Schilderung der Kurzfüßer. Beschreibung des Jndri.
auch nicht ein einziger Laut dem lauschenden Ohre das Vorhandensein eines lebenden Thieres ver- nehmbar macht.
Wehe jetzt dem sorglos schlafenden Vogel, auf welchen ein Blick dieser feurigen Augen fällt! Kein Jndianer schleicht leiser auf seinem Kriegspfade dahin; kein blutdürstiger Wilder naht sich in furchtbarerer Absicht, als der Lori jetzt, seiner schlafenden Beute. Ohne jedes Geräusch, fast ohne sichtbare Bewegung setzt er einen Fuß nach dem andern fürder und nähert sich mehr und mehr, bis er sein Opfer erreicht hat. Dann erhebt er die eine Hand mit gleicher Lautlosigkeit und Bedachtsamkeit und streckt sie leise, leise vor, bis sie den Schläfer beinahe berührt. Jetzt geschieht eine Bewegung, schneller, als das Auge ihr folgen kann, und ehe der schlummernde Vogel noch eine Ahnung von seinem furchtbaren Feinde erlangt hat, ist er erwürgt, erdrosselt. Und Nichts gleicht der Gier, mit welcher der so harmlos erscheinende Vierhänder nach vollbrachtem Morde seine Bente verzehrt.
Wie der schlafende Vogel ist auch seine Brut, das Ei in seinem Neste verloren, sobald der Halb- affe dies entdeckt. Das nächtige Wesen des Thieres zeigt sich in seiner Raubgier; es scheint, daß es Fleischnahrung ganz entschieden der Pflanzenkost vorzieht, obschon es auch diese nicht verschmäht.
Alle geschwänzten Arten unserer Familie sind weit lebhafter und beweglicher, als die kurz- oder ungeschwänzten, welche dafür bedächtig und berechnend vorsichtig sind. Erstere klettern mit viel Geschick und Schnelligkeit, springen auch wohl sechs bis acht Fuß weit von einem Aste zum andern, letztere be- wegen sich auf den Bäumen nur langsam, aber sicher; ehe sie einen Zweig loslassen, vergewissern sie sich stets, daß ihnen ein anderer verlässigen Halt giebt. Jhr Gang auf dem Boden ist immer schlecht und zwar bei den einen, wie bei den anderen. Sie treten stets auf alle vier Füße auf, einige auf die Sohlen derselben, andere mehr auf die halbeingeschlagenen Finger, wenigstens auf die ihrer Vorderhände.
Eine gleichmäßige und ziemlich hohe Wärme ist ihnen Bedürfniß; die Kälte macht sie mißmuthig und krank. Die gefangenen Aeffer geben ihr Mißbehagen hauptsächlich dann zu erkennen, wenn sie frieren oder im Schlafe gestört werden. Fühlen sie sich aber behaglich, dann schnurren sie -- wenig- stens viele -- nach Katzenart.
Jhre geistigen Fähigkeiten sind gering: nur wenige machen eine rühmliche Ausnahme. Alle sind schen und furchtsam, obgleich sie sich muthig wehren, wenn man sie fängt. Wenn sie sich an den Menschen gewöhnt haben, werden sie in gewissem Grade zutraulich und zeigen sich sanft, friedlich und gutmüthig, verlieren aber ihre Furchtsamkeit nur selten. Die ungeschwänzten Arten sind still, fast schwermüthig und vor allem ruheliebend. Eine Art soll von den Eingebornen zur Jagd abgerichtet werden können; ob Dies wahr ist, steht dahin.
Ueber ihre Fortpflanzung weiß man noch sehr wenig. Die Weibchen tragen etwa vier Monate und werfen ein Junges, welches sie längere Zeit auf ihrem Rücken mit sich führen.
Zu den Kurzfüßern gehört ein sehr seltnes Thier, welches auf Madagaskar lebt, aber nur wenige Male ausgestopft nach Europa kam: der Jndri (Lichanotus brevicaudatus). Er läßt sich mit seinen Verwandten nicht wohl vereinigen und bildet deshalb eine eigene Sippe für sich, welche der von den übrigen Halbaffen abweichende Zahnbau, der große, mehr dreieckige als runde Kopf mit seiner kurzen Schnauze, die langen Hinterbeine, die langen Hände mit ganz freien Daumen und der sehr kurze Schwanz kennzeichnet.
