brechen, um das Weite zu suchen, jetzt aber ihm erst recht zur Beute werden. Gegen diese Angabe spricht der feste Glaube aller Jnnerafrikaner, mit denen ich verkehrt habe, an die erwünschte Wirk- samkeit ihrer Lagerfeuer. Sie versichern, daß Feuer stets genüge, den Löwen abzuhalten und wissen kein Beispiel zu erzählen, daß das Raubthier ein durch sorgsam unterhaltene Wachtfeuer geschütztes Lager überfallen habe. Vom Leoparden erzählen sie das Gegentheil.
Ganz anders, als bei Angriffen auf zahme Thiere, benimmt sich der Löwe, wenn er es mit Wild zu thun hat. Er weiß, daß dieses ihn auf ziemliche Entfernung hin wittert und schnellfüßig genug ist, ihm zu entkommen. Deshalb lauert er auf die wildlebenden Thiere oder schleicht sich, oft in Gesell- schaft mit anderen seiner Art, äußerst vorsichtig unter dem Winde an sie heran. Namentlich die Wasserplätze in den Steppen Mittel- und Südafrikas sind ergiebige Jagdorte für ihn.
Wenn der heiße Tag vorüber ist und die kühle Nacht sich allmählich herabsenkt, eilt die zierliche Antilope oder die mildäugige Girafe, das gestreifte Zebra oder der gewaltige Büffel, um die lechzende Zunge zu erfrischen. Vorsichtig nahen sie sich alle der Quelle oder der Lache; denn sie wissen, daß gerade diejenigen Orte, welche ihnen die meiste Labung bieten sollen, für sie die gefährlichsten sind. Ohne Unterlaß witternd und lauschend, scharf in die dunkle Nacht äugend, schreitet das Leitthier der Antilopenherde dahin. Keinen Schritt thut es, ohne sich zu versichern, daß Alles still und ruhig sei. Die Antilopen sind meistens schlau genug, ebenfalls unter dem Winde an die Quelle zu gehen, und so bekommt oft genug das Leitthier die Witterung noch zur rechten Zeit. Es stutzt, es lauscht, es äugt, es wittert -- noch einen Augenblick -- und plötzlich wirft es sich herum und jagt in eiliger Flucht dahin. Die anderen folgen; weitaus greifen die zierlichen Hufe, hochauf schnellen die federnden Läufe der anmuthigen Thiere. Ueber Busch und Grasbüschel setzen die Behenden dahin und sind gerettet. So naht sich auch das kluge Zebra, so naht sich die Girafe: aber wehe ihnen, wenn sie diese Vorsicht versäumen. Wehe der Girafe, wenn sie mit dem Winde zur umbuschten Lache schreitet, wehe ihr, wenn sie über der Begierde, die heiße, schlaffe Zunge zu kühlen, ihre Sicherheit auch nur einen Augen- blick vergißt! Dann wird Freiligraths hochdichterische Beschreibung fast zur vollen Wahrheit:
"Plötzlich regt es sich im Rohre; mit Gebrüll auf ihren Nacken "Springt der Löwe. Welch ein Reitpferd! Sah man reichere Schabracken "Jn den Marstallkammern einer königlichen Hofburg liegen, "Als das bunte Fell des Renners, den der Thiere Fürst bestiegen?
"Jn die Muskeln des Genickes schlägt er gierig seine Zähne; "Um den Bug des Riesenpferdes weht des Reiters gelbe Mähne. "Mit dem dumpfen Schrei des Schmerzes springt es auf und flieht gepeinigt; "Sieh, wie Schnelle des Kameles es mit Pardelhaut vereinigt!
"Sieh, die mondbestrahlte Fläche schlägt es mit den leichten Füßen! "Starr aus seiner Höhlung treten seine Augen; rießelnd fließen "An dem braun gefleckten Halse nieder schwarzen Blutes Tropfen, "Und das Herz des flücht'gen Thieres hört die stille Wüste klopfen.
