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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Die Raubthiere. Katzen. -- Der Löwe.

Gewöhnlich erliegt ein von dem Löwen erfaßtes Thier schon dem ersten Angriffe. Die gewaltige
Last, welche plötzlich auf seine Schultern fällt, die Todesangst, welche es erfaßt und die Wunden,
welche es im nächsten Augenblicke erhält, verhindern es, noch weit zu laufen. Kraftlos und muthlos
bricht es zusammen, wenige Bisse genügen, die Halswirbelknochen zu zermalmen und den Nerv des
Lebens abzuschneiden. Und der Löwe liegt nun auf seiner Beute, wie ich es schon oben beschrieb,
grollend, mit dem Schwanze peitschend, die Augen starr auf sie geheftet, jede Bewegung verfolgend
und durch neue Bisse noch das letzte Zucken beendend. Mißlingt aber der Sprung, so verfolgt der
Löwe seinen Raub nicht, sondern kehrt fast wie beschämt nach seinem Hinterhalt zurück, Schritt für
Schritt, als ob er die rechte Länge abmessen wolle, bei welcher ihm der Sprung gelungen wäre.

Nicht selten aber kommt es auch vor, daß sich eine Löwenfamilie zur Jagd vereinigt und dann
auch bei Tage einen Angriff versucht. Ein englischer Löwenjäger erzählt Folgendes:

"Eine kleine Herde von Zebras weidete ruhig und unbesorgt in einer Ebene, nicht ahnend, daß
sich ihr ein Löwenpaar mit seinen Jungen lautlos mehr und mehr näherte. Der Löwe und die Löwin
hatten einen ordentlichen Schlachtplan entworfen und stahlen sich so sacht und unbemerklich durch das
hohe Gras, daß sie der scharfen Aufmerksamkeit des Thieres entgingen. So krochen sie heran, bis sie
fast zum Sprunge nahe waren; da bemerkte das Wachtthier plötzlich den fürchterlichen Feind und gab
das Zeichen zur Flucht. Aber es war zu spät. Mit einem einzigen Sprunge setzte der männliche
Löwe über Gras und Büsche hinweg und fiel mit der ganzen Wucht seines Leibes auf das eine Zebra,
welches augenblicklich unter ihm zusammenbrach. Die anderen stiebten angsterfüllt in alle Winde."

Gute Beobachter versichern, daß der Löwe, sobald er hungrig und raublustig ist, Dies durch
Wedeln und Schlagen des Schwanzes auf den Rücken oder durch Schütteln der Mähne zu erkennen
giebt. An Gefangenen und Gezähmten, welche ich selbst besaß, habe ich Dasselbe beobachtet und kann
es mithin nur bestätigen. Kommt also ein Mensch einem im Gebüsch verborgenen Löwen zu nahe, so
braucht man blos auf diese Bewegung zu achten, um zu erfahren, wessen man sich zu versehen hat. Sieht
man einen Löwen, welcher den Schwanz nicht rührt, so kann man kühnlich an ihm vorbeigehen, ja
ihn sogar mit Werfen durch ein Stück Holz aus dem Wege treiben. Das Gerassel eines Wagens, das
Geklatsche einer Peitsche verjagt ihn dann regelmäßig. Wedelt er aber mit dem Schwanze, so darf
man, wenn man nicht gut bewaffnet und ein tüchtiger Schütze ist, auf seinen Tod gefaßt sein. Das
Gleiche, welches hier von dem Menschen gesagt wurde, gilt auch von den Thieren. Es kommt oft
genug vor, daß jagdbare Thiere ohne Gefahr an einem Löwen vorübergehen können; denn ein gesät-
tigter Löwe bemüht sich niemals nach fernerm Raube und verdient schon aus diesem Grunde den
Namen eines großmüthigen Raubthieres.

