Stellers und Wrangels Schilderungen des Eskimohundes.
nicht so sehr, wie andere, in Acht genommen zu werden, sie lassen die Haare nicht fahren und sind allezeit trocken."
"Je längere Haare die Hunde haben, je höher werden sie geschätzt. Diejenigen Hunde aber, so hohe Füße, lange Ohren, spitzige Nasen, ein breites Kreuz, unten breite Füße und nach den Ohren zu dicke Köpfe haben, stark fressen und munter sind, werden von Jngend auf zu Schlittenhunden aus- erlesen und auf folgende Art belehrt und abgerichtet. Sobald sie sehen, werden sie sammt der Mutter in eine tiefe Grube gelegt, daß sie weder Menschen noch Thiere zu sehen bekommen, und ernähren selbe dadrinnen. Wenn sie von der Hündin abgewöhnt sind, legen die Kamtschadalen solche abermals in eine Grube, bis sie erwachsen. Nach einem halben Jahre spannen sie dieselben mit andern gelernten an den Schlitten und fahren mit ihnen einen kurzen Weg. Weil die jungen Thiere nun hund- und leuteschen sind, so laufen sie aus allen Kräften. Sobald sie wieder nach Hause kommen, müssen sie wieder in die Grube, solange und soviel, bis sie von nichts Anderm wissen, des Ziehens gewohnt werden und eine weite Reise verrichtet haben. Alsdann werden sie unter den Wohnungen neben andere gebunden und erhalten als Ausstudirte im Sommer ihre Freiheit. Aus dieser Erziehung sind hernach ihre mores herzuleiten."
"Der größte Verdruß bei der Hundefahrt ist der, daß sie, sobald sie angespannt werden, den Kopf gegen den Himmel erheben und erschrecklich zu heulen und zu wehklagen anfangen, nicht anders, als wenn sie den Himmel wegen ihrer harten Umstände anrufen wollten. Sobald sie aber in das Laufen kommen, schweigen sie auf einmal Alle still. Darauf geht der andere Verdruß an, daß Einer um den Andern zurückspringet, seine Nothdurft verrichtet, und während sie diese Zeit ausruhen, so brauchen sie hierin die List, daß allezeit einer nach dem andern seine Nothdurft verrichtet, auch wohl manchmal nur halb, und geben sie öfters umsonst dieses Geschäft vor. Kommen sie an Ort und Stelle, so liegen sie ermüdet da, als wenn sie todt wären."
"Diejenigen Hunde aber, welche die Kamtschadalen zur Hasen-, Zobel-, Fuchs- und Mufflons- jagd abrichten, füttern sie öfters mit Krähen, die man in Ueberfluß hat, wovon sie den Geruch be- kommen und nach diesen, wie nach allem Wild und Vögeln laufen. Mit solchen Hunden treiben die Kamtschadalen im Juli Enten, Gänse und Schwäne, wenn sie in die Felder fallen, und auch in den großen Jnseeen in ziemlicher Menge zusammen."
Jm übrigen Sibirien werden die Hunde etwas besser behandelt. "Der sibirische Hund," sagt Wrangel, "hat auffallende Aehnlichkeit mit einem Wolf, sein Gebell gleicht ganz dem Geheul desselben. Jm Sommer bringt er die größte Zeit im Wasser zu, um gegen Stechfliegen in Sicher- heit zu sein; im Winter hat er sein Lager tief im Schnee. Das vollständige Gespann eines Schlittens besteht aus zwölf Köpfen. Ein besonders gut abgerichteter Hund befindet sich an der Spitze und leitet die übrigen. Hat dieses Thier nur ein einziges Mal einen Weg zurückgelegt, so erkennt es nicht nur aufs genaueste die zu nehmende Richtung, sondern auch die Orte, wo man zu verweilen pflegt, selbst wenn die Hütten tief unter dem Schnee verborgen sind. Er hält plötzlich auf der gleichförmigen Oberfläche still, wedelt mit dem Schwanze und scheint dadurch seinen Herrn einzuladen, die Schaufel zu ergreifen, um den engen Gang in die Hütte zu finden, welche einen Rastort gewähren soll. Jm Sommer muß derselbe Hund Boote stromaufwärts ziehen; hindert ihn ein Felsen, weiter vorwärts zu gehen, so stürzt er sich ins Wasser und setzt seinen Weg am andern Ufer fort. Dafür werden ihm täglich zehn halbverfaulte Häringe als Futter gereicht!"
