"Ueberall, wo die Belaubung des Ufers dichter erschien," sagt R. Schomburgk, "fand ich auch Herden von Affen in den Zweigen versammelt, unter denen die wirklich netten Schweifaffen die größte Anzahl bildeten. Jhr schön gescheiteltes, langes Haar, die üppig stolzen Kinn- und Backen- bärte, ihre langbehaarten, fuchsähnlichen Schwänze verleihen den lebhaft- und klugblickenden Thieren ein ungemein freundliches, zugleich aber auch lächerliches Aeußere. Es waren die ersten, denen ich auf meiner Reise begegnete. Natürlich mußte ich augenblicklich an das Land springen, um mein Jagdglück zu versuchen. Jch schoß ein Männchen und ein Weibchen. Doch bereute ich fast meinen Schuß, als ich die bittere, das Herz tief ergreifende Wehklage des Letztern hörte, welches ich nur stark verwundet hatte. Diese Klagetöne stimmen genau mit den bitteren Schmerzenslauten eines Kindes überein." --
Jn den großen Wäldern am obern Maranon und Orinoko findet man die gemeinste Art der Sippe sehr häufig. Es ist dies der Juden- oder Satansaffe (Pithecia Satanas), ein 15 Zoll
[Abbildung]
Der Juden- oder Satansaffe (Pithecia Satanas).
langes Thier mit fast ebenso langem Schwanze. Der ganz runde Kopf ist durch eine Art von Mütze aus- gezeichnet, welche aus nicht sehr langen, dicht anliegenden Haaren besteht, die sich von einem gemein- samen Wirbel auf der Höhe des Hinterhauptes strahlenförmig ausbreiten und auf dem Vorder- kopf gescheitelt sind. Die Wangen und das Kinn sind von einem dicken schwarzen Barte umgeben. Der Oberleib ist dicht, aber nicht lang, die untere Seite dagegen nur dürftig behaart; der Schwanz ist sehr buschig. Alte Männchen und Weibchen sind schwarz, am Rücken rusig fahlgelb. Die Jungen haben eine bräunlich graue Färbung. Uebrigens kommen sehr verschiedene Abweichungen vor.
Der Judenaffe ist ein bei Tage langsames, schläfriges Thier, welches erst des Abends und in der Dämmerung zum Vorschein kommt und dann eine gewisse Behendigkeit zeigt. Seine Stimme ist laut tönend und wird in der Stille der Nacht weit gehört.
Er lebt in einem sehr untergeordneten Verhältnisse zu den Rollaffen, welche ihn nicht selten zwingen, von den Bäumen herabzusteigen und sich in das Gebüsch zurückzuziehen, wo sie ihn seiner erbeuteten Nahrung berauben, ja sogar ihn mißhandeln. Seines langen Bartes wegen soll er das Wasser,
Heimat. Beſchreibung. Lebensweiſe.
„Ueberall, wo die Belaubung des Ufers dichter erſchien,‟ ſagt R. Schomburgk, „fand ich auch Herden von Affen in den Zweigen verſammelt, unter denen die wirklich netten Schweifaffen die größte Anzahl bildeten. Jhr ſchön geſcheiteltes, langes Haar, die üppig ſtolzen Kinn- und Backen- bärte, ihre langbehaarten, fuchsähnlichen Schwänze verleihen den lebhaft- und klugblickenden Thieren ein ungemein freundliches, zugleich aber auch lächerliches Aeußere. Es waren die erſten, denen ich auf meiner Reiſe begegnete. Natürlich mußte ich augenblicklich an das Land ſpringen, um mein Jagdglück zu verſuchen. Jch ſchoß ein Männchen und ein Weibchen. Doch bereute ich faſt meinen Schuß, als ich die bittere, das Herz tief ergreifende Wehklage des Letztern hörte, welches ich nur ſtark verwundet hatte. Dieſe Klagetöne ſtimmen genau mit den bitteren Schmerzenslauten eines Kindes überein.‟ —
Jn den großen Wäldern am obern Maranon und Orinoko findet man die gemeinſte Art der Sippe ſehr häufig. Es iſt dies der Juden- oder Satansaffe (Pithecia Satanas), ein 15 Zoll
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Der Juden- oder Satansaffe (Pithecia Satanas).
langes Thier mit faſt ebenſo langem Schwanze. Der ganz runde Kopf iſt durch eine Art von Mütze aus- gezeichnet, welche aus nicht ſehr langen, dicht anliegenden Haaren beſteht, die ſich von einem gemein- ſamen Wirbel auf der Höhe des Hinterhauptes ſtrahlenförmig ausbreiten und auf dem Vorder- kopf geſcheitelt ſind. Die Wangen und das Kinn ſind von einem dicken ſchwarzen Barte umgeben. Der Oberleib iſt dicht, aber nicht lang, die untere Seite dagegen nur dürftig behaart; der Schwanz iſt ſehr buſchig. Alte Männchen und Weibchen ſind ſchwarz, am Rücken ruſig fahlgelb. Die Jungen haben eine bräunlich graue Färbung. Uebrigens kommen ſehr verſchiedene Abweichungen vor.
