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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Verschiedene Jagdarten. Ertrag der Jagd. Fortpflanzung.
und entweder zu Pferde-, Sattel- oder Schlittendecken, in China aber zu Polstern verwendet. Jn
Europa ist es in der Neuzeit ganz aus dem Gebrauch gekommen; dagegen schätzen es die Kirgisen
hoch. Sie benutzen es zur Verzierung ihrer Köcher und bezahlen gewöhnlich ein Fell mit einem
Pferde. Die Zähne und Klauen aber gelten unter den Schikaris nicht blos als besonders werthvolle
Siegeszeichen, sondern zugleich als Schutzbriefe oder Amulete gegen Tigeranfälle in vollster Würdi-
gung des homöopathischen Grundsatzes "Gleiches durch Gleiches zu heilen". Auch die Zunge und
Leber haben großen Werth. Diese Theile werden nämlich von den Arzneikünstlern Jndiens unter
mancherlei Schwindel, wie ihn die Heilkunde überhaupt verlangt, zubereitet und dann als unfehlbares
Mittel an die gläubigen Abnehmer theuer verhandelt. Das Fett gilt als das beste Mittel gegen
gichterische Beschwerden und wird deshalb sorgfältig aufbewahrt. Bei der Hitze der bevorzugten
Tigerländer würde dasselbe in kurzer Zeit ranzig werden und dann verderben, verständen die Ein-
gebornen nicht, es nach ihrer Weise zu klären und dann für mehrere Jahre zur Aufbewahrung ge-
eignet zu machen. Sobald nämlich ein getödteter Tiger abgestreift wird, trennen die Jäger das Fett
sorgfältig von dem Fleische und werfen es in besonders dazu bestimmte Flaschen, welche sie mit sich
herumtragen. Diese setzen sie, nachdem sie verkorkt worden sind, einen vollen Tag der Sonnenhitze
aus; und sobald der Jnhalt einmal flüssig geworden ist, kann das Fett dann leicht geklärt und für
spätere Zeiten aufbewahrt werden. Auch die Europäer benutzen es, aber freilich zu anderen Zwecken;
sie wenden es vorzüglich zum Einschmieren ihrer Gewehre an.

Die Paarungszeit der Tiger ist verschieden nach den Klimaten der betreffenden Länder, in
welchen der Tiger lebt. Sie tritt regelmäßig etwa ein Vierteljahr vor Beginn des Frühlings ein.
Während dieser Zeit hört man mehr als sonst das eigenthümlich dumpfe Gebrüll des Tigers, welches
am besten durch die Silben "Ha-ub" ausgedrückt werden kann. Nicht selten finden sich dann auch
mehrere männliche Tiger bei einem Weibchen ein, obgleich behauptet wird, daß im Ganzen die
Tigerinnen häufiger seien, als die Tiger. Man schreibt Dies den Kämpfen zu, welche die männlichen
Tiger unter einander führen, eben gerade während der Paarungszeit. Etwa 100 Tage nach der
Begattung wirft die Tigerin zwei bis drei Junge an einem unzugänglichen Orte zwischen Bambus
oder Schilf, am liebsten unter der dichten und schattigen Laube einer Korintha. Die Thierchen sind,
wenn sie zur Welt kommen, halb so groß wie eine Hauskatze und nach Art aller jungen Katzen ganz
reizende Geschöpfe. Jn den ersten Wochen verläßt die Mutter ihre geliebten Kleinen nur, wenn sie
den nagendsten Hunger fühlt. Sobald sie aber etwas größer geworden sind und auch nach fester
Nahrung verlangen, streift sie weit umher und wird dann doppelt gefährlich. Der Tiger bekümmert
sich gar nicht um seine Brut, unterstützt jedoch die Alte bei etwaigen Kämpfen für dieselbe. Nicht
selten gelingt es, die jungen Tiger zu rauben. Dann hört man das rasende Gebrüll der Alten
mehrere Nächte hindurch erschallen, und sie erscheint tollkühn in der Nähe der Dörfer und Wohn-
plätze, in denen sie ihre Nachkommenschaft vermuthet. Findet sie die Spur der Räuber, so sucht sie
dieselben auf, und nun heißt es auf der Hut sein, weil die gereizte Mutter dann gar keine Gefahr
mehr kennt und sich tolldreist auf die Räuber ihrer Kinder stürzt. Gewöhnlich leiten die Jungen
ihre Mutter durch ihr Geschrei selbst auf die rechte Spur.

