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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Pestgeruch des Sondeli. -- Aeußeres, Leben, Nahrung der Spitzmaus.

Unaufhörlich sieht man die Spitzmaus beschäftigt, mit ihrem Rüssel nach allen Richtungen hin zu
schnüffeln, um Nahrung zu suchen, und was sie findet und überwältigen kann, ist verloren: sie frißt
ihre eigenen Jungen oder die Getödteten ihrer eigeuen Art auf. "Jch habe oft," sagt Lenz, "Spitz-
mäuse in Kisten gehabt. Mit Fliegen, Mehlwürmern, Regenwürmern und dergleichen sind sie fast
gar nicht zu sättigen. Jch mußte jeder täglich eine ganze todte Maus oder Spitzmaus oder ein
Vögelchen von derselben Größe geben. Sie fressen, so klein sie sind, täglich ihre Maus auf und
lassen nur Fell und Knochen übrig. So habe ich sie oft recht fett gemästet; läßt man sie aber im
geringsten Hunger leiden, so sterben sie. Jch habe auch versucht, ihnen Nichts als Brod, Rüben,
Birnen, Hanf, Mohn, Rübsamen, Kanariensamen etc. zugeben, aber sie verhungerten lieber, als daß
sie aubissen. Bekamen sie fettgebackenen Kuchen, so bissen sie dem Fett zu Liebe an; fanden sie
eine in einer Falle gefangene Spitzmaus oder Maus, so machten sie sich augenblicklich daran, selbige
aufzufressen."

Der Dichter Welcker beobachtete sie bei ihrer Mäusejagd. Er besaß eine lebende Spitzmaus,
band ihr einen festen Faden an einen Hinterfuß und ließ sie im Felde in ein von Mäusen bewohntes

[Abbildung] Die gemeine Spitzmans (Sorex vnlgaris).
Loch kriechen. Nach einer kurzen Zeit kam eine Ackermaus in größter Angst hervor gekrochen, aber
mit der Spitzmaus auf dem Rücken. Das gierige Raubthier hatte sich mit den Zähnen im Nacken des
Schlachtopfers eingebissen, saugte ihm luchsartig das Blut aus, tödtete es in kurzer Zeit und fraß es
auf. Diese Gefräßigkeit ist natürlich für uns ein wahres Glück; denn die Spitzmaus wird uns
überaus nützlich, indem sie eine Unmasse schädlicher Thiere vertilgt.

Die Bewegungen der Spitzmaus sind außerordentlich rasch und behend. Jm Nothfall schwimmt
sie, und an schiefen Stämmen vermag sie empor zu klettern. Jhre Stimme besteht in einem scharfen,
feinzwitschernden, fast pfeifenden Tone, welcher jedoch so leise ist, daß er nicht häufig vernommen wird.
Bis jetzt hat man von allen Spitzmäusen nur die gleiche Stimme vernommen. Unter den Sinnen
steht unzweifelhaft der Geruch oben an. Es kommt oft vor, daß lebend gefangene, welche wieder frei
gelassen werden, in die Falle zurücklaufen, blos weil diese den Spitzmausgeruch an sich hat. Dem
Gesicht scheint die Spitzmaus gar nicht zu folgen, und auch ihr Gehör muß ziemlich schwach sein; die
Nase ersetzt aber auch beide Sinne fast vollkommen.

Es giebt wenig andere Thiere, welche so ungesellig sind und sich gegen ihres Gleichen so ab-
scheulich benehmen, wie eben die Spitzmäufe; blos der Maulwurf noch dürfte ihnen hierin gleich-

Peſtgeruch des Sondeli. — Aeußeres, Leben, Nahrung der Spitzmaus.

Unaufhörlich ſieht man die Spitzmaus beſchäftigt, mit ihrem Rüſſel nach allen Richtungen hin zu
ſchnüffeln, um Nahrung zu ſuchen, und was ſie findet und überwältigen kann, iſt verloren: ſie frißt
ihre eigenen Jungen oder die Getödteten ihrer eigeuen Art auf. „Jch habe oft,‟ ſagt Lenz, „Spitz-
mäuſe in Kiſten gehabt. Mit Fliegen, Mehlwürmern, Regenwürmern und dergleichen ſind ſie faſt
gar nicht zu ſättigen. Jch mußte jeder täglich eine ganze todte Maus oder Spitzmaus oder ein
Vögelchen von derſelben Größe geben. Sie freſſen, ſo klein ſie ſind, täglich ihre Maus auf und
laſſen nur Fell und Knochen übrig. So habe ich ſie oft recht fett gemäſtet; läßt man ſie aber im
geringſten Hunger leiden, ſo ſterben ſie. Jch habe auch verſucht, ihnen Nichts als Brod, Rüben,
Birnen, Hanf, Mohn, Rübſamen, Kanarienſamen ꝛc. zugeben, aber ſie verhungerten lieber, als daß
ſie aubiſſen. Bekamen ſie fettgebackenen Kuchen, ſo biſſen ſie dem Fett zu Liebe an; fanden ſie
eine in einer Falle gefangene Spitzmaus oder Maus, ſo machten ſie ſich augenblicklich daran, ſelbige
aufzufreſſen.‟

Der Dichter Welcker beobachtete ſie bei ihrer Mäuſejagd. Er beſaß eine lebende Spitzmaus,
band ihr einen feſten Faden an einen Hinterfuß und ließ ſie im Felde in ein von Mäuſen bewohntes

[Abbildung] Die gemeine Spitzmans (Sorex vnlgaris).
Loch kriechen. Nach einer kurzen Zeit kam eine Ackermaus in größter Angſt hervor gekrochen, aber
mit der Spitzmaus auf dem Rücken. Das gierige Raubthier hatte ſich mit den Zähnen im Nacken des
Schlachtopfers eingebiſſen, ſaugte ihm luchsartig das Blut aus, tödtete es in kurzer Zeit und fraß es
auf. Dieſe Gefräßigkeit iſt natürlich für uns ein wahres Glück; denn die Spitzmaus wird uns
überaus nützlich, indem ſie eine Unmaſſe ſchädlicher Thiere vertilgt.

