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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Die Raubthiere. Bären. -- Eisbär.
Mensch, kann er selten mit Sicherheit oder gutem Erfolge angegriffen werden. Bei weitem die meisten
Unglücksfälle wurden durch die Unvorsichtigkeit solcher Angriffe herbeigeführt. Vor wenigen Jahren
ereignete sich ein trauriger Vorfall mit einem Matrofen eines Schiffes, welches in der Davisstraße
vom Eise eingeschlossen war. Ein dreister Bär kam, wahrscheinlich durch den Geruch der Lebensmittel
angelockt, endlich bis dicht an das Schiff heran. Die Leute waren gerade mit ihrer Mahlzeit be-
schäftigt und selbst die Deckwachen nahmen daran Theil. Da bemerkte ein verwegener Bursch zufällig
den Bären, bewaffnete sich rasch mit einer Stange und sprang jedenfalls in der Absicht auf das Eis
hinaus, die Ehre davonzutragen, einen so übermüthigen Gast zu demüthigen. Aber der Bär achtete
wenig auf das elende Gewehr, packte, wahrscheinlich durch Hunger gereizt, seinen Gegner sofort mit
den furchtbaren Zähnen im Rücken und trug ihn mit solcher Schnelligkeit davon, daß Raubthier und
Matrose schon weit entfernt waren, als die Gefährten des Unglücklichen, von seinem Geschrei herbei-
gezogen, aufsprangen und sich umfahen. Es würde umsonst gewesen sein, dem Verunglückten nach-
zusetzen; -- man hat nie wieder irgend Etwas von ihm bemerkt."

Ein anderes Beispiel eines unklugen Angriffs gegen einen Bären wurde Scoresby vom Kapitän
Munroe mitgetheilt. Hier war jedoch der Ausgang eher lustiger Art. Das betreffende Schiff lag im
Jahre 1820 im grönländischen Meere vor Anker. Einer von der Mannschaft des Schiffes, welcher
sich aus einer Rumflasche wohl gerade besondern Muth geholt haben mochte, machte sich anheischig,
dem Bären nachzusetzen. Blos mit einer Walfischlanze bewaffnet, ging er zu seiner abenteuerlichen
Unternehmung aus. Ein beschwerlicher Weg von ungefähr einer halben Stunde über lockern Schnee
und schroffe Eisblöcke brachte ihn ganz in die Nähe seines Feindes, der, zu seinem Erstaunen, ihn
unerschrocken anblickte und zum Kampfe herauszufordern schien. Sein Muth hatte unterdessen sehr
abgenommen, theils weil der Geist des Rums unterwegs verdunstet war, theils weil der Bär nicht
nur gar keine Furcht verrieth, sondern selbst eine drohende Miene annahm. Unser Matrose hielt
daher an und schwang seine Lanze ein paarmal hin und her, so daß man nicht recht wußte, ob er an-
greifen oder sich vertheidigen wollte. Der Bär stand auch still. Vergebens suchte der Abenteurer sich
ein Herz zu fassen, um den Augriff zu beginnen: sein Gegner war zu furchtbar und sein Ausehn zu
schrecklich. Vergebens fing er an, ihn durch Schreien und mit der Lanze zu bedrohen: der Feind
verstand Dies entweder nicht oder verachtete solche leere Drohungen und blieb hartnäckig auf seinem
Platze. Schon fingen die Knie des armen Teufels an zu wanken, die Lanze zitterte in seiner Hand,
aber die Furcht, von seinen Kameraden ausgelacht zu werden, hatte noch einigen Einfluß auf ihn:
er wagte nicht, zurückzugehen. Meister Petz hingegen fing mit der verwegensten Dreistigkeit an, vor-
zurücken! Seine Annäherung und sein ungeschlachtes Wesen löschten den letzten noch glimmenden
Funken von Muth bei dem Matrosen aus; er wandte sich um und floh. Aber nun ging die Gefahr
erst an. Der Bär holte den Flüchtling bald ein. Dieser warf die Lanze, sein einziges Vertheidi-
gungsmittel, weil sie ihn im Laufe beschwerte, von sich und lief weiter. Glücklicherweise zog die Waffe
die Aufmerksamkeit des Bären auf sich; er stutzte, betastete sie mit seinen Pfoten, biß hinein und setzte
dann seine Verfolgung fort. Schon war er dem kenchenden Schiffer auf den Fersen, als dieser in der
Hoffnung einer ähnlichen Wirkung, wie die Lanze sie gehabt hatte, einen Handschuh fallen ließ. Die
List gelang, und während der Bär wieder stehen blieb, um diesen zu untersuchen, gewann der Flücht-
ling einen guten Vorsprung. Der Bär setzte ihm von neuem mit der drohendsten Beharrlichkeit nach,
obgleich er noch einmal durch den andern Handschuh und zuletzt durch den Hut, den er mit seinen
Zähnen und Klauen in Stücken zerriß, aufgehalten wurde, und würde ohne Zweifel den unbesonne-
nen Abenteurer, der schon alle Kräfte und allen Muth verloren hatte, zu seinem Schlachtopfer gemacht
haben, wenn nicht die anderen Matrosen, da sie fahen, daß die Sache eine so ernste Wendung ge-
nommen hatte, zu seiner Rettung herbeigeeilt wären. Die kleine Phalanx öffnete dem Freunde einen
Durchgang und schloß sich dann wieder, um den verwegenen Feind zu empfangen. Dieser fand jedoch
unter so veränderten Umständen nicht für gut, den Angriff zu unternehmen. Er stand still, schien
einen Augenblick zu überlegen, was zu thun wäre, und trat dann einen ehrenvollen Rückzug an. Der

Die Raubthiere. Bären. — Eisbär.
