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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Die Raubthiere. -- Bären.
mal aber, wenn das Eis gänzlich vom Ufer getrieben wird, müssen sie Alles verlassen und nur sich zu
retten versuchen. Dann helfen sie sich mit Schwimmen und binden sich mit einem Stricklein an
ihren Hund, der sie getreu mit an das Ufer zieht. Bei günstigem Wetter laufen sie soweit auf das
Eis hinaus, daß sie das Land aus dem Gesicht verlieren, doch geben sie bei ihrer Jagd immer auf
Ebbe und Fluth Obacht und sehen auch zu, ob der Wind nach dem Lande geht oder nicht."



Die fünfte Familie unserer Ordnung führt uns liebe, bekannte und befreundete Gestalten
aus der Kinderzeit vor. Die eigentlichen Bären sind so ausgezeichnete Thiere, daß wohl Jeder sie
augenblicklich erkennt; die seltener zu uns kommenden Arten weichen jedoch in mancher Hinsicht von
dem allgemeinen Gepräge ab, und bei einzelnen Sippen muß man schon einiges Verständniß der
thierischen Verwandtschaften besitzen, wenn man zurechtkommen will.

Der Leib der Bären ist gedrungen oder selbst plump; die Beine sind mäßig lang, die Vorder-
und Hinterfüße fünfzehig und mit großen, gebogenen, unbeweglichen, d. h. nicht einziehbaren, deshalb
an der Spitze oft sehr stark abgenutzten Krallen bewaffnet; die Fußsohlen sind fast ganz nackt und
berühren beim Gehen den Boden ihrer vollen Länge nach. Der Hals ist verhältnißmäßig kurz und
dick, der Kopf länglichrund, mäßig gestreckt, mit zugespitzter aber gewöhnlich gerade abgeschnittener
Schnauze. Die Ohren sind kurz und die Augen beziehentlich klein. Sehr ausgezeichnet ist das Gebiß.
Die Schneidezähne sind verhältnißmäßig groß und haben oft gelappte Kronen, welche im Einklange
stehen mit den starken, meist mit Kanten oder Leisten versehenen Eckzähnen; die Lückeuzähne dagegen
sind einfach kegelförmig oder nur mit unbedeutenden Nebenhöckern versehen; der Fleisch- oder Reiß-
zahn ist sehr schwach -- er fehlt sogar einigen Sippen vollständig und ist bei anderen nur ein starker
Lückenzahn mit innerem Höcker. Die Kauzähne sind stumpf und die des Unterkiefers stets länger, als
breit. Am Schädel ist der Hirntheil gestreckt und durch starke Kämme ausgezeichnet; die Halbwirbel
sind kurz und stark, ebenso auch die 19 bis 21 Rückenwirbel, von denen 14 oder 15 Rippenpaare
tragen. Das Kreuzbein besteht aus 3 bis 5 und der Schwanz aus 7 bis 34 Wirbeln. Der innere
Leibesbau ist sehr einfach. Die Zunge ist glatt, der Magen ein schlichter Schlauch, der Dünn- und
Dickdarm wenig geschieden, der Blinddarm fehlt gänzlich.

