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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Der Löwe als Geguer des Menschen.
Landmann, mit Namen Kock," so berichtet Sparrmann in seiner Reise nach Südafrika, "stieß bei
einem Spaziergange auf einen Löwen. Er legte auf ihn an, verfehlte ihn aber und wurde von ihm
verfolgt. Als er außer Athem war, kletterte er auf einen Steinhaufen und hob den Flintenkolben hoch
in die Höhe. Der Löwe legte sich auf zwanzig Schritte vor ihm hin; nach einer halben Stunde aber
stand er auf, ging Anfangs Schritt für Schritt zurück, als wenn er sich fortstehlen wollte, und erst als
er ein Stück weit war, fing er an, aus allen Kräften zu laufen." Man behauptet, daß er sich selbst
dann, wenn er sich schon zum Sprunge niederlegt, nicht getraue, denselben auszuführen, wenn ihm der
Mensch unbeweglich ins Auge sieht. Wenn er den leichten Kampf mit einem Manne nicht schon ein-
mal versucht, flößt ihm die hohe Gestalt desselben Furcht und Mißtrauen in seine eigne Stärke ein,
und eine ruhige Haltung des Körpers, ein muthiges Auge kräftigt diesen Eindruck mit jedem Augen-
blick. Eine unbedachtsame Bewegung aber, welche ihm Furcht verräth oder ihn zur Vertheidigung
aufreizt, erweckt den Muth und das Selbstvertrauen des Löwen wieder, und dann ist auch der Mann
verloren. Daß er vor dem ruhig dastehenden Menschen die Flucht ergreift, ist ein Beweis, daß er sich
vor dem Menschen ebenso gefürchtet hat, wie dieser sich vor ihm. Anders ist es freilich, wenn er schon
mehrmals mit Menschen gekämpft hat, oder wenn er sehr hungrig ist.

Es kommt wirklich vor, daß der Löwe einen Menschen mit großer Hartnäckigkeit verfolgt. So
erzählt Barrow Folgendes: "Am Kamiehsberge im Lande der Namaken wollte ein Hottentott eine
Herde Rindvieh zum Wasser treiben, als er einen Löwen erblickte. Er floh mitten durch die Herde in
der Hoffnung, daß der Löwe eher ein Stück Vieh ergreifen, als ihm folgen würde. Doch er irrte.
Der Löwe brach durch die Herde und folgte dem Hottentotten, welcher jedoch noch so glücklich war,
auf einen Aloebaum zu klettern und sich hier hinter einen Haufen Nester des Gesellschaftsweber-
vogels
(Ploceus socius) zu verstecken. Der Löwe that einen Sprung nach ihm hinauf, verfehlte
jedoch, sank zurück und fiel zu Boden. Jn mürrischem Schweigen ging er um den Baum, warf dann
und wann einen schrecklichen Blick hinauf, legte sich endlich nieder und ging nun 24 Stunden nicht
von der Stelle. Endlich kehrte er zur Quelle zurück, um seinen Durst zu stillen. Der Hottentott stieg
herunter und lief nach seinem Hause, welches nur eine Viertelmeile entfernt war. Der Löwe folgte
ihm aber und kehrte erst 300 Schritt vor dem Hause um.

Unter allen Umständen bleibt es mißlich, vor dem Löwen zu fliehen, denn er ist schnell genug zu
Fuß; man hat beobachtet, daß er verwegene Jäger fast eingeholt hätte, obgleich sie auf guten Jagd-
pferden saßen. Wer bei einem Zusammentreffen mit dem Löwen Herz genug hat, ruhig stehen zu
bleiben, den greift er so leicht nicht an. Aber zu einem solchen Wagstück gehört ein besonnener
Mannesmuth, der eben nicht Jedem gegeben ist.

