Haut von den Fußsohlen abgefressen hatten. Später erbot sich ein Eskimo, die Ratten allmählich mit Pfeilen zu erschießen, und dieser Jäger war auch so glücklich, daß Kane, welcher sich die Ratten kochen ließ, während des langen Winters beständig frische Fleischbrühe hatte. Endlich fing man einen Fuchs und sperrte ihn in den Schiffsraum, und Meister Reinecke schien sich hier auch recht wohl zu befinden; denn er lebte sehr vergnügt von den Ratten, welche er sich hier in beliebiger Menge fing.
Jn allen Leibesübungen sind die Ratten Meister. Sie laufen rasch und geschickt, klettern vor- trefflich, sogar an ziemlich glatten Wänden empor, schwimmen meisterhaft, führen mit Sicherheit ziemlich weite Sprünge aus und graben recht leidlich, wenn auch nicht gern ausdauernd nach einander. Die stärkere Wanderratte scheint noch geschickter zu sein, als die Hausratte; wenigstens schwimmt sie bei weitem besser und scheint ihrer Verwandten auch im Klettern überlegen zu sein. Jhre Tauchfähigkeit ist beinahe eben so groß, wie die echter Wasserthiere. Sie darf dreist auf den Fischfang ausgehen; denn sie ist im Wasser behend genug, den eigentlichen Bewohnern der feuchten Tiefe nachzustellen. Manch- mal thut sie gerade, als ob das Wasser ihre wahre Heimat wäre. Erschreckt, flüchtet sie sich augen- blicklich in einen Fluß, Teich oder Graben, und, wenn es sein muß, schwimmt sie in einem Zuge über die breiteste Wasserfläche hinweg, oder läuft minutenlang auf dem Grunde des Beckens dahin. Die Hausratte thut Dies blos im größten Rothfalle, doch versteht sie die Kunst des Schwimmens ebenfalls recht gut.
Unter ihren Sinnen stehen Gehör und Geruch obenan, namentlich das erstere ist vortrefflich; aber auch das Gesicht ist nicht schlecht, und den Geschmack bethätigen die Ratten nur allzu oft in Vorraths- kammern, wo sie sich sicher immer die leckersten Speisen auszusuchen wissen. Ueber ihre geistigen Fähig- keiten brauche ich nach dem Angegebenen nicht mehr viel zu sagen. Verstand kann man ihnen wahrlich nicht absprechen und noch viel weniger eine berechnende List und eine gewisse Schlauheit, mit welcher sie sich den Gefahren der verschiedensten Art zu entziehen wissen.
Wie bereits bemerkt, herrscht zwischen den beiden Rattenarten ein ewiger Streit, welcher regel- mäßig mit dem Untergange der schwächeren Art endet; aber auch die einzelnen Ratten unter sich kämpfen und streiten beständig. Nachts hört da, wo sie häufig sind, das Poltern und Lärmen keinen Augenblick auf; denn der Kampf währt auch dann noch fort, wenn ein Theil bereits die Flucht ergreift. Recht alte, bissige Männchen werden zuweilen von der übrigen Gesellschaft verbannt und suchen sich dann einen stillen, einsamen Ort auf, wo sie mürrisch und griesgrämig ihr Leben verbringen.
Die Paarung geht unter lautem Lärmen und Quieken und Schreien vor sich; denn die verliebten Männchen kämpfen eifrig um die Weibchen. Ungefähr einen Monat nach der Begattung werfen die letzteren 5 bis 21 Junge, kleine, allerliebste Thierchen, welche Jedermann gefallen würden, wenn sie nicht Ratten wären. Dehne, welcher Albinos der Wanderratte lebend hielt, sagt über die erste Jugend- zeit der Jungen und über das Betragen der Alten Folgendes: "Am 1. März 1852 bekam ich von einer weißen Ratte sieben Junge. Sie hatte sich in ihrem Drahtkäfig ein dichtes Nest von Stroh gemacht. Die Jungen hatten die Größe der Maikäfer und sahen blutroth aus. Bei jeder Bewegung der Mutter ließen sie ein feines, durchdringendes Piepen oder Quietschen hören. Am 8. waren sie schon ziemlich weiß. Vom 13. bis 16. wurden sie sehend. Am 18. abends kamen sie zum ersten Male zum Vor- schein; als aber die Mutter bemerkte, daß sie beobachtet wurden, nahm sie eine nach der andern ins Maul und schleppte sie in das Nest. Einzelne kamen jedoch wieder aus einem andern Loche hervor. Allerliebste Thierchen von der Größe der Zwergmäuse mit ungefähr drei Zoll langen Schwänzen! Am 21. hatten sie schon die Größe gewöhnlicher Hausmäuse, am 28. die der Waldmäuse. Sie saugten noch dann und wann (ich sah sie sogar noch am 2. April saugen), spielten mit einander, jagten und balgten sich auf die gewandteste und unterhaltendste Weise, setzten sich auch wohl zur Abwechselung auf den Rücken der Mutter und ließen sich von derselben herumtragen. Sie übertrafen an Possirlichkeit bei weitem die weißen Hausmänse."
