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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Zähmung. Vertilgungsarten.
bei der Eisenniederlage, und sobald im Winter Kohlenbauern kamen, kletterte er auf die Steinmauern
hinauf, wedelte mit dem Schwanze und schrie laut, bis sie herzukamen und ihn streichelten. Hierbei
war er jederzeit angelegentlich beschäftigt, ihre Taschen zu untersuchen, ob sie Etwas bei sich hätten,
was zum Fressen taugte. Die Bauern wurden Dies so gewohnt, daß sie sich damit beschäftigten,
Brodbissen blos zu dem Zwecke in ihre Rocktaschen zu stecken, um sie den Wolf darin fuchen zu lassen.
Dies verstand er denn auch recht gut, und er verzehrte Alles, was man ihm gab. Außerdem fraß er
täglich drei Eimer Futter. Bemerkenswerth war es auch, daß unsere Hunde anfingen, mit ihm aus
dem Eimer zu fressen; kam aber irgend ein fremdes Thier und wollte die Speise mit ihm theilen, so
wurde er wie unsinnig vor Zorn. Jedesmal, wenn er mich im Hofe zu sehen bekam, trieb er ein
arges Wesen, und sobald ich zur Hütte kam, richtete er sich auf die Hinterläufe empor, legte die
Vorderpfoten auf meine Schultern und wollte mich in seiner Freude belecken. Sowie ich wieder von
ihm ging, heulte er vor Leidwesen darüber. Wir hatten ihn ein Jahr lang; da er aber, als er aus-
gewachsen war, des Nachts arg heulte, so beschloß Bedoire, ihn todtschießen zu lassen. -- Mit dem
Wolfe, welchen der Gutsbesitzer v. Uhr erhielt, ereignete sich der merkwürdige Umstand, daß er mit
einem der Jagdhunde seines Besitzers in derselben Hütte zusammen wohnte. Der Hund lag jede Nacht
bei ihm, und sobald er Fleisch zu fressen bekam, vermochte er es niemals über sich, dasselbe ganz aufzu-
zehren, sondern trug es in die Hütte zum Wolfe, welcher ihm dabei alle Zeit mit freundlicher Geberde
entgegenkam. Nicht selten geschah es, daß auch der Wolf seinen Freund auf dieselbe Weise belohnte."

Jch habe diese Geschichten ausführlich mitgetheilt, weil mir die Wölse des Hamburger Thier-
gartens genug Belege für die Wahrheit jener Mittheilungen gegeben haben und geben. Soviel steht
fest: der Wolf ist der Erziehung fähig und der Zähmung d. h. des Umgangs mit vorurtheilsfreien
Menschen würdig. Wer ihn zu behandeln versteht, kann aus ihm ein Thier bilden, welches dem
Haushunde im Wesentlichen ähnelt. Ein freies Thier muß aber freilich anders behandelt werden, als
ein seit undenklichen Zeiten unter Botmäßigkeit des Menschen stehender Sklave.

Es ist erklärlich, daß die Wolfsjagd schon seit den ältesten Zeiten in einen wahren Vertilgungs-
krieg ausartete. Nach den Gesetzen Karls des Großen durfte Jedermann Wölfe und Bären tödten.
"Wolffen und Beeren, an den brichet uyemand keynen Frid," so lautet das Gesetz deutsch übersetzt in
der zu Straßburg 1507 erschienenen Ausgabe des "Sachsenspiegels". Wer einen zahmen Wolf,
oder Hirsch oder Bären oder einen bissigen Hund hielt, mußte nach Karls des Großen Gesetz den
Schaden, welchen ein solches Thier anrichtete, bezahlen: "Wer behaltet einen anfelligen Hund oder
einen czamen Wolff oder Hirß, oder Beeren, wa sig icht schaden thund, das soll der gelten (bezahlen),
des sy seind."

Jn früheren Zeiten wurden die meisten Wölfe in Schlingen und Fallen gefangen. Jn Teller-
eisen fängt man ihn, wie den Fuchs. Man muß aber die Vorsicht gebrauchen, stärkere Tellereisen zu
nehmen und diese mittelst einer Kette fest anzubinden. Auch gegenwärtig ist die erstere Fangart noch
nicht außer Gebrauch gekommen; allein man hat doch erst seit Ausbildung des Feuergewehrs einen
wirklichen Ausrottungskrieg mit Erfolg unternehmen können. Es würde zu weit führen, wenn ich die
verschiedenen Jagdarten hier ausführlich angeben wollte. Gleichwohl halte ich es für nicht unnöthig,
wenigstens die merkwürdigsten kurz zu schildern.

