sich jedoch zu beißen. Nach einigem Hin- und Herschütteln ließen sie wiederum los, und das Kampfspiel begann von neuem.
Es wird nun von dem gedachten illyrischen Waidmann erzählt, daß die freilebende Bärin, sobald sie Junge geworfen, ein dem Menschen und jedem andern Feinde furchtbares Thier werde, ihre Sprößlinge selten verlasse, und dieselben auf das zärtlichste pflege und ernähre, die ersten acht bis neun Wochen ausschließlich mit der kräftigen Muttermilch, später mit todtem Wildpret, welches sie den Jungen vorreiße. Jm dritten Monate sollen die Jungen mit zur Jagd hinausgehen. Die Bärin selbst soll während der ersten Wochen nach ihrer Niederkunft einzig und allein Pflanzenkost genießen. Jm Uebrigen erzählt unser Beobachter viel von den munteren und lustigen Sprüngen der jungen Bärlein.
Noch läßt sich nicht feststellen, wie viel von diesen Angaben auf Treue und Glauben hingenommen werden darf, wahrscheinlich aber werden wir recht thun, wenn wir uns auch bei Betrachtungen der ersten Jugendzeit des Bären wieder an die Beobachtungen halten, welche im Gefangenleben gemacht worden sind. Ein Freund meines Vaters, der tüchtige Naturforscher Pietruvsky, beobachtete an seinen gefangenen Bären, daß die Mutter in den ersten zwei Wochen nach der Geburt ihrer Jungen diese gar nicht verließ, nicht einmal, wenn der Hunger oder Durst sie quälte. Erst nach 14 Tagen trank sie etwas Milch, welche ihr jedoch sehr nahe gestellt werden mußte. Sie legte ihre vier Tatzen um die kleinen Bären, deckte sie auch mit der Schnauze zu und bildete ihnen so eine sehr warme Wiege. Drei Wochen nach der Geburt richtete sie sich öfters auf, und von nun an ging sie auch einige Schritte von den Jungen weg. Diese blieben vier Wochen lang blind und begannen erst nach Verlauf von zwei Monaten langsam umherzugehen. Jm April spielten sie auf dem Hofe, im Mai hatten sie die Größe eines jungen Pudels erreicht und sprangen hurtig umher.
Mit diesen Beobachtungen steht die von mir schon angedeutete eigene im geraden Gegensatze. Auch unsere Bärin warf in der vorletzten Woche des Januar ihre zwei Jungen. Wir bereiteten ihr im Jnnern des Zwingers ein weiches Strohlager und sie nahm Dies dankbar entgegen. Das eine der Jungen war kurz nach der Geburt an Nabelverblutung gestorben, das andere war ein kräftiges und munteres kleines Thier von neun Zoll Länge. Ein silbergrauer, sehr kurzer Pelz bekleidete es, die Augen waren dicht geschlossen, das Gebahren deutete auf größte Hilflosigkeit; die Stimme bestand in einem kläglichen, jedoch kräftigen Gewinsel. Die Bärin, welche von ihrem Eheherrn getrennt wurde, legte sehr wenig Zärtlichkeit gegen ihre Jungen an den Tag, zeigte dagegen eine um so größere Sehnsucht nach ihrem Bären. Sobald dieser der Thür ihrer Zelle sich nahte, verließ sie ihr Junges augenblicklich und schnüffelte und schnaufte den Herrn Gemahl an. Jhren Sprossen behandelte sie mit beispiellosem Ungeschick, ja mit förmlicher Rohheit. Sie schleppte ihn in der Schnauze wie ein Stück Fleisch umher, ließ ihn achtlos ohne weiteres zu Boden fallen, trat ihn nicht selten und behandelte ihn, mit einem Worte, so niederträchtig, daß er schon am dritten Tage starb. Dies geschah einzig und allein aus überwiegender Hinneigung nach dem Bären; denn sie wurde, als beide Thiere wieder zusammengebracht werden konnten, augenblicklich ruhig, während sie früher im höchsten Grade unruhig gewesen war.
