Gäste zu vertreiben. Kaum geringere Dienste leisten Jltis und Wiesel, ersterer im Hause, letz- teres im Garten und an den hinteren Seiten der Ställe. Gegen diese Gesellen, welche sich ab und zu auch ein Ei, ein Küchlein, eine Taube oder auch wohl eine Henne holen, kann man sich schützen, wenn man den Stall nur gut verschließt, gegen die Ratten aber ist jeder Schutz umsonst, und des- halb sollte man jene schlanken Räuber schützen und schirmen, wo man nur immer kann.
An einzelnen Ratten hat man bei großer Gefahr eine besondere List beobachtet. Sie stellen sich todt, wie das Opossum. Mein Vater hatte einst eine Ratte gefangen, welche, ohne sich zu rühren, in der Falle lag und sich in derselben hin- und herwerfen ließ. Das noch glänzende Auge war aber zu auffallend, als daß solch ein Meister in der Beobachtung sich hätte täuschen sollen! Mein Vater schüttete die Künstlerin auf dem Hose aus, aber in Gegenwart ihrer schlimmen Feindin, der Katze, und siehe da -- die scheinbar Tode bekam sofort Leben und Besinnung und wollte so schnell als möglich davon, freilich vergeblich: denn Miez saß ihr auf dem Nacken, noch ehe sie zwei Ellen durchlaufen hatte.
Schließlich will ich zu Nutz und Frommen mancher meiner Leser eine vortreffliche Falle anführen, obgleich sie dem menschlichen Herzen nicht eben Ehre macht, sondern eher von der Tücke des Erz- feindes der Thiere beredtes Zeugniß gibt. An recht besuchten Gangstraßen der Ratten, etwa zwi- schen Ställen, in der Nähe von Abtritten, Schleußen und an ähnlichen Orten legt man eine vier Fuß tiefe Grube an und kleidet sie innen mit glatten Steinplatten aus. Eine viereckige Platte von drei Fuß im Geviert bildet den Grund, vier andere, oben schmälere, die Seiten. Die ganze Grube muß vier Fuß tief und oben halbsoweit sein, als unten, so daß also die Wände nach allen Seiten hin überhangen und demnach ein Heraufklettern der in diese Grube gegangenen Ratten unmöglich machen. Nun gießt man auf dem Boden geschmolzenes Fett, mit Wasser verdünnten Honig und andere wohlriechende Stoffe aus, setzt ein thönernes, etwa zwei Zoll hohes Gefäß, welches oben eine ganz enge Oeffnung hat, da hinein, tränkt es mit Honig und füllt es mit Mais, Weizen, Hanf, Hafer, etwas gebratenem Speck und anderen Leckerbissen an. Dann kommt etwas Heckerling auf den Boden der Grube und endlich ein Gitter über den Eingang, damit nicht zufällig ein Huhn oder ein junges ungeschicktes Hausthier da hineinfällt. Nunmehr kann man das Ganze sich selbst überlassen. "Der liebliche Duft und der warme Heckerling," sagt Lenz, "verleiten den bösen Feind, lustig und erwartungsvoll in den Abgrund zu springen. Dort riecht Alles gar schön nach Speck, Honig, Käse, Körnern; man muß sich aber mit dem blosen Geruche begnügen, weil das Jnnere nicht zugänglich ist, und so bleibt nichts Anderes übrig, als daß ein Gefangener immer den andern auffrißt." Die erste Ratte, welche da hinabfällt, bekommt selbstverständlich bald einen fürchterlichen Hunger und müht und mattet sich vergeblich ab, dem entsetzlichen Gesängniß zu entgehen. Da stürzt eine zweite von oben hernieder. Hei, welch' eine willkommene Erscheinung ist Das! Man beschnoppert sich gegenseitig; man berathet wohl auch gemeinschaftlich, was da zu thun ist; aber der erste Gefangene ist viel zu hungrig, als daß er sich auf lange Verhandlungen einlassen könnte. Der Hunger verführt ihn zu Streit und Kampf, ein furchtbares Balgen, ein Kampf auf Leben und Tod beginnt, und einer der Gefangenen mordet den andern. Blieb der Erste Sieger, so macht er sich augenblicklich über die Leiche des Gefährten her, um ihn aufzufressen; siegte der Zweite, so geschieht Dasselbe wenige Stunden später. Nur höchst selten findet man drei Ratten zu gleicher Zeit in dieser Falle, am folgenden Tage aber sicherlich immer eine weniger. Kurz, ein Gefangener frißt den andern auf, die Grube bleibt ziemlich reinlich; aber sie ist eine Mordhöhle in des Wortes furchtbarster Bedeutung.