Zwei junge Tiger, welche von den Eingebornen einem englischen Kapitän gebracht wurden.
heultend so laut und anhaltend, daß nicht blos die Alte, sondern auch ein männlicher Tiger dadurch
herbeigelockt wurden. Beide beantworteten nun das Geschrei der Jungen mit dem fürchterlichsten
Gebrülle. Aus Besorgniß vor einem Ueberfall ließ der Engländer die kleinen Tiger frei und bemerkte
am folgenden Morgen, daß sie von den alten geholt und in das nahe Gebüsch gebracht worden waren.
Wie häufig junge Tiger gefangen werden müssen, sieht man am besten daraus, daß nicht nur alle
Thiergärten, sondern auch fast alle Thierschaubuden Tiger besitzen; denn man muß hierbei bedenken,
daß gerade in der Gefangenschaft sehr viele dieser schönen Thiere zu Grunde gehen.

Jung eingefangene und verständig behandelte Tiger werden sehr zahm, zeigen sich aber niemals
so zutraulich und tückelos, wie Löwen unter ähnlichen Umständen. Man hat es in neuester Zeit sehr

Verſchiedene Jagdarten. Ertrag der Jagd. Fortpflanzung.
und entweder zu Pferde-, Sattel- oder Schlittendecken, in China aber zu Polſtern verwendet. Jn
Europa iſt es in der Neuzeit ganz aus dem Gebrauch gekommen; dagegen ſchätzen es die Kirgiſen
hoch. Sie benutzen es zur Verzierung ihrer Köcher und bezahlen gewöhnlich ein Fell mit einem
Pferde. Die Zähne und Klauen aber gelten unter den Schikaris nicht blos als beſonders werthvolle
Siegeszeichen, ſondern zugleich als Schutzbriefe oder Amulete gegen Tigeranfälle in vollſter Würdi-
gung des homöopathiſchen Grundſatzes „Gleiches durch Gleiches zu heilen‟. Auch die Zunge und
Leber haben großen Werth. Dieſe Theile werden nämlich von den Arzneikünſtlern Jndiens unter
mancherlei Schwindel, wie ihn die Heilkunde überhaupt verlangt, zubereitet und dann als unfehlbares
Mittel an die gläubigen Abnehmer theuer verhandelt. Das Fett gilt als das beſte Mittel gegen
gichteriſche Beſchwerden und wird deshalb ſorgfältig aufbewahrt. Bei der Hitze der bevorzugten
Tigerländer würde daſſelbe in kurzer Zeit ranzig werden und dann verderben, verſtänden die Ein-
gebornen nicht, es nach ihrer Weiſe zu klären und dann für mehrere Jahre zur Aufbewahrung ge-
eignet zu machen. Sobald nämlich ein getödteter Tiger abgeſtreift wird, trennen die Jäger das Fett
ſorgfältig von dem Fleiſche und werfen es in beſonders dazu beſtimmte Flaſchen, welche ſie mit ſich
herumtragen. Dieſe ſetzen ſie, nachdem ſie verkorkt worden ſind, einen vollen Tag der Sonnenhitze
aus; und ſobald der Jnhalt einmal flüſſig geworden iſt, kann das Fett dann leicht geklärt und für
ſpätere Zeiten aufbewahrt werden. Auch die Europäer benutzen es, aber freilich zu anderen Zwecken;
ſie wenden es vorzüglich zum Einſchmieren ihrer Gewehre an.