Der Jndri ist der größte aller Halbaffen. Seine Leibeslänge beträgt zwei Fuß, die Länge des Schwanzes aber nur einen Zoll. Der Körper ist mehr schlank, als gedrungen; der Pelz schön, wollig, weich und dicht; das Gesicht ist fast unbehaart. Stirn, Schläfe, Kehle, Brust, Kreuzgegend, Schwanz, Unterseite der Schenkel, Fersen und Seiten sind weiß, Ohren, Hinterkopf, Schultern, Arme und Hände schwarz, Unterrücken und Oberschenkel braun, und die Vorderseite der hinteren Glieder endlich schwarzbraun.
Wir verdanken die geringe Kenntniß, welche wir vom Leben des Jndri besitzen, dem Reisenden und Naturforscher Sonnerat. Er fand unser Thier auf Madagaskar und erzählt, daß es sehr sanft-
Schilderung der Kurzfüßer. Beſchreibung des Jndri.
auch nicht ein einziger Laut dem lauſchenden Ohre das Vorhandenſein eines lebenden Thieres ver- nehmbar macht.
Wehe jetzt dem ſorglos ſchlafenden Vogel, auf welchen ein Blick dieſer feurigen Augen fällt! Kein Jndianer ſchleicht leiſer auf ſeinem Kriegspfade dahin; kein blutdürſtiger Wilder naht ſich in furchtbarerer Abſicht, als der Lori jetzt, ſeiner ſchlafenden Beute. Ohne jedes Geräuſch, faſt ohne ſichtbare Bewegung ſetzt er einen Fuß nach dem andern fürder und nähert ſich mehr und mehr, bis er ſein Opfer erreicht hat. Dann erhebt er die eine Hand mit gleicher Lautloſigkeit und Bedachtſamkeit und ſtreckt ſie leiſe, leiſe vor, bis ſie den Schläfer beinahe berührt. Jetzt geſchieht eine Bewegung, ſchneller, als das Auge ihr folgen kann, und ehe der ſchlummernde Vogel noch eine Ahnung von ſeinem furchtbaren Feinde erlangt hat, iſt er erwürgt, erdroſſelt. Und Nichts gleicht der Gier, mit welcher der ſo harmlos erſcheinende Vierhänder nach vollbrachtem Morde ſeine Bente verzehrt.
Wie der ſchlafende Vogel iſt auch ſeine Brut, das Ei in ſeinem Neſte verloren, ſobald der Halb- affe dies entdeckt. Das nächtige Weſen des Thieres zeigt ſich in ſeiner Raubgier; es ſcheint, daß es Fleiſchnahrung ganz entſchieden der Pflanzenkoſt vorzieht, obſchon es auch dieſe nicht verſchmäht.
Alle geſchwänzten Arten unſerer Familie ſind weit lebhafter und beweglicher, als die kurz- oder ungeſchwänzten, welche dafür bedächtig und berechnend vorſichtig ſind. Erſtere klettern mit viel Geſchick und Schnelligkeit, ſpringen auch wohl ſechs bis acht Fuß weit von einem Aſte zum andern, letztere be- wegen ſich auf den Bäumen nur langſam, aber ſicher; ehe ſie einen Zweig loslaſſen, vergewiſſern ſie ſich ſtets, daß ihnen ein anderer verläſſigen Halt giebt. Jhr Gang auf dem Boden iſt immer ſchlecht und zwar bei den einen, wie bei den anderen. Sie treten ſtets auf alle vier Füße auf, einige auf die Sohlen derſelben, andere mehr auf die halbeingeſchlagenen Finger, wenigſtens auf die ihrer Vorderhände.
Eine gleichmäßige und ziemlich hohe Wärme iſt ihnen Bedürfniß; die Kälte macht ſie mißmuthig und krank. Die gefangenen Aeffer geben ihr Mißbehagen hauptſächlich dann zu erkennen, wenn ſie frieren oder im Schlafe geſtört werden. Fühlen ſie ſich aber behaglich, dann ſchnurren ſie — wenig- ſtens viele — nach Katzenart.
