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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Gestalt und Lebensweise.
blutung, welche erfolgt, ist nie stark. Ein schmaler, getrockneter Blutstreifen ist alles, was man von
ihr bemerkt. Von Fällen, daß das Thier an Blutverlust gestorben wäre, habe ich nie gehört. Ge-
schwächt werden sie wohl nach täglich wiederholten Verlusten etwas, besonders weil gerade in der
kalten Jahreszeit nirgends reichlich Futter zu haben ist; aber der Tod erfolgt bei solchen Thieren nie-
mals, als durch Ueberladung von seiten der Besitzer, woran das Thier wahrscheinlich ohne Blut-
verlust zu Grunde gegangen wäre."

Nach diesen Beobachtungen kann ich es nun jedem meiner Leser überlassen, sich selbst ein Urtheil
zu bilden. Absichtlich habe ich auch phantasiereiche Reisende neben Azara, Rengger und Burmeister
reden lassen; selbst deren Schilderungen beweisen die Haltlosigkeit der häßlichen und auch deshalb
undichterischen Sage.



Auch unter den übrigen Sippen unserer Familie giebt es noch einige merkwürdige Thiere.

Die Gruppe der Ziernasen (Megaderma) z. B. enthält eine Art, welche nicht blos Blut
saugt, sondern auch kleine Frösche fressen soll. Ein dreifacher Nasenbesatz, die großen über der

[Abbildung] Die egyptische Klappnase (Rhinopoma microphyllum).
Stirn mit einander verwachsenen Ohren und die lange Ohrenklappe kennzeichnen die hierher ge-
hörigen Fledermäuse.

Die Leiernase (Megaderma Lyra), welche als die ausgezeichnetste der ganzen Sippe betrachtet
werden kann, ist durch die außerordentliche Hautwucherung an ihrer Nase, welche mit einer Leier
entfernte Aehnlichkeit hat, besonders merkwürdig.

Eine dritte Sippe enthält die Klappnasen (Rhinopoma). Bei ihnen ist der Nasenbesatz einfach
und besteht aus einem aufrechtstehenden, lanzettförmigen Blatte. Die Ohren, ebenfalls auf der Stirn
verwachsen, sind von mittlerer Größe, der Schwanz aber ist für Fledermäuse unverhältnißmäßig lang.

Eine Art dieser Sippe ist die egyptische Klappnase (Rhinopoma microphyllum). Sie ist
ein kleines Thier von zwei Zoll Körperlänge, fast ebensoviel Schwanzlänge und 71/2 Zoll Flugweite,

Brehm, Thierleben. 12

Geſtalt und Lebensweiſe.
blutung, welche erfolgt, iſt nie ſtark. Ein ſchmaler, getrockneter Blutſtreifen iſt alles, was man von
ihr bemerkt. Von Fällen, daß das Thier an Blutverluſt geſtorben wäre, habe ich nie gehört. Ge-
ſchwächt werden ſie wohl nach täglich wiederholten Verluſten etwas, beſonders weil gerade in der
kalten Jahreszeit nirgends reichlich Futter zu haben iſt; aber der Tod erfolgt bei ſolchen Thieren nie-
mals, als durch Ueberladung von ſeiten der Beſitzer, woran das Thier wahrſcheinlich ohne Blut-
verluſt zu Grunde gegangen wäre.‟

Nach dieſen Beobachtungen kann ich es nun jedem meiner Leſer überlaſſen, ſich ſelbſt ein Urtheil
zu bilden. Abſichtlich habe ich auch phantaſiereiche Reiſende neben Azara, Rengger und Burmeiſter
reden laſſen; ſelbſt deren Schilderungen beweiſen die Haltloſigkeit der häßlichen und auch deshalb
undichteriſchen Sage.



Auch unter den übrigen Sippen unſerer Familie giebt es noch einige merkwürdige Thiere.

