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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Die Raubthiere. Bären. -- Eisbär.
meinschaftlich an. Von keinem andern Wesen beirrt oder gefährdet, der eisigsten Kälte und den
fürchterlichsten, uns schier undenkbaren Unwettern sorglos trotzend, streift er dort durch Land und
Meere über die eisige Decke des Wassers oder durch die offnen Wogen, und im Nothfalle muß ihm
der Schnee selbst zur Decke, zum Schutze, zum Lager werden. An der Ostküste von ganz Amerika, um
die Baffins- und Hudsonsbay herum, in Grönland und Labrador ist er gemein, und zwar ist er ebenso-
wohl auf dem festen Lande, wie auf dem Treibeise zu erblicken, oft sogar in Scharen, welche durch ihre
Anzahl an Schafherden erinnern. Scoresby berichtet, daß er einstmals an der Küste von Grönland
hundert Eisbären beisammentraf, von deuen zwanzig getödtet werden konnten. Jn Europa ist es
die Jnsel Spitzbergen, welche seinen ständigen Heimatsort bildet, aber auf den kristallenen Fahr-
zeugen, die ihm das Meer selbst bietet, auf den Eisschollen, kommt er nicht selten auch an der Nord-
küste Jslands angeschwommen und würde, wäre der Norwegens Küste umfluthende und das Eis
dort schmelzende Golfstrom nicht, sich wohl auch öfters in Lappland oder Nordland zeigen. Jn Asien
ist die Jnsel Novaja-Semlja sein Hauptsitz. Aber auch auf Neusibirien, selbst auf dem Festlande
wird er oft genug gefunden, obgleich blos dann, wenn er auf Eisschollen angetrieben wird. Jn
den endlosen Winternächten des Nordens schlägt er, wenn er bei Nebel und Schneegestöber seine
Richtung verliert oder durch die Auffuchung der Nahrung weiter vom Meere abgeführt wird, als er
beabsichtigte, auf dem mit Mos und Flechten überzogenen und überfrornen Boden in Sibirien sein
Winterlager auf und kehrt erst, wenn der beginnende kurze Frühling von neuem ein regeres Leben
ihm ermöglicht, zu seiner eigentlichen Heimat zurück. Dennoch sieht man ihn nur höchst selten auf
dem festen Lande zwischen der Lena und der Mündung des Jenisei und noch seltner zwischen dem
Ob und dem weißen Meere, weil ihm die weit nach Norden auslaufenden Gebirge und Novaja
Semlja weit bessere Aufenthaltsorte gewähren. Jn Amerika ist er da am häufigsten, wo der Mensch
ihm am wenigsten nachstellt. Es ist nur der kleine, unscheinbare, verachtete Eskimo, welcher dort als
Gebieter der Erde auftritt; aber Dieser ist noch immer mächtig genug, den gewaltigen Meeresbe-
herrscher zu verdrängen. Sonderbar ist, daß er nach Aussagen der Eskimos, seiner hauptsächlichsten
Feinde, nur in höchst seltenen Fällen jenseits des Mackenzieflusses erscheint, sich somit weit weniger im
Westen Amerikas, als im Osten, verbreitet. Nach Süden hinab geht er blos unfreiwillig, wenn ihn
große Eisschollen dahintragen. Man hat häufig Eisbären gesehen, welche auf diese Weise mitten im
sonst eisfreien Wasser und weit von den Küsten entfernt dahintrieben. Obgleich er nun den größten
Theil seines Lebens auf dem Eise zubringt und im Meere ebensosehr oder noch heimischer ist, als auf
dem Lande, sind ihm derartige Reisen doch wohl nicht lieb und führen auch, wenn sie ihn weit nach
Süden und zu gebildeteren Menschen tragen, regelmäßig sein Verderben herbei.