Menſch, kann er ſelten mit Sicherheit oder gutem Erfolge angegriffen werden. Bei weitem die meiſten
Unglücksfälle wurden durch die Unvorſichtigkeit ſolcher Angriffe herbeigeführt. Vor wenigen Jahren
ereignete ſich ein trauriger Vorfall mit einem Matrofen eines Schiffes, welches in der Davisſtraße
vom Eiſe eingeſchloſſen war. Ein dreiſter Bär kam, wahrſcheinlich durch den Geruch der Lebensmittel
angelockt, endlich bis dicht an das Schiff heran. Die Leute waren gerade mit ihrer Mahlzeit be-
ſchäftigt und ſelbſt die Deckwachen nahmen daran Theil. Da bemerkte ein verwegener Burſch zufällig
den Bären, bewaffnete ſich raſch mit einer Stange und ſprang jedenfalls in der Abſicht auf das Eis
hinaus, die Ehre davonzutragen, einen ſo übermüthigen Gaſt zu demüthigen. Aber der Bär achtete
wenig auf das elende Gewehr, packte, wahrſcheinlich durch Hunger gereizt, ſeinen Gegner ſofort mit
den furchtbaren Zähnen im Rücken und trug ihn mit ſolcher Schnelligkeit davon, daß Raubthier und
Matroſe ſchon weit entfernt waren, als die Gefährten des Unglücklichen, von ſeinem Geſchrei herbei-
gezogen, aufſprangen und ſich umfahen. Es würde umſonſt geweſen ſein, dem Verunglückten nach-
zuſetzen; — man hat nie wieder irgend Etwas von ihm bemerkt.‟

Ein anderes Beiſpiel eines unklugen Angriffs gegen einen Bären wurde Scoresby vom Kapitän
Munroe mitgetheilt. Hier war jedoch der Ausgang eher luſtiger Art. Das betreffende Schiff lag im
Jahre 1820 im grönländiſchen Meere vor Anker. Einer von der Mannſchaft des Schiffes, welcher
ſich aus einer Rumflaſche wohl gerade beſondern Muth geholt haben mochte, machte ſich anheiſchig,
dem Bären nachzuſetzen. Blos mit einer Walfiſchlanze bewaffnet, ging er zu ſeiner abenteuerlichen
Unternehmung aus. Ein beſchwerlicher Weg von ungefähr einer halben Stunde über lockern Schnee
und ſchroffe Eisblöcke brachte ihn ganz in die Nähe ſeines Feindes, der, zu ſeinem Erſtaunen, ihn
unerſchrocken anblickte und zum Kampfe herauszufordern ſchien. Sein Muth hatte unterdeſſen ſehr
abgenommen, theils weil der Geiſt des Rums unterwegs verdunſtet war, theils weil der Bär nicht
nur gar keine Furcht verrieth, ſondern ſelbſt eine drohende Miene annahm. Unſer Matroſe hielt
daher an und ſchwang ſeine Lanze ein paarmal hin und her, ſo daß man nicht recht wußte, ob er an-
greifen oder ſich vertheidigen wollte. Der Bär ſtand auch ſtill. Vergebens ſuchte der Abenteurer ſich
ein Herz zu faſſen, um den Augriff zu beginnen: ſein Gegner war zu furchtbar und ſein Auſehn zu
ſchrecklich. Vergebens fing er an, ihn durch Schreien und mit der Lanze zu bedrohen: der Feind
verſtand Dies entweder nicht oder verachtete ſolche leere Drohungen und blieb hartnäckig auf ſeinem
Platze. Schon fingen die Knie des armen Teufels an zu wanken, die Lanze zitterte in ſeiner Hand,
aber die Furcht, von ſeinen Kameraden ausgelacht zu werden, hatte noch einigen Einfluß auf ihn:
er wagte nicht, zurückzugehen. Meiſter Petz hingegen fing mit der verwegenſten Dreiſtigkeit an, vor-
zurücken! Seine Annäherung und ſein ungeſchlachtes Weſen löſchten den letzten noch glimmenden
Funken von Muth bei dem Matroſen aus; er wandte ſich um und floh. Aber nun ging die Gefahr