Die Bewegungen der Spitzmaus ſind außerordentlich raſch und behend. Jm Nothfall ſchwimmt
ſie, und an ſchiefen Stämmen vermag ſie empor zu klettern. Jhre Stimme beſteht in einem ſcharfen,
feinzwitſchernden, faſt pfeifenden Tone, welcher jedoch ſo leiſe iſt, daß er nicht häufig vernommen wird.
Bis jetzt hat man von allen Spitzmäuſen nur die gleiche Stimme vernommen. Unter den Sinnen
ſteht unzweifelhaft der Geruch oben an. Es kommt oft vor, daß lebend gefangene, welche wieder frei
gelaſſen werden, in die Falle zurücklaufen, blos weil dieſe den Spitzmausgeruch an ſich hat. Dem
Geſicht ſcheint die Spitzmaus gar nicht zu folgen, und auch ihr Gehör muß ziemlich ſchwach ſein; die
Naſe erſetzt aber auch beide Sinne faſt vollkommen.

Es giebt wenig andere Thiere, welche ſo ungeſellig ſind und ſich gegen ihres Gleichen ſo ab-
ſcheulich benehmen, wie eben die Spitzmäufe; blos der Maulwurf noch dürfte ihnen hierin gleich-

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[671/0749] Peſtgeruch des Sondeli. — Aeußeres, Leben, Nahrung der Spitzmaus. Unaufhörlich ſieht man die Spitzmaus beſchäftigt, mit ihrem Rüſſel nach allen Richtungen hin zu ſchnüffeln, um Nahrung zu ſuchen, und was ſie findet und überwältigen kann, iſt verloren: ſie frißt ihre eigenen Jungen oder die Getödteten ihrer eigeuen Art auf. „Jch habe oft,‟ ſagt Lenz, „Spitz- mäuſe in Kiſten gehabt. Mit Fliegen, Mehlwürmern, Regenwürmern und dergleichen ſind ſie faſt gar nicht zu ſättigen. Jch mußte jeder täglich eine ganze todte Maus oder Spitzmaus oder ein Vögelchen von derſelben Größe geben. Sie freſſen, ſo klein ſie ſind, täglich ihre Maus auf und laſſen nur Fell und Knochen übrig. So habe ich ſie oft recht fett gemäſtet; läßt man ſie aber im geringſten Hunger leiden, ſo ſterben ſie. Jch habe auch verſucht, ihnen Nichts als Brod, Rüben, Birnen, Hanf, Mohn, Rübſamen, Kanarienſamen ꝛc. zugeben, aber ſie verhungerten lieber, als daß ſie aubiſſen. Bekamen ſie fettgebackenen Kuchen, ſo biſſen ſie dem Fett zu Liebe an; fanden ſie eine in einer Falle gefangene Spitzmaus oder Maus, ſo machten ſie ſich augenblicklich daran, ſelbige aufzufreſſen.‟ Der Dichter Welcker beobachtete ſie bei ihrer Mäuſejagd. Er beſaß eine lebende Spitzmaus, band ihr einen feſten Faden an einen Hinterfuß und ließ ſie im Felde in ein von Mäuſen bewohntes [Abbildung Die gemeine Spitzmans (Sorex vnlgaris).] Loch kriechen. Nach einer kurzen Zeit kam eine Ackermaus in größter Angſt hervor gekrochen, aber mit der Spitzmaus auf dem Rücken. Das gierige Raubthier hatte ſich mit den Zähnen im Nacken des Schlachtopfers eingebiſſen, ſaugte ihm luchsartig das Blut aus, tödtete es in kurzer Zeit und fraß es auf. Dieſe Gefräßigkeit iſt natürlich für uns ein wahres Glück; denn die Spitzmaus wird uns überaus nützlich, indem ſie eine Unmaſſe ſchädlicher Thiere vertilgt. Die Bewegungen der Spitzmaus ſind außerordentlich raſch und behend. Jm Nothfall ſchwimmt ſie, und an ſchiefen Stämmen vermag ſie empor zu klettern. Jhre Stimme beſteht in einem ſcharfen, feinzwitſchernden, faſt pfeifenden Tone, welcher jedoch ſo leiſe iſt, daß er nicht häufig vernommen wird. Bis jetzt hat man von allen Spitzmäuſen nur die gleiche Stimme vernommen. Unter den Sinnen ſteht unzweifelhaft der Geruch oben an. Es kommt oft vor, daß lebend gefangene, welche wieder frei gelaſſen werden, in die Falle zurücklaufen, blos weil dieſe den Spitzmausgeruch an ſich hat. Dem Geſicht ſcheint die Spitzmaus gar nicht zu folgen, und auch ihr Gehör muß ziemlich ſchwach ſein; die Naſe erſetzt aber auch beide Sinne faſt vollkommen. Es giebt wenig andere Thiere, welche ſo ungeſellig ſind und ſich gegen ihres Gleichen ſo ab- ſcheulich benehmen, wie eben die Spitzmäufe; blos der Maulwurf noch dürfte ihnen hierin gleich-

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 671. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/749>, abgerufen am 24.11.2024.