wird, läuft er sprungweise sehr rasch und kommt jedem andern Säugethiere, welches sich auf dem Eise bewegt, und somit auch dem Menschen, leicht zuvor. Dabei sind seine Sinne ausnehmend scharf, be- sonders das Gesicht und der Geruch. Wenn er über große Eisfelder geht, steigt er (nach Scoresby) auf die Eisblöcke und sieht nach Beute umher. Todte Walfische oder ein in das Feuer geworfenes Stück Speck riecht er auf ganz unglaubliche Entfernungen.
Die Nahrung des Eisbären besteht aus fast allen Thieren, welche das Meer oder die armen Küsten seiner Heimat bieten. Seine furchtbare Stärke, welche die aller übrigen bärenartigen Raub- thiere bei weitem übertrifft, und die erwähnte Gewandtheit im Wasser macht es ihm ziemlich leicht, sich zu versorgen. Ohne Mühe bricht er mit seinen starken Krallen große Löcher durch das dicke Eis, um an Stellen, welche ihm sonst ganz unzugänglich sein würden, in die Tiefe gelangen zu können; ohne Beschwerde trägt er ein großes und schweres Meerthier, unter Umständen meilenweit, mit sich fort. Jn den Meeren, welche von Walfischfängern besucht werden, bilden die todten Wale ein vorzügliches Nahrungsmittel für ihn; man sieht ihn immer bald bei jedem Walfischaase sich einfinden. Dabei hat man die Beobachtung gemacht, daß diejenigen Bären, welche viel Walfischfleisch fressen, das gelblichste Fell haben, jedenfalls in Folge des reichlichen Thranes, den sie mit dem Fleische verzehren müssen. Jndeß dürften die Fische nächst den Walen wohl die Hauptmasse seiner Mahlzeiten ausmachen. Er zieht sie aus dem Wasser, indem er untertaucht und ihnen nachschwimmt, oder fängt sie geschickt zwischen den Eisblöcken heraus oder treibt sie in Buchten und an den Mündungen der Bäche zu- sammen und tödtet sie dann in Masse; kurz, er weiß sich mit ihnen zu versehen. Außerdem stellt er den Seehunden nach, geschickt und klug genug, diese schlauen und behenden Thiere zu erlangen. Wenn er eine Robbe von fern erblickt, senkt er sich still und geräuschlos ins Meer, schwimmt gegen den Wind ihr zu, nähert sich ihr mit der größten Stille und taucht plötzlich von unten nach dem Thiere empor, welches nun regelmäßig seine Beute wird, es mag anfangen, was es will. Die Robben pflegen in jenen eisigen Gegenden nahe an Löchern zu liegen, welche ihren Weg nach dem Wasser ver- mitteln. Diese Löcher findet der unter der Oberfläche des Meeres dahinschwimmende Eisbär mit außer- ordentlicher Sicherheit auf, und plötzlich erscheint der gefürchtete Kopf des entsetzlichsten Feindes der unbehilflichen Meereshunde so zu sagen in deren eigenem Hause oder in dem einzigen Fluchtgange, welcher sie möglicherweise retten könnte. Die Samojeden und Jakuten versichern, daß er auf dem Lande sogar junge Walrosse tödtet, welche er im Meere unbehelligt läßt. Landthiere überfällt er blos dann, wenn ihm andere Nahrung mangelt. Die Renthiere, die Eisfüchse, Vögel und deren Eier sind keineswegs vor ihm sicher. Osborne sah einer alten Bärenmutter zu, welche Stein- blöcke umwälzte, um ihre Jungen mit Lemmingen zu versorgen. An die Hausthiere wagt er sich nur selten. Man hat mehr als einmal bemerkt, daß er zwischen weidenden Rinderherden durch- gegangen ist, ohne eines von den Thieren anzufallen. Dies geschieht freilich blos so lange, als er gesättigt ist; denn, wenn ihn der Hunger plagt, greift er jedes Thier an, welches ihm begegnet. Das Aas frißt er ebenso gern, wie frisches Fleisch; ja, er soll nicht einmal den Leichnam eines andern Eis- bären verschmähen. Dagegen greift er den Menschen ungereizt blos bei dem größten Hunger an und geht ihm gewöhnlich aus dem Wege; wenn er jedoch zum Kampfe aufgefordert wird, hält er jederzeit Stand und kehrt sich immer gegen seinen Feind. Dann ist er unbedingt das furchtbarste aller Thiere, welches in jenen hohen Breiten dem Menschen entgegentreten kann. Nur seine tödliche Verwundung kann den Verwegenen retten, welcher ihm den Fehdehandschuh hinzuwerfen wagte. Schüsse, welche nicht das Herz oder den Kopf treffen, reizen nur die Wuth des Riesen und vermehren somit die Gefahr. Eine Lanze weiß er geschickt mit seinen Zähnen zu fassen und beißt sie entweder entzwei oder reißt sie dem Gegner aus der Hand. Man erzählt sich sehr viele Unglücksfälle, welche durch ihn herbeigeführt worden sind, und gar mancher Walfischfänger hat die Tollkühnheit, einen Eisbären bekämpfen zu wollen, mit seinem Leben bezahlt. "Wenn man den Bären im Wasser antrifft," sagt Scoresby, "kann man ihn gewöhnlich mit Vortheil angreifen; wenn er aber am Ufer, oder auf beschneitem oder glattem Eise ist, wo er mit seinen breiten Tatzen noch einmal so schnell fortzukommen vermag, als ein
Schwimmfertigkeit. Nahrung.