erſt an. Der Bär holte den Flüchtling bald ein. Dieſer warf die Lanze, ſein einziges Vertheidi-
gungsmittel, weil ſie ihn im Laufe beſchwerte, von ſich und lief weiter. Glücklicherweiſe zog die Waffe
die Aufmerkſamkeit des Bären auf ſich; er ſtutzte, betaſtete ſie mit ſeinen Pfoten, biß hinein und ſetzte
dann ſeine Verfolgung fort. Schon war er dem kenchenden Schiffer auf den Ferſen, als dieſer in der
Hoffnung einer ähnlichen Wirkung, wie die Lanze ſie gehabt hatte, einen Handſchuh fallen ließ. Die
Liſt gelang, und während der Bär wieder ſtehen blieb, um dieſen zu unterſuchen, gewann der Flücht-
ling einen guten Vorſprung. Der Bär ſetzte ihm von neuem mit der drohendſten Beharrlichkeit nach,
obgleich er noch einmal durch den andern Handſchuh und zuletzt durch den Hut, den er mit ſeinen
Zähnen und Klauen in Stücken zerriß, aufgehalten wurde, und würde ohne Zweifel den unbeſonne-
nen Abenteurer, der ſchon alle Kräfte und allen Muth verloren hatte, zu ſeinem Schlachtopfer gemacht
haben, wenn nicht die anderen Matroſen, da ſie fahen, daß die Sache eine ſo ernſte Wendung ge-
nommen hatte, zu ſeiner Rettung herbeigeeilt wären. Die kleine Phalanx öffnete dem Freunde einen
Durchgang und ſchloß ſich dann wieder, um den verwegenen Feind zu empfangen. Dieſer fand jedoch
unter ſo veränderten Umſtänden nicht für gut, den Angriff zu unternehmen. Er ſtand ſtill, ſchien
einen Augenblick zu überlegen, was zu thun wäre, und trat dann einen ehrenvollen Rückzug an. Der

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[618/0696] Die Raubthiere. Bären. — Eisbär. Menſch, kann er ſelten mit Sicherheit oder gutem Erfolge angegriffen werden. Bei weitem die meiſten Unglücksfälle wurden durch die Unvorſichtigkeit ſolcher Angriffe herbeigeführt. Vor wenigen Jahren ereignete ſich ein trauriger Vorfall mit einem Matrofen eines Schiffes, welches in der Davisſtraße vom Eiſe eingeſchloſſen war. Ein dreiſter Bär kam, wahrſcheinlich durch den Geruch der Lebensmittel angelockt, endlich bis dicht an das Schiff heran. Die Leute waren gerade mit ihrer Mahlzeit be- ſchäftigt und ſelbſt die Deckwachen nahmen daran Theil. Da bemerkte ein verwegener Burſch zufällig den Bären, bewaffnete ſich raſch mit einer Stange und ſprang jedenfalls in der Abſicht auf das Eis hinaus, die Ehre davonzutragen, einen ſo übermüthigen Gaſt zu demüthigen. Aber der Bär achtete wenig auf das elende Gewehr, packte, wahrſcheinlich durch Hunger gereizt, ſeinen Gegner ſofort mit den furchtbaren Zähnen im Rücken und trug ihn mit ſolcher Schnelligkeit davon, daß Raubthier und Matroſe ſchon weit entfernt waren, als die Gefährten des Unglücklichen, von ſeinem Geſchrei herbei- gezogen, aufſprangen und ſich umfahen. Es würde umſonſt geweſen ſein, dem Verunglückten nach- zuſetzen; — man hat nie wieder irgend Etwas von ihm bemerkt.