Die Paarungszeit der Tiger iſt verſchieden nach den Klimaten der betreffenden Länder, in
welchen der Tiger lebt. Sie tritt regelmäßig etwa ein Vierteljahr vor Beginn des Frühlings ein.
Während dieſer Zeit hört man mehr als ſonſt das eigenthümlich dumpfe Gebrüll des Tigers, welches
am beſten durch die Silben „Ha-ub‟ ausgedrückt werden kann. Nicht ſelten finden ſich dann auch
mehrere männliche Tiger bei einem Weibchen ein, obgleich behauptet wird, daß im Ganzen die
Tigerinnen häufiger ſeien, als die Tiger. Man ſchreibt Dies den Kämpfen zu, welche die männlichen
Tiger unter einander führen, eben gerade während der Paarungszeit. Etwa 100 Tage nach der
Begattung wirft die Tigerin zwei bis drei Junge an einem unzugänglichen Orte zwiſchen Bambus
oder Schilf, am liebſten unter der dichten und ſchattigen Laube einer Korintha. Die Thierchen ſind,
wenn ſie zur Welt kommen, halb ſo groß wie eine Hauskatze und nach Art aller jungen Katzen ganz
reizende Geſchöpfe. Jn den erſten Wochen verläßt die Mutter ihre geliebten Kleinen nur, wenn ſie
den nagendſten Hunger fühlt. Sobald ſie aber etwas größer geworden ſind und auch nach feſter
Nahrung verlangen, ſtreift ſie weit umher und wird dann doppelt gefährlich. Der Tiger bekümmert
ſich gar nicht um ſeine Brut, unterſtützt jedoch die Alte bei etwaigen Kämpfen für dieſelbe. Nicht
ſelten gelingt es, die jungen Tiger zu rauben. Dann hört man das raſende Gebrüll der Alten
mehrere Nächte hindurch erſchallen, und ſie erſcheint tollkühn in der Nähe der Dörfer und Wohn-
plätze, in denen ſie ihre Nachkommenſchaft vermuthet. Findet ſie die Spur der Räuber, ſo ſucht ſie
dieſelben auf, und nun heißt es auf der Hut ſein, weil die gereizte Mutter dann gar keine Gefahr
mehr kennt und ſich tolldreiſt auf die Räuber ihrer Kinder ſtürzt. Gewöhnlich leiten die Jungen
ihre Mutter durch ihr Geſchrei ſelbſt auf die rechte Spur.

Zwei junge Tiger, welche von den Eingebornen einem engliſchen Kapitän gebracht wurden.
heultend ſo laut und anhaltend, daß nicht blos die Alte, ſondern auch ein männlicher Tiger dadurch
herbeigelockt wurden. Beide beantworteten nun das Geſchrei der Jungen mit dem fürchterlichſten
Gebrülle. Aus Beſorgniß vor einem Ueberfall ließ der Engländer die kleinen Tiger frei und bemerkte
am folgenden Morgen, daß ſie von den alten geholt und in das nahe Gebüſch gebracht worden waren.
Wie häufig junge Tiger gefangen werden müſſen, ſieht man am beſten daraus, daß nicht nur alle
Thiergärten, ſondern auch faſt alle Thierſchaubuden Tiger beſitzen; denn man muß hierbei bedenken,
daß gerade in der Gefangenſchaft ſehr viele dieſer ſchönen Thiere zu Grunde gehen.

Jung eingefangene und verſtändig behandelte Tiger werden ſehr zahm, zeigen ſich aber niemals
ſo zutraulich und tückelos, wie Löwen unter ähnlichen Umſtänden. Man hat es in neueſter Zeit ſehr