Junge, etwa fünf bis sechs Monate alte Bären habe ich ebenfalls längere Zeit beobachtet. Sie sind in der That höchst ergötzliche und wahrhaft komische Thiere. Jhre Beweglichkeit ist sehr groß, ihre Tölpelhaftigkeit aber nicht geringer, und so ist es erklärlich, daß sie fortwährend die lächerlichsten und drolligsten Streiche ausführen. Das echt kindische Wesen der jungen Bären zeigt sich in jeder Handlung. Sie sind spiellustig im hohen Grade, klettern aus reinem Uebermuth oft an den Bäumen empor, balgen sich wie muthige Buben, springen ins Wasser, rennen übermüthig umher und treiben hunderterlei ver- schiedene Possen. Jhren Wärtern beweisen sie gar keine besondere Zärtlichkeit, sie sind vielmehr gegen Jedermann gleich freundlich und unterscheiden nicht zwischen dem Einen oder dem Andern. Wer ihnen Etwas zu fressen giebt, ist ihnen der rechte Mann; wer sie irgendwie erzürnt, wird von ihnen als Feind angesehen und wo möglich feindlich behandelt. Sie sind reizbar wie Kinder; ihre Liebe ist augenblicklich gewonnen, ebenso rasch aber auch verscherzt. Grob und ungeschickt, vergeßlich, unachtsam, täppisch,
Die Raubthiere. Bären. — Gemeiner Bär.
ſich jedoch zu beißen. Nach einigem Hin- und Herſchütteln ließen ſie wiederum los, und das Kampfſpiel begann von neuem.
Es wird nun von dem gedachten illyriſchen Waidmann erzählt, daß die freilebende Bärin, ſobald ſie Junge geworfen, ein dem Menſchen und jedem andern Feinde furchtbares Thier werde, ihre Sprößlinge ſelten verlaſſe, und dieſelben auf das zärtlichſte pflege und ernähre, die erſten acht bis neun Wochen ausſchließlich mit der kräftigen Muttermilch, ſpäter mit todtem Wildpret, welches ſie den Jungen vorreiße. Jm dritten Monate ſollen die Jungen mit zur Jagd hinausgehen. Die Bärin ſelbſt ſoll während der erſten Wochen nach ihrer Niederkunft einzig und allein Pflanzenkoſt genießen. Jm Uebrigen erzählt unſer Beobachter viel von den munteren und luſtigen Sprüngen der jungen Bärlein.
Noch läßt ſich nicht feſtſtellen, wie viel von dieſen Angaben auf Treue und Glauben hingenommen werden darf, wahrſcheinlich aber werden wir recht thun, wenn wir uns auch bei Betrachtungen der erſten Jugendzeit des Bären wieder an die Beobachtungen halten, welche im Gefangenleben gemacht worden ſind. Ein Freund meines Vaters, der tüchtige Naturforſcher Pietruvsky, beobachtete an ſeinen gefangenen Bären, daß die Mutter in den erſten zwei Wochen nach der Geburt ihrer Jungen dieſe gar nicht verließ, nicht einmal, wenn der Hunger oder Durſt ſie quälte. Erſt nach 14 Tagen trank ſie etwas Milch, welche ihr jedoch ſehr nahe geſtellt werden mußte. Sie legte ihre vier Tatzen um die kleinen Bären, deckte ſie auch mit der Schnauze zu und bildete ihnen ſo eine ſehr warme Wiege. Drei Wochen nach der Geburt richtete ſie ſich öfters auf, und von nun an ging ſie auch einige Schritte von den Jungen weg. Dieſe blieben vier Wochen lang blind und begannen erſt nach Verlauf von zwei Monaten langſam umherzugehen. Jm April ſpielten ſie auf dem Hofe, im Mai hatten ſie die Größe eines jungen Pudels erreicht und ſprangen hurtig umher.