wird, läuft er ſprungweiſe ſehr raſch und kommt jedem andern Säugethiere, welches ſich auf dem Eiſe bewegt, und ſomit auch dem Menſchen, leicht zuvor. Dabei ſind ſeine Sinne ausnehmend ſcharf, be- ſonders das Geſicht und der Geruch. Wenn er über große Eisfelder geht, ſteigt er (nach Scoresby) auf die Eisblöcke und ſieht nach Beute umher. Todte Walfiſche oder ein in das Feuer geworfenes Stück Speck riecht er auf ganz unglaubliche Entfernungen.
Die Nahrung des Eisbären beſteht aus faſt allen Thieren, welche das Meer oder die armen Küſten ſeiner Heimat bieten. Seine furchtbare Stärke, welche die aller übrigen bärenartigen Raub- thiere bei weitem übertrifft, und die erwähnte Gewandtheit im Waſſer macht es ihm ziemlich leicht, ſich zu verſorgen. Ohne Mühe bricht er mit ſeinen ſtarken Krallen große Löcher durch das dicke Eis, um an Stellen, welche ihm ſonſt ganz unzugänglich ſein würden, in die Tiefe gelangen zu können; ohne Beſchwerde trägt er ein großes und ſchweres Meerthier, unter Umſtänden meilenweit, mit ſich fort. Jn den Meeren, welche von Walfiſchfängern beſucht werden, bilden die todten Wale ein vorzügliches Nahrungsmittel für ihn; man ſieht ihn immer bald bei jedem Walfiſchaaſe ſich einfinden. Dabei hat man die Beobachtung gemacht, daß diejenigen Bären, welche viel Walfiſchfleiſch freſſen, das gelblichſte Fell haben, jedenfalls in Folge des reichlichen Thranes, den ſie mit dem Fleiſche verzehren müſſen. Jndeß dürften die Fiſche nächſt den Walen wohl die Hauptmaſſe ſeiner Mahlzeiten ausmachen. Er zieht ſie aus dem Waſſer, indem er untertaucht und ihnen nachſchwimmt, oder fängt ſie geſchickt zwiſchen den Eisblöcken heraus oder treibt ſie in Buchten und an den Mündungen der Bäche zu- ſammen und tödtet ſie dann in Maſſe; kurz, er weiß ſich mit ihnen zu verſehen. Außerdem ſtellt er den Seehunden nach, geſchickt und klug genug, dieſe ſchlauen und behenden Thiere zu erlangen. Wenn er eine Robbe von fern erblickt, ſenkt er ſich ſtill und geräuſchlos ins Meer, ſchwimmt gegen den Wind ihr zu, nähert ſich ihr mit der größten Stille und taucht plötzlich von unten nach dem Thiere empor, welches nun regelmäßig ſeine Beute wird, es mag anfangen, was es will. Die Robben pflegen in jenen eiſigen Gegenden nahe an Löchern zu liegen, welche ihren Weg nach dem Waſſer ver- mitteln. Dieſe Löcher findet der unter der Oberfläche des Meeres dahinſchwimmende Eisbär mit außer- ordentlicher Sicherheit auf, und plötzlich erſcheint der gefürchtete Kopf des entſetzlichſten Feindes der unbehilflichen Meereshunde ſo zu ſagen in deren eigenem Hauſe oder in dem einzigen Fluchtgange, welcher ſie möglicherweiſe retten könnte. Die Samojeden und Jakuten verſichern, daß er auf dem Lande ſogar junge Walroſſe tödtet, welche er im Meere unbehelligt läßt. Landthiere überfällt er blos dann, wenn ihm andere Nahrung mangelt. Die Renthiere, die Eisfüchſe, Vögel und deren Eier ſind keineswegs vor ihm ſicher. Osborne ſah einer alten Bärenmutter zu, welche Stein- blöcke umwälzte, um ihre Jungen mit Lemmingen zu verſorgen. An die Hausthiere wagt er ſich nur ſelten. Man