kernen, Obst und Brod, auch wohl Weizenkörnern. Sie frißt sparsam und bescheiden, und anfangs blos des Nachts. Wasser oder Milch trinkt sie nicht. Jhre überaus große Reinlichkeit und die Lie- benswürdigkeit und Verträglichkeit, welche sie gegen ihres Gleichen zeigt, die hübschen Bewe- gungen und lustigen Geberden machen sie immer zum wahren Liebling des Menschen. Jn England wird sie als Stubenthier in gewöhnlichen Vogelbauern gehalten und ebenso wie Stubenvögel zum Markte gebracht. Man kann sie auch in dem feinsten Zimmer halten; denn sie verbreitet durchaus keinen üblen Geruch, weder durch ihren Harn, noch durch ihren Unrath. Nur im Sommer gibt sie einen bisamähnlichen Geruch von sich, der aber auch so schwach ist, daß er nicht lästig fällt. Recht schade ist, daß erst mit der Dämmerung das Leben dieses prächtigen Thieres beginnt und man so nur wenig von ihm genießt.
Auch in der Gefangenschaft hält die Haselmaus ihren Winterschlaf, wenn die Oertlichkeit eine solche ist, die nicht immer gleichmäßig warm gehalten werden kann. Sie versucht dann, sich ein Nest- chen zu bauen, und hüllt sich da hinein oder schläft in irgend einer Ecke ihres Käfigs. Bringt man sie wieder in die Wärme, z. B. zwischen die warme Hand, so erwacht sie, bald aber schläft sie wieder ein. Mein Freund, Dr. F. Schlegel, hat längere Zeit Haselmäuse beobachtet, um den Winterschlaf zu studiren, und hatte die Güte, mir Nachstehendes zur Benutzung zu überlassen. Er pflegte das schla- fende Thierchen oft auf einen kleinen, eigens gebauten Lehnstuhl zu setzen, in welchem es sich dann überaus komisch ausnahm. "Da sitzt sie," sagt er, "gemächlich in den Armstuhl gelehnt, eine Pelzkugel, den Kopf auf die Hinterfüße gestützt, den Schwanz seitwärts über das Gesicht gekrümmt, mit dem Ausdruck des tiefsten Schlafes im Gesicht, die Mundwinkel krampfhaft auf- und eingezogen, so daß die langen Bartborsten, sonst fächerförmig ausstrahlend, wie ein langhaariger Pinsel über die Wangen hinauf- und hinausragen. Zwischen den festgeschlossenen Augen und dem Mundwinkel wölbt sich die eingeklemmte Wange hervor; die zur Faust geballten Zehen der Hinterfüße drücken im tiefsten Schlaf so fest auf die Wange, daß die Stelle mit der Zeit zum kahlen Fleck wird. Ebenso drollig, als dieses Bild des Schlafes, erscheint das erwachende Thier. Nimmt man es in die hohle Hand, so macht sich die von da überströmende Wärme gar bald bemerklich. Die Pelzkugel regt sich, beginnt merklich zu athmen, reckt und streckt sich; die Hinterfüße rutschen von der Wange herunter; die Zehen der einge- zogenen Vorderfüße kommen unter dem Kinn tief aus dem Pelz heraus zum Vorschein und der Schwanz gleitet langsam über den Leib herab. Und dabei läßt sie Töne hören, wie Pfeifen oder Piepen, feiner noch und durchdringender, als die der Spitzmäuse. Sie zwinkert und blinzelt mit den Augen, das eine thut sich auf; aber wie geblendet kneift es der Langschläfer schnell wieder zu. Das Leben kämpft mit dem Schlafe, doch Licht und Wärme siegen. Noch einmal lugt das eine der schwarzen Perlenaugen scheu und vorsichtig aus der schmalen Spalte der kaum geöffneten und nach den Winkeln hin geradezu verklebten Lider hervor. Der Tag lächelt ihm freundlich zu. Das Athmen wird immer schneller und immer tiefer. Noch ist das Gesichtchen in verdrießliche Falten gelegt; doch mehr und mehr macht sich das behagliche Gefühl der Wärme und des rückkehrenden Lebens geltend. Die Furchen glätten sich, die Wange verstreicht, die Schnurren senken sich und strahlen aus einander. Da auf einmal, nach langem Zwinkern und Blinzeln, entwindet sich auch das andere Auge dem Todtenschlafe, der es umnachtete, und trunken noch staunt das Thierchen behaglich in den Tag hinaus. Endlich ermannt es sich und sucht ein Nüßchen zur Entschädigung für die lange Fastenzeit. Bald ist das Versäumte nachgeholt, und die Haselmaus ist -- munter? nein, immer noch wie träumend mit den Freuden des nahenden Frühlings beschäftigt, und bald genug gewahrt sie ihren Jrrthum, sucht ihr Lager wieder auf und schläft ein von neuem, fester und fester zur Kugel sich zusammenrollend."
