Gegenwärtig sind Norwegen, Schweden, Lappland, Großrußland, namentlich die Gegenden um das weiße Meer, ganz Sibirien, Kamtschatka und Nordamerika sein hauptsächlichster Aufenthalt.
Ueber die Lebensweise hat uns zuerst Pallas genaue Nachrichten gegeben. Die älteren Naturforscher erzählen nämlich von ihm die fabelhaftesten Dinge. Jhnen ist es auch hauptsächlich zuzuschreiben, daß der Vielfraß seinen in allen Sprachen gleichbedeutenden Namen erhalten hat. Man hat sich viel Mühe gegeben, das deutsche Wort Vielfraß aus dem Schwedischen oder Dänischen abzuleiten, ohne jedoch ein allgemein anerkanntes Ergebniß erzielt zu haben. Die Einen sagen, daß das Wort aus dem Schwedischen stamme, und zwar aus Fjäl und Fräß zusammengesetzt sei und Felsenkatze bedeute. Lenz behauptet aber, daß das Wort Vielfraß der schwedischen Sprache durchaus nicht angehöre, und weist auch die Annahme zurück, daß es aus dem Finnischen abgeleitet sei. Die Schweden selbst sind so unsicher hinsichtlich der Bedeutung des Namens, daß jene Ableitung wohl zu verwerfen sein dürfte. Bei den Finnen heißt das Thier Campi, womit man jedoch auch den Dachs bezeichnet, bei den Russen Rosomacha oder Rosomaka und bei den Skandinaviern Jerf; die Kamtschadalen nennen ihn Dimug und die Amerikaner endlich Wolverene. Es ist höchst wahr- scheinlich, daß der eigentliche Name nach der ersten Erzählung in das Deutsche übersetzt worden und von da in die übrigen Sprachen übergegangen ist. Wenn man jene Erzählungen liest und glaubt, muß man dem alten Kinderreim:
"Vielfraß nennt man dieses Thier, Wegen seiner Freßbegier!"
freilich beistimmen. Michow sagt Folgendes: "Jn Lithauen und Moscowien giebt es ein Thier, welches sehr gefräßig ist, mit Namen Rosomaka. Es ist so groß wie ein Hund, hat Augen wie eine Katze, sehr starke Klauen, einen langhaarigen, braunen Leib und einen Schwanz wie der Fuchs, jedoch kürzer. Findet es ein Aas, so frißt es solange, daß ihm der Leib wie eine Trommel strotzt; dann drängt es sich durch zwei nahestehende Bäume, um sich des Unraths zu entledigen, kehrt wieder um, frißt von neuem und preßt sich dann nochmals durch die Bäume, bis er das Aas verzehrt hat. Es scheint weiter Nichts zu thun, als zu fressen, zu saufen und dann wieder zu fressen."
Olaus Magnus weiß noch mehr. "Unter allen Thieren," sagt er, "ist dieses das einzige, welches, wegen seiner beständigen Gefräßigkeit, im nördlichen Schweden den Namen Jerf, im Deutschen den Namen Vielfraß erhalten hat. Sein Fleisch ist unbrauchbar, nur sein Pelz ist sehr nützlich und kostbar und glänzt sehr schön und noch mehr, wenn man ihn künstlich mit anderen Farben verbindet. Nur Fürsten und andere große Männer tragen Mäntel davon, nicht blos in Schweden, sondern auch in Deutschland, wo sie wegen ihrer Seltenheit noch viel theurer zu stehen kommen. Auch lassen die Einwohner diese Pelze nicht gern in fremde Länder gehen, weil sie damit ihren Wintergästen eine Ehre zu erweisen pflegen, indem sie Nichts für angenehmer und schöner halten, als ihren Freunden Betten von solchem Pelze anweisen zu können. Dabei darf ich nicht verschweigen, daß alle Diejenigen, welche Kleider von solchen Thieren tragen, nie mit Essen und Trinken aufhören können. Die Jäger trinken ihr Blut; mit lauem Wasser und Honig vermischt, wird es sogar bei Hochzeiten aufgetragen. Das Fett ist gut gegen faule Geschwüre etc."
