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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Die Raubthiere. Hunde. -- Seidenhunde.
menschliche Natur treibt ihn, sich an seinem Herrn aufzurichten, auf zwei Beine zu stellen und
aufrecht zu gehen. Bald genug merkt er, daß er es könne, und er thut es sehr oft von selbst,
wenn er will."

"Sein Geschmacksinn ist fein; er unterscheidet zwischen Speisen sehr genau; er ist ein Lecker-
maul. Sein Geruchsinn ist berühmt. Er kennt die Kinder seines Herrn durch ihn und findet mit
Hilfe derselben seine verlorne Spur. Giebt man ihm von einem verlornen Kinde einen Schuh oder
sonst Etwas zu riechen, so kann er durch die Festhaltung des Eindrucks dieses Geruchs das verlorne
Kind von selbst finden. Kaum jemals täuscht er sich, ihm ist der Geruch als Erkennungsvermögen
angewiesen. Er fühlt auch fein. Für körperliche Schmerzen ist er sehr empfindlich; er ist wehleidig.
Sein Gehör ist vortrefflich. Von weitem kennt er die Stimme, unterscheidet sie auch dem Sinne nach,
kennt den Unterschied der Glocken und Klingeln, kennt die Art und Weise und den Ton des Schrittes
seiner Hausgenossen. Aber sein Gesicht ist zurückgeblieben, er sieht nicht gut, er kennt seinen Herrn
durch das Gesicht nur, wenn er ziemlich nahe ist."

"Der Ortsinn ist im Pudel ausgezeichnet. Er findet den Weg nach Hause Stunden und Tage
weit her. Er läuft in der Stadt oder auf dem Lande willkürlich herum und besucht, mit der Gewiß-
heit zu finden, irgend ein Haus, in welchem er mit seinem Herrn, sei es auch nur einmal, gewesen,
in welchem ihm wohlgethan worden ist. Deshalb kann er abgerichtet werden, Brod beim Bäcker,
Fleisch in der Fleischerei zu holen. Sein Zeitsinn ist merkwürdig; er merkt an den Tagen, daß der
Sonntag kommt; er kennt, wie der hungrige Mensch, die Mittagsstunde und die Schlachttage im
Schlachthause. Die Farben kennt er genau und unterscheidet die Dinge mit Hilfe derselben deutlich.
Sonderbar ist der Eindruck der Musik auf ihn: manche Werkzeuge kann er wohl leiden, andere
gar nicht."

"Der Pudel hat ein außerordentlich scharfes Wahrnehmungsvermögen. Nichts entgeht ihm, und
darum heißt er gescheit. Er ist ein vollkommner Beobachter und lernt deshalb nicht blos die Worte,
sondern auch die Mienen und Blicke seines Herrn ausgezeichnet verstehen. Sein Gedächtniß ist im
hohen Grade treu. Jahrelang bleibt ihm die Form und die Farbe seines Herrn in der Seele; jahre-
lang verliert er den Weg irgend wohin nicht. Man nennt den Hund schon wegen seines unter-
scheidenden Geruchsinns gescheit: wie vielmehr wird man ihn wegen seines getreuen Gedächtnisses ge-
scheit nennen, da man ja im täglichen Leben jedes Kind mit gutem Gedächtniß für gescheit hält und
selbst einen dummen Gelehrten, d. h. Vielwisser, für gescheit hält. Dieses Gedächtniß ist eine Haupt-
ursache zur Gelehrigkeit des Pudels. Doch bedarf er auch dazu Geduld, Gutmüthigkeit und Folg-
samkeit. Er kann wirklich trommeln, Pistolen losschießen, an Leitern hinaufklettern, frei mit einer
Schar Hunde eine Anhöhe, die von anderen Hunden vertheidigt wird, erstürmen und mit Kame-
raden eine Komödie spielen lernen. Wir wissen, daß man auch Pferden und Elefanten (aber blos
diesen!
) Aehnliches und Gleiches lehren kann."