Mit dieſen Beobachtungen ſteht die von mir ſchon angedeutete eigene im geraden Gegenſatze. Auch unſere Bärin warf in der vorletzten Woche des Januar ihre zwei Jungen. Wir bereiteten ihr im Jnnern des Zwingers ein weiches Strohlager und ſie nahm Dies dankbar entgegen. Das eine der Jungen war kurz nach der Geburt an Nabelverblutung geſtorben, das andere war ein kräftiges und munteres kleines Thier von neun Zoll Länge. Ein ſilbergrauer, ſehr kurzer Pelz bekleidete es, die Augen waren dicht geſchloſſen, das Gebahren deutete auf größte Hilfloſigkeit; die Stimme beſtand in einem kläglichen, jedoch kräftigen Gewinſel. Die Bärin, welche von ihrem Eheherrn getrennt wurde, legte ſehr wenig Zärtlichkeit gegen ihre Jungen an den Tag, zeigte dagegen eine um ſo größere Sehnſucht nach ihrem Bären. Sobald dieſer der Thür ihrer Zelle ſich nahte, verließ ſie ihr Junges augenblicklich und ſchnüffelte und ſchnaufte den Herrn Gemahl an. Jhren Sproſſen behandelte ſie mit beiſpielloſem Ungeſchick, ja mit förmlicher Rohheit. Sie ſchleppte ihn in der Schnauze wie ein Stück Fleiſch umher, ließ ihn achtlos ohne weiteres zu Boden fallen, trat ihn nicht ſelten und behandelte ihn, mit einem Worte, ſo niederträchtig, daß er ſchon am dritten Tage ſtarb. Dies geſchah einzig und allein aus überwiegender Hinneigung nach dem Bären; denn ſie wurde, als beide Thiere wieder zuſammengebracht werden konnten, augenblicklich ruhig, während ſie früher im höchſten Grade unruhig geweſen war.
Junge, etwa fünf bis ſechs Monate alte Bären habe ich ebenfalls längere Zeit beobachtet. Sie ſind in der That höchſt ergötzliche und wahrhaft komiſche Thiere. Jhre Beweglichkeit iſt ſehr groß, ihre Tölpelhaftigkeit aber nicht geringer, und ſo iſt es erklärlich, daß ſie fortwährend die lächerlichſten und drolligſten Streiche ausführen. Das echt kindiſche Weſen der jungen Bären zeigt ſich in jeder Handlung. Sie ſind ſpielluſtig im hohen Grade, klettern aus reinem Uebermuth oft an den Bäumen empor, balgen ſich wie muthige Buben, ſpringen ins Waſſer, rennen übermüthig umher und treiben hunderterlei ver- ſchiedene Poſſen. Jhren Wärtern beweiſen ſie gar keine beſondere Zärtlichkeit, ſie ſind vielmehr gegen Jedermann gleich freundlich und unterſcheiden nicht zwiſchen dem Einen oder dem Andern. Wer ihnen Etwas zu freſſen giebt, iſt ihnen der rechte Mann; wer ſie irgendwie erzürnt, wird von ihnen als Feind angeſehen und wo möglich feindlich behandelt. Sie ſind reizbar wie Kinder; ihre Liebe iſt augenblicklich gewonnen, ebenſo raſch aber auch verſcherzt. Grob und ungeſchickt, vergeßlich, unachtſam, täppiſch,
<TEI><text><body><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0662"n="586"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Die Raubthiere.</hi> Bären. —<hirendition="#g">Gemeiner Bär.</hi></fw><lb/>ſich jedoch zu beißen. Nach einigem Hin- und Herſchütteln ließen ſie wiederum los, und das Kampfſpiel<lb/>
begann von neuem.</p><lb/><p>Es wird nun von dem gedachten illyriſchen Waidmann erzählt, daß die freilebende Bärin, ſobald<lb/>ſie Junge geworfen, ein dem Menſchen und jedem andern Feinde furchtbares Thier werde, ihre<lb/>
