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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Die Raubthiere. Hunde. -- Doggen. Mops.
Schnee, dem fremden Wanderer ebenso mühvoll, als gefahrvoll. Alljährlich fordert der Berg eine
kleine Anzahl von Opfern. Bald fällt der Pilger in eine Spalte, bald begräbt ihn ein Lawinenbruch,
bald umhällt ihn der Nebel, daß er den Pfad verliert und in der Wildniß vor Hunger und Er-
müdung umkommt, bald überrascht ihn der Schlaf, aus dem er nicht wieder erwacht. Ohne die echt
christliche und aufopfernde Thätigkeit der edlen Mönche wäre der Bernhardspaß nur wenige Wochen
oder Monate des Jahres gangbar. Seit dem achten Jahrhundert widmen sie sich der frommen Pflege
und Errettung der Reisenden. Die Bewirthung der Letzteren geschieht unentgeltlich. Feste, steinerne
Gebäude, in denen das Feuer des Herdes nie erlöscht, können im Rothfall ein paar hundert Menschen
beherbergen. Das Eigenthümlichste ist aber der stets gehandhabte Sicherheitsdienst, den die welt-
berühmten Hunde wesentlich unterstützen. Jeden Tag gehen zwei Knechte des Klosters über die ge-
fährlichsten Stellen des Passes: einer von der tiefsten Sennerei des Klosters hinauf in das Hospiz,
der andere hinunter. Bei Unwetter oder Lawinenbrüchen wird die Zahl verdreifacht und eine Anzahl
von Geistlichen schließen sich den "Suchern" an, die von den Hunden begleitet werden und mit
Schaufeln, Stangen, Bahren und Erquickungen versehen sind. Jede verdächtige Spur wird unauf-
hörlich verfolgt, stets ertönen die Signale; die Hunde werden genau beobachtet. Diese sind sehr fein
auf die menschliche Fährte dressirt und durchstreifen freiwillig oft tagelang alle Schluchten und Wege
des Gebirgs. Finden sie einen Erstarrten, so laufen sie auf dem kürzesten Wege nach dem Kloster
zurück, bellen heftig und führen die stets bereiten Mönche dem Unglücklichen zu. Treffen sie auf eine
Lawine, so untersuchen sie, ob sie nicht die Spur eines Menschen entdecken, und wenn ihre feine Witte-
rung ihnen davon Gewißheit giebt, machen sie sich sofort daran, den Verschütteten freizuscharren,
wobei ihnen die starken Klauen und die große Körperkraft wohl zustattenkommen. Gewöhnlich
führen sie am Halse ein Körbchen mit Stärkungsmitteln oder ein Fläschchen mit Wein, oft auf dem
Rücken wollene Decken mit sich. Die Zahl der durch diese klugen Hunde Geretteten ist sehr groß und
in den Geschichtsbüchern des Hospizes gewissenhaft verzeichnet. Der berühmteste Hund der Rasse war
Barry, das unermüdlich thätige Thier, das in seinem Leben mehr als vierzig Menschen das
Leben rettete."

Diesen Hund hat ein Dichter verherrlicht, und Tschudi führt das schöne Gedicht in seinem aus-
gezeichneten Werke vollständig an. Jch weiß jedoch ein noch besseres Gedicht, wenn es gleich nicht in
gebundener Rede geschrieben worden ist. Es ist die Beschreibung, welche Scheitlin von dem Barry
giebt. "Der allervortrefflichste Hund, den wir kennen", sagt er, "war nicht derjenige, welcher die
Wachmannschaft der Akropolis in Korinth aufgeweckt; nicht derjenige, der als Bezerillo Hunderte der
nackten Amerikaner zerrissen; nicht der Hund des Henkers, der auf den Befehl seines Herrn einen
ängstlichen Reisenden zum Schutz durch den langen, finstern Wald begleitete; nicht Drydens
"Drache", der, sobald sein Herr ihm winkte, auf vier Banditen stürzte, etliche erwürgte, und so
seinem Herrn das Leben rettete; nicht derjenige, der zu Hause anzeigte, des Müllers Kind sei in
den Bach gefallen; noch der Hund in Warschau, der von der Brücke in den Strom hinabsprang und
ein kleines Mädchen dem Tode in den Wellen entriß; nicht Aubry's, der wüthend den Mörder
seines Herrn oft anpackte und im Kampfe vor dem König zerrissen hätte; nicht Benevenuto
Cellini's,
der die Goldschmiede, als man Juwelen stehlen wollte, sogleich aufweckte: sondern Barry,
der Heilige auf dem St. Bernhard! Ja Barry, du höchster der Hunde, du höchstes der Thiere! Du
warst ein großer, sinnvoller Menschenhund mit einer warmen Seele für Unglückliche. Du hast mehr
als vierzig Menschen das Leben gerettet. Du zogst mit deinem Körblein und Brod und einem
Fläschlein süßer, stärkender Erquickung am Halse aus dem Kloster, in Schneegestöber und Thauwetter
Tag für Tag, zu suchen Verschneite, Lawinenbedeckte, sie hervorzuscharren oder, im Falle der Unmög-
lichkeit, schnell nach Hause zu rennen, damit die Klosterbrüder mit dir kommen mit Schaufeln und
dir graben helfen. Du warst das Gegentheil von einem Todtengräber, du machtest auferstehen. Du
mußtest, wie ein feinfühlender Mensch, durch Mitgefühl belehren können, denn sonst hätte jenes her-
vorgegrabene Knäblein gewiß nicht gewagt, sich auf deinen Rücken zu setzen, damit du es in das

Die Raubthiere. Hunde. — Doggen. Mops.