Schlegel scheint die Fettbildung, welche sich bei den Winterschläfern in so auffallender Weise zeigt, einzig und allein auf Rechnung der verringerten Athmung und bezüglich der Zufuhr des die Ver- brennung befördernden Sauerstoffes zu schieben, und nimmt deshalb an, daß die Haselmäuse und alle übrigen Schläfer erst dann die größte Masse von Fett erlangen, wenn sie schon eine geraume Zeit geschlafen haben. "Das Fett", sagt er, "weit entfernt, Ursache des Schlafes zu sein, scheint
Die Haſelmaus.
kernen, Obſt und Brod, auch wohl Weizenkörnern. Sie frißt ſparſam und beſcheiden, und anfangs blos des Nachts. Waſſer oder Milch trinkt ſie nicht. Jhre überaus große Reinlichkeit und die Lie- benswürdigkeit und Verträglichkeit, welche ſie gegen ihres Gleichen zeigt, die hübſchen Bewe- gungen und luſtigen Geberden machen ſie immer zum wahren Liebling des Menſchen. Jn England wird ſie als Stubenthier in gewöhnlichen Vogelbauern gehalten und ebenſo wie Stubenvögel zum Markte gebracht. Man kann ſie auch in dem feinſten Zimmer halten; denn ſie verbreitet durchaus keinen üblen Geruch, weder durch ihren Harn, noch durch ihren Unrath. Nur im Sommer gibt ſie einen biſamähnlichen Geruch von ſich, der aber auch ſo ſchwach iſt, daß er nicht läſtig fällt. Recht ſchade iſt, daß erſt mit der Dämmerung das Leben dieſes prächtigen Thieres beginnt und man ſo nur wenig von ihm genießt.
Auch in der Gefangenſchaft hält die Haſelmaus ihren Winterſchlaf, wenn die Oertlichkeit eine ſolche iſt, die nicht immer gleichmäßig warm gehalten werden kann. Sie verſucht dann, ſich ein Neſt- chen zu bauen, und hüllt ſich da hinein oder ſchläft in irgend einer Ecke ihres Käfigs. Bringt man ſie wieder in die Wärme, z. B. zwiſchen die warme Hand, ſo erwacht ſie, bald aber ſchläft ſie wieder ein. Mein Freund, Dr. F. Schlegel, hat längere Zeit Haſelmäuſe beobachtet, um den Winterſchlaf zu ſtudiren, und hatte die Güte, mir Nachſtehendes zur Benutzung zu überlaſſen. Er pflegte das ſchla- fende Thierchen oft auf einen kleinen, eigens gebauten Lehnſtuhl zu ſetzen, in welchem es ſich dann überaus komiſch ausnahm. „Da ſitzt ſie,‟ ſagt er, „gemächlich in den Armſtuhl gelehnt, eine Pelzkugel, den Kopf auf die Hinterfüße geſtützt, den Schwanz ſeitwärts über das Geſicht gekrümmt, mit dem Ausdruck des tiefſten Schlafes im Geſicht, die Mundwinkel krampfhaft auf- und eingezogen, ſo daß die langen Bartborſten, ſonſt fächerförmig ausſtrahlend, wie ein langhaariger Pinſel über die Wangen hinauf- und hinausragen. Zwiſchen den feſtgeſchloſſenen Augen und dem Mundwinkel wölbt ſich die eingeklemmte Wange hervor; die zur Fauſt geballten Zehen der Hinterfüße drücken im tiefſten Schlaf ſo feſt auf die Wange, daß die Stelle mit der Zeit zum kahlen Fleck wird. Ebenſo drollig, als dieſes Bild des Schlafes, erſcheint das erwachende Thier. Nimmt man es in die hohle Hand, ſo macht ſich die von da überſtrömende Wärme gar bald bemerklich. Die Pelzkugel regt ſich, beginnt merklich zu athmen, reckt und ſtreckt ſich; die Hinterfüße rutſchen von der Wange herunter; die Zehen der einge- zogenen Vorderfüße kommen unter dem Kinn tief aus dem Pelz heraus zum Vorſchein und der Schwanz gleitet langſam über den Leib herab. Und dabei läßt ſie Töne