Soweit die Vorwesenkunde uns Aufschluß gewähren kann, läßt sich feststellen, daß die Bären
schon in der Vorzeit vertreten waren, sich aber, wie es scheint, allgemach vermehrt haben. Gegenwärtig
verbreiten sie sich über ganz Europa, Asien und Amerika, ja vielleicht über einen Theil von Nord-
afrika. Sie bewohnen ebensogut die wärmsten, wie die kältesten Länder, die Hochgebirge, wie die von
dem eisigen Meere eingeschlossenen Küsten, wenn auch Gebirge ihre liebsten Aufenthaltsorte zu sein
scheinen. Fast sämmtliche Arten hausen in dichten, ausgedehnten Wäldern oder in Felsengegenden,
zumeist in der Einsamkeit; nur wenige finden sich auch in der Nähe von bewohnten Orten. Die einen
lieben mehr wasserreiche oder feuchte Gegenden, Flüsse, Bäche, Seen und Sümpfe und das Meer,
während die anderen trocknen Landstrichen den Vorzug geben. Eine einzige Art, der Eisbär, ist
an die Küsten des Meeres gebunden und geht niemals tiefer in das Land hinein; dagegen unter-
nimmt er, auf Eisschollen fahrend, weitere Reisen, als alle übrigen: er durchschifft das nördliche Eis-
meer und wandert von einem Erdtheile zum andern. Alle anderen Arten schweifen innerhalb eines
weniger ausgedehnten Kreifes umher. Die meisten Bären leben einzeln d. h. höchstens zur Paarungs-
zeit mit einem Weibchen zusammen; einige sind gesellig und vereinigen sich zu zahlreichen Scharen.
Diese graben sich Höhlen in der Erde oder in dem Sande, um dort ihr Lager aufzuschlagen, jene
suchen in hohlen Bäumen oder in Felsklüften Schutz. Die meisten Arten sind bei weitem nächtliche
oder halbnächtliche Thiere. Sie ziehen nach Untergang der Sonne auf Raub aus und bringen den
ganzen Tag über schlafend in ihren Verstecken zu.

Die Raubthiere. — Bären.
mal aber, wenn das Eis gänzlich vom Ufer getrieben wird, müſſen ſie Alles verlaſſen und nur ſich zu
retten verſuchen. Dann helfen ſie ſich mit Schwimmen und binden ſich mit einem Stricklein an
ihren Hund, der ſie getreu mit an das Ufer zieht. Bei günſtigem Wetter laufen ſie ſoweit auf das
Eis hinaus, daß ſie das Land aus dem Geſicht verlieren, doch geben ſie bei ihrer Jagd immer auf
Ebbe und Fluth Obacht und ſehen auch zu, ob der Wind nach dem Lande geht oder nicht.‟



Die fünfte Familie unſerer Ordnung führt uns liebe, bekannte und befreundete Geſtalten
aus der Kinderzeit vor. Die eigentlichen Bären ſind ſo ausgezeichnete Thiere, daß wohl Jeder ſie
augenblicklich erkennt; die ſeltener zu uns kommenden Arten weichen jedoch in mancher Hinſicht von
dem allgemeinen Gepräge ab, und bei einzelnen Sippen muß man ſchon einiges Verſtändniß der
thieriſchen Verwandtſchaften beſitzen, wenn man zurechtkommen will.

Der Leib der Bären iſt gedrungen oder ſelbſt plump; die Beine ſind mäßig lang, die Vorder-
und Hinterfüße fünfzehig und mit großen, gebogenen, unbeweglichen, d. h. nicht einziehbaren, deshalb
an der Spitze oft ſehr ſtark abgenutzten Krallen bewaffnet; die Fußſohlen ſind faſt ganz nackt und
berühren beim Gehen den Boden ihrer vollen Länge nach. Der Hals iſt verhältnißmäßig kurz und
dick, der Kopf länglichrund, mäßig geſtreckt, mit zugeſpitzter aber gewöhnlich gerade abgeſchnittener
Schnauze. Die Ohren ſind kurz und die Augen beziehentlich klein. Sehr ausgezeichnet iſt das Gebiß.
Die Schneidezähne ſind verhältnißmäßig groß und haben oft gelappte Kronen, welche im Einklange
ſtehen mit den ſtarken, meiſt mit Kanten oder Leiſten verſehenen Eckzähnen; die Lückeuzähne dagegen
ſind einfach kegelförmig oder nur mit unbedeutenden Nebenhöckern verſehen; der Fleiſch- oder Reiß-
zahn iſt ſehr ſchwach — er fehlt ſogar einigen Sippen vollſtändig und iſt bei anderen nur ein ſtarker
Lückenzahn mit innerem Höcker. Die Kauzähne ſind ſtumpf und die des Unterkiefers ſtets länger, als
breit. Am Schädel iſt der Hirntheil geſtreckt und durch ſtarke Kämme ausgezeichnet; die Halbwirbel
ſind kurz und ſtark, ebenſo auch die 19 bis 21 Rückenwirbel, von denen 14 oder 15 Rippenpaare
tragen. Das Kreuzbein beſteht aus 3 bis 5 und der Schwanz aus 7 bis 34 Wirbeln. Der innere
Leibesbau iſt ſehr einfach. Die Zunge iſt glatt, der Magen ein ſchlichter Schlauch, der Dünn- und
Dickdarm wenig geſchieden, der Blinddarm fehlt gänzlich.