"Jhrem Zuge folgt der Geier; krächzend schwirrt er durch die Lüfte; "Jhrer Spur folgt die Hiäne, die Entweiherin der Grüfte; "Folgt der Panther, der des Kaplands Hürden räuberisch verheerte; "Blut und Schweiß bezeichnen ihres Königs grausenvolle Fährte.
"Zagend auf lebend'gem Throne sehn sie den Gebieter sitzen, "Und mit scharfer Klaue seines Sitzes bunte Polster ritzen. "Rastlos. bis die Kraft ihr schwindet, muß ihn die Girafe tragen; "Gegen einen solchen Reiter hilft kein Bäumen und kein Schlagen."
Ja, diese Beschreibung enthält fast die volle Wahrheit! Nur den Geier muß der Forscher aus ihr streichen; denn er folgt dem Löwen nicht zur Nacht: er kommt blos bei Tage, um die Ueberreste der königlichen Tafel zu beanspruchen. Jm Uebrigen hat der Dichter nur zu genau gezeichnet.
Der jagende Löwe.
brechen, um das Weite zu ſuchen, jetzt aber ihm erſt recht zur Beute werden. Gegen dieſe Angabe ſpricht der feſte Glaube aller Jnnerafrikaner, mit denen ich verkehrt habe, an die erwünſchte Wirk- ſamkeit ihrer Lagerfeuer. Sie verſichern, daß Feuer ſtets genüge, den Löwen abzuhalten und wiſſen kein Beiſpiel zu erzählen, daß das Raubthier ein durch ſorgſam unterhaltene Wachtfeuer geſchütztes Lager überfallen habe. Vom Leoparden erzählen ſie das Gegentheil.
Ganz anders, als bei Angriffen auf zahme Thiere, benimmt ſich der Löwe, wenn er es mit Wild zu thun hat. Er weiß, daß dieſes ihn auf ziemliche Entfernung hin wittert und ſchnellfüßig genug iſt, ihm zu entkommen. Deshalb lauert er auf die wildlebenden Thiere oder ſchleicht ſich, oft in Geſell- ſchaft mit anderen ſeiner Art, äußerſt vorſichtig unter dem Winde an ſie heran. Namentlich die Waſſerplätze in den Steppen Mittel- und Südafrikas ſind ergiebige Jagdorte für ihn.
Wenn der heiße Tag vorüber iſt und die kühle Nacht ſich allmählich herabſenkt, eilt die zierliche Antilope oder die mildäugige Girafe, das geſtreifte Zebra oder der gewaltige Büffel, um die lechzende Zunge zu erfriſchen. Vorſichtig nahen ſie ſich alle der Quelle oder der Lache; denn ſie wiſſen, daß gerade diejenigen Orte, welche ihnen die meiſte Labung bieten ſollen, für ſie die gefährlichſten ſind. Ohne Unterlaß witternd und lauſchend, ſcharf in die dunkle Nacht äugend, ſchreitet das Leitthier der Antilopenherde dahin. Keinen Schritt thut es, ohne ſich zu verſichern, daß Alles ſtill und ruhig ſei. Die Antilopen ſind meiſtens ſchlau genug, ebenfalls unter dem Winde an die Quelle zu gehen, und ſo bekommt oft genug das Leitthier die Witterung noch zur rechten Zeit. Es ſtutzt, es lauſcht, es äugt, es wittert — noch einen Augenblick — und plötzlich wirft es ſich herum und jagt in eiliger Flucht dahin. Die anderen folgen; weitaus greifen die zierlichen Hufe, hochauf ſchnellen die federnden Läufe der anmuthigen Thiere. Ueber Buſch und Grasbüſchel ſetzen die Behenden dahin und ſind gerettet. So naht ſich auch das kluge Zebra, ſo naht ſich die Girafe: aber wehe ihnen, wenn ſie dieſe Vorſicht verſäumen. Wehe der Girafe, wenn ſie mit dem Winde zur umbuſchten Lache ſchreitet, wehe ihr, wenn ſie über der Begierde, die heiße, ſchlaffe Zunge zu kühlen, ihre Sicherheit auch nur einen Augen- blick vergißt! Dann wird Freiligraths hochdichteriſche Beſchreibung faſt zur vollen Wahrheit:
„Plötzlich regt es ſich im Rohre; mit Gebrüll auf ihren Nacken „Springt der Löwe. Welch ein Reitpferd! Sah man reichere Schabracken „Jn den Marſtallkammern einer königlichen Hofburg liegen, „Als das bunte Fell des Renners, den der Thiere Fürſt beſtiegen?