Schnee, dem fremden Wanderer ebenſo mühvoll, als gefahrvoll. Alljährlich fordert der Berg eine
kleine Anzahl von Opfern. Bald fällt der Pilger in eine Spalte, bald begräbt ihn ein Lawinenbruch,
bald umhällt ihn der Nebel, daß er den Pfad verliert und in der Wildniß vor Hunger und Er-
müdung umkommt, bald überraſcht ihn der Schlaf, aus dem er nicht wieder erwacht. Ohne die echt
chriſtliche und aufopfernde Thätigkeit der edlen Mönche wäre der Bernhardspaß nur wenige Wochen
oder Monate des Jahres gangbar. Seit dem achten Jahrhundert widmen ſie ſich der frommen Pflege
und Errettung der Reiſenden. Die Bewirthung der Letzteren geſchieht unentgeltlich. Feſte, ſteinerne
Gebäude, in denen das Feuer des Herdes nie erlöſcht, können im Rothfall ein paar hundert Menſchen
beherbergen. Das Eigenthümlichſte iſt aber der ſtets gehandhabte Sicherheitsdienſt, den die welt-
berühmten Hunde weſentlich unterſtützen. Jeden Tag gehen zwei Knechte des Kloſters über die ge-
fährlichſten Stellen des Paſſes: einer von der tiefſten Sennerei des Kloſters hinauf in das Hoſpiz,
der andere hinunter. Bei Unwetter oder Lawinenbrüchen wird die Zahl verdreifacht und eine Anzahl
von Geiſtlichen ſchließen ſich den „Suchern‟ an, die von den Hunden begleitet werden und mit
Schaufeln, Stangen, Bahren und Erquickungen verſehen ſind. Jede verdächtige Spur wird unauf-
hörlich verfolgt, ſtets ertönen die Signale; die Hunde werden genau beobachtet. Dieſe ſind ſehr fein
auf die menſchliche Fährte dreſſirt und durchſtreifen freiwillig oft tagelang alle Schluchten und Wege
des Gebirgs. Finden ſie einen Erſtarrten, ſo laufen ſie auf dem kürzeſten Wege nach dem Kloſter
zurück, bellen heftig und führen die ſtets bereiten Mönche dem Unglücklichen zu. Treffen ſie auf eine
Lawine, ſo unterſuchen ſie, ob ſie nicht die Spur eines Menſchen entdecken, und wenn ihre feine Witte-
rung ihnen davon Gewißheit giebt, machen ſie ſich ſofort daran, den Verſchütteten freizuſcharren,
wobei ihnen die ſtarken Klauen und die große Körperkraft wohl zuſtattenkommen. Gewöhnlich
führen ſie am Halſe ein Körbchen mit Stärkungsmitteln oder ein Fläſchchen mit Wein, oft auf dem
Rücken wollene Decken mit ſich. Die Zahl der durch dieſe klugen Hunde Geretteten iſt ſehr groß und
in den Geſchichtsbüchern des Hoſpizes gewiſſenhaft verzeichnet. Der berühmteſte Hund der Raſſe war
Barry, das unermüdlich thätige Thier, das in ſeinem Leben mehr als vierzig Menſchen das
Leben rettete.‟

Dieſen Hund hat ein Dichter verherrlicht, und Tſchudi führt das ſchöne Gedicht in ſeinem aus-
gezeichneten Werke vollſtändig an. Jch weiß jedoch ein noch beſſeres Gedicht, wenn es gleich nicht in
gebundener Rede geſchrieben worden iſt. Es iſt die Beſchreibung, welche Scheitlin von dem Barry
giebt. „Der allervortrefflichſte Hund, den wir kennen‟, ſagt er, „war nicht derjenige, welcher die
Wachmannſchaft der Akropolis in Korinth aufgeweckt; nicht derjenige, der als Bezerillo Hunderte der
nackten Amerikaner zerriſſen; nicht der Hund des Henkers, der auf den Befehl ſeines Herrn einen
ängſtlichen Reiſenden zum Schutz durch den langen, finſtern Wald begleitete; nicht Drydens