Die Bewegungen des Eisbären sind im Ganzen plump, wie die der ganzen Familie, aber aus-
dauernd im höchsten Grade. Dies zeigt sich zumal beim Schwimmen, derjenigen Bewegung, in
welcher der Eisbär seine Meisterschaft an den Tag legt. Die Geschwindigkeit, mit welcher er sich im
Wasser bewegt, schätzt Scoresby auf drei englische Meilen in der Stunde, und dabei ist er im
Stande, ohne besondere Beschwerde viele Meilen zurückzulegen. Die große Masse seines Fettes
kommt ihm vortrefflich zustatten, da sie das eigenthümliche Gewicht seines Leibes so ziemlich dem des
Wassers gleichstellt. Man sah unsern Bären schon vierzig Meilen weit von jedem Lande entfernt im
freien Wasser schwimmen und darf deshalb vermuthen, daß er über Sunde oder Straßen von mehreren
hundert Meilen ohne Gefahr zu setzen vermag. Ebenso ausgezeichnet, wie er sich auf der Ober-
fläche des Wassers bewegt, versteht er zu tauchen und unter dem Wasser zu schwimmen. Man
hat beobachtet, daß er Lachse aus der See geholt hat und muß nach Diesem feine Tauchfähigkeit
allerdings im höchsten Grade bewundern. Daß er oft lange Zeit nur auf Fischnahrung angewiesen
ist, unterliegt gar keinem Zweifel, und hieraus geht also hervor, daß er mit mindestens derselben
Schnelligkeit schwimmt, wie der behende, gewandte Fischotter. Auch auf dem Lande ist er keines-
wegs so unbehilflich, ungeschickt oder plump, als es den Anschein hat. Sein gewöhnlicher Gang ist
zwar langsam und bedächtig, allein wenn er von Gefahr gedrängt oder von Hunger angetrieben

Die Raubthiere. Bären. — Eisbär.
meinſchaftlich an. Von keinem andern Weſen beirrt oder gefährdet, der eiſigſten Kälte und den
fürchterlichſten, uns ſchier undenkbaren Unwettern ſorglos trotzend, ſtreift er dort durch Land und
Meere über die eiſige Decke des Waſſers oder durch die offnen Wogen, und im Nothfalle muß ihm
der Schnee ſelbſt zur Decke, zum Schutze, zum Lager werden. An der Oſtküſte von ganz Amerika, um
die Baffins- und Hudſonsbay herum, in Grönland und Labrador iſt er gemein, und zwar iſt er ebenſo-
wohl auf dem feſten Lande, wie auf dem Treibeiſe zu erblicken, oft ſogar in Scharen, welche durch ihre
Anzahl an Schafherden erinnern. Scoresby berichtet, daß er einſtmals an der Küſte von Grönland
hundert Eisbären beiſammentraf, von deuen zwanzig getödtet werden konnten. Jn Europa iſt es
die Jnſel Spitzbergen, welche ſeinen ſtändigen Heimatsort bildet, aber auf den kriſtallenen Fahr-
zeugen, die ihm das Meer ſelbſt bietet, auf den Eisſchollen, kommt er nicht ſelten auch an der Nord-
küſte Jslands angeſchwommen und würde, wäre der Norwegens Küſte umfluthende und das Eis
dort ſchmelzende Golfſtrom nicht, ſich wohl auch öfters in Lappland oder Nordland zeigen. Jn Aſien
iſt die Jnſel Novaja-Semlja ſein Hauptſitz. Aber auch auf Neuſibirien, ſelbſt auf dem Feſtlande
wird er oft genug gefunden, obgleich blos dann, wenn er auf Eisſchollen angetrieben wird. Jn
den endloſen Winternächten des Nordens ſchlägt er, wenn er bei Nebel und Schneegeſtöber ſeine
Richtung verliert oder durch die Auffuchung der Nahrung weiter vom Meere abgeführt wird, als er
beabſichtigte, auf dem mit Mos und Flechten überzogenen und überfrornen Boden in Sibirien ſein
Winterlager auf und kehrt erſt, wenn der beginnende kurze Frühling von neuem ein regeres Leben
ihm ermöglicht, zu ſeiner eigentlichen Heimat zurück. Dennoch ſieht man ihn nur höchſt ſelten auf
dem feſten Lande zwiſchen der Lena und der Mündung des Jeniſei und noch ſeltner zwiſchen dem
Ob und dem weißen Meere, weil ihm die weit nach Norden auslaufenden Gebirge und Novaja
Semlja weit beſſere Aufenthaltsorte gewähren. Jn Amerika iſt er da am häufigſten, wo der Menſch
ihm am wenigſten nachſtellt. Es iſt nur der kleine, unſcheinbare, verachtete Eskimo, welcher dort als
Gebieter der Erde auftritt; aber Dieſer iſt noch immer mächtig genug, den gewaltigen Meeresbe-
herrſcher zu verdrängen. Sonderbar iſt, daß er nach Ausſagen der Eskimos, ſeiner hauptſächlichſten
Feinde, nur in höchſt ſeltenen Fällen jenſeits des Mackenziefluſſes erſcheint, ſich ſomit weit weniger im
Weſten Amerikas, als im Oſten, verbreitet. Nach Süden hinab geht er blos unfreiwillig, wenn ihn
große Eisſchollen dahintragen. Man hat häufig Eisbären geſehen, welche auf dieſe Weiſe mitten im
ſonſt eisfreien Waſſer und weit von den Küſten entfernt dahintrieben. Obgleich er nun den größten
Theil ſeines Lebens auf dem Eiſe zubringt und im Meere ebenſoſehr oder noch heimiſcher iſt, als auf
dem Lande, ſind ihm derartige Reiſen doch wohl nicht lieb und führen auch, wenn ſie ihn weit nach
Süden und zu gebildeteren Menſchen tragen, regelmäßig ſein Verderben herbei.