„Jn die Muskeln des Genickes ſchlägt er gierig ſeine Zähne; „Um den Bug des Rieſenpferdes weht des Reiters gelbe Mähne. „Mit dem dumpfen Schrei des Schmerzes ſpringt es auf und flieht gepeinigt; „Sieh, wie Schnelle des Kameles es mit Pardelhaut vereinigt!
„Sieh, die mondbeſtrahlte Fläche ſchlägt es mit den leichten Füßen! „Starr aus ſeiner Höhlung treten ſeine Augen; rießelnd fließen „An dem braun gefleckten Halſe nieder ſchwarzen Blutes Tropfen, „Und das Herz des flücht’gen Thieres hört die ſtille Wüſte klopfen.
„Jhrem Zuge folgt der Geier; krächzend ſchwirrt er durch die Lüfte; „Jhrer Spur folgt die Hiäne, die Entweiherin der Grüfte; „Folgt der Panther, der des Kaplands Hürden räuberiſch verheerte; „Blut und Schweiß bezeichnen ihres Königs grauſenvolle Fährte.
„Zagend auf lebend’gem Throne ſehn ſie den Gebieter ſitzen, „Und mit ſcharfer Klaue ſeines Sitzes bunte Polſter ritzen. „Raſtlos. bis die Kraft ihr ſchwindet, muß ihn die Girafe tragen; „Gegen einen ſolchen Reiter hilft kein Bäumen und kein Schlagen.‟
Ja, dieſe Beſchreibung enthält faſt die volle Wahrheit! Nur den Geier muß der Forſcher aus ihr ſtreichen; denn er folgt dem Löwen nicht zur Nacht: er kommt blos bei Tage, um die Ueberreſte der königlichen Tafel zu beanſpruchen. Jm Uebrigen hat der Dichter nur zu genau gezeichnet.
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[197/0257]
Der jagende Löwe.
brechen, um das Weite zu ſuchen, jetzt aber ihm erſt recht zur Beute werden. Gegen dieſe Angabe
ſpricht der feſte Glaube aller Jnnerafrikaner, mit denen ich verkehrt habe, an die erwünſchte Wirk-
ſamkeit ihrer Lagerfeuer. Sie verſichern, daß Feuer ſtets genüge, den Löwen abzuhalten und wiſſen
kein Beiſpiel zu erzählen, daß das Raubthier ein durch ſorgſam unterhaltene Wachtfeuer geſchütztes
Lager überfallen habe. Vom Leoparden erzählen ſie das Gegentheil.
Ganz anders, als bei Angriffen auf zahme Thiere, benimmt ſich der Löwe, wenn er es mit Wild
zu thun hat. Er weiß, daß dieſes ihn auf ziemliche Entfernung hin wittert und ſchnellfüßig genug iſt,
ihm zu entkommen. Deshalb lauert er auf die wildlebenden Thiere oder ſchleicht ſich, oft in Geſell-
ſchaft mit anderen ſeiner Art, äußerſt vorſichtig unter dem Winde an ſie heran. Namentlich die
Waſſerplätze in den Steppen Mittel- und Südafrikas ſind ergiebige Jagdorte für ihn.