Es ist sehr beachtenswerth, daß der Löwe, wie vielfache Beobachtungen dargethan haben,
Kinder nur selten angreift. Man kennt Beispiele, daß das furchtbare Raubthier ganz ruhig an
die Häuser heran kam, ohne dort irgend Jemandem Etwas zu Leide zu thun. Lichtenstein ver-
bürgt ein solches Beispiel:

"Bei Rietrivierspoort kamen wir an die Wohnung eines gewissen van Wyck. Jndessen wir
unser Vieh ein wenig weiden ließen und in der Thür des Hauses den Schatten suchten, begann
van Wyck folgendermaßen: "Es ist etwas über zwei Jahre, daß ich auf der Stelle, wo wir hier
stehen, einen schweren Schuß gewagt habe. Hier im Hause, neben der Thür, saß meine Frau. Die
Kinder spielten neben ihr, und ich war draußen zur Seite des Hauses an meinem Wagen beschäftigt,
als plötzlich am hellen Tage ein großer Löwe erschien und sich ruhig auf der Schwelle in den Schatten
legte. Die Frau, vor Schrecken erstarrt und mit der Gefahr des Fliehens bekannt, blieb auf ihrem
Platze, die Kinder flohen in ihren Schos. Jhr Geschrei machte mich aufmerksam; ich eilte nach der
Thür, und man denke sich mein Erstannen, als ich den Zugang auf diese Weise versperrt sah. Ob-
gleich das Thier mich nicht gesehen hatte, so schien doch, unbewaffnet, wie ich war, alle Rettung
unmöglich. Doch bewegte ich mich fast unwillkürlich nach der Seite des Hauses zu dem Fenster des
Zimmers, in welchem mein geladnes Gewehr stand. Glücklicherweise hatte ich es zufüllig in die nächste

Der Löwe als Geguer des Menſchen.
Landmann, mit Namen Kock,‟ ſo berichtet Sparrmann in ſeiner Reiſe nach Südafrika, „ſtieß bei
einem Spaziergange auf einen Löwen. Er legte auf ihn an, verfehlte ihn aber und wurde von ihm
verfolgt. Als er außer Athem war, kletterte er auf einen Steinhaufen und hob den Flintenkolben hoch
in die Höhe. Der Löwe legte ſich auf zwanzig Schritte vor ihm hin; nach einer halben Stunde aber
ſtand er auf, ging Anfangs Schritt für Schritt zurück, als wenn er ſich fortſtehlen wollte, und erſt als
er ein Stück weit war, fing er an, aus allen Kräften zu laufen.‟ Man behauptet, daß er ſich ſelbſt
dann, wenn er ſich ſchon zum Sprunge niederlegt, nicht getraue, denſelben auszuführen, wenn ihm der
Menſch unbeweglich ins Auge ſieht. Wenn er den leichten Kampf mit einem Manne nicht ſchon ein-
mal verſucht, flößt ihm die hohe Geſtalt deſſelben Furcht und Mißtrauen in ſeine eigne Stärke ein,
und eine ruhige Haltung des Körpers, ein muthiges Auge kräftigt dieſen Eindruck mit jedem Augen-
blick. Eine unbedachtſame Bewegung aber, welche ihm Furcht verräth oder ihn zur Vertheidigung
aufreizt, erweckt den Muth und das Selbſtvertrauen des Löwen wieder, und dann iſt auch der Mann
verloren. Daß er vor dem ruhig daſtehenden Menſchen die Flucht ergreift, iſt ein Beweis, daß er ſich
vor dem Menſchen ebenſo gefürchtet hat, wie dieſer ſich vor ihm. Anders iſt es freilich, wenn er ſchon
mehrmals mit Menſchen gekämpft hat, oder wenn er ſehr hungrig iſt.

Es kommt wirklich vor, daß der Löwe einen Menſchen mit großer Hartnäckigkeit verfolgt. So
erzählt Barrow Folgendes: „Am Kamiehsberge im Lande der Namaken wollte ein Hottentott eine
Herde Rindvieh zum Waſſer treiben, als er einen Löwen erblickte. Er floh mitten durch die Herde in
der Hoffnung, daß der Löwe eher ein Stück Vieh ergreifen, als ihm folgen würde. Doch er irrte.
Der Löwe brach durch die Herde und folgte dem Hottentotten, welcher jedoch noch ſo glücklich war,
auf einen Aloebaum zu klettern und ſich hier hinter einen Haufen Neſter des Geſellſchaftsweber-
vogels
(Ploceus socius) zu verſtecken. Der Löwe that einen Sprung nach ihm hinauf, verfehlte
jedoch, ſank zurück und fiel zu Boden. Jn mürriſchem Schweigen ging er um den Baum, warf dann
und wann einen ſchrecklichen Blick hinauf, legte ſich endlich nieder und ging nun 24 Stunden nicht
von der Stelle. Endlich kehrte er zur Quelle zurück, um ſeinen Durſt zu ſtillen. Der Hottentott ſtieg
herunter und lief nach ſeinem Hauſe, welches nur eine Viertelmeile entfernt war. Der Löwe folgte
ihm aber und kehrte erſt 300 Schritt vor dem Hauſe um.