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[233/0297] Verſchiedene Jagdarten. Ertrag der Jagd. Fortpflanzung. und entweder zu Pferde-, Sattel- oder Schlittendecken, in China aber zu Polſtern verwendet. Jn Europa iſt es in der Neuzeit ganz aus dem Gebrauch gekommen; dagegen ſchätzen es die Kirgiſen hoch. Sie benutzen es zur Verzierung ihrer Köcher und bezahlen gewöhnlich ein Fell mit einem Pferde. Die Zähne und Klauen aber gelten unter den Schikaris nicht blos als beſonders werthvolle Siegeszeichen, ſondern zugleich als Schutzbriefe oder Amulete gegen Tigeranfälle in vollſter Würdi- gung des homöopathiſchen Grundſatzes „Gleiches durch Gleiches zu heilen‟. Auch die Zunge und Leber haben großen Werth. Dieſe Theile werden nämlich von den Arzneikünſtlern Jndiens unter mancherlei Schwindel, wie ihn die Heilkunde überhaupt verlangt, zubereitet und dann als unfehlbares Mittel an die gläubigen Abnehmer theuer verhandelt. Das Fett gilt als das beſte Mittel gegen gichteriſche Beſchwerden und wird deshalb ſorgfältig aufbewahrt. Bei der Hitze der bevorzugten Tigerländer würde daſſelbe in kurzer Zeit ranzig werden und dann verderben, verſtänden die Ein- gebornen nicht, es nach ihrer Weiſe zu klären und dann für mehrere Jahre zur Aufbewahrung ge- eignet zu machen. Sobald nämlich ein getödteter Tiger abgeſtreift wird, trennen die Jäger das Fett ſorgfältig von dem Fleiſche und werfen es in beſonders dazu beſtimmte Flaſchen, welche ſie mit ſich herumtragen. Dieſe ſetzen ſie, nachdem ſie verkorkt worden ſind, einen vollen Tag der Sonnenhitze aus; und ſobald der Jnhalt einmal flüſſig geworden iſt, kann das Fett dann leicht geklärt und für ſpätere Zeiten aufbewahrt werden. Auch die Europäer benutzen es, aber freilich zu anderen Zwecken; ſie wenden es vorzüglich zum Einſchmieren ihrer Gewehre an. Die Paarungszeit der Tiger iſt verſchieden nach den Klimaten der betreffenden Länder, in welchen der Tiger lebt. Sie tritt regelmäßig etwa ein Vierteljahr vor Beginn des Frühlings ein. Während dieſer Zeit hört man mehr als ſonſt das eigenthümlich dumpfe Gebrüll des Tigers, welches am beſten durch die Silben „Ha-ub‟ ausgedrückt werden kann. Nicht ſelten finden ſich dann auch mehrere männliche Tiger bei einem Weibchen ein, obgleich behauptet wird, daß im Ganzen die Tigerinnen häufiger ſeien, als die Tiger. Man ſchreibt Dies den Kämpfen zu, welche die männlichen Tiger unter einander führen, eben gerade während der Paarungszeit. Etwa 100 Tage nach der Begattung wirft die Tigerin zwei bis drei Junge an einem unzugänglichen Orte zwiſchen Bambus oder Schilf, am liebſten unter der dichten und ſchattigen Laube einer Korintha. Die Thierchen ſind, wenn ſie zur Welt kommen, halb ſo groß wie eine Hauskatze und nach Art aller jungen Katzen ganz reizende Geſchöpfe. Jn den erſten Wochen verläßt die Mutter ihre geliebten Kleinen nur, wenn ſie den nagendſten Hunger fühlt. Sobald ſie aber etwas größer geworden ſind und auch nach feſter Nahrung verlangen, ſtreift ſie weit umher und wird dann doppelt gefährlich. Der Tiger bekümmert ſich gar nicht um ſeine Brut, unterſtützt jedoch die Alte bei etwaigen Kämpfen für dieſelbe. Nicht ſelten gelingt es, die jungen Tiger zu rauben. Dann hört man das raſende Gebrüll der Alten mehrere Nächte hindurch erſchallen, und ſie erſcheint tollkühn in der Nähe der Dörfer und Wohn- plätze, in denen ſie ihre Nachkommenſchaft vermuthet. Findet ſie die Spur der Räuber, ſo ſucht ſie dieſelben auf, und nun heißt es auf der Hut ſein, weil die gereizte Mutter dann gar keine Gefahr mehr kennt und ſich tolldreiſt auf die Räuber ihrer Kinder ſtürzt. Gewöhnlich leiten die Jungen ihre Mutter durch ihr Geſchrei ſelbſt auf die rechte Spur. Zwei junge Tiger, welche von den Eingebornen einem engliſchen Kapitän gebracht wurden. heultend ſo laut und anhaltend, daß nicht blos die Alte, ſondern auch ein männlicher Tiger dadurch herbeigelockt wurden. Beide beantworteten nun das Geſchrei der Jungen mit dem fürchterlichſten Gebrülle. Aus Beſorgniß vor einem Ueberfall ließ der Engländer die kleinen Tiger frei und bemerkte am folgenden Morgen, daß ſie von den alten geholt und in das nahe Gebüſch gebracht worden waren. Wie häufig junge Tiger gefangen werden müſſen, ſieht man am beſten daraus, daß nicht nur alle Thiergärten, ſondern auch faſt alle Thierſchaubuden Tiger beſitzen; denn man muß hierbei bedenken, daß gerade in der Gefangenſchaft ſehr viele dieſer ſchönen Thiere zu Grunde gehen. Jung eingefangene und verſtändig behandelte Tiger werden ſehr zahm, zeigen ſich aber niemals ſo zutraulich und tückelos, wie Löwen unter ähnlichen Umſtänden. Man hat es in neueſter Zeit ſehr

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/297>, abgerufen am 22.11.2024.