Soweit die Vorweſenkunde uns Aufſchluß gewähren kann, läßt ſich feſtſtellen, daß die Bären
ſchon in der Vorzeit vertreten waren, ſich aber, wie es ſcheint, allgemach vermehrt haben. Gegenwärtig
verbreiten ſie ſich über ganz Europa, Aſien und Amerika, ja vielleicht über einen Theil von Nord-
afrika. Sie bewohnen ebenſogut die wärmſten, wie die kälteſten Länder, die Hochgebirge, wie die von
dem eiſigen Meere eingeſchloſſenen Küſten, wenn auch Gebirge ihre liebſten Aufenthaltsorte zu ſein
ſcheinen. Faſt ſämmtliche Arten hauſen in dichten, ausgedehnten Wäldern oder in Felſengegenden,
zumeiſt in der Einſamkeit; nur wenige finden ſich auch in der Nähe von bewohnten Orten. Die einen
lieben mehr waſſerreiche oder feuchte Gegenden, Flüſſe, Bäche, Seen und Sümpfe und das Meer,
während die anderen trocknen Landſtrichen den Vorzug geben. Eine einzige Art, der Eisbär, iſt
an die Küſten des Meeres gebunden und geht niemals tiefer in das Land hinein; dagegen unter-
nimmt er, auf Eisſchollen fahrend, weitere Reiſen, als alle übrigen: er durchſchifft das nördliche Eis-
meer und wandert von einem Erdtheile zum andern. Alle anderen Arten ſchweifen innerhalb eines
weniger ausgedehnten Kreifes umher. Die meiſten Bären leben einzeln d. h. höchſtens zur Paarungs-
zeit mit einem Weibchen zuſammen; einige ſind geſellig und vereinigen ſich zu zahlreichen Scharen.
Dieſe graben ſich Höhlen in der Erde oder in dem Sande, um dort ihr Lager aufzuſchlagen, jene
ſuchen in hohlen Bäumen oder in Felsklüften Schutz. Die meiſten Arten ſind bei weitem nächtliche
oder halbnächtliche Thiere. Sie ziehen nach Untergang der Sonne auf Raub aus und bringen den
ganzen Tag über ſchlafend in ihren Verſtecken zu.