Jedes von einem Löwen erbeutete Thier wird, wenn Dies angeht, dem Versteck zugeschleppt und
erst dort von ihm gefressen. Die ungeheure Kraft des königlichen Thieres zeigt sich wohl am besten
gerade bei diesem Fortschaffen der Beute. Wenn man bedenkt, was dazu gehören will, mit einem
Rinde im Rachen über einen breiten Graben oder über einen sechs, acht, ja zehn Fuß hohen Zaun zu
setzen, kann man einen richtigen Schluß auf die unglaubliche Stärke des Löwen machen. Blos ganz
erwachsene Büffel und Kamele sind ihm zu schwer; diese fortzuschleppen, ist er nicht im Stande.
Man behauptet sogar, daß er fähig wäre, einen Elefanten durch die Gewalt seines Sprunges
niederzuwerfen, doch dürfte Dies wohl in das Vereich der Fabel gehören und eher mit jener Erzählung
der Araber zu vergleichen sein, welche die Stärke des Löwen zu beweisen sucht. "Ein Löwe," so
erzählte man mir in Ostsudahn, "sprang auf ein zur Tränke gehendes Kamel und suchte es vom Ufer
des Flusses weg nach dem Walde zu ziehen. Jm gleichen Augenblicke aber schoß ein riesiges Krokodil
aus dem Wasser hervor und packte dasselbe Kamel am Halse. Der Löwe zog nach oben, das Krokodil
nach unten, keins ließ nach; da riß das Kamel mitten von einander." Jst es nun auch nach meinen
eigenen Beobachtungen begründet, daß das Krokodil wirklich einem Stier und also auch einem
Kamele den Kopf abreißen kann, so ist doch nicht wahrscheinlich, daß es sich auf ein Kamel stürzt,
welches eben von einem Löwen gepackt wird, und vielleicht unmöglich, daß die beiden Thiere durch

Die Raubthiere. Katzen. — Der Löwe.

Gewöhnlich erliegt ein von dem Löwen erfaßtes Thier ſchon dem erſten Angriffe. Die gewaltige
Laſt, welche plötzlich auf ſeine Schultern fällt, die Todesangſt, welche es erfaßt und die Wunden,
welche es im nächſten Augenblicke erhält, verhindern es, noch weit zu laufen. Kraftlos und muthlos
bricht es zuſammen, wenige Biſſe genügen, die Halswirbelknochen zu zermalmen und den Nerv des
Lebens abzuſchneiden. Und der Löwe liegt nun auf ſeiner Beute, wie ich es ſchon oben beſchrieb,
grollend, mit dem Schwanze peitſchend, die Augen ſtarr auf ſie geheftet, jede Bewegung verfolgend
und durch neue Biſſe noch das letzte Zucken beendend. Mißlingt aber der Sprung, ſo verfolgt der
Löwe ſeinen Raub nicht, ſondern kehrt faſt wie beſchämt nach ſeinem Hinterhalt zurück, Schritt für
Schritt, als ob er die rechte Länge abmeſſen wolle, bei welcher ihm der Sprung gelungen wäre.

Nicht ſelten aber kommt es auch vor, daß ſich eine Löwenfamilie zur Jagd vereinigt und dann
auch bei Tage einen Angriff verſucht. Ein engliſcher Löwenjäger erzählt Folgendes:

„Eine kleine Herde von Zebras weidete ruhig und unbeſorgt in einer Ebene, nicht ahnend, daß
ſich ihr ein Löwenpaar mit ſeinen Jungen lautlos mehr und mehr näherte. Der Löwe und die Löwin
hatten einen ordentlichen Schlachtplan entworfen und ſtahlen ſich ſo ſacht und unbemerklich durch das
hohe Gras, daß ſie der ſcharfen Aufmerkſamkeit des Thieres entgingen. So krochen ſie heran, bis ſie
faſt zum Sprunge nahe waren; da bemerkte das Wachtthier plötzlich den fürchterlichen Feind und gab
das Zeichen zur Flucht. Aber es war zu ſpät. Mit einem einzigen Sprunge ſetzte der männliche
Löwe über Gras und Büſche hinweg und fiel mit der ganzen Wucht ſeines Leibes auf das eine Zebra,
welches augenblicklich unter ihm zuſammenbrach. Die anderen ſtiebten angſterfüllt in alle Winde.‟