"Die Jäger haben verschiedene Kunststücke ersunden, um dieses listige Thier zu fangen. Sie tragen ein Aas in den Wald, welches noch frisch ist. Der Vielfraß riecht es sogleich, frißt sich voll, und während er sich, nicht ohne viele Qual, zwischen die Bäume durchdrängt, wird er mit Pfeilen erschossen. Auch stellt man ihm Schlagfallen, wodurch er erwürgt wird. Mit Hunden ist er kaum zu fangen, weil diese seine spitzigen Klauen und Zähne mehr fürchten, als den Wolf."
Von diesen Erzählungen weichen freilich die in der Neuzeit gemachten Beobachtungen wesentlich ab. Es läßt sich nicht läugnen, daß der Vielfraß einen gesegneten Appetit besitzt und verhältniß- mäßig mehr frißt, als andere Marder: eine derartige Gefräßigkeit, wie sie ihm von den genannten Naturforschern zugeschrieben wird, zeigt er aber nicht. Schon Steller widerlegt die abgeschmackten Fabeln, und Pallas giebt eine sehr hübsche und richtige Lebensbeschreibung des merkwürdigen
Verbreitung. Fabeln und Beobachtungen.
Gegenwärtig ſind Norwegen, Schweden, Lappland, Großrußland, namentlich die Gegenden um das weiße Meer, ganz Sibirien, Kamtſchatka und Nordamerika ſein hauptſächlichſter Aufenthalt.
Ueber die Lebensweiſe hat uns zuerſt Pallas genaue Nachrichten gegeben. Die älteren Naturforſcher erzählen nämlich von ihm die fabelhafteſten Dinge. Jhnen iſt es auch hauptſächlich zuzuſchreiben, daß der Vielfraß ſeinen in allen Sprachen gleichbedeutenden Namen erhalten hat. Man hat ſich viel Mühe gegeben, das deutſche Wort Vielfraß aus dem Schwediſchen oder Däniſchen abzuleiten, ohne jedoch ein allgemein anerkanntes Ergebniß erzielt zu haben. Die Einen ſagen, daß das Wort aus dem Schwediſchen ſtamme, und zwar aus Fjäl und Fräß zuſammengeſetzt ſei und Felſenkatze bedeute. Lenz behauptet aber, daß das Wort Vielfraß der ſchwediſchen Sprache durchaus nicht angehöre, und weiſt auch die Annahme zurück, daß es aus dem Finniſchen abgeleitet ſei. Die Schweden ſelbſt ſind ſo unſicher hinſichtlich der Bedeutung des Namens, daß jene Ableitung wohl zu verwerfen ſein dürfte. Bei den Finnen heißt das Thier Campi, womit man jedoch auch den Dachs bezeichnet, bei den Ruſſen Roſomacha oder Roſomaka und bei den Skandinaviern Jerf; die Kamtſchadalen nennen ihn Dimug und die Amerikaner endlich Wolverene. Es iſt höchſt wahr- ſcheinlich, daß der eigentliche Name nach der erſten Erzählung in das Deutſche überſetzt worden und von da in die übrigen Sprachen übergegangen iſt. Wenn man jene Erzählungen lieſt und glaubt, muß man dem alten Kinderreim:
„Vielfraß nennt man dieſes Thier, Wegen ſeiner Freßbegier!‟
freilich beiſtimmen. Michow ſagt Folgendes: „Jn Lithauen und Moscowien giebt es ein Thier, welches ſehr gefräßig iſt, mit Namen Roſomaka. Es iſt ſo groß wie ein Hund, hat Augen wie eine Katze, ſehr ſtarke Klauen, einen langhaarigen, braunen Leib und einen Schwanz wie der Fuchs, jedoch kürzer. Findet es ein Aas, ſo frißt es ſolange, daß ihm der Leib wie eine Trommel ſtrotzt; dann drängt es ſich durch zwei naheſtehende Bäume, um ſich des Unraths zu entledigen, kehrt wieder um, frißt von neuem und preßt ſich dann nochmals durch die Bäume, bis er das Aas verzehrt hat. Es ſcheint weiter Nichts zu thun, als zu freſſen, zu ſaufen und dann wieder zu freſſen.‟