Jhre geiſtigen Fähigkeiten ſind gering: nur wenige machen eine rühmliche Ausnahme. Alle ſind ſchen und furchtſam, obgleich ſie ſich muthig wehren, wenn man ſie fängt. Wenn ſie ſich an den Menſchen gewöhnt haben, werden ſie in gewiſſem Grade zutraulich und zeigen ſich ſanft, friedlich und gutmüthig, verlieren aber ihre Furchtſamkeit nur ſelten. Die ungeſchwänzten Arten ſind ſtill, faſt ſchwermüthig und vor allem ruheliebend. Eine Art ſoll von den Eingebornen zur Jagd abgerichtet werden können; ob Dies wahr iſt, ſteht dahin.
Ueber ihre Fortpflanzung weiß man noch ſehr wenig. Die Weibchen tragen etwa vier Monate und werfen ein Junges, welches ſie längere Zeit auf ihrem Rücken mit ſich führen.
Zu den Kurzfüßern gehört ein ſehr ſeltnes Thier, welches auf Madagaskar lebt, aber nur wenige Male ausgeſtopft nach Europa kam: der Jndri (Lichanotus brevicaudatus). Er läßt ſich mit ſeinen Verwandten nicht wohl vereinigen und bildet deshalb eine eigene Sippe für ſich, welche der von den übrigen Halbaffen abweichende Zahnbau, der große, mehr dreieckige als runde Kopf mit ſeiner kurzen Schnauze, die langen Hinterbeine, die langen Hände mit ganz freien Daumen und der ſehr kurze Schwanz kennzeichnet.
Der Jndri iſt der größte aller Halbaffen. Seine Leibeslänge beträgt zwei Fuß, die Länge des Schwanzes aber nur einen Zoll. Der Körper iſt mehr ſchlank, als gedrungen; der Pelz ſchön, wollig, weich und dicht; das Geſicht iſt faſt unbehaart. Stirn, Schläfe, Kehle, Bruſt, Kreuzgegend, Schwanz, Unterſeite der Schenkel, Ferſen und Seiten ſind weiß, Ohren, Hinterkopf, Schultern, Arme und Hände ſchwarz, Unterrücken und Oberſchenkel braun, und die Vorderſeite der hinteren Glieder endlich ſchwarzbraun.
Wir verdanken die geringe Kenntniß, welche wir vom Leben des Jndri beſitzen, dem Reiſenden und Naturforſcher Sonnerat. Er fand unſer Thier auf Madagaskar und erzählt, daß es ſehr ſanft-
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Schilderung der Kurzfüßer. Beſchreibung des Jndri.
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nehmbar macht.
Wehe jetzt dem ſorglos ſchlafenden Vogel, auf welchen ein Blick dieſer feurigen Augen fällt!
Kein Jndianer ſchleicht leiſer auf ſeinem Kriegspfade dahin; kein blutdürſtiger Wilder naht ſich in
furchtbarerer Abſicht, als der Lori jetzt, ſeiner ſchlafenden Beute. Ohne jedes Geräuſch, faſt ohne
ſichtbare Bewegung ſetzt er einen Fuß nach dem andern fürder und nähert ſich mehr und mehr, bis
er ſein Opfer erreicht hat. Dann erhebt er die eine Hand mit gleicher Lautloſigkeit und Bedachtſamkeit
und ſtreckt ſie leiſe, leiſe vor, bis ſie den Schläfer beinahe berührt. Jetzt geſchieht eine Bewegung,
ſchneller, als das Auge ihr folgen kann, und ehe der ſchlummernde Vogel noch eine Ahnung von
ſeinem furchtbaren Feinde erlangt hat, iſt er erwürgt, erdroſſelt. Und Nichts gleicht der Gier, mit
welcher der ſo harmlos erſcheinende Vierhänder nach vollbrachtem Morde ſeine Bente verzehrt.
Wie der ſchlafende Vogel iſt auch ſeine Brut, das Ei in ſeinem Neſte verloren, ſobald der Halb-
affe dies entdeckt. Das nächtige Weſen des Thieres zeigt ſich in ſeiner Raubgier; es ſcheint, daß es
Fleiſchnahrung ganz entſchieden der Pflanzenkoſt vorzieht, obſchon es auch dieſe nicht verſchmäht.
