Fruchtfelder, Pflanzungen sind unbedingt ihre Lieblingsorte; sumpfige Strecken, Flußufer und Bäche bieten ihnen aber ebenfalls genug, und selbst dürre, trockene, mit wenig Gras und Buschwerk be- wachsene Ebenen gewähren ihnen noch die Möglichkeit, zu leben. Einige meiden die Nähe menschlicher Ansiedelungen, andere drängen sich dem Menschen als ungebetene Gäste auf und folgen ihm überall hin, wo er neue Wohnorte gründet, selbst über das Meer. Sie bevölkern Haus und Hof, Scheuer und Stall, Garten und Feld, Wiese und Wald, überall mit gefräßigem Zahne Schaden und Unheil anrich- tend. Nur die wenigsten leben einzeln oder paarweise, die meisten lieben die Geselligkeit, und manche Arten wachsen zuweilen zu ungeheuren Scharen an, obgleich sich einzelne immer mehr oder weniger ab- gesondert halten. Bei fast allen ist die Vermehrung eine ganz außerordentliche; denn die Zahl der Jungen eines einzigen Wurfs schwankt zwischen sechs und einundzwanzig, und die allermeisten pflanzen sich mehrmals im Jahre, ja selbst im Winter fort.
Die Mäuse sind in jeder Weise geeignet, den Menschen zu plagen und zu quälen. Alle ihre Eigenschaften scheinen sie besonders hierzu zu befähigen. Sie sind gewandt und behend in ihren Be- wegungen, können vortrefflich laufen, springen, klettern, schwimmen; sie verstehen es, sich durch die engsten Oeffnungen zu zwängen, oder, wenn sie keine Zugänge finden, sich mit ihrem scharfen Gebiß Wege zu eröffnen. Sie treiben ihr Wesen am liebsten bei Nacht und vereiteln dadurch Verfol- gungen, denen Tagthiere ausgesetzt sein würden; sie sind ziemlich klug und vorsichtig, aber ebenso auch dreist, frech, unverschämt, listig und muthig. Jhre Sinne sind durchgehends fein, wenn auch der Geruch und das Gehör die übrigen bei weitem übertreffen. Jhre Nahrung besteht aus allen eßbaren Stoffen des Pflanzen- und Thierreichs. Samen, Früchte, Wurzeln, Rinde, Kräuter, Gras, Blüthen, welche ihre natürliche Nahrung bilden, werden nicht minder gern von ihnen verzehrt, als Kerbthiere, Fleisch, Fett, Blut und Milch, Butter und Käse, Haut und Knochen; -- und was sie nicht fressen können, zernagen und zerbeißen sie wenigstens, -- so Papier und Holz. Wasser trinken sie im Allge- meinen nur selten; dagegen sind sie äußerst lüstern auf alle nahrungsreicheren Flüssigkeiten und ver- stehen es, sich derselben in der listigsten Weise zu bemächtigen. Die meisten zwar führen ihre Speise mit den Vorderpfoten zum Munde, wie die übrigen Nager; aber manche, wie die Ratten, benutzen unter Umständen auch ihren Schwanz, um zu Nahrungsvorräthen zu gelangen, welche ihnen sonst un- zugänglich wären. Sie tauchen ihn z. B. in Gefäße ein, welche mit Oel oder Milch gefüllt sind, und lecken ihn dann ab. Dabei verwüsten sie regelmäßig weit mehr, als sie verzehren, und werden hier- durch zu den allerunangenehmsten Feinden des Menschen, welche nothwendigerweise dessen ganzen Haß heraufbeschwören und sogar die vielfachen Grausamkeiten, welche er sich bei ihrer Vertilgung zu Schul- den kommen läßt, wenn auch nicht verzeihlich, so doch erklärlich machen. Nur sehr wenige sind harm- lose, unschädliche Thiere, und haben wegen ihrer zierlichen Gestalt, der Anmuth ihrer Bewegungen und ihres ansprechenden Wesens Gnade vor den Augen des Menschen gefunden. Hierher gehören namentlich auch die Baukünstler unter dieser Familie, welche die kunstreichsten Nester unter allen Säugethieren überhaupt anlegen und durch ihre geringe Zahl und den geringen Nahrungsverbrauch wenig lästig werden, während andere, die in ihrer Weise auch Baukünstler sind und sich größere oder kleinere Höhlen anlegen, gerade hierdurch sich verhaßt machen. Einige Arten, welche die kälteren und gemäßigten Gegenden bewohnen, halten einen Winterschlaf und tragen sich vorher Nahrungsvorräthe ein, manche in bedeutender Menge; andere unternehmen zeitweilig in ungeheuren Scharen Wande- rungen, welche ihnen aber gewöhnlich sehr verderblich werden.