Der Judenaffe iſt ein bei Tage langſames, ſchläfriges Thier, welches erſt des Abends und in der Dämmerung zum Vorſchein kommt und dann eine gewiſſe Behendigkeit zeigt. Seine Stimme iſt laut tönend und wird in der Stille der Nacht weit gehört.
Er lebt in einem ſehr untergeordneten Verhältniſſe zu den Rollaffen, welche ihn nicht ſelten zwingen, von den Bäumen herabzuſteigen und ſich in das Gebüſch zurückzuziehen, wo ſie ihn ſeiner erbeuteten Nahrung berauben, ja ſogar ihn mißhandeln. Seines langen Bartes wegen ſoll er das Waſſer,
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Heimat. Beſchreibung. Lebensweiſe.
„Ueberall, wo die Belaubung des Ufers dichter erſchien,‟ ſagt R. Schomburgk, „fand ich
auch Herden von Affen in den Zweigen verſammelt, unter denen die wirklich netten Schweifaffen die
größte Anzahl bildeten. Jhr ſchön geſcheiteltes, langes Haar, die üppig ſtolzen Kinn- und Backen-
bärte, ihre langbehaarten, fuchsähnlichen Schwänze verleihen den lebhaft- und klugblickenden Thieren
ein ungemein freundliches, zugleich aber auch lächerliches Aeußere. Es waren die erſten, denen ich
auf meiner Reiſe begegnete. Natürlich mußte ich augenblicklich an das Land ſpringen, um mein
Jagdglück zu verſuchen. Jch ſchoß ein Männchen und ein Weibchen. Doch bereute ich faſt meinen
Schuß, als ich die bittere, das Herz tief ergreifende Wehklage des Letztern hörte, welches ich nur
ſtark verwundet hatte. Dieſe Klagetöne ſtimmen genau mit den bitteren Schmerzenslauten eines
Kindes überein.‟ —
Jn den großen Wäldern am obern Maranon und Orinoko findet man die gemeinſte Art der
Sippe ſehr häufig. Es iſt dies der Juden- oder Satansaffe (Pithecia Satanas), ein 15 Zoll
[Abbildung Der Juden- oder Satansaffe (Pithecia Satanas).]
langes Thier mit faſt ebenſo langem Schwanze. Der ganz runde Kopf iſt durch eine Art von Mütze aus-
gezeichnet, welche aus nicht ſehr langen, dicht anliegenden Haaren beſteht, die ſich von einem gemein-
ſamen Wirbel auf der Höhe des Hinterhauptes ſtrahlenförmig ausbreiten und auf dem Vorder-
kopf geſcheitelt ſind. Die Wangen und das Kinn ſind von einem dicken ſchwarzen Barte umgeben.
Der Oberleib iſt dicht, aber nicht lang, die untere Seite dagegen nur dürftig behaart; der Schwanz
iſt ſehr buſchig. Alte Männchen und Weibchen ſind ſchwarz, am Rücken ruſig fahlgelb. Die Jungen
haben eine bräunlich graue Färbung. Uebrigens kommen ſehr verſchiedene Abweichungen vor.
Der Judenaffe iſt ein bei Tage langſames, ſchläfriges Thier, welches erſt des Abends und in
der Dämmerung zum Vorſchein kommt und dann eine gewiſſe Behendigkeit zeigt. Seine Stimme iſt
laut tönend und wird in der Stille der Nacht weit gehört.
Er lebt in einem ſehr untergeordneten Verhältniſſe zu den Rollaffen, welche ihn nicht ſelten
zwingen, von den Bäumen herabzuſteigen und ſich in das Gebüſch zurückzuziehen, wo ſie ihn ſeiner
erbeuteten Nahrung berauben, ja ſogar ihn mißhandeln. Seines langen Bartes wegen ſoll er das Waſſer,
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/177>, abgerufen am 21.11.2024.
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