Weit lieblicher, anmuthiger und zierlicher, als diese häßlichen, langgeschwänzten Hausdiebe, sind die Mäuse, obwohl auch sie trotz ihrer schmucken Gestalt, ihres heitern und netten Wesens gar arge Feinde des Menschen sind und von diesem verfolgt werden, fast mit demselben Jngrimm, wie ihre größeren und häßlicheren Verwandten. Man darf wohl sagen, daß Jedermann eine im Käfig
Brehm, Thierleben. II. 9
Die Wanderratte.
Gäſte zu vertreiben. Kaum geringere Dienſte leiſten Jltis und Wieſel, erſterer im Hauſe, letz- teres im Garten und an den hinteren Seiten der Ställe. Gegen dieſe Geſellen, welche ſich ab und zu auch ein Ei, ein Küchlein, eine Taube oder auch wohl eine Henne holen, kann man ſich ſchützen, wenn man den Stall nur gut verſchließt, gegen die Ratten aber iſt jeder Schutz umſonſt, und des- halb ſollte man jene ſchlanken Räuber ſchützen und ſchirmen, wo man nur immer kann.
An einzelnen Ratten hat man bei großer Gefahr eine beſondere Liſt beobachtet. Sie ſtellen ſich todt, wie das Opoſſum. Mein Vater hatte einſt eine Ratte gefangen, welche, ohne ſich zu rühren, in der Falle lag und ſich in derſelben hin- und herwerfen ließ. Das noch glänzende Auge war aber zu auffallend, als daß ſolch ein Meiſter in der Beobachtung ſich hätte täuſchen ſollen! Mein Vater ſchüttete die Künſtlerin auf dem Hoſe aus, aber in Gegenwart ihrer ſchlimmen Feindin, der Katze, und ſiehe da — die ſcheinbar Tode bekam ſofort Leben und Beſinnung und wollte ſo ſchnell als möglich davon, freilich vergeblich: denn Miez ſaß ihr auf dem Nacken, noch ehe ſie zwei Ellen durchlaufen hatte.
Schließlich will ich zu Nutz und Frommen mancher meiner Leſer eine vortreffliche Falle anführen, obgleich ſie dem menſchlichen Herzen nicht eben Ehre macht, ſondern eher von der Tücke des Erz- feindes der Thiere beredtes Zeugniß gibt. An recht beſuchten Gangſtraßen der Ratten, etwa zwi- ſchen Ställen, in der Nähe von Abtritten, Schleußen und an ähnlichen Orten legt man eine vier Fuß tiefe Grube an und kleidet ſie innen mit glatten Steinplatten aus. Eine viereckige Platte von drei Fuß im Geviert bildet den Grund, vier andere, oben ſchmälere, die Seiten. Die ganze Grube muß vier Fuß tief und oben halbſoweit ſein, als unten, ſo daß alſo die Wände nach allen Seiten hin überhangen und demnach ein Heraufklettern der in dieſe Grube gegangenen Ratten unmöglich machen. Nun gießt man auf dem Boden geſchmolzenes Fett, mit Waſſer verdünnten Honig und andere wohlriechende Stoffe aus, ſetzt ein thönernes, etwa zwei Zoll hohes Gefäß, welches oben eine ganz enge Oeffnung hat, da hinein, tränkt es mit Honig und füllt es mit Mais, Weizen, Hanf, Hafer, etwas gebratenem Speck und anderen Leckerbiſſen an. Dann kommt etwas Heckerling auf den Boden der Grube und endlich ein Gitter über den Eingang, damit nicht zufällig ein Huhn oder ein junges ungeſchicktes Hausthier da hineinfällt. Nunmehr kann man das Ganze ſich ſelbſt überlaſſen. „Der liebliche Duft und der warme Heckerling,‟ ſagt Lenz, „verleiten den böſen Feind, luſtig und erwartungsvoll in den Abgrund zu ſpringen. Dort riecht Alles gar ſchön nach Speck, Honig, Käſe, Körnern; man muß ſich aber mit dem bloſen Geruche begnügen, weil das Jnnere nicht zugänglich iſt, und ſo bleibt nichts Anderes übrig, als daß ein Gefangener immer den andern auffrißt.‟ Die erſte Ratte, welche da hinabfällt, bekommt ſelbſtverſtändlich bald einen fürchterlichen Hunger und müht und mattet ſich vergeblich ab, dem entſetzlichen Geſängniß zu entgehen. Da ſtürzt eine zweite von oben hernieder. Hei, welch’ eine willkommene Erſcheinung iſt Das! Man beſchnoppert ſich gegenſeitig; man berathet wohl auch gemeinſchaftlich, was da zu thun iſt; aber der erſte Gefangene iſt viel zu hungrig, als daß er ſich auf lange Verhandlungen einlaſſen könnte. Der Hunger verführt ihn zu Streit und Kampf, ein furchtbares Balgen, ein Kampf auf Leben und Tod beginnt, und einer der Gefangenen mordet den andern. Blieb der Erſte Sieger, ſo macht er ſich augenblicklich über die Leiche des Gefährten her, um ihn aufzufreſſen; ſiegte der Zweite, ſo geſchieht Daſſelbe wenige Stunden ſpäter. Nur höchſt ſelten findet man drei Ratten zu gleicher Zeit in dieſer Falle, am folgenden Tage aber ſicherlich immer eine weniger. Kurz, ein Gefangener frißt den andern auf, die Grube bleibt ziemlich reinlich; aber ſie iſt eine Mordhöhle in des Wortes furchtbarſter Bedeutung.