Für die Gefangenschaft eignen sich nur wenige Arten, denn blos der geringste Theil aller Mäuse erfreut durch seine leichte Zähmbarkeit und die Verträglichkeit mit anderen seiner Art. Die übrigen bleiben auch im Käfig unangenehme, unverträgliche, bissige Geschöpfe, welche die ihnen gewidmete Freundschaft und Pflege schlecht vergelten. Eigentlichen Nutzen gewähren die Mäuse nie, denn, wenn man auch von dieser oder jener Art das Fell benutzt oder selbst das Fleisch ißt, so kommt doch beides gar nicht in Betracht gegen den außerordentlichen Schaden, welchen die Gesammtheit der Familie anrichtet.
Brehm, Thierleben. II. 8
Die eigentlichen Mäuſe.
Fruchtfelder, Pflanzungen ſind unbedingt ihre Lieblingsorte; ſumpfige Strecken, Flußufer und Bäche bieten ihnen aber ebenfalls genug, und ſelbſt dürre, trockene, mit wenig Gras und Buſchwerk be- wachſene Ebenen gewähren ihnen noch die Möglichkeit, zu leben. Einige meiden die Nähe menſchlicher Anſiedelungen, andere drängen ſich dem Menſchen als ungebetene Gäſte auf und folgen ihm überall hin, wo er neue Wohnorte gründet, ſelbſt über das Meer. Sie bevölkern Haus und Hof, Scheuer und Stall, Garten und Feld, Wieſe und Wald, überall mit gefräßigem Zahne Schaden und Unheil anrich- tend. Nur die wenigſten leben einzeln oder paarweiſe, die meiſten lieben die Geſelligkeit, und manche Arten wachſen zuweilen zu ungeheuren Scharen an, obgleich ſich einzelne immer mehr oder weniger ab- geſondert halten. Bei faſt allen iſt die Vermehrung eine ganz außerordentliche; denn die Zahl der Jungen eines einzigen Wurfs ſchwankt zwiſchen ſechs und einundzwanzig, und die allermeiſten pflanzen ſich mehrmals im Jahre, ja ſelbſt im Winter fort.
Die Mäuſe ſind in jeder Weiſe geeignet, den Menſchen zu plagen und zu quälen. Alle ihre Eigenſchaften ſcheinen ſie beſonders hierzu zu befähigen. Sie ſind gewandt und behend in ihren Be- wegungen, können vortrefflich laufen, ſpringen, klettern, ſchwimmen; ſie verſtehen es, ſich durch die engſten Oeffnungen zu zwängen, oder, wenn ſie keine Zugänge finden, ſich mit ihrem ſcharfen Gebiß Wege zu eröffnen. Sie treiben ihr Weſen am liebſten bei Nacht und vereiteln dadurch Verfol- gungen, denen Tagthiere ausgeſetzt ſein würden; ſie ſind ziemlich klug und vorſichtig, aber ebenſo auch dreiſt, frech, unverſchämt, liſtig und muthig. Jhre Sinne ſind durchgehends fein, wenn auch der Geruch und das Gehör die übrigen bei weitem übertreffen. Jhre Nahrung beſteht aus allen eßbaren Stoffen des Pflanzen- und Thierreichs. Samen, Früchte, Wurzeln, Rinde, Kräuter, Gras, Blüthen, welche ihre natürliche Nahrung bilden, werden nicht minder gern von ihnen verzehrt, als Kerbthiere, Fleiſch, Fett, Blut und Milch, Butter und Käſe, Haut und Knochen; — und was ſie nicht freſſen können, zernagen und zerbeißen ſie wenigſtens, — ſo Papier und Holz. Waſſer trinken ſie im Allge- meinen nur ſelten; dagegen ſind ſie äußerſt lüſtern auf alle nahrungsreicheren Flüſſigkeiten und ver- ſtehen es, ſich derſelben in der liſtigſten Weiſe zu bemächtigen. Die meiſten zwar führen ihre Speiſe mit den Vorderpfoten zum Munde, wie die übrigen Nager; aber manche, wie die Ratten, benutzen unter Umſtänden