Beobachtungen über sein Benehmen gegen andere Thiere.
Herrn, ruft ihn durch ein klägliches Gewimmer herbei und umklammert seine Knie in so dringlicher Weise, daß es schwer hält, ihm einen Wunsch abzuschlagen. Harte Behandlung fürchtet er sehr. Wird er von fremden Leuten beleidigt, so sucht er sich bei vorkommender Gelegenheit zu rächen. Jeder Zwang ist ihm zuwider, und deshalb sehen wir ihn im engen Käfig der Thierschaubuden meist mit stiller Entsagung in einem Winkel hocken."
"Zur ferneren Schilderung seines Wesens mögen hier einige der Wirklichkeit entlehnte Beob- achtungen Raum finden."
"Ein Waschbär, welcher nebst anderen gezähmten Vierfüßlern auf einem Gehöft gehalten wurde, hatte eine besondere Zuneigung zu einem Dachse gefaßt, der in einem kleinen, eingefriedigten Raume frei umherwandelte. An heißen Tagen pflegte Grimmbart seinen Bau zu verlassen, um auf der Oberwelt im Schatten eines Fliederbusches sein Schläfchen fortzusetzen. Jn solchem Falle war der Schupp sofort zur Stelle; weil er aber das scharfe Gebiß des Dachses fürchtete, hielt er sich in achtungsvoller Entfernung und begnügte sich damit, jenen mit ausgestreckter Pfote in regelmäßigen Zwischenräumen leise am Hintertheil zu berühren. Dies genügte, den trägen Gesellen beständig wach zu erhalten und ihn fast zur Verzweiflung zu bringen. Vergebens schnappte er oft nach seinem Peiniger: der gewandte Waschbär zog sich bei Seite, auf die Einfriedigung des Zwingers zurück und kaum hatte Grimmbart sich wieder zur Ruhe begeben, so begann ersterer seine sonderbare Thätigkeit aufs neue. Sein Verfahren hatte keineswegs einen Anstrich von Tücke oder Schadenfreude, sondern wurde mit gewissenhaftem Ernst und mit unerschütterlicher Ruhe betrieben, als hege er die feste Ueberzeugung, daß seine Bemühungen zu des Dachses Wohlergehen durchaus erforderlich seien. Eines Tages ward es dem letzteren doch zu arg, er sprang grunzend auf und rollte verdrießlich in seinen Bau. Der Hitze wegen streckte er den bunten Kopf aber bald wieder aus der engen Höhle heraus und schlief in dieser Lage ein. Der Schupp sah augenblicklich ein, daß er seinem Freunde die üblichen Aufmerksamkeiten in dieser Stellung unmöglich erweisen konnte, und wollte eben den Heim- weg antreten, als der Dachs zufällig erwachte und, seinen Peiniger gewahrend, das schmale, rothe Maul sperrweit aufriß. Dies erfüllte unsern Schupp dermaßen mit Verwunderung, daß er sofort umkehrte, um die weißen Zahnreihen Grimmbarts von allen Seiten zu betrachten. Unbeweglich verharrte der Dachs in seiner Stellung und steigerte hierdurch die Neugierde des Waschbärs aufs äußerste. Endlich wagte der Schupp dem Dachse vorsichtig von oben herab mit der Pfote auf die Nase zu tippen -- vergebens, Grimmbart rührt sich nicht. Der Waschbär schien diese Veränderung im Wesen seines Gefährten gar nicht begreifen zu können, seine Ungeduld wuchs mit jedem Augenblick: er mußte sich um jeden Preis Aufklärung verschaffen. Unruhig trat er eine Weile hin und her; er war augenscheinlich unschlüssig, ob er seine empfindlichen Pfoten oder seine Nase bei dieser Unter- suchung aufs Spiel setzen solle. Endlich entschied er sich für Letzteres und fuhr plötzlich mit seiner spitzen Schnauze tief in den offenen Rachen des Dachses."
"Das Folgende ist unschwer zu errathen. Grimmbart klappte seine Kinnladen zusammen, der Waschbär saß in der Klemme und quiekte und zappelte, wie eine gefangene Ratte. Nach heftigem Toben und Gestrampel gelang es ihm endlich, die bluttriefende Schnauze der unerbittlichen Falle des Dachses zu entreißen, worauf er zornig schnaufend über Kopf und Hals in seine Hütte flüchtete. Diese Lehre blieb ihm lange im Gedächtniß; so oft er an dem Dachsbau vorüberging, pflegte er unwillkürlich mit der Tatze über die Nase zu fahren, gleichwohl nahmen die Neckereien ihren un- gestörten Fortgang."