Zur Vertilgung des Wolfes gelten alle Mittel. Pulver und Blei ebensogut, wie das tückisch
gestellte Gift, die verrätherische Schlinge und Falle, der Knüppel und jede andere Waffe. Die meisten
Wölfe werden gegenwärtig wohl mit Brechnuß und in der neuern Zeit hauptsächlich mit Strychnin,
bekanntlich den eigentlichen wirksamen Bestandtheilen der Brechnuß, getödtet. Wenn im Winter die
Nahrung zu mangeln beginnt, bereitet man für den Wolf ein getödtetes Schaf zu und legt es aus. Das
Thiere wird abgestreift und das Gift in kleinen Mengen überall in das aufgeschnittene Fleisch ein-
gestreut. Dann zieht man die Haut wieder darüber und wirft den Köder nun auf den bekannten
Wechselstellen der Wölfe aus. Die Wirkung ist furchtbar. Kein Wolf frißt sich an einem derartig
vergifteten Thiere satt, sondern bezahlt gewöhnlich schon in den ersten Minuten seine Freßgier mit dem

Zähmung. Vertilgungsarten.
bei der Eiſenniederlage, und ſobald im Winter Kohlenbauern kamen, kletterte er auf die Steinmauern
hinauf, wedelte mit dem Schwanze und ſchrie laut, bis ſie herzukamen und ihn ſtreichelten. Hierbei
war er jederzeit angelegentlich beſchäftigt, ihre Taſchen zu unterſuchen, ob ſie Etwas bei ſich hätten,
was zum Freſſen taugte. Die Bauern wurden Dies ſo gewohnt, daß ſie ſich damit beſchäftigten,
Brodbiſſen blos zu dem Zwecke in ihre Rocktaſchen zu ſtecken, um ſie den Wolf darin fuchen zu laſſen.
Dies verſtand er denn auch recht gut, und er verzehrte Alles, was man ihm gab. Außerdem fraß er
täglich drei Eimer Futter. Bemerkenswerth war es auch, daß unſere Hunde anfingen, mit ihm aus
dem Eimer zu freſſen; kam aber irgend ein fremdes Thier und wollte die Speiſe mit ihm theilen, ſo
wurde er wie unſinnig vor Zorn. Jedesmal, wenn er mich im Hofe zu ſehen bekam, trieb er ein
arges Weſen, und ſobald ich zur Hütte kam, richtete er ſich auf die Hinterläufe empor, legte die
Vorderpfoten auf meine Schultern und wollte mich in ſeiner Freude belecken. Sowie ich wieder von
ihm ging, heulte er vor Leidweſen darüber. Wir hatten ihn ein Jahr lang; da er aber, als er aus-
gewachſen war, des Nachts arg heulte, ſo beſchloß Bedoire, ihn todtſchießen zu laſſen. — Mit dem
Wolfe, welchen der Gutsbeſitzer v. Uhr erhielt, ereignete ſich der merkwürdige Umſtand, daß er mit
einem der Jagdhunde ſeines Beſitzers in derſelben Hütte zuſammen wohnte. Der Hund lag jede Nacht
bei ihm, und ſobald er Fleiſch zu freſſen bekam, vermochte er es niemals über ſich, daſſelbe ganz aufzu-
zehren, ſondern trug es in die Hütte zum Wolfe, welcher ihm dabei alle Zeit mit freundlicher Geberde
entgegenkam. Nicht ſelten geſchah es, daß auch der Wolf ſeinen Freund auf dieſelbe Weiſe belohnte.‟

Jch habe dieſe Geſchichten ausführlich mitgetheilt, weil mir die Wölſe des Hamburger Thier-
gartens genug Belege für die Wahrheit jener Mittheilungen gegeben haben und geben. Soviel ſteht
feſt: der Wolf iſt der Erziehung fähig und der Zähmung d. h. des Umgangs mit vorurtheilsfreien
Menſchen würdig. Wer ihn zu behandeln verſteht, kann aus ihm ein Thier bilden, welches dem
Haushunde im Weſentlichen ähnelt. Ein freies Thier muß aber freilich anders behandelt werden, als
ein ſeit undenklichen Zeiten unter Botmäßigkeit des Menſchen ſtehender Sklave.