"Zwei Dinge kommen noch dazu: des Pudels Nachahmungssucht und sein Ehrgefühl d. h. seine
Eitelkeit. Jmmer schaut er seinen Herrn an, immer schaut er, was er thut, immer will er ihm zu
Diensten stehen. Er ist der rechte Augendiener; er denkt, wie ein Kind vom Vater, was Dieser thut,
sei recht, er müsse oder dürfe es ebenfalls thun. Nimmt der Herr eine Kegelkugel, so nimmt er
zwischen seine Pfoten auch eine, will sie anbeißen und plagt sich, wenn es ihm nicht gelingen will.
Sucht jener Steine behufs wissenschaftlicher Behandlung, so sucht auch der Pudel Steine. Gräbt der
Herr irgendwo, so fängt auch er mit den Pfoten zu graben an. Sitzt Jener im Fenster, so springt
auch Dieser auf die Bank neben ihn, legt beide Tatzen aufs Gesimse und guckt ebenfalls in die schöne
Aussicht hinaus. Er will auch einen Stock oder Korb tragen, weil er den Herrn oder die Köchin
einen tragen sieht. Er trägt ihn sorgfältig, stellt ihn vor die Leute hin, geht von einer Person zur
andern, um zu zeigen, wie geschickt er sei, und wedelt mit dem Schwanze selbstgefällig. Während des
Tragens bekümmert er sich gar nicht um andere Hunde; er scheint sie als Taugenichtse zu verachten,
sie aber scheinen ihn zu achten."

Die Raubthiere. Hunde. — Seidenhunde.
menſchliche Natur treibt ihn, ſich an ſeinem Herrn aufzurichten, auf zwei Beine zu ſtellen und
aufrecht zu gehen. Bald genug merkt er, daß er es könne, und er thut es ſehr oft von ſelbſt,
wenn er will.

„Sein Geſchmackſinn iſt fein; er unterſcheidet zwiſchen Speiſen ſehr genau; er iſt ein Lecker-
maul. Sein Geruchſinn iſt berühmt. Er kennt die Kinder ſeines Herrn durch ihn und findet mit
Hilfe derſelben ſeine verlorne Spur. Giebt man ihm von einem verlornen Kinde einen Schuh oder
ſonſt Etwas zu riechen, ſo kann er durch die Feſthaltung des Eindrucks dieſes Geruchs das verlorne
Kind von ſelbſt finden. Kaum jemals täuſcht er ſich, ihm iſt der Geruch als Erkennungsvermögen
angewieſen. Er fühlt auch fein. Für körperliche Schmerzen iſt er ſehr empfindlich; er iſt wehleidig.
Sein Gehör iſt vortrefflich. Von weitem kennt er die Stimme, unterſcheidet ſie auch dem Sinne nach,
kennt den Unterſchied der Glocken und Klingeln, kennt die Art und Weiſe und den Ton des Schrittes
ſeiner Hausgenoſſen. Aber ſein Geſicht iſt zurückgeblieben, er ſieht nicht gut, er kennt ſeinen Herrn
durch das Geſicht nur, wenn er ziemlich nahe iſt.‟

„Der Ortſinn iſt im Pudel ausgezeichnet. Er findet den Weg nach Hauſe Stunden und Tage
weit her. Er läuft in der Stadt oder auf dem Lande willkürlich herum und beſucht, mit der Gewiß-
heit zu finden, irgend ein Haus, in welchem er mit ſeinem Herrn, ſei es auch nur einmal, geweſen,
in welchem ihm wohlgethan worden iſt. Deshalb kann er abgerichtet werden, Brod beim Bäcker,
Fleiſch in der Fleiſcherei zu holen. Sein Zeitſinn iſt merkwürdig; er merkt an den Tagen, daß der
Sonntag kommt; er kennt, wie der hungrige Menſch, die Mittagsſtunde und die Schlachttage im
Schlachthauſe. Die Farben kennt er genau und unterſcheidet die Dinge mit Hilfe derſelben deutlich.
Sonderbar iſt der Eindruck der Muſik auf ihn: manche Werkzeuge kann er wohl leiden, andere
gar nicht.‟