"Sein Zusammentreffen mit Katzen, Füchsen, Stachelschweinen und anderen wehrhaften Geschöpfen endete meistens ebenso. Eine alte Füchsin, welche ihn einmal übel zugerichtet, mißachtete er später gänzlich und suchte sie dadurch zu ärgern, daß er immer hart im Bereich ihrer Kette vorüber- ging, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Als er bei einer solchen Gelegenheit einst heftig quer über die Ruthe gebissen wurde, zeigte er kaum durch ein Zucken Schreck oder Zorn, sondern setzte mit scheinbarer Gleichgiltigkeit seinen Weg fort, ohne auch nur den Kopf zu wenden."
Beobachtungen über ſein Benehmen gegen andere Thiere.
Herrn, ruft ihn durch ein klägliches Gewimmer herbei und umklammert ſeine Knie in ſo dringlicher Weiſe, daß es ſchwer hält, ihm einen Wunſch abzuſchlagen. Harte Behandlung fürchtet er ſehr. Wird er von fremden Leuten beleidigt, ſo ſucht er ſich bei vorkommender Gelegenheit zu rächen. Jeder Zwang iſt ihm zuwider, und deshalb ſehen wir ihn im engen Käfig der Thierſchaubuden meiſt mit ſtiller Entſagung in einem Winkel hocken.‟
„Zur ferneren Schilderung ſeines Weſens mögen hier einige der Wirklichkeit entlehnte Beob- achtungen Raum finden.‟
„Ein Waſchbär, welcher nebſt anderen gezähmten Vierfüßlern auf einem Gehöft gehalten wurde, hatte eine beſondere Zuneigung zu einem Dachſe gefaßt, der in einem kleinen, eingefriedigten Raume frei umherwandelte. An heißen Tagen pflegte Grimmbart ſeinen Bau zu verlaſſen, um auf der Oberwelt im Schatten eines Fliederbuſches ſein Schläfchen fortzuſetzen. Jn ſolchem Falle war der Schupp ſofort zur Stelle; weil er aber das ſcharfe Gebiß des Dachſes fürchtete, hielt er ſich in achtungsvoller Entfernung und begnügte ſich damit, jenen mit ausgeſtreckter Pfote in regelmäßigen Zwiſchenräumen leiſe am Hintertheil zu berühren. Dies genügte, den trägen Geſellen beſtändig wach zu erhalten und ihn faſt zur Verzweiflung zu bringen. Vergebens ſchnappte er oft nach ſeinem Peiniger: der gewandte Waſchbär zog ſich bei Seite, auf die Einfriedigung des Zwingers zurück und kaum hatte Grimmbart ſich wieder zur Ruhe begeben, ſo begann erſterer ſeine ſonderbare Thätigkeit aufs neue. Sein Verfahren hatte keineswegs einen Anſtrich von Tücke oder Schadenfreude, ſondern wurde mit gewiſſenhaftem Ernſt und mit unerſchütterlicher Ruhe betrieben, als hege er die feſte Ueberzeugung, daß ſeine Bemühungen zu des Dachſes Wohlergehen durchaus erforderlich ſeien. Eines Tages ward es dem letzteren doch zu arg, er ſprang grunzend auf und rollte verdrießlich in ſeinen Bau. Der Hitze wegen ſtreckte er den bunten Kopf aber bald wieder aus der engen Höhle heraus und ſchlief in dieſer Lage ein. Der Schupp ſah augenblicklich ein, daß er ſeinem Freunde die üblichen Aufmerkſamkeiten in dieſer Stellung unmöglich erweiſen konnte, und wollte eben den Heim- weg antreten, als der Dachs zufällig erwachte und, ſeinen Peiniger gewahrend, das ſchmale, rothe Maul ſperrweit aufriß. Dies erfüllte unſern Schupp dermaßen mit Verwunderung, daß er ſofort umkehrte, um die weißen Zahnreihen Grimmbarts von allen Seiten zu betrachten. Unbeweglich verharrte der Dachs in ſeiner Stellung und ſteigerte hierdurch die Neugierde des Waſchbärs aufs äußerſte. Endlich wagte der Schupp dem Dachſe vorſichtig von oben herab mit der Pfote auf die Naſe zu tippen — vergebens, Grimmbart rührt ſich nicht. Der Waſchbär ſchien dieſe Veränderung im Weſen ſeines Gefährten gar nicht begreifen zu können, ſeine Ungeduld wuchs mit jedem Augenblick: er mußte ſich um jeden Preis Aufklärung verſchaffen. Unruhig trat er eine Weile hin und her; er war augenſcheinlich unſchlüſſig, ob er ſeine empfindlichen Pfoten oder ſeine Naſe bei dieſer Unter- ſuchung aufs Spiel ſetzen ſolle. Endlich entſchied er ſich für Letzteres und fuhr plötzlich mit ſeiner ſpitzen Schnauze tief in den offenen Rachen des Dachſes.‟