"Der Hund ist den Sibiriern unentbehrlich. Als im Jahre 1821 eine Seuche unter den Thieren wüthete und eine jukagirische Familie Alles verlor, mit Ausnahme von zwei ganz kleinen Hunden, welche noch nicht sehen konnten, da theilte die Hausfrau ihre eigne Milch zwischen diesen beiden Hündchen und ihrem Kinde und hatte die Freude, daß diese beiden Hunde die Stammeltern einer sehr starken Rasse wurden. Jm Jahre 1822 waren die Einwohner am Kolymaflusse, nachdem sie ihre meisten Hunde durch die Seuche eingebüßt hatten, in die traurigste Lage versetzt. Sie mußten ihr Brennholz selbst herbeischleppen; dabei fehlte ihnen sowohl Zeit als Kräfte, die an verschiedenen, weit
Stellers und Wrangels Schilderungen des Eskimohundes.
nicht ſo ſehr, wie andere, in Acht genommen zu werden, ſie laſſen die Haare nicht fahren und ſind allezeit trocken.‟
„Je längere Haare die Hunde haben, je höher werden ſie geſchätzt. Diejenigen Hunde aber, ſo hohe Füße, lange Ohren, ſpitzige Naſen, ein breites Kreuz, unten breite Füße und nach den Ohren zu dicke Köpfe haben, ſtark freſſen und munter ſind, werden von Jngend auf zu Schlittenhunden aus- erleſen und auf folgende Art belehrt und abgerichtet. Sobald ſie ſehen, werden ſie ſammt der Mutter in eine tiefe Grube gelegt, daß ſie weder Menſchen noch Thiere zu ſehen bekommen, und ernähren ſelbe dadrinnen. Wenn ſie von der Hündin abgewöhnt ſind, legen die Kamtſchadalen ſolche abermals in eine Grube, bis ſie erwachſen. Nach einem halben Jahre ſpannen ſie dieſelben mit andern gelernten an den Schlitten und fahren mit ihnen einen kurzen Weg. Weil die jungen Thiere nun hund- und leuteſchen ſind, ſo laufen ſie aus allen Kräften. Sobald ſie wieder nach Hauſe kommen, müſſen ſie wieder in die Grube, ſolange und ſoviel, bis ſie von nichts Anderm wiſſen, des Ziehens gewohnt werden und eine weite Reiſe verrichtet haben. Alsdann werden ſie unter den Wohnungen neben andere gebunden und erhalten als Ausſtudirte im Sommer ihre Freiheit. Aus dieſer Erziehung ſind hernach ihre mores herzuleiten.‟
„Der größte Verdruß bei der Hundefahrt iſt der, daß ſie, ſobald ſie angeſpannt werden, den Kopf gegen den Himmel erheben und erſchrecklich zu heulen und zu wehklagen anfangen, nicht anders, als wenn ſie den Himmel wegen ihrer harten Umſtände anrufen wollten. Sobald ſie aber in das Laufen kommen, ſchweigen ſie auf einmal Alle ſtill. Darauf geht der andere Verdruß an, daß Einer um den Andern zurückſpringet, ſeine Nothdurft verrichtet, und während ſie dieſe Zeit ausruhen, ſo brauchen ſie hierin die Liſt, daß allezeit einer nach dem andern ſeine Nothdurft verrichtet, auch wohl manchmal nur halb, und geben ſie öfters umſonſt dieſes Geſchäft vor. Kommen ſie an Ort und Stelle, ſo liegen ſie ermüdet da, als wenn ſie todt wären.‟