auch ihren Schwanz, um zu Nahrungsvorräthen zu gelangen, welche ihnen ſonſt un- zugänglich wären. Sie tauchen ihn z. B. in Gefäße ein, welche mit Oel oder Milch gefüllt ſind, und lecken ihn dann ab. Dabei verwüſten ſie regelmäßig weit mehr, als ſie verzehren, und werden hier- durch zu den allerunangenehmſten Feinden des Menſchen, welche nothwendigerweiſe deſſen ganzen Haß heraufbeſchwören und ſogar die vielfachen Grauſamkeiten, welche er ſich bei ihrer Vertilgung zu Schul- den kommen läßt, wenn auch nicht verzeihlich, ſo doch erklärlich machen. Nur ſehr wenige ſind harm- loſe, unſchädliche Thiere, und haben wegen ihrer zierlichen Geſtalt, der Anmuth ihrer Bewegungen und ihres anſprechenden Weſens Gnade vor den Augen des Menſchen gefunden. Hierher gehören namentlich auch die Baukünſtler unter dieſer Familie, welche die kunſtreichſten Neſter unter allen Säugethieren überhaupt anlegen und durch ihre geringe Zahl und den geringen Nahrungsverbrauch wenig läſtig werden, während andere, die in ihrer Weiſe auch Baukünſtler ſind und ſich größere oder kleinere Höhlen anlegen, gerade hierdurch ſich verhaßt machen. Einige Arten, welche die kälteren und gemäßigten Gegenden bewohnen, halten einen Winterſchlaf und tragen ſich vorher Nahrungsvorräthe ein, manche in bedeutender Menge; andere unternehmen zeitweilig in ungeheuren Scharen Wande- rungen, welche ihnen aber gewöhnlich ſehr verderblich werden.
Für die Gefangenſchaft eignen ſich nur wenige Arten, denn blos der geringſte Theil aller Mäuſe erfreut durch ſeine leichte Zähmbarkeit und die Verträglichkeit mit anderen ſeiner Art. Die übrigen bleiben auch im Käfig unangenehme, unverträgliche, biſſige Geſchöpfe, welche die ihnen gewidmete Freundſchaft und Pflege ſchlecht vergelten. Eigentlichen Nutzen gewähren die Mäuſe nie, denn, wenn man auch von dieſer oder jener Art das Fell benutzt oder ſelbſt das Fleiſch ißt, ſo kommt doch beides gar nicht in Betracht gegen den außerordentlichen Schaden, welchen die Geſammtheit der Familie anrichtet.
Brehm, Thierleben. II. 8
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[113/0127]
Die eigentlichen Mäuſe.
Fruchtfelder, Pflanzungen ſind unbedingt ihre Lieblingsorte; ſumpfige Strecken, Flußufer und Bäche
bieten ihnen aber ebenfalls genug, und ſelbſt dürre, trockene, mit wenig Gras und Buſchwerk be-
wachſene Ebenen gewähren ihnen noch die Möglichkeit, zu leben. Einige meiden die Nähe menſchlicher
Anſiedelungen, andere drängen ſich dem Menſchen als ungebetene Gäſte auf und folgen ihm überall hin,
wo er neue Wohnorte gründet, ſelbſt über das Meer. Sie bevölkern Haus und Hof, Scheuer und
Stall, Garten und Feld, Wieſe und Wald, überall mit gefräßigem Zahne Schaden und Unheil anrich-
tend. Nur die wenigſten leben einzeln oder paarweiſe, die meiſten lieben die Geſelligkeit, und manche
Arten wachſen zuweilen zu ungeheuren Scharen an, obgleich ſich einzelne immer mehr oder weniger ab-
geſondert halten. Bei faſt allen iſt die Vermehrung eine ganz außerordentliche; denn die Zahl der
Jungen eines einzigen Wurfs ſchwankt zwiſchen ſechs und einundzwanzig, und die allermeiſten pflanzen
ſich mehrmals im Jahre, ja ſelbſt im Winter fort.
