Winter tritt sie zuweilen größere Wanderungen an und kommt dann auch, vom Hunger geplagt, bis in das Jnnere der Dörfer herein. Erst vor wenigen Jahren erlegte der Lehrer Schach in Rußdorf bei Crimmitschau einen vollständig ausgewachsenen, sehr starken Wildkater, welcher mehrere Tage lang in einer Scheuer dieses Dorfes Herberge genommen, aber noch wenig Schaden gethan hatte. Jn Ungarn, wo sie weit häusiger ist, soll sie, wie Lenz angiebt, im Winter vorzugsweise in Scheuern hausen.
Die Zeit der Paarung der Wildkatze fällt in den Februar, der Wurf in den April; die Trag- zeit währt neun Wochen. Das Weibchen wählt sich einen hohlen Baum, eine Felsenkluft oder auch einen verlassenen Dachs- oder Fuchsbau zum Wochenbett und wirft hier fünf bis sechs Junge, welche blind geboren werden und ganz den jungen Hauskätzchen gleichen. Wenn sie nicht mehr fäugen, werden sie von der Mutter sorgfältig mit Mäusen, Maulwürfen und Vögeln versehen. Nach kurzer Zeit sind sie schon im Stande, die Bäume zu erklettern, und deren Aeste bilden auch später ihren Spiel- und Tummelplatz, sowie ihre Zuflucht bei heranwachsender Gefahr. Dieser suchen sie in den meisten Fällen einfach dadurch zu entgehen, daß sie sich auf den dichten Aesten niederdrücken und auf die Gleichfarbigkeit ihres Felles mit diesen vertrauen. Die Alte scheint sie nicht zu vertheidigen, wenigstens verläßt sie die Brut beim Herannahen des Menschen, vor welchem sie überhaupt große Furcht zeigt. Dies dürfte aus folgendem Berichte von Lenz hervorgehen: "Jm Jahr 1856 ging mein Zimmer- mann etwa 500 Schritte von meinem Hause an der Südseite des Hermannsteins, wo wilde Kaninchen oft in Menge wohnen, durch ein Dickicht und hörte in einem erweiterten Kaninchenbau Stimmen, wie von kleinen Katzen. Er hatte wenige Tage zuvor welche von mir zu haben gewünscht, und da ich keine hatte, so war er nun froh, hier selbst ein Nestchen zu finden. Er grub nach und fand drei Stück echter Wildkatzen von Rattengröße. Wie er sie in seinen Ranzen gesteckt hatte und wegging, sah er die Alte in seiner Nähe mit gespitzten Lauschern umherschleichen; sie ging aber ganz leise und machte keine Miene, ihn anzugreifen; sie hatte die Größe eines tüchtigen Hasen, die echte wilde Farbe, den kurzen, dicken Schwanz. Ebenso waren die kleinen Kätzchen an ihrer Farbe und namentlich an dem auffallend von dem der zahmen abweichenden Schwanze leicht als echt zu erkennen. Merkwürdig genug war das angeborne wilde Naturell dieser kleinen Bestien: sie kratzten, bissen und fauchten mit entsetz- licher Bosheit. Vergeblich wurde alle mögliche Mühe angewendet, sie zahm zu machen und gut zu verpflegen. Sie wollten weder fressen noch saufen und ärgerten und tobten sich zu Tode." --
Die Jagd der Wildkatze kann unter Umständen sehr gefährlich werden, weil das Thier, wenn es angeschossen wird, den Menschen nicht selten angreift. Man jagt sie am liebsten bei Schnee, weil man sie dann spüren und bis zu ihrem Ruheplatze verfolgen kann. "Gewöhnlich," sagt Tschudi, "liegt sie den ganzen Tag auf einem Aste ausgestreckt, von wo aus sie ihre Beute belauert. So sieht sie der Jäger, wie sie ruhig daliegt und ihn nach Art des Baummarders und Luchses mit funkeln- den Augen anstarrt. Nun nimm dich wohl in Acht, Schütze, und faß die Bestie genau aufs Korn! Jst sie blos angeschossen, so fährt sie schnaubend und schäumend auf, mit hochgekrümmtem Rücken und gehobenem Schwanze naht sie zischend dem Jäger, setzt sich wüthend zur Wehr und springt auf den Menschen los; ihre spitzen Krallen haut sie fest in das Fleisch, besonders in die Brust, daß man sie fast nicht losreißen kann, und solche Wunden heilen sehr schwer. Die Hunde fürchtet sie so wenig, daß sie, ehe sie den Jäger gewahrt, oft freiwillig vom Baume herunterkommt; es setzt dann fürchter- liche Kämpfe ab. Die wüthende Katze haut mit ihrer Kralle oft Risse, sie zielt gern nach den Augen des Hundes und vertheidigt sich mit der hartnäckigsten Wuth, solange noch ein Funke ihres höchst zähen Lebens in ihr ist. So kämpfte im Jura ein wilder Kater, auf dem Rücken liegend, siegreich gegen drei Hunde, von denen er zweien die Tatzen tief in die Schnauzen gehauen hatte, während er den dritten mit den Zähnen fest gepackt hielt -- eine Vertheidigung, zu der er den äußersten Muth und die größte Gewandtheit bedurfte, und welche gleichzeitig eine hohe Klugheit verräth, da er nur so sich der Hundebisse erwehren konnte. Ein starker Schuß des herbeieilenden Jägers, der die Bestie durch und durch bohrte, errettete die schwer verwundeten Thiere, die sonst sämmtlich erlegen wären."