„Drache‟, der, ſobald ſein Herr ihm winkte, auf vier Banditen ſtürzte, etliche erwürgte, und ſo
ſeinem Herrn das Leben rettete; nicht derjenige, der zu Hauſe anzeigte, des Müllers Kind ſei in
den Bach gefallen; noch der Hund in Warſchau, der von der Brücke in den Strom hinabſprang und
ein kleines Mädchen dem Tode in den Wellen entriß; nicht Aubry’s, der wüthend den Mörder
ſeines Herrn oft anpackte und im Kampfe vor dem König zerriſſen hätte; nicht Benevenuto
Cellini’s,
der die Goldſchmiede, als man Juwelen ſtehlen wollte, ſogleich aufweckte: ſondern Barry,
der Heilige auf dem St. Bernhard! Ja Barry, du höchſter der Hunde, du höchſtes der Thiere! Du
warſt ein großer, ſinnvoller Menſchenhund mit einer warmen Seele für Unglückliche. Du haſt mehr
als vierzig Menſchen das Leben gerettet. Du zogſt mit deinem Körblein und Brod und einem
Fläſchlein ſüßer, ſtärkender Erquickung am Halſe aus dem Kloſter, in Schneegeſtöber und Thauwetter
Tag für Tag, zu ſuchen Verſchneite, Lawinenbedeckte, ſie hervorzuſcharren oder, im Falle der Unmög-
lichkeit, ſchnell nach Hauſe zu rennen, damit die Kloſterbrüder mit dir kommen mit Schaufeln und
dir graben helfen. Du warſt das Gegentheil von einem Todtengräber, du machteſt auferſtehen. Du
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vorgegrabene Knäblein gewiß nicht gewagt, ſich auf deinen Rücken zu ſetzen, damit du es in das

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[362/0428] Die Raubthiere. Hunde. — Doggen. Mops. Schnee, dem fremden Wanderer ebenſo mühvoll, als gefahrvoll. Alljährlich fordert der Berg eine kleine Anzahl von Opfern. Bald fällt der Pilger in eine Spalte, bald begräbt ihn ein Lawinenbruch, bald umhällt ihn der Nebel, daß er den Pfad verliert und in der Wildniß vor Hunger und Er- müdung umkommt, bald überraſcht ihn der Schlaf, aus dem er nicht wieder erwacht. Ohne die echt chriſtliche und aufopfernde Thätigkeit der edlen Mönche wäre der Bernhardspaß nur wenige Wochen oder Monate des Jahres gangbar. Seit dem achten Jahrhundert widmen ſie ſich der frommen Pflege und Errettung der Reiſenden. Die Bewirthung der Letzteren geſchieht unentgeltlich. Feſte, ſteinerne Gebäude, in denen das Feuer des Herdes nie erlöſcht, können im Rothfall ein paar hundert Menſchen beherbergen. Das Eigenthümlichſte iſt aber der ſtets gehandhabte Sicherheitsdienſt, den die welt- berühmten Hunde weſentlich unterſtützen. Jeden Tag gehen zwei Knechte des Kloſters über die ge- fährlichſten Stellen des Paſſes: einer von der tiefſten Sennerei des Kloſters hinauf in das Hoſpiz, der andere hinunter. Bei Unwetter oder Lawinenbrüchen wird die Zahl verdreifacht und eine Anzahl von Geiſtlichen ſchließen ſich den „Suchern‟ an, die von den Hunden begleitet werden und mit Schaufeln, Stangen, Bahren und Erquickungen verſehen ſind. Jede verdächtige Spur wird unauf- hörlich verfolgt, ſtets ertönen die Signale; die Hunde werden genau beobachtet. Dieſe ſind ſehr fein auf die menſchliche Fährte dreſſirt und durchſtreifen freiwillig oft tagelang alle Schluchten und Wege