Sprößlinge ſelten verlaſſe, und dieſelben auf das zärtlichſte pflege und ernähre, die erſten acht bis<lb/>
neun Wochen ausſchließlich mit der kräftigen Muttermilch, ſpäter mit todtem Wildpret, welches ſie<lb/>
den Jungen vorreiße. Jm dritten Monate ſollen die Jungen mit zur Jagd hinausgehen. Die<lb/>
Bärin ſelbſt ſoll während der erſten Wochen nach ihrer Niederkunft einzig und allein Pflanzenkoſt<lb/>
genießen. Jm Uebrigen erzählt unſer Beobachter viel von den munteren und luſtigen Sprüngen der<lb/>
jungen Bärlein.</p><lb/><p>Noch läßt ſich nicht feſtſtellen, wie viel von dieſen Angaben auf Treue und Glauben hingenommen<lb/>
werden darf, wahrſcheinlich aber werden wir recht thun, wenn wir uns auch bei Betrachtungen der<lb/>
erſten Jugendzeit des Bären wieder an die Beobachtungen halten, welche im Gefangenleben gemacht<lb/>
worden ſind. Ein Freund meines Vaters, der tüchtige Naturforſcher <hirendition="#g">Pietruvsky,</hi> beobachtete an<lb/>ſeinen gefangenen Bären, daß die Mutter in den erſten zwei Wochen nach der Geburt ihrer Jungen<lb/>
dieſe gar nicht verließ, nicht einmal, wenn der Hunger oder Durſt ſie quälte. Erſt nach 14 Tagen<lb/>
trank ſie etwas Milch, welche ihr jedoch ſehr nahe geſtellt werden mußte. Sie legte ihre vier Tatzen<lb/>
um die kleinen Bären, deckte ſie auch mit der Schnauze zu und bildete ihnen ſo eine ſehr warme Wiege.<lb/>
Drei Wochen nach der Geburt richtete ſie ſich öfters auf, und von nun an ging ſie auch einige Schritte<lb/>
von den Jungen weg. Dieſe blieben vier Wochen lang blind und begannen erſt nach Verlauf von<lb/>
zwei Monaten langſam umherzugehen. Jm April ſpielten ſie auf dem Hofe, im Mai hatten ſie die<lb/>
Größe eines jungen Pudels erreicht und ſprangen hurtig umher.</p><lb/><p>Mit dieſen Beobachtungen ſteht die von mir ſchon angedeutete eigene im geraden Gegenſatze.<lb/>
Auch unſere Bärin warf in der vorletzten Woche des Januar ihre zwei Jungen. Wir bereiteten ihr<lb/>
im Jnnern des Zwingers ein weiches Strohlager und ſie nahm Dies dankbar entgegen. Das eine<lb/>
der Jungen war kurz nach der Geburt an Nabelverblutung geſtorben, das andere war ein kräftiges und<lb/>
munteres kleines Thier von neun Zoll Länge. Ein ſilbergrauer, ſehr kurzer Pelz bekleidete es, die Augen<lb/>
waren dicht geſchloſſen, das Gebahren deutete auf größte Hilfloſigkeit; die Stimme beſtand in einem<lb/>
kläglichen, jedoch kräftigen Gewinſel. Die Bärin, welche von ihrem Eheherrn getrennt wurde, legte<lb/>ſehr wenig Zärtlichkeit gegen ihre Jungen an den Tag, zeigte dagegen eine um ſo größere Sehnſucht<lb/>
nach ihrem Bären. Sobald dieſer der Thür ihrer Zelle ſich nahte, verließ ſie ihr Junges augenblicklich<lb/>
und ſchnüffelte und ſchnaufte den Herrn Gemahl an. Jhren Sproſſen behandelte ſie mit beiſpielloſem<lb/>
Ungeſchick, ja mit förmlicher Rohheit. Sie ſchleppte ihn in der Schnauze wie ein Stück Fleiſch umher,<lb/>
ließ ihn achtlos ohne weiteres zu Boden fallen, trat ihn nicht ſelten und behandelte ihn, mit einem<lb/>
Worte, ſo niederträchtig, daß er ſchon am dritten Tage ſtarb. Dies geſchah einzig und allein aus<lb/>
