vielmehr erst in Folge des Winterschlafes zu entstehen, und zwar ganz nach Art der eigentlichen Fettsucht beim Menschen. Letztere wird bedingt durch mangelhafte Verwendung des im Blute ent- haltenen Fettes zum Neubau (Stoffwechsel) des Körpers und mangelhafte Entfernung (Verbrennung) desselben mittels der Lungen, von denen es, mit dem eingeathmeten Sauerstoff der Luft chemisch ver- bunden, als Kohlensäure und Wasser ausgeschieden werden soll. Dieser Fall tritt ein bei phlegma- tischem Temperament, Mangel der Bewegung, übertriebener Schlaf- und verminderter Athmungs- thätigkeit, und denselben Fall haben wir bei winterschlafenden Thieren. Der Stoffwechsel ist vermin- dert, vor allem aber die Sauerstoffaufnahme durch Athmen zuweilen ganz unmerklich. Dies scheint die einfachste wissenschaftliche Erklärung des Fettwerdens der Winterschläfer. Die Wägung winter- schlafender Thiere zeigt allerdings eine allmähliche Gewichtsabnahme, merkwürdigerweise aber fanden Professor Saci und Valentin an schlafenden Murmelthieren gerade zur Zeit des tiefsten Schlafes eine nicht unbedeutende Gewichtszunahme, während, wenn das Thier, wie man von allen Winterschläfern glaubt, von seinem Fette zehrte, gerade im tiefsten Schlafe, beim vollständigsten Mangel an Nahrungs- zufuhr also, die merkwürdigste Gewichtsabnahme zu erwarten sein sollte."
Keine andere Familie der ganzen Ordnung versteht es, so gründlich uns zu belehren, was Nager sind, als die, welche die eigentlichen Mäuse (Mures) umfaßt. Diese Familie ist nicht blos die an Sippen und Arten reichste, sondern auch bei weitem die verbreitetste, und Dank ihrer Anhäng- lichkeit an den Menschen noch in steter Verbreitung begriffen, wenigstens was einzelne ihrer Arten anlangt. Jhre Mitglieder sind durchgängig kleine Gesellen; aber sie ersetzen durch ihre Zahl, was den einzelnen an Größe abgeht, mehr als vollständig. Will man ein allgemeines Bild von der Ge- sammtheit geben, so kann man sagen, daß die spitze Schnauze, die großen, schwarzen Augen, die breiten und hohlen, sehr spärlich behaarten Ohren, der lange, behaarte oder fast noch öfter nackt- schuppige Schwanz und die zierlichen Beine mit schmalen, feinen fünfzehigen Pfoten, sowie ein kurzer, weicher Pelz unsere Familie kennzeichnet. Doch müssen diese Merkmale eben blos als ganz allgemeine gelten; denn viele eigentliche Mäuse nähern sich in ihrer Gesammtgestaltung anderen Familien unserer Ordnung: Stachliches Grannenhaar erinnert an die eigentlichen Stachelmäuse oder Stachel- schweine, echte Schwimmfüße, kurze Ohren und Beine an die Biber, dick behaarter Schwanz an die Eichhörnchen u. s. w. Mit solchen äußerlichen Abänderungen der allgemeinen Grundform steht natürlich auch der Bau des Gebisses mehr oder weniger im Einklang. Gewöhnlich sind die Nage- zähne schmal und mehr dick als breit, mit scharfmeißlicher Schneide oder scharfer Spitze, an der Vorder- seite glatt oder gewölbt, weiß oder gefärbt, auch wohl durch eine Längsrinne getheilt. Drei Back- zähne in jeder Reihe, welche von vorn nach hinten an Größe abnehmen, bilden regelmäßig das übrige Gebiß; ihre Zahl sinkt aber auch wohl auf zwei herab oder steigt bis auf vier. Sie sind entweder schmelzhöckerig, mit getrennten Wurzeln, oder quergefaltet, oder seitlich eingekerbt. Viele schleifen sich durch das Kauen ab, und dann erscheint die Fläche eben oder mit Faltenzeichnung. Zwölf oder drei- zehn Wirbel tragen Rippen, drei bis vier bilden das Kreuzbein, und zehn bis sechsunddreißig den Schwanz. Bei einigen Arten kommen wohl auch Backentaschen vor, bei andern fehlen sie gänzlich; bei diesen ist der Magen einfach, bei jenen stark eingeschnürt u. s. w.