"Am 9. April trennte ich die Mutter von ihren Jungen und setzte sie wieder zum Männchen. Am 11. Mai warf sie abermals eine Anzahl Junge."
Die Wanderratte.
Haut von den Fußſohlen abgefreſſen hatten. Später erbot ſich ein Eskimo, die Ratten allmählich mit Pfeilen zu erſchießen, und dieſer Jäger war auch ſo glücklich, daß Kane, welcher ſich die Ratten kochen ließ, während des langen Winters beſtändig friſche Fleiſchbrühe hatte. Endlich fing man einen Fuchs und ſperrte ihn in den Schiffsraum, und Meiſter Reinecke ſchien ſich hier auch recht wohl zu befinden; denn er lebte ſehr vergnügt von den Ratten, welche er ſich hier in beliebiger Menge fing.
Jn allen Leibesübungen ſind die Ratten Meiſter. Sie laufen raſch und geſchickt, klettern vor- trefflich, ſogar an ziemlich glatten Wänden empor, ſchwimmen meiſterhaft, führen mit Sicherheit ziemlich weite Sprünge aus und graben recht leidlich, wenn auch nicht gern ausdauernd nach einander. Die ſtärkere Wanderratte ſcheint noch geſchickter zu ſein, als die Hausratte; wenigſtens ſchwimmt ſie bei weitem beſſer und ſcheint ihrer Verwandten auch im Klettern überlegen zu ſein. Jhre Tauchfähigkeit iſt beinahe eben ſo groß, wie die echter Waſſerthiere. Sie darf dreiſt auf den Fiſchfang ausgehen; denn ſie iſt im Waſſer behend genug, den eigentlichen Bewohnern der feuchten Tiefe nachzuſtellen. Manch- mal thut ſie gerade, als ob das Waſſer ihre wahre Heimat wäre. Erſchreckt, flüchtet ſie ſich augen- blicklich in einen Fluß, Teich oder Graben, und, wenn es ſein muß, ſchwimmt ſie in einem Zuge über die breiteſte Waſſerfläche hinweg, oder läuft minutenlang auf dem Grunde des Beckens dahin. Die Hausratte thut Dies blos im größten Rothfalle, doch verſteht ſie die Kunſt des Schwimmens ebenfalls recht gut.
Unter ihren Sinnen ſtehen Gehör und Geruch obenan, namentlich das erſtere iſt vortrefflich; aber auch das Geſicht iſt nicht ſchlecht, und den Geſchmack bethätigen die Ratten nur allzu oft in Vorraths- kammern, wo ſie ſich ſicher immer die leckerſten Speiſen auszuſuchen wiſſen. Ueber ihre geiſtigen Fähig- keiten brauche ich nach dem Angegebenen nicht mehr viel zu ſagen. Verſtand kann man ihnen wahrlich nicht abſprechen und noch viel weniger eine berechnende Liſt und eine gewiſſe Schlauheit, mit welcher ſie ſich den Gefahren der verſchiedenſten Art zu entziehen wiſſen.
Wie bereits bemerkt, herrſcht zwiſchen den beiden Rattenarten ein ewiger Streit, welcher regel- mäßig mit dem Untergange der ſchwächeren Art endet; aber auch die einzelnen Ratten unter ſich kämpfen und ſtreiten beſtändig. Nachts hört da, wo ſie häufig ſind, das Poltern und Lärmen keinen Augenblick auf; denn der Kampf währt auch dann noch fort, wenn ein Theil bereits die Flucht ergreift. Recht alte, biſſige Männchen werden zuweilen von der übrigen Geſellſchaft verbannt und ſuchen ſich dann einen ſtillen, einſamen Ort auf, wo ſie mürriſch und griesgrämig ihr Leben verbringen.