hat mehr als einmal bemerkt, daß er zwiſchen weidenden Rinderherden durch- gegangen iſt, ohne eines von den Thieren anzufallen. Dies geſchieht freilich blos ſo lange, als er geſättigt iſt; denn, wenn ihn der Hunger plagt, greift er jedes Thier an, welches ihm begegnet. Das Aas frißt er ebenſo gern, wie friſches Fleiſch; ja, er ſoll nicht einmal den Leichnam eines andern Eis- bären verſchmähen. Dagegen greift er den Menſchen ungereizt blos bei dem größten Hunger an und geht ihm gewöhnlich aus dem Wege; wenn er jedoch zum Kampfe aufgefordert wird, hält er jederzeit Stand und kehrt ſich immer gegen ſeinen Feind. Dann iſt er unbedingt das furchtbarſte aller Thiere, welches in jenen hohen Breiten dem Menſchen entgegentreten kann. Nur ſeine tödliche Verwundung kann den Verwegenen retten, welcher ihm den Fehdehandſchuh hinzuwerfen wagte. Schüſſe, welche nicht das Herz oder den Kopf treffen, reizen nur die Wuth des Rieſen und vermehren ſomit die Gefahr. Eine Lanze weiß er geſchickt mit ſeinen Zähnen zu faſſen und beißt ſie entweder entzwei oder reißt ſie dem Gegner aus der Hand. Man erzählt ſich ſehr viele Unglücksfälle, welche durch ihn herbeigeführt worden ſind, und gar mancher Walfiſchfänger hat die Tollkühnheit, einen Eisbären bekämpfen zu wollen, mit ſeinem Leben bezahlt. „Wenn man den Bären im Waſſer antrifft,‟ ſagt Scoresby, „kann man ihn gewöhnlich mit Vortheil angreifen; wenn er aber am Ufer, oder auf beſchneitem oder glattem Eiſe iſt, wo er mit ſeinen breiten Tatzen noch einmal ſo ſchnell fortzukommen vermag, als ein
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[617/0695]
Schwimmfertigkeit. Nahrung.
wird, läuft er ſprungweiſe ſehr raſch und kommt jedem andern Säugethiere, welches ſich auf dem Eiſe
bewegt, und ſomit auch dem Menſchen, leicht zuvor. Dabei ſind ſeine Sinne ausnehmend ſcharf, be-
ſonders das Geſicht und der Geruch. Wenn er über große Eisfelder geht, ſteigt er (nach Scoresby)
auf die Eisblöcke und ſieht nach Beute umher. Todte Walfiſche oder ein in das Feuer geworfenes
Stück Speck riecht er auf ganz unglaubliche Entfernungen.
Die Nahrung des Eisbären beſteht aus faſt allen Thieren, welche das Meer oder die armen
Küſten ſeiner Heimat bieten. Seine furchtbare Stärke, welche die aller übrigen bärenartigen Raub-
thiere bei weitem übertrifft, und die erwähnte Gewandtheit im Waſſer macht es ihm ziemlich leicht, ſich
zu verſorgen. Ohne Mühe bricht er mit ſeinen ſtarken Krallen große Löcher durch das dicke Eis, um
an Stellen, welche ihm ſonſt ganz unzugänglich ſein würden, in die Tiefe gelangen zu können; ohne
Beſchwerde trägt er ein großes und ſchweres Meerthier, unter Umſtänden meilenweit, mit ſich fort. Jn
den Meeren, welche von Walfiſchfängern beſucht werden, bilden die todten Wale ein vorzügliches
Nahrungsmittel für ihn; man ſieht ihn immer bald bei jedem Walfiſchaaſe ſich einfinden. Dabei hat
man die Beobachtung gemacht, daß diejenigen Bären, welche viel Walfiſchfleiſch freſſen, das gelblichſte
Fell haben, jedenfalls in Folge des reichlichen Thranes, den ſie mit dem Fleiſche verzehren müſſen.
