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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Die Raubthiere. Katzen. -- Tiger. Nebelparder.
weit in der Zähmung des Tigers gebracht; sehr häufig wagen die Thierbändiger, selbst zu ihnen in
den Käfig zu gehen und allerlei Spiele oder sogenannte Kunststücke mit ihnen zu treiben. Allein eine
gefährliche Sache bleibt das immer. Als echte Katze zeigt der Tiger an Diejenigen, welche ihm
schmeicheln, eine gewisse Anhänglichkeit und erwiedert auch wohl Liebkosungen oder läßt sie sich
wenigstens gefallen: doch bleibt seine Freundschaft stets zweifelhaft, und wohl blos solange, als er die
Herrschaft des Menschen anerkennt, läßt er sich von diesem mancherlei anthun, was seiner eigentlichen
Natur zuwider ist. Volles Vertrauen verdient er nie. -- Die beiden schönen Tiger unseres Thier-
gartens begrüßen mich durch ein eigenthümliches Schnauben, sobald ich mich zeige, und lecken mir
zärtlich die Hand; dennoch darf ich mich niemals verleiten lassen, die ihnen gegenüber nöthige Vor-
sicht zu vergessen: es liegen hierfür zu viele warnende Thatsachen vor. Ein jung aufgezogener Tiger
in Batavia, welcher aus seinem Käfig entkam und entflohen war, tödtete sofort ein Pferd, obgleich
er sich den Menschen und Thieren bisher als sehr freundlich gesinnt gezeigt hatte. Er mußte erschossen
werden. Von anderen. welche im Käfig sich befanden, erfuhr man leider nur zu häufig Beweise ihrer
Unbändigkeit und Grausamkeit, und mehr als ein Thierwärter oder neugieriger Beschauer hat durch
den Tiger sogar hier in Europa sein Leben eingebüßt.

Dagegen sind auch Beispiele bekannt, daß zahme Tiger große Anhänglichkeit an ihre Wärter
bewiesen. Ein junger Tiger, welcher einstmals nach England gebracht wurde, hatte während der Reise
in den Schiffszimmermann einen Freund gefunden, der ihn pflegte und wartete, aber, wenn er sich
ungebührlich bezeigte, auch züchtigte. Jn Anerkennung des Erstern ließ sich der Tiger das Letztere wie
ein Hund gefallen, und als sein Pfleger ihn nach zwei Jahren wiedersah, erkannte er ihn nicht nur
sogleich, sondern legte so große Freude an den Tag, daß der Zimmermann zu ihm in den Käfig ging,
wo er mit Schmeicheleien aller Art empfangen wurde. Erst nach drei Stunden gelang es ihm, von
seinem überzärtlichen Freunde wieder loszukommen.

Auch an Hunde gewöhnt sich der gefangene Tiger, und man kennt ebenso wie bei dem Löwen
Beispiele, daß einer oder der andere einen Hund, der zu ihm in den Käfig geworfen wurde, plötzlich in
Gnaden aufnahm und später sogar zärtlich lieben lernte.

Alt gefangene Tiger werden niemals zahm.

Bisweilen pflanzt sich der Tiger selbst in der Gefangenschaft fort, und man kennt Beispiele, daß
er sich mit dem Löwen begattet und Blendlinge zur Welt gebracht hat, welche zwischen beiden in der
Mitte stehen, immer aber die Streifen des Tigers tragen.