Weit lieblicher, anmuthiger und zierlicher, als dieſe häßlichen, langgeſchwänzten Hausdiebe, ſind die Mäuſe, obwohl auch ſie trotz ihrer ſchmucken Geſtalt, ihres heitern und netten Weſens gar arge Feinde des Menſchen ſind und von dieſem verfolgt werden, faſt mit demſelben Jngrimm, wie ihre größeren und häßlicheren Verwandten. Man darf wohl ſagen, daß Jedermann eine im Käfig
Brehm, Thierleben. II. 9
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0143"n="129"/><fwplace="top"type="header">Die Wanderratte.</fw><lb/>
Gäſte zu vertreiben. Kaum geringere Dienſte leiſten <hirendition="#g">Jltis</hi> und <hirendition="#g">Wieſel,</hi> erſterer im Hauſe, letz-<lb/>
teres im Garten und an den hinteren Seiten der Ställe. Gegen dieſe Geſellen, welche ſich ab und<lb/>
zu auch ein Ei, ein Küchlein, eine Taube oder auch wohl eine Henne holen, kann man ſich ſchützen,<lb/>
wenn man den Stall nur gut verſchließt, gegen die Ratten aber iſt jeder Schutz umſonſt, und des-<lb/>
halb ſollte man jene ſchlanken Räuber ſchützen und ſchirmen, wo man nur immer kann.</p><lb/><p>An einzelnen Ratten hat man bei großer Gefahr eine beſondere Liſt beobachtet. Sie ſtellen<lb/>ſich todt, wie das <hirendition="#g">Opoſſum.</hi> Mein Vater hatte einſt eine Ratte gefangen, welche, ohne ſich zu<lb/>
rühren, in der Falle lag und ſich in derſelben hin- und herwerfen ließ. Das noch glänzende Auge<lb/>
war aber zu auffallend, als daß ſolch ein Meiſter in der Beobachtung ſich hätte täuſchen ſollen! Mein<lb/>
Vater ſchüttete die Künſtlerin auf dem Hoſe aus, aber in Gegenwart ihrer ſchlimmen Feindin, der<lb/>
Katze, und ſiehe da — die ſcheinbar Tode bekam ſofort Leben und Beſinnung und wollte ſo ſchnell<lb/>
als möglich davon, freilich vergeblich: denn Miez ſaß ihr auf dem Nacken, noch ehe ſie zwei Ellen<lb/>
durchlaufen hatte.</p><lb/><p>Schließlich will ich zu Nutz und Frommen mancher meiner Leſer eine vortreffliche Falle anführen,<lb/>
obgleich ſie dem menſchlichen Herzen nicht eben Ehre macht, ſondern eher von der Tücke des Erz-<lb/>
feindes der Thiere beredtes Zeugniß gibt. An recht beſuchten Gangſtraßen der Ratten, etwa zwi-<lb/>ſchen Ställen, in der Nähe von Abtritten, Schleußen und an ähnlichen Orten legt man eine vier<lb/>
Fuß tiefe Grube an und kleidet ſie innen mit glatten Steinplatten aus. Eine viereckige Platte von<lb/>
drei Fuß im Geviert bildet den Grund, vier andere, oben ſchmälere, die Seiten. Die ganze Grube<lb/>
muß vier Fuß tief und oben halbſoweit ſein, als unten, ſo daß alſo die Wände nach allen Seiten<lb/>
hin überhangen und demnach ein Heraufklettern der in dieſe Grube gegangenen Ratten unmöglich<lb/>
machen. Nun gießt man auf dem Boden geſchmolzenes Fett, mit Waſſer verdünnten Honig und<lb/>
andere wohlriechende Stoffe aus, ſetzt ein thönernes, etwa zwei Zoll hohes Gefäß, welches oben<lb/>
eine ganz enge Oeffnung hat, da hinein, tränkt es mit Honig und füllt es mit Mais, Weizen,<lb/>
Hanf, Hafer, etwas gebratenem Speck und anderen Leckerbiſſen an. Dann kommt etwas Heckerling<lb/>