„Das Folgende iſt unſchwer zu errathen. Grimmbart klappte ſeine Kinnladen zuſammen, der Waſchbär ſaß in der Klemme und quiekte und zappelte, wie eine gefangene Ratte. Nach heftigem Toben und Geſtrampel gelang es ihm endlich, die bluttriefende Schnauze der unerbittlichen Falle des Dachſes zu entreißen, worauf er zornig ſchnaufend über Kopf und Hals in ſeine Hütte flüchtete. Dieſe Lehre blieb ihm lange im Gedächtniß; ſo oft er an dem Dachsbau vorüberging, pflegte er unwillkürlich mit der Tatze über die Naſe zu fahren, gleichwohl nahmen die Neckereien ihren un- geſtörten Fortgang.‟
„Sein Zuſammentreffen mit Katzen, Füchſen, Stachelſchweinen und anderen wehrhaften Geſchöpfen endete meiſtens ebenſo. Eine alte Füchſin, welche ihn einmal übel zugerichtet, mißachtete er ſpäter gänzlich und ſuchte ſie dadurch zu ärgern, daß er immer hart im Bereich ihrer Kette vorüber- ging, ohne ſie eines Blickes zu würdigen. Als er bei einer ſolchen Gelegenheit einſt heftig quer über die Ruthe gebiſſen wurde, zeigte er kaum durch ein Zucken Schreck oder Zorn, ſondern ſetzte mit ſcheinbarer Gleichgiltigkeit ſeinen Weg fort, ohne auch nur den Kopf zu wenden.‟
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[629/0707]
Beobachtungen über ſein Benehmen gegen andere Thiere.
Herrn, ruft ihn durch ein klägliches Gewimmer herbei und umklammert ſeine Knie in ſo dringlicher
Weiſe, daß es ſchwer hält, ihm einen Wunſch abzuſchlagen. Harte Behandlung fürchtet er ſehr. Wird
er von fremden Leuten beleidigt, ſo ſucht er ſich bei vorkommender Gelegenheit zu rächen. Jeder
Zwang iſt ihm zuwider, und deshalb ſehen wir ihn im engen Käfig der Thierſchaubuden meiſt mit
ſtiller Entſagung in einem Winkel hocken.‟
„Zur ferneren Schilderung ſeines Weſens mögen hier einige der Wirklichkeit entlehnte Beob-
achtungen Raum finden.‟
„Ein Waſchbär, welcher nebſt anderen gezähmten Vierfüßlern auf einem Gehöft gehalten wurde,
hatte eine beſondere Zuneigung zu einem Dachſe gefaßt, der in einem kleinen, eingefriedigten Raume
frei umherwandelte. An heißen Tagen pflegte Grimmbart ſeinen Bau zu verlaſſen, um auf der
Oberwelt im Schatten eines Fliederbuſches ſein Schläfchen fortzuſetzen. Jn ſolchem Falle war der
Schupp ſofort zur Stelle; weil er aber das ſcharfe Gebiß des Dachſes fürchtete, hielt er ſich in
achtungsvoller Entfernung und begnügte ſich damit, jenen mit ausgeſtreckter Pfote in regelmäßigen
Zwiſchenräumen leiſe am Hintertheil zu berühren. Dies genügte, den trägen Geſellen beſtändig
wach zu erhalten und ihn faſt zur Verzweiflung zu bringen. Vergebens ſchnappte er oft nach ſeinem
Peiniger: der gewandte Waſchbär zog ſich bei Seite, auf die Einfriedigung des Zwingers zurück und
kaum hatte Grimmbart ſich wieder zur Ruhe begeben, ſo begann erſterer ſeine ſonderbare Thätigkeit
aufs neue. Sein Verfahren hatte keineswegs einen Anſtrich von Tücke oder Schadenfreude, ſondern
wurde mit gewiſſenhaftem Ernſt und mit unerſchütterlicher Ruhe betrieben, als hege er die feſte
Ueberzeugung, daß ſeine Bemühungen zu des Dachſes Wohlergehen durchaus erforderlich ſeien.