Die indischen Fürsten scheinen noch vor wenigen Jahrhunderten die Kunst verstanden zu haben.
Tiger vollkommen zu zähmen, ja sogar zur Jagd abzurichten. "Der Khan der Tartarei," sagt Marco
Polo,
"hatte in seiner eroberten Stadt Kambalu viele Leoparden und Luchse, womit er jagte,
desgleichen viele Löwen, welche größer sind, als die von Babylon, schöne Haare haben und schöne
Farben, nämlich weiße, schwarze und rothe Striemen, und brauchbar sind, wilde Schweine, Ochsen,
wilde Esel, Bären, Hirsche, Rehe und viele andere Thiere zu fangen. Es ist wunderbar anzu-
schauen, wenn ein Löwe dergleichen Thiere fängt, mit welcher Wuth und Schnelligkeit er es ausführt.
Der Khan läßt sie in Käfigen auf Karren führen neben einem Hündlein, an daß sie sich gewöhnen.
Man muß sie in Käfigen führen, weil sie sonst gar zu wüthend dem Wilde nachlaufen, sodaß man sie
nicht halten könnte. Auch muß man sie gegen den Wind bringen, weil sonst das Wild sie riechen und
fliehen würde. Der große Khan hat auch Adler, welche Rehe, Füchse, Wölfe und Damm-
hirsche
fangen, und gebraucht oft zu einer einzigen Jagd 10,000 Menschen, 500 Hunde und eine
Menge Falken. Er reitet abwechselnd auf zehn Elefanten und hat im Walde eine Hütte von prächtig
ausgearbeitetem Holze, inwendig mit Goldtüchern, auswendig mit Löwenhäuten bedeckt. Seine Jäger,
Aerzte und Sternkundigen tragen Kleider mit Hermelin und Zobel, wovon ein Kleid 2000 Gold-
gulden kostet."

Die indischen Fürsten lassen die gefangenen Tiger zuweilen auch mit anderen starken Thieren
kämpfen, namentlich mit Elefanten. Tachard sah einen solchen Kampf in Siam. Jn eine Um-

Die Raubthiere. Katzen. — Tiger. Nebelparder.
weit in der Zähmung des Tigers gebracht; ſehr häufig wagen die Thierbändiger, ſelbſt zu ihnen in
den Käfig zu gehen und allerlei Spiele oder ſogenannte Kunſtſtücke mit ihnen zu treiben. Allein eine
gefährliche Sache bleibt das immer. Als echte Katze zeigt der Tiger an Diejenigen, welche ihm
ſchmeicheln, eine gewiſſe Anhänglichkeit und erwiedert auch wohl Liebkoſungen oder läßt ſie ſich
wenigſtens gefallen: doch bleibt ſeine Freundſchaft ſtets zweifelhaft, und wohl blos ſolange, als er die
Herrſchaft des Menſchen anerkennt, läßt er ſich von dieſem mancherlei anthun, was ſeiner eigentlichen
Natur zuwider iſt. Volles Vertrauen verdient er nie. — Die beiden ſchönen Tiger unſeres Thier-
gartens begrüßen mich durch ein eigenthümliches Schnauben, ſobald ich mich zeige, und lecken mir
zärtlich die Hand; dennoch darf ich mich niemals verleiten laſſen, die ihnen gegenüber nöthige Vor-
ſicht zu vergeſſen: es liegen hierfür zu viele warnende Thatſachen vor. Ein jung aufgezogener Tiger
in Batavia, welcher aus ſeinem Käfig entkam und entflohen war, tödtete ſofort ein Pferd, obgleich
er ſich den Menſchen und Thieren bisher als ſehr freundlich geſinnt gezeigt hatte. Er mußte erſchoſſen
werden. Von anderen. welche im Käfig ſich befanden, erfuhr man leider nur zu häufig Beweiſe ihrer
Unbändigkeit und Grauſamkeit, und mehr als ein Thierwärter oder neugieriger Beſchauer hat durch
den Tiger ſogar hier in Europa ſein Leben eingebüßt.

Dagegen ſind auch Beiſpiele bekannt, daß zahme Tiger große Anhänglichkeit an ihre Wärter
bewieſen. Ein junger Tiger, welcher einſtmals nach England gebracht wurde, hatte während der Reiſe
in den Schiffszimmermann einen Freund gefunden, der ihn pflegte und wartete, aber, wenn er ſich
ungebührlich bezeigte, auch züchtigte. Jn Anerkennung des Erſtern ließ ſich der Tiger das Letztere wie
ein Hund gefallen, und als ſein Pfleger ihn nach zwei Jahren wiederſah, erkannte er ihn nicht nur
ſogleich, ſondern legte ſo große Freude an den Tag, daß der Zimmermann zu ihm in den Käfig ging,
wo er mit Schmeicheleien aller Art empfangen wurde. Erſt nach drei Stunden gelang es ihm, von
ſeinem überzärtlichen Freunde wieder loszukommen.

Auch an Hunde gewöhnt ſich der gefangene Tiger, und man kennt ebenſo wie bei dem Löwen
Beiſpiele, daß einer oder der andere einen Hund, der zu ihm in den Käfig geworfen wurde, plötzlich in
Gnaden aufnahm und ſpäter ſogar zärtlich lieben lernte.