Die Paarung geht unter lautem Lärmen und Quieken und Schreien vor ſich; denn die verliebten Männchen kämpfen eifrig um die Weibchen. Ungefähr einen Monat nach der Begattung werfen die letzteren 5 bis 21 Junge, kleine, allerliebſte Thierchen, welche Jedermann gefallen würden, wenn ſie nicht Ratten wären. Dehne, welcher Albinos der Wanderratte lebend hielt, ſagt über die erſte Jugend- zeit der Jungen und über das Betragen der Alten Folgendes: „Am 1. März 1852 bekam ich von einer weißen Ratte ſieben Junge. Sie hatte ſich in ihrem Drahtkäfig ein dichtes Neſt von Stroh gemacht. Die Jungen hatten die Größe der Maikäfer und ſahen blutroth aus. Bei jeder Bewegung der Mutter ließen ſie ein feines, durchdringendes Piepen oder Quietſchen hören. Am 8. waren ſie ſchon ziemlich weiß. Vom 13. bis 16. wurden ſie ſehend. Am 18. abends kamen ſie zum erſten Male zum Vor- ſchein; als aber die Mutter bemerkte, daß ſie beobachtet wurden, nahm ſie eine nach der andern ins Maul und ſchleppte ſie in das Neſt. Einzelne kamen jedoch wieder aus einem andern Loche hervor. Allerliebſte Thierchen von der Größe der Zwergmäuſe mit ungefähr drei Zoll langen Schwänzen! Am 21. hatten ſie ſchon die Größe gewöhnlicher Hausmäuſe, am 28. die der Waldmäuſe. Sie ſaugten noch dann und wann (ich ſah ſie ſogar noch am 2. April ſaugen), ſpielten mit einander, jagten und balgten ſich auf die gewandteſte und unterhaltendſte Weiſe, ſetzten ſich auch wohl zur Abwechſelung auf den Rücken der Mutter und ließen ſich von derſelben herumtragen. Sie übertrafen an Poſſirlichkeit bei weitem die weißen Hausmänſe.‟
„Am 9. April trennte ich die Mutter von ihren Jungen und ſetzte ſie wieder zum Männchen. Am 11. Mai warf ſie abermals eine Anzahl Junge.‟
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[123/0137]
Die Wanderratte.
Haut von den Fußſohlen abgefreſſen hatten. Später erbot ſich ein Eskimo, die Ratten allmählich mit
Pfeilen zu erſchießen, und dieſer Jäger war auch ſo glücklich, daß Kane, welcher ſich die Ratten kochen
ließ, während des langen Winters beſtändig friſche Fleiſchbrühe hatte. Endlich fing man einen Fuchs
und ſperrte ihn in den Schiffsraum, und Meiſter Reinecke ſchien ſich hier auch recht wohl zu befinden;
denn er lebte ſehr vergnügt von den Ratten, welche er ſich hier in beliebiger Menge fing.
Jn allen Leibesübungen ſind die Ratten Meiſter. Sie laufen raſch und geſchickt, klettern vor-
trefflich, ſogar an ziemlich glatten Wänden empor, ſchwimmen meiſterhaft, führen mit Sicherheit ziemlich
weite Sprünge aus und graben recht leidlich, wenn auch nicht gern ausdauernd nach einander. Die
ſtärkere Wanderratte ſcheint noch geſchickter zu ſein, als die Hausratte; wenigſtens ſchwimmt ſie bei
weitem beſſer und ſcheint ihrer Verwandten auch im Klettern überlegen zu ſein. Jhre Tauchfähigkeit
iſt beinahe eben ſo groß, wie die echter Waſſerthiere. Sie darf dreiſt auf den Fiſchfang ausgehen; denn
ſie iſt im Waſſer behend genug, den eigentlichen Bewohnern der feuchten Tiefe nachzuſtellen. Manch-
mal thut ſie gerade, als ob das Waſſer ihre wahre Heimat wäre. Erſchreckt, flüchtet ſie ſich augen-
blicklich in einen Fluß, Teich oder Graben, und, wenn es ſein muß, ſchwimmt ſie in einem Zuge über
die breiteſte Waſſerfläche hinweg, oder läuft minutenlang auf dem Grunde des Beckens dahin. Die
Hausratte thut Dies blos im größten Rothfalle, doch verſteht ſie die Kunſt des Schwimmens ebenfalls
recht gut.