Es iſt erklärlich, daß die Wolfsjagd ſchon ſeit den älteſten Zeiten in einen wahren Vertilgungs-
krieg ausartete. Nach den Geſetzen Karls des Großen durfte Jedermann Wölfe und Bären tödten.
„Wolffen und Beeren, an den brichet uyemand keynen Frid,‟ ſo lautet das Geſetz deutſch überſetzt in
der zu Straßburg 1507 erſchienenen Ausgabe des „Sachſenſpiegels‟. Wer einen zahmen Wolf,
oder Hirſch oder Bären oder einen biſſigen Hund hielt, mußte nach Karls des Großen Geſetz den
Schaden, welchen ein ſolches Thier anrichtete, bezahlen: „Wer behaltet einen anfelligen Hund oder
einen czamen Wolff oder Hirß, oder Beeren, wa ſig icht ſchaden thund, das ſoll der gelten (bezahlen),
des ſy ſeind.‟

Jn früheren Zeiten wurden die meiſten Wölfe in Schlingen und Fallen gefangen. Jn Teller-
eiſen fängt man ihn, wie den Fuchs. Man muß aber die Vorſicht gebrauchen, ſtärkere Tellereiſen zu
nehmen und dieſe mittelſt einer Kette feſt anzubinden. Auch gegenwärtig iſt die erſtere Fangart noch
nicht außer Gebrauch gekommen; allein man hat doch erſt ſeit Ausbildung des Feuergewehrs einen
wirklichen Ausrottungskrieg mit Erfolg unternehmen können. Es würde zu weit führen, wenn ich die
verſchiedenen Jagdarten hier ausführlich angeben wollte. Gleichwohl halte ich es für nicht unnöthig,
wenigſtens die merkwürdigſten kurz zu ſchildern.

Zur Vertilgung des Wolfes gelten alle Mittel. Pulver und Blei ebenſogut, wie das tückiſch
geſtellte Gift, die verrätheriſche Schlinge und Falle, der Knüppel und jede andere Waffe. Die meiſten
Wölfe werden gegenwärtig wohl mit Brechnuß und in der neuern Zeit hauptſächlich mit Strychnin,
bekanntlich den eigentlichen wirkſamen Beſtandtheilen der Brechnuß, getödtet. Wenn im Winter die
Nahrung zu mangeln beginnt, bereitet man für den Wolf ein getödtetes Schaf zu und legt es aus. Das
Thiere wird abgeſtreift und das Gift in kleinen Mengen überall in das aufgeſchnittene Fleiſch ein-
geſtreut. Dann zieht man die Haut wieder darüber und wirft den Köder nun auf den bekannten
Wechſelſtellen der Wölfe aus. Die Wirkung iſt furchtbar. Kein Wolf frißt ſich an einem derartig
vergifteten Thiere ſatt, ſondern bezahlt gewöhnlich ſchon in den erſten Minuten ſeine Freßgier mit dem