Unter allen Umſtänden bleibt es mißlich, vor dem Löwen zu fliehen, denn er iſt ſchnell genug zu
Fuß; man hat beobachtet, daß er verwegene Jäger faſt eingeholt hätte, obgleich ſie auf guten Jagd-
pferden ſaßen. Wer bei einem Zuſammentreffen mit dem Löwen Herz genug hat, ruhig ſtehen zu
bleiben, den greift er ſo leicht nicht an. Aber zu einem ſolchen Wagſtück gehört ein beſonnener
Mannesmuth, der eben nicht Jedem gegeben iſt.

Es iſt ſehr beachtenswerth, daß der Löwe, wie vielfache Beobachtungen dargethan haben,
Kinder nur ſelten angreift. Man kennt Beiſpiele, daß das furchtbare Raubthier ganz ruhig an
die Häuſer heran kam, ohne dort irgend Jemandem Etwas zu Leide zu thun. Lichtenſtein ver-
bürgt ein ſolches Beiſpiel:

„Bei Rietrivierspoort kamen wir an die Wohnung eines gewiſſen van Wyck. Jndeſſen wir
unſer Vieh ein wenig weiden ließen und in der Thür des Hauſes den Schatten ſuchten, begann
van Wyck folgendermaßen: „Es iſt etwas über zwei Jahre, daß ich auf der Stelle, wo wir hier
ſtehen, einen ſchweren Schuß gewagt habe. Hier im Hauſe, neben der Thür, ſaß meine Frau. Die
Kinder ſpielten neben ihr, und ich war draußen zur Seite des Hauſes an meinem Wagen beſchäftigt,
als plötzlich am hellen Tage ein großer Löwe erſchien und ſich ruhig auf der Schwelle in den Schatten
legte. Die Frau, vor Schrecken erſtarrt und mit der Gefahr des Fliehens bekannt, blieb auf ihrem
Platze, die Kinder flohen in ihren Schos. Jhr Geſchrei machte mich aufmerkſam; ich eilte nach der
Thür, und man denke ſich mein Erſtannen, als ich den Zugang auf dieſe Weiſe verſperrt ſah. Ob-
gleich das Thier mich nicht geſehen hatte, ſo ſchien doch, unbewaffnet, wie ich war, alle Rettung
unmöglich. Doch bewegte ich mich faſt unwillkürlich nach der Seite des Hauſes zu dem Fenſter des
Zimmers, in welchem mein geladnes Gewehr ſtand. Glücklicherweiſe hatte ich es zufüllig in die nächſte