„Diejenigen Hunde aber, welche die Kamtſchadalen zur Haſen-, Zobel-, Fuchs- und Mufflons- jagd abrichten, füttern ſie öfters mit Krähen, die man in Ueberfluß hat, wovon ſie den Geruch be- kommen und nach dieſen, wie nach allem Wild und Vögeln laufen. Mit ſolchen Hunden treiben die Kamtſchadalen im Juli Enten, Gänſe und Schwäne, wenn ſie in die Felder fallen, und auch in den großen Jnſeeen in ziemlicher Menge zuſammen.‟
Jm übrigen Sibirien werden die Hunde etwas beſſer behandelt. „Der ſibiriſche Hund,‟ ſagt Wrangel, „hat auffallende Aehnlichkeit mit einem Wolf, ſein Gebell gleicht ganz dem Geheul deſſelben. Jm Sommer bringt er die größte Zeit im Waſſer zu, um gegen Stechfliegen in Sicher- heit zu ſein; im Winter hat er ſein Lager tief im Schnee. Das vollſtändige Geſpann eines Schlittens beſteht aus zwölf Köpfen. Ein beſonders gut abgerichteter Hund befindet ſich an der Spitze und leitet die übrigen. Hat dieſes Thier nur ein einziges Mal einen Weg zurückgelegt, ſo erkennt es nicht nur aufs genaueſte die zu nehmende Richtung, ſondern auch die Orte, wo man zu verweilen pflegt, ſelbſt wenn die Hütten tief unter dem Schnee verborgen ſind. Er hält plötzlich auf der gleichförmigen Oberfläche ſtill, wedelt mit dem Schwanze und ſcheint dadurch ſeinen Herrn einzuladen, die Schaufel zu ergreifen, um den engen Gang in die Hütte zu finden, welche einen Raſtort gewähren ſoll. Jm Sommer muß derſelbe Hund Boote ſtromaufwärts ziehen; hindert ihn ein Felſen, weiter vorwärts zu gehen, ſo ſtürzt er ſich ins Waſſer und ſetzt ſeinen Weg am andern Ufer fort. Dafür werden ihm täglich zehn halbverfaulte Häringe als Futter gereicht!‟
„Der Hund iſt den Sibiriern unentbehrlich. Als im Jahre 1821 eine Seuche unter den Thieren wüthete und eine jukagiriſche Familie Alles verlor, mit Ausnahme von zwei ganz kleinen Hunden, welche noch nicht ſehen konnten, da theilte die Hausfrau ihre eigne Milch zwiſchen dieſen beiden Hündchen und ihrem Kinde und hatte die Freude, daß dieſe beiden Hunde die Stammeltern einer ſehr ſtarken Raſſe wurden. Jm Jahre 1822 waren die Einwohner am Kolymafluſſe, nachdem ſie ihre meiſten Hunde durch die Seuche eingebüßt hatten, in die traurigſte Lage verſetzt. Sie mußten ihr Brennholz ſelbſt herbeiſchleppen; dabei fehlte ihnen ſowohl Zeit als Kräfte, die an verſchiedenen, weit
<TEI><text><body><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0467"n="399"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Stellers</hi> und <hirendition="#g">Wrangels</hi> Schilderungen des <hirendition="#g">Eskimohundes.</hi></fw><lb/>
nicht ſo ſehr, wie andere, in Acht genommen zu werden, ſie laſſen die Haare nicht fahren und ſind<lb/>
allezeit trocken.‟</p><lb/><p>„Je längere Haare die Hunde haben, je höher werden ſie geſchätzt. Diejenigen Hunde aber,<lb/>ſo hohe Füße, lange Ohren, ſpitzige Naſen, ein breites Kreuz, unten breite Füße und nach den Ohren<lb/>
zu dicke Köpfe haben, ſtark freſſen und munter ſind, werden von Jngend auf zu Schlittenhunden aus-<lb/>
erleſen und auf folgende Art belehrt und abgerichtet. Sobald ſie ſehen, werden ſie ſammt der Mutter<lb/>