Gute Beobachter verſichern, daß der Löwe, ſobald er hungrig und raubluſtig iſt, Dies durch
Wedeln und Schlagen des Schwanzes auf den Rücken oder durch Schütteln der Mähne zu erkennen
giebt. An Gefangenen und Gezähmten, welche ich ſelbſt beſaß, habe ich Daſſelbe beobachtet und kann
es mithin nur beſtätigen. Kommt alſo ein Menſch einem im Gebüſch verborgenen Löwen zu nahe, ſo
braucht man blos auf dieſe Bewegung zu achten, um zu erfahren, weſſen man ſich zu verſehen hat. Sieht
man einen Löwen, welcher den Schwanz nicht rührt, ſo kann man kühnlich an ihm vorbeigehen, ja
ihn ſogar mit Werfen durch ein Stück Holz aus dem Wege treiben. Das Geraſſel eines Wagens, das
Geklatſche einer Peitſche verjagt ihn dann regelmäßig. Wedelt er aber mit dem Schwanze, ſo darf
man, wenn man nicht gut bewaffnet und ein tüchtiger Schütze iſt, auf ſeinen Tod gefaßt ſein. Das
Gleiche, welches hier von dem Menſchen geſagt wurde, gilt auch von den Thieren. Es kommt oft
genug vor, daß jagdbare Thiere ohne Gefahr an einem Löwen vorübergehen können; denn ein geſät-
tigter Löwe bemüht ſich niemals nach fernerm Raube und verdient ſchon aus dieſem Grunde den
Namen eines großmüthigen Raubthieres.

Jedes von einem Löwen erbeutete Thier wird, wenn Dies angeht, dem Verſteck zugeſchleppt und
erſt dort von ihm gefreſſen. Die ungeheure Kraft des königlichen Thieres zeigt ſich wohl am beſten
gerade bei dieſem Fortſchaffen der Beute. Wenn man bedenkt, was dazu gehören will, mit einem
Rinde im Rachen über einen breiten Graben oder über einen ſechs, acht, ja zehn Fuß hohen Zaun zu
ſetzen, kann man einen richtigen Schluß auf die unglaubliche Stärke des Löwen machen. Blos ganz
erwachſene Büffel und Kamele ſind ihm zu ſchwer; dieſe fortzuſchleppen, iſt er nicht im Stande.
Man behauptet ſogar, daß er fähig wäre, einen Elefanten durch die Gewalt ſeines Sprunges
niederzuwerfen, doch dürfte Dies wohl in das Vereich der Fabel gehören und eher mit jener Erzählung
der Araber zu vergleichen ſein, welche die Stärke des Löwen zu beweiſen ſucht. „Ein Löwe,‟ ſo
erzählte man mir in Oſtſudahn, „ſprang auf ein zur Tränke gehendes Kamel und ſuchte es vom Ufer
des Fluſſes weg nach dem Walde zu ziehen. Jm gleichen Augenblicke aber ſchoß ein rieſiges Krokodil
aus dem Waſſer hervor und packte daſſelbe Kamel am Halſe. Der Löwe zog nach oben, das Krokodil
nach unten, keins ließ nach; da riß das Kamel mitten von einander.‟ Jſt es nun auch nach meinen
eigenen Beobachtungen begründet, daß das Krokodil wirklich einem Stier und alſo auch einem
Kamele den Kopf abreißen kann, ſo iſt doch nicht wahrſcheinlich, daß es ſich auf ein Kamel ſtürzt,
welches eben von einem Löwen gepackt wird, und vielleicht unmöglich, daß die beiden Thiere durch