hören, wie Pfeifen oder Piepen, feiner noch und durchdringender, als die der Spitzmäuſe. Sie zwinkert und blinzelt mit den Augen, das eine thut ſich auf; aber wie geblendet kneift es der Langſchläfer ſchnell wieder zu. Das Leben kämpft mit dem Schlafe, doch Licht und Wärme ſiegen. Noch einmal lugt das eine der ſchwarzen Perlenaugen ſcheu und vorſichtig aus der ſchmalen Spalte der kaum geöffneten und nach den Winkeln hin geradezu verklebten Lider hervor. Der Tag lächelt ihm freundlich zu. Das Athmen wird immer ſchneller und immer tiefer. Noch iſt das Geſichtchen in verdrießliche Falten gelegt; doch mehr und mehr macht ſich das behagliche Gefühl der Wärme und des rückkehrenden Lebens geltend. Die Furchen glätten ſich, die Wange verſtreicht, die Schnurren ſenken ſich und ſtrahlen aus einander. Da auf einmal, nach langem Zwinkern und Blinzeln, entwindet ſich auch das andere Auge dem Todtenſchlafe, der es umnachtete, und trunken noch ſtaunt das Thierchen behaglich in den Tag hinaus. Endlich ermannt es ſich und ſucht ein Nüßchen zur Entſchädigung für die lange Faſtenzeit. Bald iſt das Verſäumte nachgeholt, und die Haſelmaus iſt — munter? nein, immer noch wie träumend mit den Freuden des nahenden Frühlings beſchäftigt, und bald genug gewahrt ſie ihren Jrrthum, ſucht ihr Lager wieder auf und ſchläft ein von neuem, feſter und feſter zur Kugel ſich zuſammenrollend.‟
Schlegel ſcheint die Fettbildung, welche ſich bei den Winterſchläfern in ſo auffallender Weiſe zeigt, einzig und allein auf Rechnung der verringerten Athmung und bezüglich der Zufuhr des die Ver- brennung befördernden Sauerſtoffes zu ſchieben, und nimmt deshalb an, daß die Haſelmäuſe und alle übrigen Schläfer erſt dann die größte Maſſe von Fett erlangen, wenn ſie ſchon eine geraume Zeit geſchlafen haben. „Das Fett‟, ſagt er, „weit entfernt, Urſache des Schlafes zu ſein, ſcheint
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[111/0125]
Die Haſelmaus.
kernen, Obſt und Brod, auch wohl Weizenkörnern. Sie frißt ſparſam und beſcheiden, und anfangs
blos des Nachts. Waſſer oder Milch trinkt ſie nicht. Jhre überaus große Reinlichkeit und die Lie-
benswürdigkeit und Verträglichkeit, welche ſie gegen ihres Gleichen zeigt, die hübſchen Bewe-
gungen und luſtigen Geberden machen ſie immer zum wahren Liebling des Menſchen. Jn England
wird ſie als Stubenthier in gewöhnlichen Vogelbauern gehalten und ebenſo wie Stubenvögel zum
Markte gebracht. Man kann ſie auch in dem feinſten Zimmer halten; denn ſie verbreitet durchaus
keinen üblen Geruch, weder durch ihren Harn, noch durch ihren Unrath. Nur im Sommer gibt ſie
einen biſamähnlichen Geruch von ſich, der aber auch ſo ſchwach iſt, daß er nicht läſtig fällt. Recht
ſchade iſt, daß erſt mit der Dämmerung das Leben dieſes prächtigen Thieres beginnt und man ſo nur
wenig von ihm genießt.
Auch in der Gefangenſchaft hält die Haſelmaus ihren Winterſchlaf, wenn die Oertlichkeit eine
ſolche iſt, die nicht immer gleichmäßig warm gehalten werden kann. Sie verſucht dann, ſich ein Neſt-
chen zu bauen, und hüllt ſich da hinein oder ſchläft in irgend einer Ecke ihres Käfigs. Bringt man ſie
wieder in die Wärme, z. B. zwiſchen die warme Hand, ſo erwacht ſie, bald aber ſchläft ſie wieder ein.