Die Mäuse sind Weltbürger, aber leider nicht im guten Sinne. Alle Erdtheile weisen Mit- glieder aus dieser Familie auf, und jene glücklichen Jnseln, welche bis jetzt noch von ihnen verschont blieben, werden sicher im Laufe der Zeit noch wenigstens von einer Art bevölkert werden, deren Wanderlust schon wahrhaft gewaltige Erfolge erzielt hat. Die Mäuse bewohnen alle Gegenden und Klimate, wenn sie auch die Ebenen gemäßigter und wärmerer Länder dem rauhen Hochgebirge oder dem kalten Norden vorziehen; aber sie finden sich so weit, als die Grenze des Pflanzenwuchses reicht, demzufolge auch noch in unmittelbarer Nähe des ewigen Schnees der Gebirge. Wohlbebaute Gegenden,
Die eigentlichen Mäuſe.
vielmehr erſt in Folge des Winterſchlafes zu entſtehen, und zwar ganz nach Art der eigentlichen Fettſucht beim Menſchen. Letztere wird bedingt durch mangelhafte Verwendung des im Blute ent- haltenen Fettes zum Neubau (Stoffwechſel) des Körpers und mangelhafte Entfernung (Verbrennung) deſſelben mittels der Lungen, von denen es, mit dem eingeathmeten Sauerſtoff der Luft chemiſch ver- bunden, als Kohlenſäure und Waſſer ausgeſchieden werden ſoll. Dieſer Fall tritt ein bei phlegma- tiſchem Temperament, Mangel der Bewegung, übertriebener Schlaf- und verminderter Athmungs- thätigkeit, und denſelben Fall haben wir bei winterſchlafenden Thieren. Der Stoffwechſel iſt vermin- dert, vor allem aber die Sauerſtoffaufnahme durch Athmen zuweilen ganz unmerklich. Dies ſcheint die einfachſte wiſſenſchaftliche Erklärung des Fettwerdens der Winterſchläfer. Die Wägung winter- ſchlafender Thiere zeigt allerdings eine allmähliche Gewichtsabnahme, merkwürdigerweiſe aber fanden Profeſſor Saci und Valentin an ſchlafenden Murmelthieren gerade zur Zeit des tiefſten Schlafes eine nicht unbedeutende Gewichtszunahme, während, wenn das Thier, wie man von allen Winterſchläfern glaubt, von ſeinem Fette zehrte, gerade im tiefſten Schlafe, beim vollſtändigſten Mangel an Nahrungs- zufuhr alſo, die merkwürdigſte Gewichtsabnahme zu erwarten ſein ſollte.‟
Keine andere Familie der ganzen Ordnung verſteht es, ſo gründlich uns zu belehren, was Nager ſind, als die, welche die eigentlichen Mäuſe (Mures) umfaßt. Dieſe Familie iſt nicht blos die an Sippen und Arten reichſte, ſondern auch bei weitem die verbreitetſte, und Dank ihrer Anhäng- lichkeit an den Menſchen noch in ſteter Verbreitung begriffen, wenigſtens was einzelne ihrer Arten anlangt. Jhre Mitglieder ſind durchgängig kleine Geſellen; aber ſie erſetzen durch ihre Zahl, was den einzelnen an Größe abgeht, mehr als vollſtändig. Will man ein allgemeines Bild von der Ge- ſammtheit geben, ſo kann man ſagen, daß die ſpitze Schnauze, die großen, ſchwarzen Augen, die breiten und hohlen, ſehr ſpärlich behaarten Ohren, der lange, behaarte oder faſt noch öfter nackt- ſchuppige Schwanz und die zierlichen Beine mit ſchmalen, feinen fünfzehigen Pfoten, ſowie ein kurzer, weicher Pelz unſere Familie kennzeichnet. Doch müſſen dieſe Merkmale eben blos als ganz allgemeine gelten; denn viele eigentliche Mäuſe nähern ſich in ihrer Geſammtgeſtaltung anderen Familien unſerer Ordnung: Stachliches Grannenhaar erinnert an die eigentlichen Stachelmäuſe oder