Unter ihren Sinnen ſtehen Gehör und Geruch obenan, namentlich das erſtere iſt vortrefflich; aber
auch das Geſicht iſt nicht ſchlecht, und den Geſchmack bethätigen die Ratten nur allzu oft in Vorraths-
kammern, wo ſie ſich ſicher immer die leckerſten Speiſen auszuſuchen wiſſen. Ueber ihre geiſtigen Fähig-
keiten brauche ich nach dem Angegebenen nicht mehr viel zu ſagen. Verſtand kann man ihnen wahrlich
nicht abſprechen und noch viel weniger eine berechnende Liſt und eine gewiſſe Schlauheit, mit welcher
ſie ſich den Gefahren der verſchiedenſten Art zu entziehen wiſſen.
Wie bereits bemerkt, herrſcht zwiſchen den beiden Rattenarten ein ewiger Streit, welcher regel-
mäßig mit dem Untergange der ſchwächeren Art endet; aber auch die einzelnen Ratten unter ſich
kämpfen und ſtreiten beſtändig. Nachts hört da, wo ſie häufig ſind, das Poltern und Lärmen keinen
Augenblick auf; denn der Kampf währt auch dann noch fort, wenn ein Theil bereits die Flucht ergreift.
Recht alte, biſſige Männchen werden zuweilen von der übrigen Geſellſchaft verbannt und ſuchen ſich
dann einen ſtillen, einſamen Ort auf, wo ſie mürriſch und griesgrämig ihr Leben verbringen.
Die Paarung geht unter lautem Lärmen und Quieken und Schreien vor ſich; denn die verliebten
Männchen kämpfen eifrig um die Weibchen. Ungefähr einen Monat nach der Begattung werfen die
letzteren 5 bis 21 Junge, kleine, allerliebſte Thierchen, welche Jedermann gefallen würden, wenn ſie
nicht Ratten wären. Dehne, welcher Albinos der Wanderratte lebend hielt, ſagt über die erſte Jugend-
zeit der Jungen und über das Betragen der Alten Folgendes: „Am 1. März 1852 bekam ich von einer
weißen Ratte ſieben Junge. Sie hatte ſich in ihrem Drahtkäfig ein dichtes Neſt von Stroh gemacht.
Die Jungen hatten die Größe der Maikäfer und ſahen blutroth aus. Bei jeder Bewegung der Mutter
ließen ſie ein feines, durchdringendes Piepen oder Quietſchen hören. Am 8. waren ſie ſchon ziemlich
weiß. Vom 13. bis 16. wurden ſie ſehend. Am 18. abends kamen ſie zum erſten Male zum Vor-
ſchein; als aber die Mutter bemerkte, daß ſie beobachtet wurden, nahm ſie eine nach der andern ins
Maul und ſchleppte ſie in das Neſt. Einzelne kamen jedoch wieder aus einem andern Loche hervor.
Allerliebſte Thierchen von der Größe der Zwergmäuſe mit ungefähr drei Zoll langen Schwänzen!
Am 21. hatten ſie ſchon die Größe gewöhnlicher Hausmäuſe, am 28. die der Waldmäuſe. Sie ſaugten
noch dann und wann (ich ſah ſie ſogar noch am 2. April ſaugen), ſpielten mit einander, jagten und
balgten ſich auf die gewandteſte und unterhaltendſte Weiſe, ſetzten ſich auch wohl zur Abwechſelung auf
den Rücken der Mutter und ließen ſich von derſelben herumtragen. Sie übertrafen an Poſſirlichkeit
bei weitem die weißen Hausmänſe.‟
„Am 9. April trennte ich die Mutter von ihren Jungen und ſetzte ſie wieder zum Männchen.
Am 11. Mai warf ſie abermals eine Anzahl Junge.‟
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/137>, abgerufen am 26.11.2024.
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