in eine tiefe Grube gelegt, daß ſie weder Menſchen noch Thiere zu ſehen bekommen, und ernähren<lb/>ſelbe dadrinnen. Wenn ſie von der Hündin abgewöhnt ſind, legen die Kamtſchadalen ſolche abermals<lb/>
in eine Grube, bis ſie erwachſen. Nach einem halben Jahre ſpannen ſie dieſelben mit andern gelernten<lb/>
an den Schlitten und fahren mit ihnen einen kurzen Weg. Weil die jungen Thiere nun hund- und<lb/>
leuteſchen ſind, ſo laufen ſie aus allen Kräften. Sobald ſie wieder nach Hauſe kommen, müſſen ſie<lb/>
wieder in die Grube, ſolange und ſoviel, bis ſie von nichts Anderm wiſſen, des Ziehens gewohnt<lb/>
werden und eine weite Reiſe verrichtet haben. Alsdann werden ſie unter den Wohnungen neben<lb/>
andere gebunden und erhalten als Ausſtudirte im Sommer ihre Freiheit. Aus dieſer Erziehung ſind<lb/>
hernach ihre <hirendition="#aq">mores</hi> herzuleiten.‟</p><lb/><p>„Der größte Verdruß bei der Hundefahrt iſt der, daß ſie, ſobald ſie angeſpannt werden, den<lb/>
Kopf gegen den Himmel erheben und erſchrecklich zu heulen und zu wehklagen anfangen, nicht anders,<lb/>
als wenn ſie den Himmel wegen ihrer harten Umſtände anrufen wollten. Sobald ſie aber in das<lb/>
Laufen kommen, ſchweigen ſie auf einmal Alle ſtill. Darauf geht der andere Verdruß an, daß Einer<lb/>
um den Andern zurückſpringet, ſeine Nothdurft verrichtet, und während ſie dieſe Zeit ausruhen, ſo<lb/>
brauchen ſie hierin die Liſt, daß allezeit einer nach dem andern ſeine Nothdurft verrichtet, auch wohl<lb/>
manchmal nur halb, und geben ſie öfters umſonſt dieſes Geſchäft vor. Kommen ſie an Ort und<lb/>
Stelle, ſo liegen ſie ermüdet da, als wenn ſie todt wären.‟</p><lb/><p>„Diejenigen Hunde aber, welche die Kamtſchadalen zur Haſen-, Zobel-, Fuchs- und Mufflons-<lb/>
jagd abrichten, füttern ſie öfters mit Krähen, die man in Ueberfluß hat, wovon ſie den Geruch be-<lb/>
kommen und nach dieſen, wie nach allem Wild und Vögeln laufen. Mit ſolchen Hunden treiben die<lb/>
Kamtſchadalen im Juli <hirendition="#g">Enten, Gänſe</hi> und <hirendition="#g">Schwäne,</hi> wenn ſie in die Felder fallen, und auch in<lb/>
den großen Jnſeeen in ziemlicher Menge zuſammen.‟</p><lb/><p>Jm übrigen Sibirien werden die Hunde etwas beſſer behandelt. „Der ſibiriſche Hund,‟ſagt<lb/><hirendition="#g">Wrangel,</hi>„hat auffallende Aehnlichkeit mit einem <hirendition="#g">Wolf,</hi>ſein Gebell gleicht ganz dem Geheul<lb/>
deſſelben. Jm Sommer bringt er die größte Zeit im Waſſer zu, um gegen <hirendition="#g">Stechfliegen</hi> in Sicher-<lb/>
heit zu ſein; im Winter hat er ſein Lager tief im Schnee. Das vollſtändige Geſpann eines Schlittens<lb/>
beſteht aus zwölf Köpfen. Ein beſonders gut abgerichteter Hund befindet ſich an der Spitze und leitet<lb/>
die übrigen. Hat dieſes Thier nur ein einziges Mal einen Weg zurückgelegt, ſo erkennt es nicht nur<lb/>
aufs genaueſte die zu nehmende Richtung, ſondern auch die Orte, wo man zu verweilen pflegt, ſelbſt<lb/>