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[576/0652] Die Raubthiere. — Bären. mal aber, wenn das Eis gänzlich vom Ufer getrieben wird, müſſen ſie Alles verlaſſen und nur ſich zu retten verſuchen. Dann helfen ſie ſich mit Schwimmen und binden ſich mit einem Stricklein an ihren Hund, der ſie getreu mit an das Ufer zieht. Bei günſtigem Wetter laufen ſie ſoweit auf das Eis hinaus, daß ſie das Land aus dem Geſicht verlieren, doch geben ſie bei ihrer Jagd immer auf Ebbe und Fluth Obacht und ſehen auch zu, ob der Wind nach dem Lande geht oder nicht.‟ Die fünfte Familie unſerer Ordnung führt uns liebe, bekannte und befreundete Geſtalten aus der Kinderzeit vor. Die eigentlichen Bären ſind ſo ausgezeichnete Thiere, daß wohl Jeder ſie augenblicklich erkennt; die ſeltener zu uns kommenden Arten weichen jedoch in mancher Hinſicht von dem allgemeinen Gepräge ab, und bei einzelnen Sippen muß man ſchon einiges Verſtändniß der thieriſchen Verwandtſchaften beſitzen, wenn man zurechtkommen will. Der Leib der Bären iſt gedrungen oder ſelbſt plump; die Beine ſind mäßig lang, die Vorder- und Hinterfüße fünfzehig und mit großen, gebogenen, unbeweglichen, d. h. nicht einziehbaren, deshalb an der Spitze oft ſehr ſtark abgenutzten Krallen bewaffnet; die Fußſohlen ſind faſt ganz nackt und berühren beim Gehen den Boden ihrer vollen Länge nach. Der Hals iſt verhältnißmäßig kurz und dick, der Kopf länglichrund, mäßig geſtreckt, mit zugeſpitzter aber gewöhnlich gerade abgeſchnittener Schnauze. Die Ohren ſind kurz und die Augen beziehentlich klein. Sehr ausgezeichnet iſt das Gebiß. Die Schneidezähne ſind verhältnißmäßig groß und haben oft gelappte Kronen, welche im Einklange ſtehen mit den ſtarken, meiſt mit Kanten oder Leiſten verſehenen Eckzähnen; die Lückeuzähne dagegen ſind einfach kegelförmig oder nur mit unbedeutenden Nebenhöckern verſehen; der Fleiſch- oder Reiß- zahn iſt ſehr ſchwach — er fehlt ſogar einigen Sippen vollſtändig und iſt bei anderen nur ein ſtarker Lückenzahn mit innerem Höcker. Die Kauzähne ſind ſtumpf und die des Unterkiefers ſtets länger, als breit. Am Schädel iſt der Hirntheil geſtreckt und durch ſtarke Kämme ausgezeichnet; die Halbwirbel ſind kurz und ſtark, ebenſo auch die 19 bis 21 Rückenwirbel, von denen 14 oder 15 Rippenpaare tragen. Das Kreuzbein beſteht aus 3 bis 5 und der Schwanz aus 7 bis 34 Wirbeln. Der innere Leibesbau iſt ſehr einfach. Die Zunge iſt glatt, der Magen ein ſchlichter Schlauch, der Dünn- und Dickdarm wenig geſchieden, der Blinddarm fehlt gänzlich. Soweit die Vorweſenkunde uns Aufſchluß gewähren kann, läßt ſich feſtſtellen, daß die Bären ſchon in der Vorzeit vertreten waren, ſich aber, wie es ſcheint, allgemach vermehrt haben. Gegenwärtig verbreiten ſie ſich über ganz Europa, Aſien und Amerika, ja vielleicht über einen Theil von Nord- afrika. Sie bewohnen ebenſogut die wärmſten, wie die kälteſten Länder, die Hochgebirge, wie die von dem eiſigen Meere eingeſchloſſenen Küſten, wenn auch Gebirge ihre liebſten Aufenthaltsorte zu ſein ſcheinen. Faſt ſämmtliche Arten hauſen in dichten, ausgedehnten Wäldern oder in Felſengegenden, zumeiſt in der Einſamkeit; nur wenige finden ſich auch in der Nähe von bewohnten Orten. Die einen lieben mehr waſſerreiche oder feuchte Gegenden, Flüſſe, Bäche, Seen und Sümpfe und das Meer, während die anderen trocknen Landſtrichen den Vorzug geben. Eine einzige Art, der Eisbär, iſt an die Küſten des Meeres gebunden und geht niemals tiefer in das Land hinein; dagegen unter- nimmt er, auf Eisſchollen fahrend, weitere Reiſen, als alle übrigen: er durchſchifft das nördliche Eis- meer und wandert von einem Erdtheile zum andern. Alle anderen Arten ſchweifen innerhalb eines weniger ausgedehnten Kreifes umher. Die meiſten Bären leben einzeln d. h. höchſtens zur Paarungs- zeit mit einem Weibchen zuſammen; einige ſind geſellig und vereinigen ſich zu zahlreichen Scharen. Dieſe graben ſich Höhlen in der Erde oder in dem Sande, um dort ihr Lager aufzuſchlagen, jene ſuchen in hohlen Bäumen oder in Felsklüften Schutz. Die meiſten Arten ſind bei weitem nächtliche oder halbnächtliche Thiere. Sie ziehen nach Untergang der Sonne auf Raub aus und bringen den ganzen Tag über ſchlafend in ihren Verſtecken zu.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 576. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/652>, abgerufen am 22.11.2024.