Die Mäuſe ſind in jeder Weiſe geeignet, den Menſchen zu plagen und zu quälen. Alle ihre
Eigenſchaften ſcheinen ſie beſonders hierzu zu befähigen. Sie ſind gewandt und behend in ihren Be-
wegungen, können vortrefflich laufen, ſpringen, klettern, ſchwimmen; ſie verſtehen es, ſich durch die
engſten Oeffnungen zu zwängen, oder, wenn ſie keine Zugänge finden, ſich mit ihrem ſcharfen Gebiß
Wege zu eröffnen. Sie treiben ihr Weſen am liebſten bei Nacht und vereiteln dadurch Verfol-
gungen, denen Tagthiere ausgeſetzt ſein würden; ſie ſind ziemlich klug und vorſichtig, aber ebenſo auch
dreiſt, frech, unverſchämt, liſtig und muthig. Jhre Sinne ſind durchgehends fein, wenn auch der
Geruch und das Gehör die übrigen bei weitem übertreffen. Jhre Nahrung beſteht aus allen eßbaren
Stoffen des Pflanzen- und Thierreichs. Samen, Früchte, Wurzeln, Rinde, Kräuter, Gras, Blüthen,
welche ihre natürliche Nahrung bilden, werden nicht minder gern von ihnen verzehrt, als Kerbthiere,
Fleiſch, Fett, Blut und Milch, Butter und Käſe, Haut und Knochen; — und was ſie nicht freſſen
können, zernagen und zerbeißen ſie wenigſtens, — ſo Papier und Holz. Waſſer trinken ſie im Allge-
meinen nur ſelten; dagegen ſind ſie äußerſt lüſtern auf alle nahrungsreicheren Flüſſigkeiten und ver-
ſtehen es, ſich derſelben in der liſtigſten Weiſe zu bemächtigen. Die meiſten zwar führen ihre Speiſe
mit den Vorderpfoten zum Munde, wie die übrigen Nager; aber manche, wie die Ratten, benutzen
unter Umſtänden auch ihren Schwanz, um zu Nahrungsvorräthen zu gelangen, welche ihnen ſonſt un-
zugänglich wären. Sie tauchen ihn z. B. in Gefäße ein, welche mit Oel oder Milch gefüllt ſind, und
lecken ihn dann ab. Dabei verwüſten ſie regelmäßig weit mehr, als ſie verzehren, und werden hier-
durch zu den allerunangenehmſten Feinden des Menſchen, welche nothwendigerweiſe deſſen ganzen Haß
heraufbeſchwören und ſogar die vielfachen Grauſamkeiten, welche er ſich bei ihrer Vertilgung zu Schul-
den kommen läßt, wenn auch nicht verzeihlich, ſo doch erklärlich machen. Nur ſehr wenige ſind harm-
loſe, unſchädliche Thiere, und haben wegen ihrer zierlichen Geſtalt, der Anmuth ihrer Bewegungen
und ihres anſprechenden Weſens Gnade vor den Augen des Menſchen gefunden. Hierher gehören
namentlich auch die Baukünſtler unter dieſer Familie, welche die kunſtreichſten Neſter unter allen
Säugethieren überhaupt anlegen und durch ihre geringe Zahl und den geringen Nahrungsverbrauch
wenig läſtig werden, während andere, die in ihrer Weiſe auch Baukünſtler ſind und ſich größere oder
kleinere Höhlen anlegen, gerade hierdurch ſich verhaßt machen. Einige Arten, welche die kälteren und
gemäßigten Gegenden bewohnen, halten einen Winterſchlaf und tragen ſich vorher Nahrungsvorräthe
ein, manche in bedeutender Menge; andere unternehmen zeitweilig in ungeheuren Scharen Wande-
rungen, welche ihnen aber gewöhnlich ſehr verderblich werden.
Für die Gefangenſchaft eignen ſich nur wenige Arten, denn blos der geringſte Theil aller Mäuſe
erfreut durch ſeine leichte Zähmbarkeit und die Verträglichkeit mit anderen ſeiner Art. Die übrigen
bleiben auch im Käfig unangenehme, unverträgliche, biſſige Geſchöpfe, welche die ihnen gewidmete
Freundſchaft und Pflege ſchlecht vergelten. Eigentlichen Nutzen gewähren die Mäuſe nie, denn, wenn
man auch von dieſer oder jener Art das Fell benutzt oder ſelbſt das Fleiſch ißt, ſo kommt doch beides
gar nicht in Betracht gegen den außerordentlichen Schaden, welchen die Geſammtheit der Familie
anrichtet.
Brehm, Thierleben. II. 8
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/127>, abgerufen am 26.11.2024.
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