wenn die Hütten tief unter dem Schnee verborgen ſind. Er hält plötzlich auf der gleichförmigen<lb/>
Oberfläche ſtill, wedelt mit dem Schwanze und ſcheint dadurch ſeinen Herrn einzuladen, die Schaufel<lb/>
zu ergreifen, um den engen Gang in die Hütte zu finden, welche einen Raſtort gewähren ſoll. Jm<lb/>
Sommer muß derſelbe Hund Boote ſtromaufwärts ziehen; hindert ihn ein Felſen, weiter vorwärts<lb/>
zu gehen, ſo ſtürzt er ſich ins Waſſer und ſetzt ſeinen Weg am andern Ufer fort. Dafür werden ihm<lb/>
täglich zehn halbverfaulte Häringe als Futter gereicht!‟</p><lb/><p>„Der Hund iſt den Sibiriern unentbehrlich. Als im Jahre 1821 eine Seuche unter den Thieren<lb/>
wüthete und eine jukagiriſche Familie Alles verlor, mit Ausnahme von zwei ganz kleinen Hunden,<lb/>
welche noch nicht ſehen konnten, da theilte die Hausfrau ihre eigne Milch zwiſchen dieſen beiden<lb/>
Hündchen und ihrem Kinde und hatte die Freude, daß dieſe beiden Hunde die Stammeltern einer ſehr<lb/>ſtarken Raſſe wurden. Jm Jahre 1822 waren die Einwohner am Kolymafluſſe, nachdem ſie ihre<lb/>
meiſten Hunde durch die Seuche eingebüßt hatten, in die traurigſte Lage verſetzt. Sie mußten ihr<lb/>
Brennholz ſelbſt herbeiſchleppen; dabei fehlte ihnen ſowohl Zeit als Kräfte, die an verſchiedenen, weit<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[399/0467]
Stellers und Wrangels Schilderungen des Eskimohundes.
nicht ſo ſehr, wie andere, in Acht genommen zu werden, ſie laſſen die Haare nicht fahren und ſind
allezeit trocken.‟
„Je längere Haare die Hunde haben, je höher werden ſie geſchätzt. Diejenigen Hunde aber,
ſo hohe Füße, lange Ohren, ſpitzige Naſen, ein breites Kreuz, unten breite Füße und nach den Ohren
zu dicke Köpfe haben, ſtark freſſen und munter ſind, werden von Jngend auf zu Schlittenhunden aus-
erleſen und auf folgende Art belehrt und abgerichtet. Sobald ſie ſehen, werden ſie ſammt der Mutter
in eine tiefe Grube gelegt, daß ſie weder Menſchen noch Thiere zu ſehen bekommen, und ernähren
ſelbe dadrinnen. Wenn ſie von der Hündin abgewöhnt ſind, legen die Kamtſchadalen ſolche abermals
in eine Grube, bis ſie erwachſen. Nach einem halben Jahre ſpannen ſie dieſelben mit andern gelernten
an den Schlitten und fahren mit ihnen einen kurzen Weg. Weil die jungen Thiere nun hund- und
leuteſchen ſind, ſo laufen ſie aus allen Kräften. Sobald ſie wieder nach Hauſe kommen, müſſen ſie
wieder in die Grube, ſolange und ſoviel, bis ſie von nichts Anderm wiſſen, des Ziehens gewohnt
werden und eine weite Reiſe verrichtet haben. Alsdann werden ſie unter den Wohnungen neben
andere gebunden und erhalten als Ausſtudirte im Sommer ihre Freiheit. Aus dieſer Erziehung ſind
hernach ihre mores herzuleiten.‟
„Der größte Verdruß bei der Hundefahrt iſt der, daß ſie, ſobald ſie angeſpannt werden, den
Kopf gegen den Himmel erheben und erſchrecklich zu heulen und zu wehklagen anfangen, nicht anders,