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[201/0261] Der Löwe als Geguer des Menſchen. Landmann, mit Namen Kock,‟ ſo berichtet Sparrmann in ſeiner Reiſe nach Südafrika, „ſtieß bei einem Spaziergange auf einen Löwen. Er legte auf ihn an, verfehlte ihn aber und wurde von ihm verfolgt. Als er außer Athem war, kletterte er auf einen Steinhaufen und hob den Flintenkolben hoch in die Höhe. Der Löwe legte ſich auf zwanzig Schritte vor ihm hin; nach einer halben Stunde aber ſtand er auf, ging Anfangs Schritt für Schritt zurück, als wenn er ſich fortſtehlen wollte, und erſt als er ein Stück weit war, fing er an, aus allen Kräften zu laufen.‟ Man behauptet, daß er ſich ſelbſt dann, wenn er ſich ſchon zum Sprunge niederlegt, nicht getraue, denſelben auszuführen, wenn ihm der Menſch unbeweglich ins Auge ſieht. Wenn er den leichten Kampf mit einem Manne nicht ſchon ein- mal verſucht, flößt ihm die hohe Geſtalt deſſelben Furcht und Mißtrauen in ſeine eigne Stärke ein, und eine ruhige Haltung des Körpers, ein muthiges Auge kräftigt dieſen Eindruck mit jedem Augen- blick. Eine unbedachtſame Bewegung aber, welche ihm Furcht verräth oder ihn zur Vertheidigung aufreizt, erweckt den Muth und das Selbſtvertrauen des Löwen wieder, und dann iſt auch der Mann verloren. Daß er vor dem ruhig daſtehenden Menſchen die Flucht ergreift, iſt ein Beweis, daß er ſich vor dem Menſchen ebenſo gefürchtet hat, wie dieſer ſich vor ihm. Anders iſt es freilich, wenn er ſchon mehrmals mit Menſchen gekämpft hat, oder wenn er ſehr hungrig iſt. Es kommt wirklich vor, daß der Löwe einen Menſchen mit großer Hartnäckigkeit verfolgt. So erzählt Barrow Folgendes: „Am Kamiehsberge im Lande der Namaken wollte ein Hottentott eine Herde Rindvieh zum Waſſer treiben, als er einen Löwen erblickte. Er floh mitten durch die Herde in der Hoffnung, daß der Löwe eher ein Stück Vieh ergreifen, als ihm folgen würde. Doch er irrte. Der Löwe brach durch die Herde und folgte dem Hottentotten, welcher jedoch noch ſo glücklich war, auf einen Aloebaum zu klettern und ſich hier hinter einen Haufen Neſter des Geſellſchaftsweber- vogels (Ploceus socius) zu verſtecken. Der Löwe that einen Sprung nach ihm hinauf, verfehlte jedoch, ſank zurück und fiel zu Boden. Jn mürriſchem Schweigen ging er um den Baum, warf dann und wann einen ſchrecklichen Blick hinauf, legte ſich endlich nieder und ging nun 24 Stunden nicht von der Stelle. Endlich kehrte er zur Quelle zurück, um ſeinen Durſt zu ſtillen. Der Hottentott ſtieg herunter und lief nach ſeinem Hauſe, welches nur eine Viertelmeile entfernt war. Der Löwe folgte ihm aber und kehrte erſt 300 Schritt vor dem Hauſe um. Unter allen Umſtänden bleibt es mißlich, vor dem Löwen zu fliehen, denn er iſt ſchnell genug zu Fuß; man hat beobachtet, daß er verwegene Jäger faſt eingeholt hätte, obgleich ſie auf guten Jagd- pferden ſaßen. Wer bei einem Zuſammentreffen mit dem Löwen Herz genug hat, ruhig ſtehen zu bleiben, den greift er ſo leicht nicht an. Aber zu einem ſolchen Wagſtück gehört ein beſonnener Mannesmuth, der eben nicht Jedem gegeben iſt. Es iſt ſehr beachtenswerth, daß der Löwe, wie vielfache Beobachtungen dargethan haben, Kinder nur ſelten angreift. Man kennt Beiſpiele, daß das furchtbare Raubthier ganz ruhig an die Häuſer heran kam, ohne dort irgend Jemandem Etwas zu Leide zu thun. Lichtenſtein ver- bürgt ein ſolches Beiſpiel: „Bei Rietrivierspoort kamen wir an die Wohnung eines gewiſſen van Wyck. Jndeſſen wir unſer Vieh ein wenig weiden ließen und in der Thür des Hauſes den Schatten ſuchten, begann van Wyck folgendermaßen: „Es iſt etwas über zwei Jahre, daß ich auf der Stelle, wo wir hier ſtehen, einen ſchweren Schuß gewagt habe. Hier im Hauſe, neben der Thür, ſaß meine Frau. Die Kinder ſpielten neben ihr, und ich war draußen zur Seite des Hauſes an meinem Wagen beſchäftigt, als plötzlich am hellen Tage ein großer Löwe erſchien und ſich ruhig auf der Schwelle in den Schatten legte. Die Frau, vor Schrecken erſtarrt und mit der Gefahr des Fliehens bekannt, blieb auf ihrem Platze, die Kinder flohen in ihren Schos. Jhr Geſchrei machte mich aufmerkſam; ich eilte nach der Thür, und man denke ſich mein Erſtannen, als ich den Zugang auf dieſe Weiſe verſperrt ſah. Ob- gleich das Thier mich nicht geſehen hatte, ſo ſchien doch, unbewaffnet, wie ich war, alle Rettung unmöglich. Doch bewegte ich mich faſt unwillkürlich nach der Seite des Hauſes zu dem Fenſter des Zimmers, in welchem mein geladnes Gewehr ſtand. Glücklicherweiſe hatte ich es zufüllig in die nächſte

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/261>, abgerufen am 22.11.2024.