Vorkommen. Lebensweiſe. Fortpflanzung. Jagd.
Winter tritt ſie zuweilen größere Wanderungen an und kommt dann auch, vom Hunger geplagt, bis in das Jnnere der Dörfer herein. Erſt vor wenigen Jahren erlegte der Lehrer Schach in Rußdorf bei Crimmitſchau einen vollſtändig ausgewachſenen, ſehr ſtarken Wildkater, welcher mehrere Tage lang in einer Scheuer dieſes Dorfes Herberge genommen, aber noch wenig Schaden gethan hatte. Jn Ungarn, wo ſie weit häuſiger iſt, ſoll ſie, wie Lenz angiebt, im Winter vorzugsweiſe in Scheuern hauſen.
Die Zeit der Paarung der Wildkatze fällt in den Februar, der Wurf in den April; die Trag- zeit währt neun Wochen. Das Weibchen wählt ſich einen hohlen Baum, eine Felſenkluft oder auch einen verlaſſenen Dachs- oder Fuchsbau zum Wochenbett und wirft hier fünf bis ſechs Junge, welche blind geboren werden und ganz den jungen Hauskätzchen gleichen. Wenn ſie nicht mehr fäugen, werden ſie von der Mutter ſorgfältig mit Mäuſen, Maulwürfen und Vögeln verſehen. Nach kurzer Zeit ſind ſie ſchon im Stande, die Bäume zu erklettern, und deren Aeſte bilden auch ſpäter ihren Spiel- und Tummelplatz, ſowie ihre Zuflucht bei heranwachſender Gefahr. Dieſer ſuchen ſie in den meiſten Fällen einfach dadurch zu entgehen, daß ſie ſich auf den dichten Aeſten niederdrücken und auf die Gleichfarbigkeit ihres Felles mit dieſen vertrauen. Die Alte ſcheint ſie nicht zu vertheidigen, wenigſtens verläßt ſie die Brut beim Herannahen des Menſchen, vor welchem ſie überhaupt große Furcht zeigt. Dies dürfte aus folgendem Berichte von Lenz hervorgehen: „Jm Jahr 1856 ging mein Zimmer- mann etwa 500 Schritte von meinem Hauſe an der Südſeite des Hermannſteins, wo wilde Kaninchen oft in Menge wohnen, durch ein Dickicht und hörte in einem erweiterten Kaninchenbau Stimmen, wie von kleinen Katzen. Er hatte wenige Tage zuvor welche von mir zu haben gewünſcht, und da ich keine hatte, ſo war er nun froh, hier ſelbſt ein Neſtchen zu finden. Er grub nach und fand drei Stück echter Wildkatzen von Rattengröße. Wie er ſie in ſeinen Ranzen geſteckt hatte und wegging, ſah er die Alte in ſeiner Nähe mit geſpitzten Lauſchern umherſchleichen; ſie ging aber ganz leiſe und machte keine Miene, ihn anzugreifen; ſie hatte die Größe eines tüchtigen Haſen, die echte wilde Farbe, den kurzen, dicken Schwanz. Ebenſo waren die kleinen Kätzchen an ihrer Farbe und namentlich an dem auffallend von dem der zahmen abweichenden Schwanze leicht als echt zu erkennen. Merkwürdig genug war das angeborne wilde Naturell dieſer kleinen Beſtien: ſie kratzten, biſſen und fauchten mit entſetz- licher Bosheit. Vergeblich wurde alle mögliche Mühe angewendet, ſie zahm zu machen und gut zu verpflegen. Sie wollten weder freſſen noch ſaufen und ärgerten und tobten ſich zu Tode.‟ —