überwiegender Hinneigung nach dem Bären; denn ſie wurde, als beide Thiere wieder zuſammengebracht<lb/>
werden konnten, augenblicklich ruhig, während ſie früher im höchſten Grade unruhig geweſen war.</p><lb/><p>Junge, etwa fünf bis ſechs Monate alte Bären habe ich ebenfalls längere Zeit beobachtet. Sie<lb/>ſind in der That höchſt ergötzliche und wahrhaft komiſche Thiere. Jhre Beweglichkeit iſt ſehr groß, ihre<lb/>
Tölpelhaftigkeit aber nicht geringer, und ſo iſt es erklärlich, daß ſie fortwährend die lächerlichſten und<lb/>
drolligſten Streiche ausführen. Das echt kindiſche Weſen der jungen Bären zeigt ſich in jeder Handlung.<lb/>
Sie ſind ſpielluſtig im hohen Grade, klettern aus reinem Uebermuth oft an den Bäumen empor, balgen<lb/>ſich wie muthige Buben, ſpringen ins Waſſer, rennen übermüthig umher und treiben hunderterlei ver-<lb/>ſchiedene Poſſen. Jhren Wärtern beweiſen ſie gar keine beſondere Zärtlichkeit, ſie ſind vielmehr gegen<lb/>
Jedermann gleich freundlich und unterſcheiden nicht zwiſchen dem Einen oder dem Andern. Wer ihnen<lb/>
Etwas zu freſſen giebt, iſt ihnen der rechte Mann; wer ſie irgendwie erzürnt, wird von ihnen als Feind<lb/>
angeſehen und wo möglich feindlich behandelt. Sie ſind reizbar wie Kinder; ihre Liebe iſt augenblicklich<lb/>
gewonnen, ebenſo raſch aber auch verſcherzt. Grob und ungeſchickt, vergeßlich, unachtſam, täppiſch,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[586/0662]
Die Raubthiere. Bären. — Gemeiner Bär.
ſich jedoch zu beißen. Nach einigem Hin- und Herſchütteln ließen ſie wiederum los, und das Kampfſpiel
begann von neuem.
Es wird nun von dem gedachten illyriſchen Waidmann erzählt, daß die freilebende Bärin, ſobald
ſie Junge geworfen, ein dem Menſchen und jedem andern Feinde furchtbares Thier werde, ihre
Sprößlinge ſelten verlaſſe, und dieſelben auf das zärtlichſte pflege und ernähre, die erſten acht bis
neun Wochen ausſchließlich mit der kräftigen Muttermilch, ſpäter mit todtem Wildpret, welches ſie
den Jungen vorreiße. Jm dritten Monate ſollen die Jungen mit zur Jagd hinausgehen. Die
Bärin ſelbſt ſoll während der erſten Wochen nach ihrer Niederkunft einzig und allein Pflanzenkoſt
genießen. Jm Uebrigen erzählt unſer Beobachter viel von den munteren und luſtigen Sprüngen der
jungen Bärlein.
Noch läßt ſich nicht feſtſtellen, wie viel von dieſen Angaben auf Treue und Glauben hingenommen
werden darf, wahrſcheinlich aber werden wir recht thun, wenn wir uns auch bei Betrachtungen der
erſten Jugendzeit des Bären wieder an die Beobachtungen halten, welche im Gefangenleben gemacht
worden ſind. Ein Freund meines Vaters, der tüchtige Naturforſcher Pietruvsky, beobachtete an
ſeinen gefangenen Bären, daß die Mutter in den erſten zwei Wochen nach der Geburt ihrer Jungen
dieſe gar nicht verließ, nicht einmal, wenn der Hunger oder Durſt ſie quälte. Erſt nach 14 Tagen
trank ſie etwas Milch, welche ihr jedoch ſehr nahe geſtellt werden mußte. Sie legte ihre vier Tatzen
um die kleinen Bären, deckte ſie auch mit der Schnauze zu und bildete ihnen ſo eine ſehr warme Wiege.