Alle geſchwänzten Arten unſerer Familie ſind weit lebhafter und beweglicher, als die kurz- oder
ungeſchwänzten, welche dafür bedächtig und berechnend vorſichtig ſind. Erſtere klettern mit viel Geſchick
und Schnelligkeit, ſpringen auch wohl ſechs bis acht Fuß weit von einem Aſte zum andern, letztere be-
wegen ſich auf den Bäumen nur langſam, aber ſicher; ehe ſie einen Zweig loslaſſen, vergewiſſern ſie
ſich ſtets, daß ihnen ein anderer verläſſigen Halt giebt. Jhr Gang auf dem Boden iſt immer ſchlecht
und zwar bei den einen, wie bei den anderen. Sie treten ſtets auf alle vier Füße auf, einige auf die Sohlen
derſelben, andere mehr auf die halbeingeſchlagenen Finger, wenigſtens auf die ihrer Vorderhände.
Eine gleichmäßige und ziemlich hohe Wärme iſt ihnen Bedürfniß; die Kälte macht ſie mißmuthig
und krank. Die gefangenen Aeffer geben ihr Mißbehagen hauptſächlich dann zu erkennen, wenn ſie
frieren oder im Schlafe geſtört werden. Fühlen ſie ſich aber behaglich, dann ſchnurren ſie — wenig-
ſtens viele — nach Katzenart.
Jhre geiſtigen Fähigkeiten ſind gering: nur wenige machen eine rühmliche Ausnahme. Alle ſind
ſchen und furchtſam, obgleich ſie ſich muthig wehren, wenn man ſie fängt. Wenn ſie ſich an den
Menſchen gewöhnt haben, werden ſie in gewiſſem Grade zutraulich und zeigen ſich ſanft, friedlich und
gutmüthig, verlieren aber ihre Furchtſamkeit nur ſelten. Die ungeſchwänzten Arten ſind ſtill, faſt
ſchwermüthig und vor allem ruheliebend. Eine Art ſoll von den Eingebornen zur Jagd abgerichtet
werden können; ob Dies wahr iſt, ſteht dahin.
Ueber ihre Fortpflanzung weiß man noch ſehr wenig. Die Weibchen tragen etwa vier Monate
und werfen ein Junges, welches ſie längere Zeit auf ihrem Rücken mit ſich führen.
Zu den Kurzfüßern gehört ein ſehr ſeltnes Thier, welches auf Madagaskar lebt, aber nur wenige
Male ausgeſtopft nach Europa kam: der Jndri (Lichanotus brevicaudatus). Er läßt ſich mit ſeinen
Verwandten nicht wohl vereinigen und bildet deshalb eine eigene Sippe für ſich, welche der von den
übrigen Halbaffen abweichende Zahnbau, der große, mehr dreieckige als runde Kopf mit ſeiner kurzen
Schnauze, die langen Hinterbeine, die langen Hände mit ganz freien Daumen und der ſehr kurze
Schwanz kennzeichnet.
Der Jndri iſt der größte aller Halbaffen. Seine Leibeslänge beträgt zwei Fuß, die Länge des
Schwanzes aber nur einen Zoll. Der Körper iſt mehr ſchlank, als gedrungen; der Pelz ſchön, wollig,
weich und dicht; das Geſicht iſt faſt unbehaart. Stirn, Schläfe, Kehle, Bruſt, Kreuzgegend, Schwanz,
Unterſeite der Schenkel, Ferſen und Seiten ſind weiß, Ohren, Hinterkopf, Schultern, Arme und
Hände ſchwarz, Unterrücken und Oberſchenkel braun, und die Vorderſeite der hinteren Glieder endlich
ſchwarzbraun.
Wir verdanken die geringe Kenntniß, welche wir vom Leben des Jndri beſitzen, dem Reiſenden
und Naturforſcher Sonnerat. Er fand unſer Thier auf Madagaskar und erzählt, daß es ſehr ſanft-
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/191>, abgerufen am 24.11.2024.
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