Olaus Magnus weiß noch mehr. „Unter allen Thieren,‟ ſagt er, „iſt dieſes das einzige, welches, wegen ſeiner beſtändigen Gefräßigkeit, im nördlichen Schweden den Namen Jerf, im Deutſchen den Namen Vielfraß erhalten hat. Sein Fleiſch iſt unbrauchbar, nur ſein Pelz iſt ſehr nützlich und koſtbar und glänzt ſehr ſchön und noch mehr, wenn man ihn künſtlich mit anderen Farben verbindet. Nur Fürſten und andere große Männer tragen Mäntel davon, nicht blos in Schweden, ſondern auch in Deutſchland, wo ſie wegen ihrer Seltenheit noch viel theurer zu ſtehen kommen. Auch laſſen die Einwohner dieſe Pelze nicht gern in fremde Länder gehen, weil ſie damit ihren Wintergäſten eine Ehre zu erweiſen pflegen, indem ſie Nichts für angenehmer und ſchöner halten, als ihren Freunden Betten von ſolchem Pelze anweiſen zu können. Dabei darf ich nicht verſchweigen, daß alle Diejenigen, welche Kleider von ſolchen Thieren tragen, nie mit Eſſen und Trinken aufhören können. Die Jäger trinken ihr Blut; mit lauem Waſſer und Honig vermiſcht, wird es ſogar bei Hochzeiten aufgetragen. Das Fett iſt gut gegen faule Geſchwüre ꝛc.‟
„Die Jäger haben verſchiedene Kunſtſtücke erſunden, um dieſes liſtige Thier zu fangen. Sie tragen ein Aas in den Wald, welches noch friſch iſt. Der Vielfraß riecht es ſogleich, frißt ſich voll, und während er ſich, nicht ohne viele Qual, zwiſchen die Bäume durchdrängt, wird er mit Pfeilen erſchoſſen. Auch ſtellt man ihm Schlagfallen, wodurch er erwürgt wird. Mit Hunden iſt er kaum zu fangen, weil dieſe ſeine ſpitzigen Klauen und Zähne mehr fürchten, als den Wolf.‟
Von dieſen Erzählungen weichen freilich die in der Neuzeit gemachten Beobachtungen weſentlich ab. Es läßt ſich nicht läugnen, daß der Vielfraß einen geſegneten Appetit beſitzt und verhältniß- mäßig mehr frißt, als andere Marder: eine derartige Gefräßigkeit, wie ſie ihm von den genannten Naturforſchern zugeſchrieben wird, zeigt er aber nicht. Schon Steller widerlegt die abgeſchmackten Fabeln, und Pallas giebt eine ſehr hübſche und richtige Lebensbeſchreibung des merkwürdigen
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Verbreitung. Fabeln und Beobachtungen.
Gegenwärtig ſind Norwegen, Schweden, Lappland, Großrußland, namentlich die Gegenden um das
weiße Meer, ganz Sibirien, Kamtſchatka und Nordamerika ſein hauptſächlichſter Aufenthalt.
Ueber die Lebensweiſe hat uns zuerſt Pallas genaue Nachrichten gegeben. Die älteren
Naturforſcher erzählen nämlich von ihm die fabelhafteſten Dinge. Jhnen iſt es auch hauptſächlich
zuzuſchreiben, daß der Vielfraß ſeinen in allen Sprachen gleichbedeutenden Namen erhalten hat.