Drei Wochen nach der Geburt richtete ſie ſich öfters auf, und von nun an ging ſie auch einige Schritte
von den Jungen weg. Dieſe blieben vier Wochen lang blind und begannen erſt nach Verlauf von
zwei Monaten langſam umherzugehen. Jm April ſpielten ſie auf dem Hofe, im Mai hatten ſie die
Größe eines jungen Pudels erreicht und ſprangen hurtig umher.
Mit dieſen Beobachtungen ſteht die von mir ſchon angedeutete eigene im geraden Gegenſatze.
Auch unſere Bärin warf in der vorletzten Woche des Januar ihre zwei Jungen. Wir bereiteten ihr
im Jnnern des Zwingers ein weiches Strohlager und ſie nahm Dies dankbar entgegen. Das eine
der Jungen war kurz nach der Geburt an Nabelverblutung geſtorben, das andere war ein kräftiges und
munteres kleines Thier von neun Zoll Länge. Ein ſilbergrauer, ſehr kurzer Pelz bekleidete es, die Augen
waren dicht geſchloſſen, das Gebahren deutete auf größte Hilfloſigkeit; die Stimme beſtand in einem
kläglichen, jedoch kräftigen Gewinſel. Die Bärin, welche von ihrem Eheherrn getrennt wurde, legte
ſehr wenig Zärtlichkeit gegen ihre Jungen an den Tag, zeigte dagegen eine um ſo größere Sehnſucht
nach ihrem Bären. Sobald dieſer der Thür ihrer Zelle ſich nahte, verließ ſie ihr Junges augenblicklich
und ſchnüffelte und ſchnaufte den Herrn Gemahl an. Jhren Sproſſen behandelte ſie mit beiſpielloſem
Ungeſchick, ja mit förmlicher Rohheit. Sie ſchleppte ihn in der Schnauze wie ein Stück Fleiſch umher,
ließ ihn achtlos ohne weiteres zu Boden fallen, trat ihn nicht ſelten und behandelte ihn, mit einem
Worte, ſo niederträchtig, daß er ſchon am dritten Tage ſtarb. Dies geſchah einzig und allein aus
überwiegender Hinneigung nach dem Bären; denn ſie wurde, als beide Thiere wieder zuſammengebracht
werden konnten, augenblicklich ruhig, während ſie früher im höchſten Grade unruhig geweſen war.
Junge, etwa fünf bis ſechs Monate alte Bären habe ich ebenfalls längere Zeit beobachtet. Sie
ſind in der That höchſt ergötzliche und wahrhaft komiſche Thiere. Jhre Beweglichkeit iſt ſehr groß, ihre
Tölpelhaftigkeit aber nicht geringer, und ſo iſt es erklärlich, daß ſie fortwährend die lächerlichſten und
drolligſten Streiche ausführen. Das echt kindiſche Weſen der jungen Bären zeigt ſich in jeder Handlung.
Sie ſind ſpielluſtig im hohen Grade, klettern aus reinem Uebermuth oft an den Bäumen empor, balgen
ſich wie muthige Buben, ſpringen ins Waſſer, rennen übermüthig umher und treiben hunderterlei ver-
ſchiedene Poſſen. Jhren Wärtern beweiſen ſie gar keine beſondere Zärtlichkeit, ſie ſind vielmehr gegen
Jedermann gleich freundlich und unterſcheiden nicht zwiſchen dem Einen oder dem Andern. Wer ihnen
Etwas zu freſſen giebt, iſt ihnen der rechte Mann; wer ſie irgendwie erzürnt, wird von ihnen als Feind
angeſehen und wo möglich feindlich behandelt. Sie ſind reizbar wie Kinder; ihre Liebe iſt augenblicklich
gewonnen, ebenſo raſch aber auch verſcherzt. Grob und ungeſchickt, vergeßlich, unachtſam, täppiſch,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 586. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/662>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.