zwischen den Steinen ausstreicht und vielleicht zur Vorsorge noch zwischen dem Gemäuer eine Schicht von Glasscherben einfügt, ist man vor ihnen sicher. Aber wehe dem vorher geschützten Raume, wenn ein Stein in der Mauer locker wird! Von nun an geht das Bestreben dieser abscheulichen Thiere sicher dahin, nach dem bisher verbotenen Paradiese zu gelangen.
Und dieses Zerstören der Wohnungen, dieses abscheuliche Zernagen und Durchwühlen der Wände ist doch das geringste Unheil, welches die Ratten anrichten. Noch weit größeren Schaden bringen sie durch ihre Nahrung. Jhnen ist alles Genießbare recht. Der Mensch ißt Nichts, was die Ratten nicht auch fräßen, und nicht beim Essen bleibt es, sondern es geht auch an Das, was der Mensch trinkt. Es fehlt blos noch, daß sie sich in Schnaps berauschten: -- dann würden sie sämmtliche Nahrungsmittel, welche das menschliche Geschlecht bis jetzt angewandt hat, treulich mitvertilgen helfen. Nicht zufrieden mit dem schon so reichhaltigen Speisezettel, fallen die Ratten auch noch gierig über andere Stoffe her, unter
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Die Wanderratte (Mus documanus).
Umständen selbst über lebende Wesen. Die schmuzigsten Abfälle des menschlichen Haushaltes sind den Ratten unter Umständen noch immer recht. Das verfaulende Aas findet an ihnen Liebhaber. Sie fressen Leder und Horn, Körner und Baumrinde, oder besser gesagt, alle nur denkbaren Pflan- zenstoffe, und was sie nicht fressen können, das zernagen sie wenigstens. Es sind verbürgte Bei- spiele bekannt, daß sie kleine Kinder bei lebendigem Leibe angefressen haben, und jeder größere Guts- besitzer hat erfahren, wie arg sie seinen Hofthieren nachstellen. Recht fetten Schweinen fressen sie Löcher in den Leib, dicht zusammengeschichteten Gänsen die Schwimmhäute zwischen den Zehen weg, auf den Eiern brütenden Truthennen Löcher in die Schenkel und auf den Rücken; junge Enten ziehen sie ins Wasser, ersäufen sie dort und holen sie dann ganz ruhig, unbekümmert um die Anstrengung der Alten, an das Land, dort behaglich sie verspeisend. Wenn sie sich mehr als gewöhnlich an einem Orte vermehren, ist es wahrhaftig kaum zum Aushalten. Und es gibt solche Orte, wo sie in einer Menge auftreten, von welcher wir uns glücklicherweise keinen Begriff machen können. Jn
Die Wanderratte.
zwiſchen den Steinen ausſtreicht und vielleicht zur Vorſorge noch zwiſchen dem Gemäuer eine Schicht von Glasſcherben einfügt, iſt man vor ihnen ſicher. Aber wehe dem vorher geſchützten Raume, wenn ein Stein in der Mauer locker wird! Von nun an geht das Beſtreben dieſer abſcheulichen Thiere ſicher dahin, nach dem bisher verbotenen Paradieſe zu gelangen.
Und dieſes Zerſtören der Wohnungen, dieſes abſcheuliche Zernagen und Durchwühlen der Wände iſt doch das geringſte Unheil, welches die Ratten anrichten. Noch weit größeren Schaden bringen ſie durch ihre Nahrung. Jhnen iſt alles Genießbare recht. Der Menſch ißt Nichts, was die Ratten nicht auch fräßen, und nicht beim Eſſen bleibt es, ſondern es geht auch an Das, was der Menſch trinkt. Es fehlt blos noch, daß ſie ſich in Schnaps berauſchten: — dann würden ſie ſämmtliche Nahrungsmittel, welche das menſchliche Geſchlecht bis jetzt angewandt hat, treulich mitvertilgen helfen. Nicht zufrieden mit dem ſchon ſo reichhaltigen Speiſezettel, fallen die Ratten auch noch gierig über andere Stoffe her, unter
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Die Wanderratte (Mus documanus).