Eines Tages ward es dem letzteren doch zu arg, er ſprang grunzend auf und rollte verdrießlich in
ſeinen Bau. Der Hitze wegen ſtreckte er den bunten Kopf aber bald wieder aus der engen Höhle
heraus und ſchlief in dieſer Lage ein. Der Schupp ſah augenblicklich ein, daß er ſeinem Freunde die
üblichen Aufmerkſamkeiten in dieſer Stellung unmöglich erweiſen konnte, und wollte eben den Heim-
weg antreten, als der Dachs zufällig erwachte und, ſeinen Peiniger gewahrend, das ſchmale, rothe
Maul ſperrweit aufriß. Dies erfüllte unſern Schupp dermaßen mit Verwunderung, daß er ſofort
umkehrte, um die weißen Zahnreihen Grimmbarts von allen Seiten zu betrachten. Unbeweglich
verharrte der Dachs in ſeiner Stellung und ſteigerte hierdurch die Neugierde des Waſchbärs aufs
äußerſte. Endlich wagte der Schupp dem Dachſe vorſichtig von oben herab mit der Pfote auf die
Naſe zu tippen — vergebens, Grimmbart rührt ſich nicht. Der Waſchbär ſchien dieſe Veränderung
im Weſen ſeines Gefährten gar nicht begreifen zu können, ſeine Ungeduld wuchs mit jedem Augenblick:
er mußte ſich um jeden Preis Aufklärung verſchaffen. Unruhig trat er eine Weile hin und her; er
war augenſcheinlich unſchlüſſig, ob er ſeine empfindlichen Pfoten oder ſeine Naſe bei dieſer Unter-
ſuchung aufs Spiel ſetzen ſolle. Endlich entſchied er ſich für Letzteres und fuhr plötzlich mit ſeiner
ſpitzen Schnauze tief in den offenen Rachen des Dachſes.‟
„Das Folgende iſt unſchwer zu errathen. Grimmbart klappte ſeine Kinnladen zuſammen, der
Waſchbär ſaß in der Klemme und quiekte und zappelte, wie eine gefangene Ratte. Nach heftigem
Toben und Geſtrampel gelang es ihm endlich, die bluttriefende Schnauze der unerbittlichen Falle des
Dachſes zu entreißen, worauf er zornig ſchnaufend über Kopf und Hals in ſeine Hütte flüchtete.
Dieſe Lehre blieb ihm lange im Gedächtniß; ſo oft er an dem Dachsbau vorüberging, pflegte er
unwillkürlich mit der Tatze über die Naſe zu fahren, gleichwohl nahmen die Neckereien ihren un-
geſtörten Fortgang.‟
„Sein Zuſammentreffen mit Katzen, Füchſen, Stachelſchweinen und anderen wehrhaften
Geſchöpfen endete meiſtens ebenſo. Eine alte Füchſin, welche ihn einmal übel zugerichtet, mißachtete
er ſpäter gänzlich und ſuchte ſie dadurch zu ärgern, daß er immer hart im Bereich ihrer Kette vorüber-
ging, ohne ſie eines Blickes zu würdigen. Als er bei einer ſolchen Gelegenheit einſt heftig quer über
die Ruthe gebiſſen wurde, zeigte er kaum durch ein Zucken Schreck oder Zorn, ſondern ſetzte mit
ſcheinbarer Gleichgiltigkeit ſeinen Weg fort, ohne auch nur den Kopf zu wenden.‟
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 629. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/707>, abgerufen am 24.11.2024.
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