Stachel- ſchweine, echte Schwimmfüße, kurze Ohren und Beine an die Biber, dick behaarter Schwanz an die Eichhörnchen u. ſ. w. Mit ſolchen äußerlichen Abänderungen der allgemeinen Grundform ſteht natürlich auch der Bau des Gebiſſes mehr oder weniger im Einklang. Gewöhnlich ſind die Nage- zähne ſchmal und mehr dick als breit, mit ſcharfmeißlicher Schneide oder ſcharfer Spitze, an der Vorder- ſeite glatt oder gewölbt, weiß oder gefärbt, auch wohl durch eine Längsrinne getheilt. Drei Back- zähne in jeder Reihe, welche von vorn nach hinten an Größe abnehmen, bilden regelmäßig das übrige Gebiß; ihre Zahl ſinkt aber auch wohl auf zwei herab oder ſteigt bis auf vier. Sie ſind entweder ſchmelzhöckerig, mit getrennten Wurzeln, oder quergefaltet, oder ſeitlich eingekerbt. Viele ſchleifen ſich durch das Kauen ab, und dann erſcheint die Fläche eben oder mit Faltenzeichnung. Zwölf oder drei- zehn Wirbel tragen Rippen, drei bis vier bilden das Kreuzbein, und zehn bis ſechsunddreißig den Schwanz. Bei einigen Arten kommen wohl auch Backentaſchen vor, bei andern fehlen ſie gänzlich; bei dieſen iſt der Magen einfach, bei jenen ſtark eingeſchnürt u. ſ. w.
Die Mäuſe ſind Weltbürger, aber leider nicht im guten Sinne. Alle Erdtheile weiſen Mit- glieder aus dieſer Familie auf, und jene glücklichen Jnſeln, welche bis jetzt noch von ihnen verſchont blieben, werden ſicher im Laufe der Zeit noch wenigſtens von einer Art bevölkert werden, deren Wanderluſt ſchon wahrhaft gewaltige Erfolge erzielt hat. Die Mäuſe bewohnen alle Gegenden und Klimate, wenn ſie auch die Ebenen gemäßigter und wärmerer Länder dem rauhen Hochgebirge oder dem kalten Norden vorziehen; aber ſie finden ſich ſo weit, als die Grenze des Pflanzenwuchſes reicht, demzufolge auch noch in unmittelbarer Nähe des ewigen Schnees der Gebirge. Wohlbebaute Gegenden,
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[112/0126]
Die eigentlichen Mäuſe.
vielmehr erſt in Folge des Winterſchlafes zu entſtehen, und zwar ganz nach Art der eigentlichen
Fettſucht beim Menſchen. Letztere wird bedingt durch mangelhafte Verwendung des im Blute ent-
haltenen Fettes zum Neubau (Stoffwechſel) des Körpers und mangelhafte Entfernung (Verbrennung)
deſſelben mittels der Lungen, von denen es, mit dem eingeathmeten Sauerſtoff der Luft chemiſch ver-
bunden, als Kohlenſäure und Waſſer ausgeſchieden werden ſoll. Dieſer Fall tritt ein bei phlegma-
tiſchem Temperament, Mangel der Bewegung, übertriebener Schlaf- und verminderter Athmungs-
thätigkeit, und denſelben Fall haben wir bei winterſchlafenden Thieren. Der Stoffwechſel iſt vermin-
dert, vor allem aber die Sauerſtoffaufnahme durch Athmen zuweilen ganz unmerklich. Dies ſcheint
die einfachſte wiſſenſchaftliche Erklärung des Fettwerdens der Winterſchläfer. Die Wägung winter-
ſchlafender Thiere zeigt allerdings eine allmähliche Gewichtsabnahme, merkwürdigerweiſe aber fanden
Profeſſor Saci und Valentin an ſchlafenden Murmelthieren gerade zur Zeit des tiefſten Schlafes eine
nicht unbedeutende Gewichtszunahme, während, wenn das Thier, wie man von allen Winterſchläfern
glaubt, von ſeinem Fette zehrte, gerade im tiefſten Schlafe, beim vollſtändigſten Mangel an Nahrungs-