Alt gefangene Tiger werden niemals zahm.

Bisweilen pflanzt ſich der Tiger ſelbſt in der Gefangenſchaft fort, und man kennt Beiſpiele, daß
er ſich mit dem Löwen begattet und Blendlinge zur Welt gebracht hat, welche zwiſchen beiden in der
Mitte ſtehen, immer aber die Streifen des Tigers tragen.

Die indiſchen Fürſten ſcheinen noch vor wenigen Jahrhunderten die Kunſt verſtanden zu haben.
Tiger vollkommen zu zähmen, ja ſogar zur Jagd abzurichten. „Der Khan der Tartarei,‟ ſagt Marco
Polo,
„hatte in ſeiner eroberten Stadt Kambalu viele Leoparden und Luchſe, womit er jagte,
desgleichen viele Löwen, welche größer ſind, als die von Babylon, ſchöne Haare haben und ſchöne
Farben, nämlich weiße, ſchwarze und rothe Striemen, und brauchbar ſind, wilde Schweine, Ochſen,
wilde Eſel, Bären, Hirſche, Rehe und viele andere Thiere zu fangen. Es iſt wunderbar anzu-
ſchauen, wenn ein Löwe dergleichen Thiere fängt, mit welcher Wuth und Schnelligkeit er es ausführt.
Der Khan läßt ſie in Käfigen auf Karren führen neben einem Hündlein, an daß ſie ſich gewöhnen.
Man muß ſie in Käfigen führen, weil ſie ſonſt gar zu wüthend dem Wilde nachlaufen, ſodaß man ſie
nicht halten könnte. Auch muß man ſie gegen den Wind bringen, weil ſonſt das Wild ſie riechen und
fliehen würde. Der große Khan hat auch Adler, welche Rehe, Füchſe, Wölfe und Damm-
hirſche
fangen, und gebraucht oft zu einer einzigen Jagd 10,000 Menſchen, 500 Hunde und eine
Menge Falken. Er reitet abwechſelnd auf zehn Elefanten und hat im Walde eine Hütte von prächtig
ausgearbeitetem Holze, inwendig mit Goldtüchern, auswendig mit Löwenhäuten bedeckt. Seine Jäger,
Aerzte und Sternkundigen tragen Kleider mit Hermelin und Zobel, wovon ein Kleid 2000 Gold-
gulden koſtet.‟

Die indiſchen Fürſten laſſen die gefangenen Tiger zuweilen auch mit anderen ſtarken Thieren
kämpfen, namentlich mit Elefanten. Tachard ſah einen ſolchen Kampf in Siam. Jn eine Um-