Die Bewegungen des Eisbären ſind im Ganzen plump, wie die der ganzen Familie, aber aus-
dauernd im höchſten Grade. Dies zeigt ſich zumal beim Schwimmen, derjenigen Bewegung, in
welcher der Eisbär ſeine Meiſterſchaft an den Tag legt. Die Geſchwindigkeit, mit welcher er ſich im
Waſſer bewegt, ſchätzt Scoresby auf drei engliſche Meilen in der Stunde, und dabei iſt er im
Stande, ohne beſondere Beſchwerde viele Meilen zurückzulegen. Die große Maſſe ſeines Fettes
kommt ihm vortrefflich zuſtatten, da ſie das eigenthümliche Gewicht ſeines Leibes ſo ziemlich dem des
Waſſers gleichſtellt. Man ſah unſern Bären ſchon vierzig Meilen weit von jedem Lande entfernt im
freien Waſſer ſchwimmen und darf deshalb vermuthen, daß er über Sunde oder Straßen von mehreren
hundert Meilen ohne Gefahr zu ſetzen vermag. Ebenſo ausgezeichnet, wie er ſich auf der Ober-
fläche des Waſſers bewegt, verſteht er zu tauchen und unter dem Waſſer zu ſchwimmen. Man
hat beobachtet, daß er Lachſe aus der See geholt hat und muß nach Dieſem feine Tauchfähigkeit
allerdings im höchſten Grade bewundern. Daß er oft lange Zeit nur auf Fiſchnahrung angewieſen
iſt, unterliegt gar keinem Zweifel, und hieraus geht alſo hervor, daß er mit mindeſtens derſelben
Schnelligkeit ſchwimmt, wie der behende, gewandte Fiſchotter. Auch auf dem Lande iſt er keines-
wegs ſo unbehilflich, ungeſchickt oder plump, als es den Anſchein hat. Sein gewöhnlicher Gang iſt
zwar langſam und bedächtig, allein wenn er von Gefahr gedrängt oder von Hunger angetrieben

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[616/0694] Die Raubthiere. Bären. — Eisbär. meinſchaftlich an. Von keinem andern Weſen beirrt oder gefährdet, der eiſigſten Kälte und den fürchterlichſten, uns ſchier undenkbaren Unwettern ſorglos trotzend, ſtreift er dort durch Land und Meere über die eiſige Decke des Waſſers oder durch die offnen Wogen, und im Nothfalle muß ihm der Schnee ſelbſt zur Decke, zum Schutze, zum Lager werden. An der Oſtküſte von ganz Amerika, um die Baffins- und Hudſonsbay herum, in Grönland und Labrador iſt er gemein, und zwar iſt er ebenſo- wohl auf dem feſten Lande, wie auf dem Treibeiſe zu erblicken, oft ſogar in Scharen, welche durch ihre Anzahl an Schafherden erinnern. Scoresby berichtet, daß er einſtmals an der Küſte von Grönland hundert Eisbären beiſammentraf, von deuen zwanzig getödtet werden konnten. Jn Europa iſt es die Jnſel Spitzbergen, welche ſeinen ſtändigen Heimatsort bildet, aber auf den kriſtallenen Fahr- zeugen, die ihm das Meer ſelbſt bietet, auf den Eisſchollen, kommt er nicht ſelten auch an der Nord- küſte Jslands angeſchwommen und würde, wäre der Norwegens Küſte umfluthende und das Eis dort ſchmelzende Golfſtrom nicht, ſich wohl auch öfters in Lappland oder Nordland zeigen. Jn Aſien iſt die Jnſel Novaja-Semlja ſein Hauptſitz. Aber auch auf Neuſibirien, ſelbſt auf dem Feſtlande wird er oft genug gefunden, obgleich blos dann, wenn er auf Eisſchollen angetrieben wird. Jn den endloſen Winternächten des Nordens ſchlägt er, wenn er bei Nebel und Schneegeſtöber ſeine Richtung verliert oder durch die Auffuchung der Nahrung weiter vom Meere abgeführt wird, als er beabſichtigte, auf