des Gebirgs. Finden ſie einen Erſtarrten, ſo laufen ſie auf dem kürzeſten Wege nach dem Kloſter zurück, bellen heftig und führen die ſtets bereiten Mönche dem Unglücklichen zu. Treffen ſie auf eine Lawine, ſo unterſuchen ſie, ob ſie nicht die Spur eines Menſchen entdecken, und wenn ihre feine Witte- rung ihnen davon Gewißheit giebt, machen ſie ſich ſofort daran, den Verſchütteten freizuſcharren, wobei ihnen die ſtarken Klauen und die große Körperkraft wohl zuſtattenkommen. Gewöhnlich führen ſie am Halſe ein Körbchen mit Stärkungsmitteln oder ein Fläſchchen mit Wein, oft auf dem Rücken wollene Decken mit ſich. Die Zahl der durch dieſe klugen Hunde Geretteten iſt ſehr groß und in den Geſchichtsbüchern des Hoſpizes gewiſſenhaft verzeichnet. Der berühmteſte Hund der Raſſe war Barry, das unermüdlich thätige Thier, das in ſeinem Leben mehr als vierzig Menſchen das Leben rettete.‟ Dieſen Hund hat ein Dichter verherrlicht, und Tſchudi führt das ſchöne Gedicht in ſeinem aus- gezeichneten Werke vollſtändig an. Jch weiß jedoch ein noch beſſeres Gedicht, wenn es gleich nicht in gebundener Rede geſchrieben worden iſt. Es iſt die Beſchreibung, welche Scheitlin von dem Barry giebt. „Der allervortrefflichſte Hund, den wir kennen‟, ſagt er, „war nicht derjenige, welcher die Wachmannſchaft der Akropolis in Korinth aufgeweckt; nicht derjenige, der als Bezerillo Hunderte der nackten Amerikaner zerriſſen; nicht der Hund des Henkers, der auf den Befehl ſeines Herrn einen ängſtlichen Reiſenden zum Schutz durch den langen, finſtern Wald begleitete; nicht Drydens „Drache‟, der, ſobald ſein Herr ihm winkte, auf vier Banditen ſtürzte, etliche erwürgte, und ſo ſeinem Herrn das Leben rettete; nicht derjenige, der zu Hauſe anzeigte, des Müllers Kind ſei in den Bach gefallen; noch der Hund in Warſchau, der von der Brücke in den Strom hinabſprang und ein kleines Mädchen dem Tode in den Wellen entriß; nicht Aubry’s, der wüthend den Mörder ſeines Herrn oft anpackte und im Kampfe vor dem König zerriſſen hätte; nicht Benevenuto Cellini’s, der die Goldſchmiede, als man Juwelen ſtehlen wollte, ſogleich aufweckte: ſondern Barry, der Heilige auf dem St. Bernhard! Ja Barry, du höchſter der Hunde, du höchſtes der Thiere! Du warſt ein großer, ſinnvoller Menſchenhund mit einer warmen Seele für Unglückliche. Du haſt mehr als vierzig Menſchen das Leben gerettet. Du zogſt mit deinem Körblein und Brod und einem Fläſchlein ſüßer, ſtärkender Erquickung am Halſe aus dem Kloſter, in Schneegeſtöber und Thauwetter Tag für Tag, zu ſuchen Verſchneite, Lawinenbedeckte, ſie hervorzuſcharren oder, im Falle der Unmög- lichkeit, ſchnell nach Hauſe zu rennen, damit die Kloſterbrüder mit dir kommen mit Schaufeln und dir graben helfen. Du warſt das Gegentheil von einem Todtengräber, du machteſt auferſtehen. Du mußteſt, wie ein feinfühlender Menſch, durch Mitgefühl belehren können, denn ſonſt hätte jenes her- vorgegrabene Knäblein gewiß nicht gewagt, ſich auf deinen Rücken zu ſetzen, damit du es in das

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/428>, abgerufen am 22.11.2024.