„Der Pudel hat ein außerordentlich ſcharfes Wahrnehmungsvermögen. Nichts entgeht ihm, und
darum heißt er geſcheit. Er iſt ein vollkommner Beobachter und lernt deshalb nicht blos die Worte,
ſondern auch die Mienen und Blicke ſeines Herrn ausgezeichnet verſtehen. Sein Gedächtniß iſt im
hohen Grade treu. Jahrelang bleibt ihm die Form und die Farbe ſeines Herrn in der Seele; jahre-
lang verliert er den Weg irgend wohin nicht. Man nennt den Hund ſchon wegen ſeines unter-
ſcheidenden Geruchſinns geſcheit: wie vielmehr wird man ihn wegen ſeines getreuen Gedächtniſſes ge-
ſcheit nennen, da man ja im täglichen Leben jedes Kind mit gutem Gedächtniß für geſcheit hält und
ſelbſt einen dummen Gelehrten, d. h. Vielwiſſer, für geſcheit hält. Dieſes Gedächtniß iſt eine Haupt-
urſache zur Gelehrigkeit des Pudels. Doch bedarf er auch dazu Geduld, Gutmüthigkeit und Folg-
ſamkeit. Er kann wirklich trommeln, Piſtolen losſchießen, an Leitern hinaufklettern, frei mit einer
Schar Hunde eine Anhöhe, die von anderen Hunden vertheidigt wird, erſtürmen und mit Kame-
raden eine Komödie ſpielen lernen. Wir wiſſen, daß man auch Pferden und Elefanten (aber blos
dieſen!
) Aehnliches und Gleiches lehren kann.‟

„Zwei Dinge kommen noch dazu: des Pudels Nachahmungsſucht und ſein Ehrgefühl d. h. ſeine
Eitelkeit. Jmmer ſchaut er ſeinen Herrn an, immer ſchaut er, was er thut, immer will er ihm zu
Dienſten ſtehen. Er iſt der rechte Augendiener; er denkt, wie ein Kind vom Vater, was Dieſer thut,
ſei recht, er müſſe oder dürfe es ebenfalls thun. Nimmt der Herr eine Kegelkugel, ſo nimmt er
zwiſchen ſeine Pfoten auch eine, will ſie anbeißen und plagt ſich, wenn es ihm nicht gelingen will.
Sucht jener Steine behufs wiſſenſchaftlicher Behandlung, ſo ſucht auch der Pudel Steine. Gräbt der
Herr irgendwo, ſo fängt auch er mit den Pfoten zu graben an. Sitzt Jener im Fenſter, ſo ſpringt
auch Dieſer auf die Bank neben ihn, legt beide Tatzen aufs Geſimſe und guckt ebenfalls in die ſchöne
Ausſicht hinaus. Er will auch einen Stock oder Korb tragen, weil er den Herrn oder die Köchin
einen tragen ſieht. Er trägt ihn ſorgfältig, ſtellt ihn vor die Leute hin, geht von einer Perſon zur
andern, um zu zeigen, wie geſchickt er ſei, und wedelt mit dem Schwanze ſelbſtgefällig. Während des
Tragens bekümmert er ſich gar nicht um andere Hunde; er ſcheint ſie als Taugenichtſe zu verachten,
ſie aber ſcheinen ihn zu achten.‟