dem mit Mos und Flechten überzogenen und überfrornen Boden in Sibirien ſein Winterlager auf und kehrt erſt, wenn der beginnende kurze Frühling von neuem ein regeres Leben ihm ermöglicht, zu ſeiner eigentlichen Heimat zurück. Dennoch ſieht man ihn nur höchſt ſelten auf dem feſten Lande zwiſchen der Lena und der Mündung des Jeniſei und noch ſeltner zwiſchen dem Ob und dem weißen Meere, weil ihm die weit nach Norden auslaufenden Gebirge und Novaja Semlja weit beſſere Aufenthaltsorte gewähren. Jn Amerika iſt er da am häufigſten, wo der Menſch ihm am wenigſten nachſtellt. Es iſt nur der kleine, unſcheinbare, verachtete Eskimo, welcher dort als Gebieter der Erde auftritt; aber Dieſer iſt noch immer mächtig genug, den gewaltigen Meeresbe- herrſcher zu verdrängen. Sonderbar iſt, daß er nach Ausſagen der Eskimos, ſeiner hauptſächlichſten Feinde, nur in höchſt ſeltenen Fällen jenſeits des Mackenziefluſſes erſcheint, ſich ſomit weit weniger im Weſten Amerikas, als im Oſten, verbreitet. Nach Süden hinab geht er blos unfreiwillig, wenn ihn große Eisſchollen dahintragen. Man hat häufig Eisbären geſehen, welche auf dieſe Weiſe mitten im ſonſt eisfreien Waſſer und weit von den Küſten entfernt dahintrieben. Obgleich er nun den größten Theil ſeines Lebens auf dem Eiſe zubringt und im Meere ebenſoſehr oder noch heimiſcher iſt, als auf dem Lande, ſind ihm derartige Reiſen doch wohl nicht lieb und führen auch, wenn ſie ihn weit nach Süden und zu gebildeteren Menſchen tragen, regelmäßig ſein Verderben herbei. Die Bewegungen des Eisbären ſind im Ganzen plump, wie die der ganzen Familie, aber aus- dauernd im höchſten Grade. Dies zeigt ſich zumal beim Schwimmen, derjenigen Bewegung, in welcher der Eisbär ſeine Meiſterſchaft an den Tag legt. Die Geſchwindigkeit, mit welcher er ſich im Waſſer bewegt, ſchätzt Scoresby auf drei engliſche Meilen in der Stunde, und dabei iſt er im Stande, ohne beſondere Beſchwerde viele Meilen zurückzulegen. Die große Maſſe ſeines Fettes kommt ihm vortrefflich zuſtatten, da ſie das eigenthümliche Gewicht ſeines Leibes ſo ziemlich dem des Waſſers gleichſtellt. Man ſah unſern Bären ſchon vierzig Meilen weit von jedem Lande entfernt im freien Waſſer ſchwimmen und darf deshalb vermuthen, daß er über Sunde oder Straßen von mehreren hundert Meilen ohne Gefahr zu ſetzen vermag. Ebenſo ausgezeichnet, wie er ſich auf der Ober- fläche des Waſſers bewegt, verſteht er zu tauchen und unter dem Waſſer zu ſchwimmen. Man hat beobachtet, daß er Lachſe aus der See geholt hat und muß nach Dieſem feine Tauchfähigkeit allerdings im höchſten Grade bewundern. Daß er oft lange Zeit nur auf Fiſchnahrung angewieſen iſt, unterliegt gar keinem Zweifel, und hieraus geht alſo hervor, daß er mit mindeſtens derſelben Schnelligkeit ſchwimmt, wie der behende, gewandte Fiſchotter. Auch auf dem Lande iſt er keines- wegs ſo unbehilflich, ungeſchickt oder plump, als es den Anſchein hat. Sein gewöhnlicher Gang iſt zwar langſam und bedächtig, allein wenn er von Gefahr gedrängt oder von Hunger angetrieben

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 616. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/694>, abgerufen am 22.11.2024.