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[407/0475] Zähmung. Vertilgungsarten. bei der Eiſenniederlage, und ſobald im Winter Kohlenbauern kamen, kletterte er auf die Steinmauern hinauf, wedelte mit dem Schwanze und ſchrie laut, bis ſie herzukamen und ihn ſtreichelten. Hierbei war er jederzeit angelegentlich beſchäftigt, ihre Taſchen zu unterſuchen, ob ſie Etwas bei ſich hätten, was zum Freſſen taugte. Die Bauern wurden Dies ſo gewohnt, daß ſie ſich damit beſchäftigten, Brodbiſſen blos zu dem Zwecke in ihre Rocktaſchen zu ſtecken, um ſie den Wolf darin fuchen zu laſſen. Dies verſtand er denn auch recht gut, und er verzehrte Alles, was man ihm gab. Außerdem fraß er täglich drei Eimer Futter. Bemerkenswerth war es auch, daß unſere Hunde anfingen, mit ihm aus dem Eimer zu freſſen; kam aber irgend ein fremdes Thier und wollte die Speiſe mit ihm theilen, ſo wurde er wie unſinnig vor Zorn. Jedesmal, wenn er mich im Hofe zu ſehen bekam, trieb er ein arges Weſen, und ſobald ich zur Hütte kam, richtete er ſich auf die Hinterläufe empor, legte die Vorderpfoten auf meine Schultern und wollte mich in ſeiner Freude belecken. Sowie ich wieder von ihm ging, heulte er vor Leidweſen darüber. Wir hatten ihn ein Jahr lang; da er aber, als er aus- gewachſen war, des Nachts arg heulte, ſo beſchloß Bedoire, ihn todtſchießen zu laſſen. — Mit dem Wolfe, welchen der Gutsbeſitzer v. Uhr erhielt, ereignete ſich der merkwürdige Umſtand, daß er mit einem der Jagdhunde ſeines Beſitzers in derſelben Hütte zuſammen wohnte. Der Hund lag jede Nacht bei ihm, und ſobald er Fleiſch zu freſſen bekam, vermochte er es niemals über ſich, daſſelbe ganz aufzu- zehren, ſondern trug es in die Hütte zum Wolfe, welcher ihm dabei alle Zeit mit freundlicher Geberde entgegenkam. Nicht ſelten geſchah es, daß auch der Wolf ſeinen Freund auf dieſelbe Weiſe belohnte.‟ Jch habe dieſe Geſchichten ausführlich mitgetheilt, weil mir die Wölſe des Hamburger Thier- gartens genug Belege für die Wahrheit jener Mittheilungen gegeben haben und geben. Soviel ſteht feſt: der Wolf iſt der Erziehung fähig und der Zähmung d. h. des Umgangs mit vorurtheilsfreien Menſchen würdig. Wer ihn zu behandeln verſteht, kann aus ihm ein Thier bilden, welches dem Haushunde im Weſentlichen ähnelt. Ein freies Thier muß aber freilich anders behandelt werden, als ein ſeit undenklichen Zeiten unter Botmäßigkeit des Menſchen ſtehender Sklave. Es iſt erklärlich, daß die Wolfsjagd ſchon ſeit den älteſten Zeiten in einen wahren Vertilgungs- krieg ausartete. Nach den Geſetzen Karls des Großen durfte Jedermann Wölfe und Bären tödten. „Wolffen und Beeren, an den brichet uyemand keynen Frid,‟ ſo lautet das Geſetz deutſch überſetzt in der zu Straßburg 1507 erſchienenen Ausgabe des „Sachſenſpiegels‟. Wer einen zahmen Wolf, oder Hirſch oder Bären oder einen biſſigen Hund hielt, mußte nach Karls des Großen Geſetz den Schaden, welchen ein ſolches Thier anrichtete, bezahlen: „Wer behaltet einen anfelligen Hund oder einen czamen Wolff oder Hirß, oder Beeren, wa ſig icht ſchaden thund, das ſoll der gelten (bezahlen), des ſy ſeind.‟ Jn früheren Zeiten wurden die meiſten Wölfe in Schlingen und Fallen gefangen. Jn Teller- eiſen fängt man ihn, wie den Fuchs. Man muß aber die Vorſicht gebrauchen, ſtärkere Tellereiſen zu nehmen und dieſe mittelſt einer Kette feſt anzubinden. Auch gegenwärtig iſt die erſtere Fangart noch nicht außer Gebrauch gekommen; allein man hat doch erſt ſeit Ausbildung des Feuergewehrs einen wirklichen Ausrottungskrieg mit Erfolg unternehmen können. Es würde zu weit führen, wenn ich die verſchiedenen Jagdarten hier ausführlich angeben wollte. Gleichwohl halte ich es für nicht unnöthig, wenigſtens die merkwürdigſten kurz zu ſchildern. Zur Vertilgung des Wolfes gelten alle Mittel. Pulver und Blei ebenſogut, wie das tückiſch geſtellte Gift, die verrätheriſche Schlinge und Falle, der Knüppel und jede andere Waffe. Die meiſten Wölfe werden gegenwärtig wohl mit Brechnuß und in der neuern Zeit hauptſächlich mit Strychnin, bekanntlich den eigentlichen wirkſamen Beſtandtheilen der Brechnuß, getödtet. Wenn im Winter die Nahrung zu mangeln beginnt, bereitet man für den Wolf ein getödtetes Schaf zu und legt es aus. Das Thiere wird abgeſtreift und das Gift in kleinen Mengen überall in das aufgeſchnittene Fleiſch ein- geſtreut. Dann zieht man die Haut wieder darüber und wirft den Köder nun auf den bekannten Wechſelſtellen der Wölfe aus. Die Wirkung iſt furchtbar. Kein Wolf frißt ſich an einem derartig vergifteten Thiere ſatt, ſondern bezahlt gewöhnlich ſchon in den erſten Minuten ſeine Freßgier mit dem

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/475>, abgerufen am 22.11.2024.