zufuhr alſo, die merkwürdigſte Gewichtsabnahme zu erwarten ſein ſollte.‟
Keine andere Familie der ganzen Ordnung verſteht es, ſo gründlich uns zu belehren, was
Nager ſind, als die, welche die eigentlichen Mäuſe (Mures) umfaßt. Dieſe Familie iſt nicht blos
die an Sippen und Arten reichſte, ſondern auch bei weitem die verbreitetſte, und Dank ihrer Anhäng-
lichkeit an den Menſchen noch in ſteter Verbreitung begriffen, wenigſtens was einzelne ihrer Arten
anlangt. Jhre Mitglieder ſind durchgängig kleine Geſellen; aber ſie erſetzen durch ihre Zahl, was
den einzelnen an Größe abgeht, mehr als vollſtändig. Will man ein allgemeines Bild von der Ge-
ſammtheit geben, ſo kann man ſagen, daß die ſpitze Schnauze, die großen, ſchwarzen Augen, die
breiten und hohlen, ſehr ſpärlich behaarten Ohren, der lange, behaarte oder faſt noch öfter nackt-
ſchuppige Schwanz und die zierlichen Beine mit ſchmalen, feinen fünfzehigen Pfoten, ſowie ein kurzer,
weicher Pelz unſere Familie kennzeichnet. Doch müſſen dieſe Merkmale eben blos als ganz allgemeine
gelten; denn viele eigentliche Mäuſe nähern ſich in ihrer Geſammtgeſtaltung anderen Familien unſerer
Ordnung: Stachliches Grannenhaar erinnert an die eigentlichen Stachelmäuſe oder Stachel-
ſchweine, echte Schwimmfüße, kurze Ohren und Beine an die Biber, dick behaarter Schwanz an
die Eichhörnchen u. ſ. w. Mit ſolchen äußerlichen Abänderungen der allgemeinen Grundform ſteht
natürlich auch der Bau des Gebiſſes mehr oder weniger im Einklang. Gewöhnlich ſind die Nage-
zähne ſchmal und mehr dick als breit, mit ſcharfmeißlicher Schneide oder ſcharfer Spitze, an der Vorder-
ſeite glatt oder gewölbt, weiß oder gefärbt, auch wohl durch eine Längsrinne getheilt. Drei Back-
zähne in jeder Reihe, welche von vorn nach hinten an Größe abnehmen, bilden regelmäßig das übrige
Gebiß; ihre Zahl ſinkt aber auch wohl auf zwei herab oder ſteigt bis auf vier. Sie ſind entweder
ſchmelzhöckerig, mit getrennten Wurzeln, oder quergefaltet, oder ſeitlich eingekerbt. Viele ſchleifen ſich
durch das Kauen ab, und dann erſcheint die Fläche eben oder mit Faltenzeichnung. Zwölf oder drei-
zehn Wirbel tragen Rippen, drei bis vier bilden das Kreuzbein, und zehn bis ſechsunddreißig den
Schwanz. Bei einigen Arten kommen wohl auch Backentaſchen vor, bei andern fehlen ſie gänzlich;
bei dieſen iſt der Magen einfach, bei jenen ſtark eingeſchnürt u. ſ. w.
Die Mäuſe ſind Weltbürger, aber leider nicht im guten Sinne. Alle Erdtheile weiſen Mit-
glieder aus dieſer Familie auf, und jene glücklichen Jnſeln, welche bis jetzt noch von ihnen verſchont
blieben, werden ſicher im Laufe der Zeit noch wenigſtens von einer Art bevölkert werden, deren
Wanderluſt ſchon wahrhaft gewaltige Erfolge erzielt hat. Die Mäuſe bewohnen alle Gegenden und
Klimate, wenn ſie auch die Ebenen gemäßigter und wärmerer Länder dem rauhen Hochgebirge oder
dem kalten Norden vorziehen; aber ſie finden ſich ſo weit, als die Grenze des Pflanzenwuchſes reicht,
demzufolge auch noch in unmittelbarer Nähe des ewigen Schnees der Gebirge. Wohlbebaute Gegenden,
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/126>, abgerufen am 25.11.2024.
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