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[386/0452] Die Raubthiere. Hunde. — Seidenhunde. menſchliche Natur treibt ihn, ſich an ſeinem Herrn aufzurichten, auf zwei Beine zu ſtellen und aufrecht zu gehen. Bald genug merkt er, daß er es könne, und er thut es ſehr oft von ſelbſt, wenn er will.‟ „Sein Geſchmackſinn iſt fein; er unterſcheidet zwiſchen Speiſen ſehr genau; er iſt ein Lecker- maul. Sein Geruchſinn iſt berühmt. Er kennt die Kinder ſeines Herrn durch ihn und findet mit Hilfe derſelben ſeine verlorne Spur. Giebt man ihm von einem verlornen Kinde einen Schuh oder ſonſt Etwas zu riechen, ſo kann er durch die Feſthaltung des Eindrucks dieſes Geruchs das verlorne Kind von ſelbſt finden. Kaum jemals täuſcht er ſich, ihm iſt der Geruch als Erkennungsvermögen angewieſen. Er fühlt auch fein. Für körperliche Schmerzen iſt er ſehr empfindlich; er iſt wehleidig. Sein Gehör iſt vortrefflich. Von weitem kennt er die Stimme, unterſcheidet ſie auch dem Sinne nach, kennt den Unterſchied der Glocken und Klingeln, kennt die Art und Weiſe und den Ton des Schrittes ſeiner Hausgenoſſen. Aber ſein Geſicht iſt zurückgeblieben, er ſieht nicht gut, er kennt ſeinen Herrn durch das Geſicht nur, wenn er ziemlich nahe iſt.‟ „Der Ortſinn iſt im Pudel ausgezeichnet. Er findet den Weg nach Hauſe Stunden und Tage weit her. Er läuft in der Stadt oder auf dem Lande willkürlich herum und beſucht, mit der Gewiß- heit zu finden, irgend ein Haus, in welchem er mit ſeinem Herrn, ſei es auch nur einmal, geweſen, in welchem ihm wohlgethan worden iſt. Deshalb kann er abgerichtet werden, Brod beim Bäcker, Fleiſch in der Fleiſcherei zu holen. Sein Zeitſinn iſt merkwürdig; er merkt an den Tagen, daß der Sonntag kommt; er kennt, wie der hungrige Menſch, die Mittagsſtunde und die Schlachttage im Schlachthauſe. Die Farben kennt er genau und unterſcheidet die Dinge mit Hilfe derſelben deutlich. Sonderbar iſt der Eindruck der Muſik auf ihn: manche Werkzeuge kann er wohl leiden, andere gar nicht.‟ „Der Pudel hat ein außerordentlich ſcharfes Wahrnehmungsvermögen. Nichts entgeht ihm, und darum heißt er geſcheit. Er iſt ein vollkommner Beobachter und lernt deshalb nicht blos die Worte, ſondern auch die Mienen und Blicke ſeines Herrn ausgezeichnet verſtehen. Sein Gedächtniß iſt im hohen Grade treu. Jahrelang bleibt ihm die Form und die Farbe ſeines Herrn in der Seele; jahre- lang verliert er den Weg irgend wohin nicht. Man nennt den Hund ſchon wegen ſeines unter- ſcheidenden Geruchſinns geſcheit: wie vielmehr wird man ihn wegen ſeines getreuen Gedächtniſſes ge- ſcheit nennen, da man ja im täglichen Leben jedes Kind mit gutem Gedächtniß für geſcheit hält und ſelbſt einen dummen Gelehrten, d. h. Vielwiſſer, für geſcheit hält. Dieſes Gedächtniß iſt eine Haupt- urſache zur Gelehrigkeit des Pudels. Doch bedarf er auch dazu Geduld, Gutmüthigkeit und Folg- ſamkeit. Er kann wirklich trommeln, Piſtolen losſchießen, an Leitern hinaufklettern, frei mit einer Schar Hunde eine Anhöhe, die von anderen Hunden vertheidigt wird, erſtürmen und mit Kame- raden eine Komödie ſpielen lernen. Wir wiſſen, daß man auch Pferden und Elefanten (aber blos dieſen!) Aehnliches und Gleiches lehren kann.‟ „Zwei Dinge kommen noch dazu: des Pudels Nachahmungsſucht und ſein Ehrgefühl d. h. ſeine Eitelkeit. Jmmer ſchaut er ſeinen Herrn an, immer ſchaut er, was er thut, immer will er ihm zu Dienſten ſtehen. Er iſt der rechte Augendiener; er denkt, wie ein Kind vom Vater, was Dieſer thut, ſei recht, er müſſe oder dürfe es ebenfalls thun. Nimmt der Herr eine Kegelkugel, ſo nimmt er zwiſchen ſeine Pfoten auch eine, will ſie anbeißen und plagt ſich, wenn es ihm nicht gelingen will. Sucht jener Steine behufs wiſſenſchaftlicher Behandlung, ſo ſucht auch der Pudel Steine. Gräbt der Herr irgendwo, ſo fängt auch er mit den Pfoten zu graben an. Sitzt Jener im Fenſter, ſo ſpringt auch Dieſer auf die Bank neben ihn, legt beide Tatzen aufs Geſimſe und guckt ebenfalls in die ſchöne Ausſicht hinaus. Er will auch einen Stock oder Korb tragen, weil er den Herrn oder die Köchin einen tragen ſieht. Er trägt ihn ſorgfältig, ſtellt ihn vor die Leute hin, geht von einer Perſon zur andern, um zu zeigen, wie geſchickt er ſei, und wedelt mit dem Schwanze ſelbſtgefällig. Während des Tragens bekümmert er ſich gar nicht um andere Hunde; er ſcheint ſie als Taugenichtſe zu verachten, ſie aber ſcheinen ihn zu achten.‟

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/452>, abgerufen am 26.06.2024.