Die Gruppe der Ziernaſen (Megaderma) z. B. enthält eine Art, welche nicht blos Blut
ſaugt, ſondern auch kleine Fröſche freſſen ſoll. Ein dreifacher Naſenbeſatz, die großen über der

[Abbildung] Die egyptiſche Klappnaſe (Rhinopoma microphyllum).
Stirn mit einander verwachſenen Ohren und die lange Ohrenklappe kennzeichnen die hierher ge-
hörigen Fledermäuſe.

Die Leiernaſe (Megaderma Lyra), welche als die ausgezeichnetſte der ganzen Sippe betrachtet
werden kann, iſt durch die außerordentliche Hautwucherung an ihrer Naſe, welche mit einer Leier
entfernte Aehnlichkeit hat, beſonders merkwürdig.

Eine dritte Sippe enthält die Klappnaſen (Rhinopoma). Bei ihnen iſt der Naſenbeſatz einfach
und beſteht aus einem aufrechtſtehenden, lanzettförmigen Blatte. Die Ohren, ebenfalls auf der Stirn
verwachſen, ſind von mittlerer Größe, der Schwanz aber iſt für Fledermäuſe unverhältnißmäßig lang.

Eine Art dieſer Sippe iſt die egyptiſche Klappnaſe (Rhinopoma microphyllum). Sie iſt
ein kleines Thier von zwei Zoll Körperlänge, faſt ebenſoviel Schwanzlänge und 7½ Zoll Flugweite,

Brehm, Thierleben. 12
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[177/0235] Geſtalt und Lebensweiſe. blutung, welche erfolgt, iſt nie ſtark. Ein ſchmaler, getrockneter Blutſtreifen iſt alles, was man von ihr bemerkt. Von Fällen, daß das Thier an Blutverluſt geſtorben wäre, habe ich nie gehört. Ge- ſchwächt werden ſie wohl nach täglich wiederholten Verluſten etwas, beſonders weil gerade in der kalten Jahreszeit nirgends reichlich Futter zu haben iſt; aber der Tod erfolgt bei ſolchen Thieren nie- mals, als durch Ueberladung von ſeiten der Beſitzer, woran das Thier wahrſcheinlich ohne Blut- verluſt zu Grunde gegangen wäre.‟ Nach dieſen Beobachtungen kann ich es nun jedem meiner Leſer überlaſſen, ſich ſelbſt ein Urtheil zu bilden. Abſichtlich habe ich auch phantaſiereiche Reiſende neben Azara, Rengger und Burmeiſter reden laſſen; ſelbſt deren Schilderungen beweiſen die Haltloſigkeit der häßlichen und auch deshalb undichteriſchen Sage. Auch unter den übrigen Sippen unſerer Familie giebt es noch einige merkwürdige Thiere. Die Gruppe der Ziernaſen (Megaderma) z. B. enthält eine Art, welche nicht blos Blut ſaugt, ſondern auch kleine Fröſche freſſen ſoll. Ein dreifacher Naſenbeſatz, die großen über der [Abbildung Die egyptiſche Klappnaſe (Rhinopoma microphyllum).] Stirn mit einander verwachſenen Ohren und die lange Ohrenklappe kennzeichnen die hierher ge- hörigen Fledermäuſe. Die Leiernaſe (Megaderma Lyra), welche als die ausgezeichnetſte der ganzen Sippe betrachtet werden kann, iſt durch die außerordentliche Hautwucherung an ihrer Naſe, welche mit einer Leier entfernte Aehnlichkeit hat, beſonders merkwürdig. Eine dritte Sippe enthält die Klappnaſen (Rhinopoma). Bei ihnen iſt der Naſenbeſatz einfach und beſteht aus einem aufrechtſtehenden, lanzettförmigen Blatte. Die Ohren, ebenfalls auf der Stirn verwachſen, ſind von mittlerer Größe, der Schwanz aber iſt für Fledermäuſe unverhältnißmäßig lang. Eine Art dieſer Sippe iſt die egyptiſche Klappnaſe (Rhinopoma microphyllum). Sie iſt ein kleines Thier von zwei Zoll Körperlänge, faſt ebenſoviel Schwanzlänge und 7½ Zoll Flugweite, Brehm, Thierleben. 12

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/235>, abgerufen am 24.11.2024.