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[198/0258] Die Raubthiere. Katzen. — Der Löwe. Gewöhnlich erliegt ein von dem Löwen erfaßtes Thier ſchon dem erſten Angriffe. Die gewaltige Laſt, welche plötzlich auf ſeine Schultern fällt, die Todesangſt, welche es erfaßt und die Wunden, welche es im nächſten Augenblicke erhält, verhindern es, noch weit zu laufen. Kraftlos und muthlos bricht es zuſammen, wenige Biſſe genügen, die Halswirbelknochen zu zermalmen und den Nerv des Lebens abzuſchneiden. Und der Löwe liegt nun auf ſeiner Beute, wie ich es ſchon oben beſchrieb, grollend, mit dem Schwanze peitſchend, die Augen ſtarr auf ſie geheftet, jede Bewegung verfolgend und durch neue Biſſe noch das letzte Zucken beendend. Mißlingt aber der Sprung, ſo verfolgt der Löwe ſeinen Raub nicht, ſondern kehrt faſt wie beſchämt nach ſeinem Hinterhalt zurück, Schritt für Schritt, als ob er die rechte Länge abmeſſen wolle, bei welcher ihm der Sprung gelungen wäre. Nicht ſelten aber kommt es auch vor, daß ſich eine Löwenfamilie zur Jagd vereinigt und dann auch bei Tage einen Angriff verſucht. Ein engliſcher Löwenjäger erzählt Folgendes: „Eine kleine Herde von Zebras weidete ruhig und unbeſorgt in einer Ebene, nicht ahnend, daß ſich ihr ein Löwenpaar mit ſeinen Jungen lautlos mehr und mehr näherte. Der Löwe und die Löwin hatten einen ordentlichen Schlachtplan entworfen und ſtahlen ſich ſo ſacht und unbemerklich durch das hohe Gras, daß ſie der ſcharfen Aufmerkſamkeit des Thieres entgingen. So krochen ſie heran, bis ſie faſt zum Sprunge nahe waren; da bemerkte das Wachtthier plötzlich den fürchterlichen Feind und gab das Zeichen zur Flucht. Aber es war zu ſpät. Mit einem einzigen Sprunge ſetzte der männliche Löwe über Gras und Büſche hinweg und fiel mit der ganzen Wucht ſeines Leibes auf das eine Zebra, welches augenblicklich unter ihm zuſammenbrach. Die anderen ſtiebten angſterfüllt in alle Winde.‟ Gute Beobachter verſichern, daß der Löwe, ſobald er hungrig und raubluſtig iſt, Dies durch Wedeln und Schlagen des Schwanzes auf den Rücken oder durch Schütteln der Mähne zu erkennen giebt. An Gefangenen und Gezähmten, welche ich ſelbſt beſaß, habe ich Daſſelbe beobachtet und kann es mithin nur beſtätigen. Kommt alſo ein Menſch einem im Gebüſch verborgenen Löwen zu nahe, ſo braucht man blos auf dieſe Bewegung zu achten, um zu erfahren, weſſen man ſich zu verſehen hat. Sieht man einen Löwen, welcher den Schwanz nicht rührt, ſo kann man kühnlich an ihm vorbeigehen, ja ihn ſogar mit Werfen durch ein Stück Holz aus dem Wege treiben. Das Geraſſel eines Wagens, das Geklatſche einer Peitſche verjagt ihn dann regelmäßig. Wedelt er aber mit dem Schwanze, ſo darf man, wenn man nicht gut bewaffnet und ein tüchtiger Schütze iſt, auf ſeinen Tod gefaßt ſein. Das Gleiche, welches hier von dem Menſchen geſagt wurde, gilt auch von den Thieren. Es kommt oft genug vor, daß jagdbare Thiere ohne Gefahr an einem Löwen vorübergehen können; denn ein geſät- tigter Löwe bemüht ſich niemals nach fernerm Raube und verdient ſchon aus dieſem Grunde den Namen eines großmüthigen Raubthieres. Jedes von einem Löwen erbeutete Thier wird, wenn Dies angeht, dem Verſteck zugeſchleppt und erſt dort von ihm gefreſſen. Die ungeheure Kraft des königlichen Thieres zeigt ſich wohl am beſten gerade bei dieſem Fortſchaffen der Beute. Wenn man bedenkt, was dazu gehören will, mit einem Rinde im Rachen über einen breiten Graben oder über einen ſechs, acht, ja zehn Fuß hohen Zaun zu ſetzen, kann man einen richtigen Schluß auf die unglaubliche Stärke des Löwen machen. Blos ganz erwachſene Büffel und Kamele ſind ihm zu ſchwer; dieſe fortzuſchleppen, iſt er nicht im Stande. Man behauptet ſogar, daß er fähig wäre, einen Elefanten durch die Gewalt ſeines Sprunges niederzuwerfen, doch dürfte Dies wohl in das Vereich der Fabel gehören und eher mit jener Erzählung der Araber zu vergleichen ſein, welche die Stärke des Löwen zu beweiſen ſucht. „Ein Löwe,‟ ſo erzählte man mir in Oſtſudahn, „ſprang auf ein zur Tränke gehendes Kamel und ſuchte es vom Ufer des Fluſſes weg nach dem Walde zu ziehen. Jm gleichen Augenblicke aber ſchoß ein rieſiges Krokodil aus dem Waſſer hervor und packte daſſelbe Kamel am Halſe. Der Löwe zog nach oben, das Krokodil nach unten, keins ließ nach; da riß das Kamel mitten von einander.‟ Jſt es nun auch nach meinen eigenen Beobachtungen begründet, daß das Krokodil wirklich einem Stier und alſo auch einem Kamele den Kopf abreißen kann, ſo iſt doch nicht wahrſcheinlich, daß es ſich auf ein Kamel ſtürzt, welches eben von einem Löwen gepackt wird, und vielleicht unmöglich, daß die beiden Thiere durch

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/258>, abgerufen am 22.11.2024.