreußi-
schen Provinzen der Fall ist, sich der Freizügigkeit erfreuen, daß
dagegen die meisten Vagabunden sich vorfinden in denjenigen Lan-
destheilen (also namentlich den neuen Provinzen), wo erst durch
die neuere Gesetzgebung die Freizügigkeit eingeführt worden ist,
also in denjenigen Territorien, die sich zur Zeit noch in einem
Uebergangsstadium befinden. Er hat namentlich erwähnt die
Provinz Schleswig-Holstein, wo der Bauer noch, wie er sagt, «aus
Gutmüthigkeit» sich nicht dem Schicksal entzieht, dem Vaga-
bunden tributpflichtig zu sein. Er hat ferner angeführt, daß er,

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[19/0021] Abg. Graf Posadowski die jetzigen Mißstände erörtert. Die Opfer, welche sie der Bevölkerung auferlegen, die Frage, ob die Vagabondage eine vorübergehende oder bleibende Calamität ist, hat er in vollständig objectiver und leidenschaftsloser Weise be- handelt. Ueber die Bekämpfung der Vagabondage auf dem Wege des Vereinswesens bemerkt er, solche Vereine könnten nur dann erfolgreich wirken, wenn sie über die ganze Monarchie verbreitet würden; andernfalls, wenn dieselben nur sporadisch existirten, so dienten sie nur dazu, die Etappenstraße der Vagabunden zu ver- legen. «Auch der Eifer der Vereine pflegt, sobald man sieht, daß die Sache schwierig und undankbar ist, und daß man nur halben Erfolg hat, sehr bald zu erkalten, sie pflegen wieder ein- zuschlafen, und auf dem Lande, wo die Leute sich schutzlos fühlen, giebt der Bauer seinen Tribut, da er sonst für Haus und Hof zu fürchten hat. Es ist also zu prüfen, ob die bestehenden gesetzlichen und administrativen Bestimmungen ausreichend sind, die Landescala- mität zu bekämpfen.» Das ist in der That ein vernünftiger, objectiver, praktischer Standpunkt, daß man zuerst untersucht, ob man nicht auf dem Wege des Vollzugs der bestehenden Gesetze des Uebels Herr werden kann. Nach dieser einleitenden Auseinandersetzung hat der Mi- nister des Innern, Herr v. Puttkamer das Wort ergriffen. Zu- nächst hat er hervorgehoben eine Thatsache, die Beachtung ver- dient, daß nämlich die Vagabundenfrage in verschiedenen Pro- vinzen ganz verschieden liegt, indem es am wenigsten Vaga- bunden giebt in denjenigen Provinzen, die schon lange, d. h. seit Anfang des Jahrhunderts, wie das bei der Mehrzahl der altpreußi- schen Provinzen der Fall ist, sich der Freizügigkeit erfreuen, daß dagegen die meisten Vagabunden sich vorfinden in denjenigen Lan- destheilen (also namentlich den neuen Provinzen), wo erst durch die neuere Gesetzgebung die Freizügigkeit eingeführt worden ist, also in denjenigen Territorien, die sich zur Zeit noch in einem Uebergangsstadium befinden. Er hat namentlich erwähnt die Provinz Schleswig-Holstein, wo der Bauer noch, wie er sagt, «aus Gutmüthigkeit» sich nicht dem Schicksal entzieht, dem Vaga- bunden tributpflichtig zu sein. Er hat ferner angeführt, daß er, 2*

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Zitationshilfe: Braun, Karl: Die Vagabundenfrage. Berlin, 1883, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braun_vagabundenfrage_1883/21>, abgerufen am 22.11.2024.