als wenn ſie den Himmel wegen ihrer harten Umſtände anrufen wollten. Sobald ſie aber in das
Laufen kommen, ſchweigen ſie auf einmal Alle ſtill. Darauf geht der andere Verdruß an, daß Einer
um den Andern zurückſpringet, ſeine Nothdurft verrichtet, und während ſie dieſe Zeit ausruhen, ſo
brauchen ſie hierin die Liſt, daß allezeit einer nach dem andern ſeine Nothdurft verrichtet, auch wohl
manchmal nur halb, und geben ſie öfters umſonſt dieſes Geſchäft vor. Kommen ſie an Ort und
Stelle, ſo liegen ſie ermüdet da, als wenn ſie todt wären.‟
„Diejenigen Hunde aber, welche die Kamtſchadalen zur Haſen-, Zobel-, Fuchs- und Mufflons-
jagd abrichten, füttern ſie öfters mit Krähen, die man in Ueberfluß hat, wovon ſie den Geruch be-
kommen und nach dieſen, wie nach allem Wild und Vögeln laufen. Mit ſolchen Hunden treiben die
Kamtſchadalen im Juli Enten, Gänſe und Schwäne, wenn ſie in die Felder fallen, und auch in
den großen Jnſeeen in ziemlicher Menge zuſammen.‟
Jm übrigen Sibirien werden die Hunde etwas beſſer behandelt. „Der ſibiriſche Hund,‟ ſagt
Wrangel, „hat auffallende Aehnlichkeit mit einem Wolf, ſein Gebell gleicht ganz dem Geheul
deſſelben. Jm Sommer bringt er die größte Zeit im Waſſer zu, um gegen Stechfliegen in Sicher-
heit zu ſein; im Winter hat er ſein Lager tief im Schnee. Das vollſtändige Geſpann eines Schlittens
beſteht aus zwölf Köpfen. Ein beſonders gut abgerichteter Hund befindet ſich an der Spitze und leitet
die übrigen. Hat dieſes Thier nur ein einziges Mal einen Weg zurückgelegt, ſo erkennt es nicht nur
aufs genaueſte die zu nehmende Richtung, ſondern auch die Orte, wo man zu verweilen pflegt, ſelbſt
wenn die Hütten tief unter dem Schnee verborgen ſind. Er hält plötzlich auf der gleichförmigen
Oberfläche ſtill, wedelt mit dem Schwanze und ſcheint dadurch ſeinen Herrn einzuladen, die Schaufel
zu ergreifen, um den engen Gang in die Hütte zu finden, welche einen Raſtort gewähren ſoll. Jm
Sommer muß derſelbe Hund Boote ſtromaufwärts ziehen; hindert ihn ein Felſen, weiter vorwärts
zu gehen, ſo ſtürzt er ſich ins Waſſer und ſetzt ſeinen Weg am andern Ufer fort. Dafür werden ihm
täglich zehn halbverfaulte Häringe als Futter gereicht!‟
„Der Hund iſt den Sibiriern unentbehrlich. Als im Jahre 1821 eine Seuche unter den Thieren
wüthete und eine jukagiriſche Familie Alles verlor, mit Ausnahme von zwei ganz kleinen Hunden,
welche noch nicht ſehen konnten, da theilte die Hausfrau ihre eigne Milch zwiſchen dieſen beiden
Hündchen und ihrem Kinde und hatte die Freude, daß dieſe beiden Hunde die Stammeltern einer ſehr
ſtarken Raſſe wurden. Jm Jahre 1822 waren die Einwohner am Kolymafluſſe, nachdem ſie ihre
meiſten Hunde durch die Seuche eingebüßt hatten, in die traurigſte Lage verſetzt. Sie mußten ihr
Brennholz ſelbſt herbeiſchleppen; dabei fehlte ihnen ſowohl Zeit als Kräfte, die an verſchiedenen, weit
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/467>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.