Umſtänden ſelbſt über lebende Weſen. Die ſchmuzigſten Abfälle des menſchlichen Haushaltes ſind den Ratten unter Umſtänden noch immer recht. Das verfaulende Aas findet an ihnen Liebhaber. Sie freſſen Leder und Horn, Körner und Baumrinde, oder beſſer geſagt, alle nur denkbaren Pflan- zenſtoffe, und was ſie nicht freſſen können, das zernagen ſie wenigſtens. Es ſind verbürgte Bei- ſpiele bekannt, daß ſie kleine Kinder bei lebendigem Leibe angefreſſen haben, und jeder größere Guts- beſitzer hat erfahren, wie arg ſie ſeinen Hofthieren nachſtellen. Recht fetten Schweinen freſſen ſie Löcher in den Leib, dicht zuſammengeſchichteten Gänſen die Schwimmhäute zwiſchen den Zehen weg, auf den Eiern brütenden Truthennen Löcher in die Schenkel und auf den Rücken; junge Enten ziehen ſie ins Waſſer, erſäufen ſie dort und holen ſie dann ganz ruhig, unbekümmert um die Anſtrengung der Alten, an das Land, dort behaglich ſie verſpeiſend. Wenn ſie ſich mehr als gewöhnlich an einem Orte vermehren, iſt es wahrhaftig kaum zum Aushalten. Und es gibt ſolche Orte, wo ſie in einer Menge auftreten, von welcher wir uns glücklicherweiſe keinen Begriff machen können. Jn
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Die Wanderratte.
zwiſchen den Steinen ausſtreicht und vielleicht zur Vorſorge noch zwiſchen dem Gemäuer eine
Schicht von Glasſcherben einfügt, iſt man vor ihnen ſicher. Aber wehe dem vorher geſchützten Raume,
wenn ein Stein in der Mauer locker wird! Von nun an geht das Beſtreben dieſer abſcheulichen
Thiere ſicher dahin, nach dem bisher verbotenen Paradieſe zu gelangen.
Und dieſes Zerſtören der Wohnungen, dieſes abſcheuliche Zernagen und Durchwühlen der Wände
iſt doch das geringſte Unheil, welches die Ratten anrichten. Noch weit größeren Schaden bringen ſie
durch ihre Nahrung. Jhnen iſt alles Genießbare recht. Der Menſch ißt Nichts, was die Ratten nicht
auch fräßen, und nicht beim Eſſen bleibt es, ſondern es geht auch an Das, was der Menſch trinkt. Es fehlt
blos noch, daß ſie ſich in Schnaps berauſchten: — dann würden ſie ſämmtliche Nahrungsmittel, welche
das menſchliche Geſchlecht bis jetzt angewandt hat, treulich mitvertilgen helfen. Nicht zufrieden mit dem
ſchon ſo reichhaltigen Speiſezettel, fallen die Ratten auch noch gierig über andere Stoffe her, unter
[Abbildung Die Wanderratte (Mus documanus).]
Umſtänden ſelbſt über lebende Weſen. Die ſchmuzigſten Abfälle des menſchlichen Haushaltes ſind
den Ratten unter Umſtänden noch immer recht. Das verfaulende Aas findet an ihnen Liebhaber.
Sie freſſen Leder und Horn, Körner und Baumrinde, oder beſſer geſagt, alle nur denkbaren Pflan-
zenſtoffe, und was ſie nicht freſſen können, das zernagen ſie wenigſtens. Es ſind verbürgte Bei-
ſpiele bekannt, daß ſie kleine Kinder bei lebendigem Leibe angefreſſen haben, und jeder größere Guts-
beſitzer hat erfahren, wie arg ſie ſeinen Hofthieren nachſtellen. Recht fetten Schweinen freſſen ſie
Löcher in den Leib, dicht zuſammengeſchichteten Gänſen die Schwimmhäute zwiſchen den Zehen weg,
auf den Eiern brütenden Truthennen Löcher in die Schenkel und auf den Rücken; junge Enten ziehen
ſie ins Waſſer, erſäufen ſie dort und holen ſie dann ganz ruhig, unbekümmert um die Anſtrengung
der Alten, an das Land, dort behaglich ſie verſpeiſend. Wenn ſie ſich mehr als gewöhnlich an
einem Orte vermehren, iſt es wahrhaftig kaum zum Aushalten. Und es gibt ſolche Orte, wo ſie
in einer Menge auftreten, von welcher wir uns glücklicherweiſe keinen Begriff machen können. Jn
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/135>, abgerufen am 26.11.2024.
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