Die Jagd der Wildkatze kann unter Umſtänden ſehr gefährlich werden, weil das Thier, wenn es angeſchoſſen wird, den Menſchen nicht ſelten angreift. Man jagt ſie am liebſten bei Schnee, weil man ſie dann ſpüren und bis zu ihrem Ruheplatze verfolgen kann. „Gewöhnlich,‟ ſagt Tſchudi, „liegt ſie den ganzen Tag auf einem Aſte ausgeſtreckt, von wo aus ſie ihre Beute belauert. So ſieht ſie der Jäger, wie ſie ruhig daliegt und ihn nach Art des Baummarders und Luchſes mit funkeln- den Augen anſtarrt. Nun nimm dich wohl in Acht, Schütze, und faß die Beſtie genau aufs Korn! Jſt ſie blos angeſchoſſen, ſo fährt ſie ſchnaubend und ſchäumend auf, mit hochgekrümmtem Rücken und gehobenem Schwanze naht ſie ziſchend dem Jäger, ſetzt ſich wüthend zur Wehr und ſpringt auf den Menſchen los; ihre ſpitzen Krallen haut ſie feſt in das Fleiſch, beſonders in die Bruſt, daß man ſie faſt nicht losreißen kann, und ſolche Wunden heilen ſehr ſchwer. Die Hunde fürchtet ſie ſo wenig, daß ſie, ehe ſie den Jäger gewahrt, oft freiwillig vom Baume herunterkommt; es ſetzt dann fürchter- liche Kämpfe ab. Die wüthende Katze haut mit ihrer Kralle oft Riſſe, ſie zielt gern nach den Augen des Hundes und vertheidigt ſich mit der hartnäckigſten Wuth, ſolange noch ein Funke ihres höchſt zähen Lebens in ihr iſt. So kämpfte im Jura ein wilder Kater, auf dem Rücken liegend, ſiegreich gegen drei Hunde, von denen er zweien die Tatzen tief in die Schnauzen gehauen hatte, während er den dritten mit den Zähnen feſt gepackt hielt — eine Vertheidigung, zu der er den äußerſten Muth und die größte Gewandtheit bedurfte, und welche gleichzeitig eine hohe Klugheit verräth, da er nur ſo ſich der Hundebiſſe erwehren konnte. Ein ſtarker Schuß des herbeieilenden Jägers, der die Beſtie durch und durch bohrte, errettete die ſchwer verwundeten Thiere, die ſonſt ſämmtlich erlegen wären.‟
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[277/0341]
Vorkommen. Lebensweiſe. Fortpflanzung. Jagd.
Winter tritt ſie zuweilen größere Wanderungen an und kommt dann auch, vom Hunger geplagt, bis
in das Jnnere der Dörfer herein. Erſt vor wenigen Jahren erlegte der Lehrer Schach in Rußdorf
bei Crimmitſchau einen vollſtändig ausgewachſenen, ſehr ſtarken Wildkater, welcher mehrere Tage
lang in einer Scheuer dieſes Dorfes Herberge genommen, aber noch wenig Schaden gethan hatte.
Jn Ungarn, wo ſie weit häuſiger iſt, ſoll ſie, wie Lenz angiebt, im Winter vorzugsweiſe in
Scheuern hauſen.
Die Zeit der Paarung der Wildkatze fällt in den Februar, der Wurf in den April; die Trag-
zeit währt neun Wochen. Das Weibchen wählt ſich einen hohlen Baum, eine Felſenkluft oder auch
einen verlaſſenen Dachs- oder Fuchsbau zum Wochenbett und wirft hier fünf bis ſechs Junge, welche
blind geboren werden und ganz den jungen Hauskätzchen gleichen. Wenn ſie nicht mehr fäugen, werden
ſie von der Mutter ſorgfältig mit Mäuſen, Maulwürfen und Vögeln verſehen. Nach kurzer Zeit
ſind ſie ſchon im Stande, die Bäume zu erklettern, und deren Aeſte bilden auch ſpäter ihren Spiel-
und Tummelplatz, ſowie ihre Zuflucht bei heranwachſender Gefahr. Dieſer ſuchen ſie in den meiſten
Fällen einfach dadurch zu entgehen, daß ſie ſich auf den dichten Aeſten niederdrücken und auf die
Gleichfarbigkeit ihres Felles mit dieſen vertrauen. Die Alte ſcheint ſie nicht zu vertheidigen, wenigſtens
verläßt ſie die Brut beim Herannahen des Menſchen, vor welchem ſie überhaupt große Furcht zeigt.