Wenn der heiße Tag vorüber iſt und die kühle Nacht ſich allmählich herabſenkt, eilt die zierliche
Antilope oder die mildäugige Girafe, das geſtreifte Zebra oder der gewaltige Büffel, um die
lechzende Zunge zu erfriſchen. Vorſichtig nahen ſie ſich alle der Quelle oder der Lache; denn ſie wiſſen,
daß gerade diejenigen Orte, welche ihnen die meiſte Labung bieten ſollen, für ſie die gefährlichſten ſind.
Ohne Unterlaß witternd und lauſchend, ſcharf in die dunkle Nacht äugend, ſchreitet das Leitthier der
Antilopenherde dahin. Keinen Schritt thut es, ohne ſich zu verſichern, daß Alles ſtill und ruhig ſei.
Die Antilopen ſind meiſtens ſchlau genug, ebenfalls unter dem Winde an die Quelle zu gehen, und ſo
bekommt oft genug das Leitthier die Witterung noch zur rechten Zeit. Es ſtutzt, es lauſcht, es äugt,
es wittert — noch einen Augenblick — und plötzlich wirft es ſich herum und jagt in eiliger Flucht
dahin. Die anderen folgen; weitaus greifen die zierlichen Hufe, hochauf ſchnellen die federnden Läufe
der anmuthigen Thiere. Ueber Buſch und Grasbüſchel ſetzen die Behenden dahin und ſind gerettet.
So naht ſich auch das kluge Zebra, ſo naht ſich die Girafe: aber wehe ihnen, wenn ſie dieſe Vorſicht
verſäumen. Wehe der Girafe, wenn ſie mit dem Winde zur umbuſchten Lache ſchreitet, wehe ihr,
wenn ſie über der Begierde, die heiße, ſchlaffe Zunge zu kühlen, ihre Sicherheit auch nur einen Augen-
blick vergißt! Dann wird Freiligraths hochdichteriſche Beſchreibung faſt zur vollen Wahrheit:
„Plötzlich regt es ſich im Rohre; mit Gebrüll auf ihren Nacken
„Springt der Löwe. Welch ein Reitpferd! Sah man reichere Schabracken
„Jn den Marſtallkammern einer königlichen Hofburg liegen,
„Als das bunte Fell des Renners, den der Thiere Fürſt beſtiegen?
„Jn die Muskeln des Genickes ſchlägt er gierig ſeine Zähne;
„Um den Bug des Rieſenpferdes weht des Reiters gelbe Mähne.
„Mit dem dumpfen Schrei des Schmerzes ſpringt es auf und flieht gepeinigt;
„Sieh, wie Schnelle des Kameles es mit Pardelhaut vereinigt!
„Sieh, die mondbeſtrahlte Fläche ſchlägt es mit den leichten Füßen!
„Starr aus ſeiner Höhlung treten ſeine Augen; rießelnd fließen
„An dem braun gefleckten Halſe nieder ſchwarzen Blutes Tropfen,
„Und das Herz des flücht’gen Thieres hört die ſtille Wüſte klopfen.
„Jhrem Zuge folgt der Geier; krächzend ſchwirrt er durch die Lüfte;
„Jhrer Spur folgt die Hiäne, die Entweiherin der Grüfte;
„Folgt der Panther, der des Kaplands Hürden räuberiſch verheerte;
„Blut und Schweiß bezeichnen ihres Königs grauſenvolle Fährte.
„Zagend auf lebend’gem Throne ſehn ſie den Gebieter ſitzen,
„Und mit ſcharfer Klaue ſeines Sitzes bunte Polſter ritzen.
„Raſtlos. bis die Kraft ihr ſchwindet, muß ihn die Girafe tragen;
„Gegen einen ſolchen Reiter hilft kein Bäumen und kein Schlagen.‟
Ja, dieſe Beſchreibung enthält faſt die volle Wahrheit! Nur den Geier muß der Forſcher aus
ihr ſtreichen; denn er folgt dem Löwen nicht zur Nacht: er kommt blos bei Tage, um die Ueberreſte
der königlichen Tafel zu beanſpruchen. Jm Uebrigen hat der Dichter nur zu genau gezeichnet.
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/257>, abgerufen am 22.11.2024.
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