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[234/0298] Die Raubthiere. Katzen. — Tiger. Nebelparder. weit in der Zähmung des Tigers gebracht; ſehr häufig wagen die Thierbändiger, ſelbſt zu ihnen in den Käfig zu gehen und allerlei Spiele oder ſogenannte Kunſtſtücke mit ihnen zu treiben. Allein eine gefährliche Sache bleibt das immer. Als echte Katze zeigt der Tiger an Diejenigen, welche ihm ſchmeicheln, eine gewiſſe Anhänglichkeit und erwiedert auch wohl Liebkoſungen oder läßt ſie ſich wenigſtens gefallen: doch bleibt ſeine Freundſchaft ſtets zweifelhaft, und wohl blos ſolange, als er die Herrſchaft des Menſchen anerkennt, läßt er ſich von dieſem mancherlei anthun, was ſeiner eigentlichen Natur zuwider iſt. Volles Vertrauen verdient er nie. — Die beiden ſchönen Tiger unſeres Thier- gartens begrüßen mich durch ein eigenthümliches Schnauben, ſobald ich mich zeige, und lecken mir zärtlich die Hand; dennoch darf ich mich niemals verleiten laſſen, die ihnen gegenüber nöthige Vor- ſicht zu vergeſſen: es liegen hierfür zu viele warnende Thatſachen vor. Ein jung aufgezogener Tiger in Batavia, welcher aus ſeinem Käfig entkam und entflohen war, tödtete ſofort ein Pferd, obgleich er ſich den Menſchen und Thieren bisher als ſehr freundlich geſinnt gezeigt hatte. Er mußte erſchoſſen werden. Von anderen. welche im Käfig ſich befanden, erfuhr man leider nur zu häufig Beweiſe ihrer Unbändigkeit und Grauſamkeit, und mehr als ein Thierwärter oder neugieriger Beſchauer hat durch den Tiger ſogar hier in Europa ſein Leben eingebüßt. Dagegen ſind auch Beiſpiele bekannt, daß zahme Tiger große Anhänglichkeit an ihre Wärter bewieſen. Ein junger Tiger, welcher einſtmals nach England gebracht wurde, hatte während der Reiſe in den Schiffszimmermann einen Freund gefunden, der ihn pflegte und wartete, aber, wenn er ſich ungebührlich bezeigte, auch züchtigte. Jn Anerkennung des Erſtern ließ ſich der Tiger das Letztere wie ein Hund gefallen, und als ſein Pfleger ihn nach zwei Jahren wiederſah, erkannte er ihn nicht nur ſogleich, ſondern legte ſo große Freude an den Tag, daß der Zimmermann zu ihm in den Käfig ging, wo er mit Schmeicheleien aller Art empfangen wurde. Erſt nach drei Stunden gelang es ihm, von ſeinem überzärtlichen Freunde wieder loszukommen. Auch an Hunde gewöhnt ſich der gefangene Tiger, und man kennt ebenſo wie bei dem Löwen Beiſpiele, daß einer oder der andere einen Hund, der zu ihm in den Käfig geworfen wurde, plötzlich in Gnaden aufnahm und ſpäter ſogar zärtlich lieben lernte. Alt gefangene Tiger werden niemals zahm. Bisweilen pflanzt ſich der Tiger ſelbſt in der Gefangenſchaft fort, und man kennt Beiſpiele, daß er ſich mit dem Löwen begattet und Blendlinge zur Welt gebracht hat, welche zwiſchen beiden in der Mitte ſtehen, immer aber die Streifen des Tigers tragen. Die indiſchen Fürſten ſcheinen noch vor wenigen Jahrhunderten die Kunſt verſtanden zu haben. Tiger vollkommen zu zähmen, ja ſogar zur Jagd abzurichten. „Der Khan der Tartarei,‟ ſagt Marco Polo, „hatte in ſeiner eroberten Stadt Kambalu viele Leoparden und Luchſe, womit er jagte, desgleichen viele Löwen, welche größer ſind, als die von Babylon, ſchöne Haare haben und ſchöne Farben, nämlich weiße, ſchwarze und rothe Striemen, und brauchbar ſind, wilde Schweine, Ochſen, wilde Eſel, Bären, Hirſche, Rehe und viele andere Thiere zu fangen. Es iſt wunderbar anzu- ſchauen, wenn ein Löwe dergleichen Thiere fängt, mit welcher Wuth und Schnelligkeit er es ausführt. Der Khan läßt ſie in Käfigen auf Karren führen neben einem Hündlein, an daß ſie ſich gewöhnen. Man muß ſie in Käfigen führen, weil ſie ſonſt gar zu wüthend dem Wilde nachlaufen, ſodaß man ſie nicht halten könnte. Auch muß man ſie gegen den Wind bringen, weil ſonſt das Wild ſie riechen und fliehen würde. Der große Khan hat auch Adler, welche Rehe, Füchſe, Wölfe und Damm- hirſche fangen, und gebraucht oft zu einer einzigen Jagd 10,000 Menſchen, 500 Hunde und eine Menge Falken. Er reitet abwechſelnd auf zehn Elefanten und hat im Walde eine Hütte von prächtig ausgearbeitetem Holze, inwendig mit Goldtüchern, auswendig mit Löwenhäuten bedeckt. Seine Jäger, Aerzte und Sternkundigen tragen Kleider mit Hermelin und Zobel, wovon ein Kleid 2000 Gold- gulden koſtet.‟ Die indiſchen Fürſten laſſen die gefangenen Tiger zuweilen auch mit anderen ſtarken Thieren kämpfen, namentlich mit Elefanten. Tachard ſah einen ſolchen Kampf in Siam. Jn eine Um-

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/298>, abgerufen am 22.11.2024.