Dies dürfte aus folgendem Berichte von Lenz hervorgehen: „Jm Jahr 1856 ging mein Zimmer-
mann etwa 500 Schritte von meinem Hauſe an der Südſeite des Hermannſteins, wo wilde Kaninchen
oft in Menge wohnen, durch ein Dickicht und hörte in einem erweiterten Kaninchenbau Stimmen,
wie von kleinen Katzen. Er hatte wenige Tage zuvor welche von mir zu haben gewünſcht, und da ich
keine hatte, ſo war er nun froh, hier ſelbſt ein Neſtchen zu finden. Er grub nach und fand drei Stück
echter Wildkatzen von Rattengröße. Wie er ſie in ſeinen Ranzen geſteckt hatte und wegging, ſah er
die Alte in ſeiner Nähe mit geſpitzten Lauſchern umherſchleichen; ſie ging aber ganz leiſe und machte
keine Miene, ihn anzugreifen; ſie hatte die Größe eines tüchtigen Haſen, die echte wilde Farbe, den
kurzen, dicken Schwanz. Ebenſo waren die kleinen Kätzchen an ihrer Farbe und namentlich an dem
auffallend von dem der zahmen abweichenden Schwanze leicht als echt zu erkennen. Merkwürdig genug
war das angeborne wilde Naturell dieſer kleinen Beſtien: ſie kratzten, biſſen und fauchten mit entſetz-
licher Bosheit. Vergeblich wurde alle mögliche Mühe angewendet, ſie zahm zu machen und gut zu
verpflegen. Sie wollten weder freſſen noch ſaufen und ärgerten und tobten ſich zu Tode.‟ —
Die Jagd der Wildkatze kann unter Umſtänden ſehr gefährlich werden, weil das Thier, wenn es
angeſchoſſen wird, den Menſchen nicht ſelten angreift. Man jagt ſie am liebſten bei Schnee, weil
man ſie dann ſpüren und bis zu ihrem Ruheplatze verfolgen kann. „Gewöhnlich,‟ ſagt Tſchudi,
„liegt ſie den ganzen Tag auf einem Aſte ausgeſtreckt, von wo aus ſie ihre Beute belauert. So ſieht
ſie der Jäger, wie ſie ruhig daliegt und ihn nach Art des Baummarders und Luchſes mit funkeln-
den Augen anſtarrt. Nun nimm dich wohl in Acht, Schütze, und faß die Beſtie genau aufs Korn!
Jſt ſie blos angeſchoſſen, ſo fährt ſie ſchnaubend und ſchäumend auf, mit hochgekrümmtem Rücken und
gehobenem Schwanze naht ſie ziſchend dem Jäger, ſetzt ſich wüthend zur Wehr und ſpringt auf den
Menſchen los; ihre ſpitzen Krallen haut ſie feſt in das Fleiſch, beſonders in die Bruſt, daß man ſie
faſt nicht losreißen kann, und ſolche Wunden heilen ſehr ſchwer. Die Hunde fürchtet ſie ſo wenig,
daß ſie, ehe ſie den Jäger gewahrt, oft freiwillig vom Baume herunterkommt; es ſetzt dann fürchter-
liche Kämpfe ab. Die wüthende Katze haut mit ihrer Kralle oft Riſſe, ſie zielt gern nach den Augen
des Hundes und vertheidigt ſich mit der hartnäckigſten Wuth, ſolange noch ein Funke ihres höchſt
zähen Lebens in ihr iſt. So kämpfte im Jura ein wilder Kater, auf dem Rücken liegend, ſiegreich
gegen drei Hunde, von denen er zweien die Tatzen tief in die Schnauzen gehauen hatte, während er
den dritten mit den Zähnen feſt gepackt hielt — eine Vertheidigung, zu der er den äußerſten Muth
und die größte Gewandtheit bedurfte, und welche gleichzeitig eine hohe Klugheit verräth, da er nur
ſo ſich der Hundebiſſe erwehren konnte. Ein ſtarker Schuß des herbeieilenden Jägers, der die Beſtie
durch und durch bohrte, errettete die ſchwer verwundeten Thiere, die ſonſt ſämmtlich erlegen wären.‟
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/341>, abgerufen am 22.11.2024.
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