Mein Freund, Dr. F. Schlegel, hat längere Zeit Haſelmäuſe beobachtet, um den Winterſchlaf zu
ſtudiren, und hatte die Güte, mir Nachſtehendes zur Benutzung zu überlaſſen. Er pflegte das ſchla-
fende Thierchen oft auf einen kleinen, eigens gebauten Lehnſtuhl zu ſetzen, in welchem es ſich dann
überaus komiſch ausnahm. „Da ſitzt ſie,‟ ſagt er, „gemächlich in den Armſtuhl gelehnt, eine Pelzkugel,
den Kopf auf die Hinterfüße geſtützt, den Schwanz ſeitwärts über das Geſicht gekrümmt, mit dem
Ausdruck des tiefſten Schlafes im Geſicht, die Mundwinkel krampfhaft auf- und eingezogen, ſo daß
die langen Bartborſten, ſonſt fächerförmig ausſtrahlend, wie ein langhaariger Pinſel über die Wangen
hinauf- und hinausragen. Zwiſchen den feſtgeſchloſſenen Augen und dem Mundwinkel wölbt ſich die
eingeklemmte Wange hervor; die zur Fauſt geballten Zehen der Hinterfüße drücken im tiefſten Schlaf
ſo feſt auf die Wange, daß die Stelle mit der Zeit zum kahlen Fleck wird. Ebenſo drollig, als dieſes
Bild des Schlafes, erſcheint das erwachende Thier. Nimmt man es in die hohle Hand, ſo macht ſich
die von da überſtrömende Wärme gar bald bemerklich. Die Pelzkugel regt ſich, beginnt merklich zu
athmen, reckt und ſtreckt ſich; die Hinterfüße rutſchen von der Wange herunter; die Zehen der einge-
zogenen Vorderfüße kommen unter dem Kinn tief aus dem Pelz heraus zum Vorſchein und der
Schwanz gleitet langſam über den Leib herab. Und dabei läßt ſie Töne hören, wie Pfeifen oder
Piepen, feiner noch und durchdringender, als die der Spitzmäuſe. Sie zwinkert und blinzelt mit
den Augen, das eine thut ſich auf; aber wie geblendet kneift es der Langſchläfer ſchnell wieder zu.
Das Leben kämpft mit dem Schlafe, doch Licht und Wärme ſiegen. Noch einmal lugt das eine der
ſchwarzen Perlenaugen ſcheu und vorſichtig aus der ſchmalen Spalte der kaum geöffneten und nach
den Winkeln hin geradezu verklebten Lider hervor. Der Tag lächelt ihm freundlich zu. Das Athmen
wird immer ſchneller und immer tiefer. Noch iſt das Geſichtchen in verdrießliche Falten gelegt; doch
mehr und mehr macht ſich das behagliche Gefühl der Wärme und des rückkehrenden Lebens geltend.
Die Furchen glätten ſich, die Wange verſtreicht, die Schnurren ſenken ſich und ſtrahlen aus einander.
Da auf einmal, nach langem Zwinkern und Blinzeln, entwindet ſich auch das andere Auge dem
Todtenſchlafe, der es umnachtete, und trunken noch ſtaunt das Thierchen behaglich in den Tag hinaus.
Endlich ermannt es ſich und ſucht ein Nüßchen zur Entſchädigung für die lange Faſtenzeit. Bald iſt
das Verſäumte nachgeholt, und die Haſelmaus iſt — munter? nein, immer noch wie träumend mit
den Freuden des nahenden Frühlings beſchäftigt, und bald genug gewahrt ſie ihren Jrrthum, ſucht
ihr Lager wieder auf und ſchläft ein von neuem, feſter und feſter zur Kugel ſich zuſammenrollend.‟
Schlegel ſcheint die Fettbildung, welche ſich bei den Winterſchläfern in ſo auffallender Weiſe
zeigt, einzig und allein auf Rechnung der verringerten Athmung und bezüglich der Zufuhr des die Ver-
brennung befördernden Sauerſtoffes zu ſchieben, und nimmt deshalb an, daß die Haſelmäuſe und
alle übrigen Schläfer erſt dann die größte Maſſe von Fett erlangen, wenn ſie ſchon eine geraume
Zeit geſchlafen haben. „Das Fett‟, ſagt er, „weit entfernt, Urſache des Schlafes zu ſein, ſcheint
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/125>, abgerufen am 25.11.2024.
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