Man hat ſich viel Mühe gegeben, das deutſche Wort Vielfraß aus dem Schwediſchen oder Däniſchen
abzuleiten, ohne jedoch ein allgemein anerkanntes Ergebniß erzielt zu haben. Die Einen ſagen, daß
das Wort aus dem Schwediſchen ſtamme, und zwar aus Fjäl und Fräß zuſammengeſetzt ſei und
Felſenkatze bedeute. Lenz behauptet aber, daß das Wort Vielfraß der ſchwediſchen Sprache durchaus
nicht angehöre, und weiſt auch die Annahme zurück, daß es aus dem Finniſchen abgeleitet ſei. Die
Schweden ſelbſt ſind ſo unſicher hinſichtlich der Bedeutung des Namens, daß jene Ableitung wohl zu
verwerfen ſein dürfte. Bei den Finnen heißt das Thier Campi, womit man jedoch auch den Dachs
bezeichnet, bei den Ruſſen Roſomacha oder Roſomaka und bei den Skandinaviern Jerf; die
Kamtſchadalen nennen ihn Dimug und die Amerikaner endlich Wolverene. Es iſt höchſt wahr-
ſcheinlich, daß der eigentliche Name nach der erſten Erzählung in das Deutſche überſetzt worden und
von da in die übrigen Sprachen übergegangen iſt. Wenn man jene Erzählungen lieſt und glaubt,
muß man dem alten Kinderreim:
„Vielfraß nennt man dieſes Thier,
Wegen ſeiner Freßbegier!‟
freilich beiſtimmen. Michow ſagt Folgendes: „Jn Lithauen und Moscowien giebt es ein Thier,
welches ſehr gefräßig iſt, mit Namen Roſomaka. Es iſt ſo groß wie ein Hund, hat Augen wie eine
Katze, ſehr ſtarke Klauen, einen langhaarigen, braunen Leib und einen Schwanz wie der Fuchs, jedoch
kürzer. Findet es ein Aas, ſo frißt es ſolange, daß ihm der Leib wie eine Trommel ſtrotzt; dann
drängt es ſich durch zwei naheſtehende Bäume, um ſich des Unraths zu entledigen, kehrt wieder um,
frißt von neuem und preßt ſich dann nochmals durch die Bäume, bis er das Aas verzehrt hat. Es
ſcheint weiter Nichts zu thun, als zu freſſen, zu ſaufen und dann wieder zu freſſen.‟
Olaus Magnus weiß noch mehr. „Unter allen Thieren,‟ ſagt er, „iſt dieſes das einzige,
welches, wegen ſeiner beſtändigen Gefräßigkeit, im nördlichen Schweden den Namen Jerf, im Deutſchen
den Namen Vielfraß erhalten hat. Sein Fleiſch iſt unbrauchbar, nur ſein Pelz iſt ſehr nützlich und
koſtbar und glänzt ſehr ſchön und noch mehr, wenn man ihn künſtlich mit anderen Farben verbindet.
Nur Fürſten und andere große Männer tragen Mäntel davon, nicht blos in Schweden, ſondern auch
in Deutſchland, wo ſie wegen ihrer Seltenheit noch viel theurer zu ſtehen kommen. Auch laſſen die
Einwohner dieſe Pelze nicht gern in fremde Länder gehen, weil ſie damit ihren Wintergäſten eine Ehre
zu erweiſen pflegen, indem ſie Nichts für angenehmer und ſchöner halten, als ihren Freunden Betten
von ſolchem Pelze anweiſen zu können. Dabei darf ich nicht verſchweigen, daß alle Diejenigen, welche
Kleider von ſolchen Thieren tragen, nie mit Eſſen und Trinken aufhören können. Die Jäger trinken
ihr Blut; mit lauem Waſſer und Honig vermiſcht, wird es ſogar bei Hochzeiten aufgetragen. Das
Fett iſt gut gegen faule Geſchwüre ꝛc.‟
„Die Jäger haben verſchiedene Kunſtſtücke erſunden, um dieſes liſtige Thier zu fangen. Sie
tragen ein Aas in den Wald, welches noch friſch iſt. Der Vielfraß riecht es ſogleich, frißt ſich voll,
und während er ſich, nicht ohne viele Qual, zwiſchen die Bäume durchdrängt, wird er mit Pfeilen
erſchoſſen. Auch ſtellt man ihm Schlagfallen, wodurch er erwürgt wird. Mit Hunden iſt er kaum zu
fangen, weil dieſe ſeine ſpitzigen Klauen und Zähne mehr fürchten, als den Wolf.‟
Von dieſen Erzählungen weichen freilich die in der Neuzeit gemachten Beobachtungen weſentlich
ab. Es läßt ſich nicht läugnen, daß der Vielfraß einen geſegneten Appetit beſitzt und verhältniß-
mäßig mehr frißt, als andere Marder: eine derartige Gefräßigkeit, wie ſie ihm von den genannten
Naturforſchern zugeſchrieben wird, zeigt er aber nicht. Schon Steller widerlegt die abgeſchmackten
Fabeln, und Pallas giebt eine ſehr hübſche und richtige Lebensbeſchreibung des merkwürdigen
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 517. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/591>, abgerufen am 25.11.2024.
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