‟ Ein anderes Beiſpiel eines unklugen Angriffs gegen einen Bären wurde Scoresby vom Kapitän Munroe mitgetheilt. Hier war jedoch der Ausgang eher luſtiger Art. Das betreffende Schiff lag im Jahre 1820 im grönländiſchen Meere vor Anker. Einer von der Mannſchaft des Schiffes, welcher ſich aus einer Rumflaſche wohl gerade beſondern Muth geholt haben mochte, machte ſich anheiſchig, dem Bären nachzuſetzen. Blos mit einer Walfiſchlanze bewaffnet, ging er zu ſeiner abenteuerlichen Unternehmung aus. Ein beſchwerlicher Weg von ungefähr einer halben Stunde über lockern Schnee und ſchroffe Eisblöcke brachte ihn ganz in die Nähe ſeines Feindes, der, zu ſeinem Erſtaunen, ihn unerſchrocken anblickte und zum Kampfe herauszufordern ſchien. Sein Muth hatte unterdeſſen ſehr abgenommen, theils weil der Geiſt des Rums unterwegs verdunſtet war, theils weil der Bär nicht nur gar keine Furcht verrieth, ſondern ſelbſt eine drohende Miene annahm. Unſer Matroſe hielt daher an und ſchwang ſeine Lanze ein paarmal hin und her, ſo daß man nicht recht wußte, ob er an- greifen oder ſich vertheidigen wollte. Der Bär ſtand auch ſtill. Vergebens ſuchte der Abenteurer ſich ein Herz zu faſſen, um den Augriff zu beginnen: ſein Gegner war zu furchtbar und ſein Auſehn zu ſchrecklich. Vergebens fing er an, ihn durch Schreien und mit der Lanze zu bedrohen: der Feind verſtand Dies entweder nicht oder verachtete ſolche leere Drohungen und blieb hartnäckig auf ſeinem Platze. Schon fingen die Knie des armen Teufels an zu wanken, die Lanze zitterte in ſeiner Hand, aber die Furcht, von ſeinen Kameraden ausgelacht zu werden, hatte noch einigen Einfluß auf ihn: er wagte nicht, zurückzugehen. Meiſter Petz hingegen fing mit der verwegenſten Dreiſtigkeit an, vor- zurücken! Seine Annäherung und ſein ungeſchlachtes Weſen löſchten den letzten noch glimmenden Funken von Muth bei dem Matroſen aus; er wandte ſich um und floh. Aber nun ging die Gefahr erſt an. Der Bär holte den Flüchtling bald ein. Dieſer warf die Lanze, ſein einziges Vertheidi- gungsmittel, weil ſie ihn im Laufe beſchwerte, von ſich und lief weiter. Glücklicherweiſe zog die Waffe die Aufmerkſamkeit des Bären auf ſich; er ſtutzte, betaſtete ſie mit ſeinen Pfoten, biß hinein und ſetzte dann ſeine Verfolgung fort. Schon war er dem kenchenden Schiffer auf den Ferſen, als dieſer in der Hoffnung einer ähnlichen Wirkung, wie die Lanze ſie gehabt hatte, einen Handſchuh fallen ließ. Die Liſt gelang, und während der Bär wieder ſtehen blieb, um dieſen zu unterſuchen, gewann der Flücht- ling einen guten Vorſprung. Der Bär ſetzte ihm von neuem mit der drohendſten Beharrlichkeit nach, obgleich er noch einmal durch den andern Handſchuh und zuletzt durch den Hut, den er mit ſeinen Zähnen und Klauen in Stücken zerriß, aufgehalten wurde, und würde ohne Zweifel den unbeſonne- nen Abenteurer, der ſchon alle Kräfte und allen Muth verloren hatte, zu ſeinem Schlachtopfer gemacht haben, wenn nicht die anderen Matroſen, da ſie fahen, daß die Sache eine ſo ernſte Wendung ge- nommen hatte, zu ſeiner Rettung herbeigeeilt wären. Die kleine Phalanx öffnete dem Freunde einen Durchgang und ſchloß ſich dann wieder, um den verwegenen Feind zu empfangen. Dieſer fand jedoch unter ſo veränderten Umſtänden nicht für gut, den Angriff zu unternehmen. Er ſtand ſtill, ſchien einen Augenblick zu überlegen, was zu thun wäre, und trat dann einen ehrenvollen Rückzug an. Der

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 618. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/696>, abgerufen am 22.11.2024.