Jndeß dürften die Fiſche nächſt den Walen wohl die Hauptmaſſe ſeiner Mahlzeiten ausmachen. Er
zieht ſie aus dem Waſſer, indem er untertaucht und ihnen nachſchwimmt, oder fängt ſie geſchickt
zwiſchen den Eisblöcken heraus oder treibt ſie in Buchten und an den Mündungen der Bäche zu-
ſammen und tödtet ſie dann in Maſſe; kurz, er weiß ſich mit ihnen zu verſehen. Außerdem ſtellt er
den Seehunden nach, geſchickt und klug genug, dieſe ſchlauen und behenden Thiere zu erlangen.
Wenn er eine Robbe von fern erblickt, ſenkt er ſich ſtill und geräuſchlos ins Meer, ſchwimmt gegen
den Wind ihr zu, nähert ſich ihr mit der größten Stille und taucht plötzlich von unten nach dem
Thiere empor, welches nun regelmäßig ſeine Beute wird, es mag anfangen, was es will. Die Robben
pflegen in jenen eiſigen Gegenden nahe an Löchern zu liegen, welche ihren Weg nach dem Waſſer ver-
mitteln. Dieſe Löcher findet der unter der Oberfläche des Meeres dahinſchwimmende Eisbär mit außer-
ordentlicher Sicherheit auf, und plötzlich erſcheint der gefürchtete Kopf des entſetzlichſten Feindes der
unbehilflichen Meereshunde ſo zu ſagen in deren eigenem Hauſe oder in dem einzigen Fluchtgange,
welcher ſie möglicherweiſe retten könnte. Die Samojeden und Jakuten verſichern, daß er auf
dem Lande ſogar junge Walroſſe tödtet, welche er im Meere unbehelligt läßt. Landthiere überfällt
er blos dann, wenn ihm andere Nahrung mangelt. Die Renthiere, die Eisfüchſe, Vögel und
deren Eier ſind keineswegs vor ihm ſicher. Osborne ſah einer alten Bärenmutter zu, welche Stein-
blöcke umwälzte, um ihre Jungen mit Lemmingen zu verſorgen. An die Hausthiere wagt er
ſich nur ſelten. Man hat mehr als einmal bemerkt, daß er zwiſchen weidenden Rinderherden durch-
gegangen iſt, ohne eines von den Thieren anzufallen. Dies geſchieht freilich blos ſo lange, als er
geſättigt iſt; denn, wenn ihn der Hunger plagt, greift er jedes Thier an, welches ihm begegnet. Das
Aas frißt er ebenſo gern, wie friſches Fleiſch; ja, er ſoll nicht einmal den Leichnam eines andern Eis-
bären verſchmähen. Dagegen greift er den Menſchen ungereizt blos bei dem größten Hunger an und
geht ihm gewöhnlich aus dem Wege; wenn er jedoch zum Kampfe aufgefordert wird, hält er jederzeit
Stand und kehrt ſich immer gegen ſeinen Feind. Dann iſt er unbedingt das furchtbarſte aller Thiere,
welches in jenen hohen Breiten dem Menſchen entgegentreten kann. Nur ſeine tödliche Verwundung
kann den Verwegenen retten, welcher ihm den Fehdehandſchuh hinzuwerfen wagte. Schüſſe, welche
nicht das Herz oder den Kopf treffen, reizen nur die Wuth des Rieſen und vermehren ſomit die Gefahr.
Eine Lanze weiß er geſchickt mit ſeinen Zähnen zu faſſen und beißt ſie entweder entzwei oder reißt ſie
dem Gegner aus der Hand. Man erzählt ſich ſehr viele Unglücksfälle, welche durch ihn herbeigeführt
worden ſind, und gar mancher Walfiſchfänger hat die Tollkühnheit, einen Eisbären bekämpfen zu
wollen, mit ſeinem Leben bezahlt. „Wenn man den Bären im Waſſer antrifft,‟ ſagt Scoresby,
„kann man ihn gewöhnlich mit Vortheil angreifen; wenn er aber am Ufer, oder auf beſchneitem oder
glattem Eiſe iſt, wo er mit ſeinen breiten Tatzen noch einmal ſo ſchnell fortzukommen vermag, als ein
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 617. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/695>, abgerufen am 22.11.2024.
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