auf den Boden der Grube und endlich ein Gitter über den Eingang, damit nicht zufällig ein Huhn<lb/>
oder ein junges ungeſchicktes Hausthier da hineinfällt. Nunmehr kann man das Ganze ſich ſelbſt<lb/>
überlaſſen. „Der liebliche Duft und der warme Heckerling,‟ſagt <hirendition="#g">Lenz,</hi>„verleiten den böſen Feind,<lb/>
luſtig und erwartungsvoll in den Abgrund zu ſpringen. Dort riecht Alles gar ſchön nach Speck,<lb/>
Honig, Käſe, Körnern; man muß ſich aber mit dem bloſen Geruche begnügen, weil das Jnnere<lb/>
nicht zugänglich iſt, und ſo bleibt nichts Anderes übrig, als daß ein Gefangener immer den andern<lb/>
auffrißt.‟ Die erſte Ratte, welche da hinabfällt, bekommt ſelbſtverſtändlich bald einen fürchterlichen<lb/>
Hunger und müht und mattet ſich vergeblich ab, dem entſetzlichen Geſängniß zu entgehen. Da<lb/>ſtürzt eine zweite von oben hernieder. Hei, welch’ eine willkommene Erſcheinung iſt Das! Man<lb/>
beſchnoppert ſich gegenſeitig; man berathet wohl auch gemeinſchaftlich, was da zu thun iſt; aber der<lb/>
erſte Gefangene iſt viel zu hungrig, als daß er ſich auf lange Verhandlungen einlaſſen könnte. Der<lb/>
Hunger verführt ihn zu Streit und Kampf, ein furchtbares Balgen, ein Kampf auf Leben und Tod<lb/>
beginnt, und einer der Gefangenen mordet den andern. Blieb der Erſte Sieger, ſo macht er ſich<lb/>
augenblicklich über die Leiche des Gefährten her, um ihn aufzufreſſen; ſiegte der Zweite, ſo geſchieht<lb/>
Daſſelbe wenige Stunden ſpäter. Nur höchſt ſelten findet man drei Ratten zu gleicher Zeit in dieſer<lb/>
Falle, am folgenden Tage aber ſicherlich immer eine weniger. Kurz, ein Gefangener frißt den andern<lb/>
auf, die Grube bleibt ziemlich reinlich; aber ſie iſt eine Mordhöhle in des Wortes furchtbarſter<lb/>
Bedeutung.</p><lb/><p>Weit lieblicher, anmuthiger und zierlicher, als dieſe häßlichen, langgeſchwänzten Hausdiebe,<lb/>ſind die Mäuſe, obwohl auch ſie trotz ihrer ſchmucken Geſtalt, ihres heitern und netten Weſens gar<lb/>
arge Feinde des Menſchen ſind und von dieſem verfolgt werden, faſt mit demſelben Jngrimm, wie<lb/>
ihre größeren und häßlicheren Verwandten. Man darf wohl ſagen, daß Jedermann eine im Käfig<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#g">Brehm,</hi> Thierleben. <hirendition="#aq">II.</hi> 9</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[129/0143]
Die Wanderratte.
Gäſte zu vertreiben. Kaum geringere Dienſte leiſten Jltis und Wieſel, erſterer im Hauſe, letz-
teres im Garten und an den hinteren Seiten der Ställe. Gegen dieſe Geſellen, welche ſich ab und
zu auch ein Ei, ein Küchlein, eine Taube oder auch wohl eine Henne holen, kann man ſich ſchützen,
wenn man den Stall nur gut verſchließt, gegen die Ratten aber iſt jeder Schutz umſonſt, und des-
halb ſollte man jene ſchlanken Räuber ſchützen und ſchirmen, wo man nur immer kann.
An einzelnen Ratten hat man bei großer Gefahr eine beſondere Liſt beobachtet. Sie ſtellen
ſich todt, wie das Opoſſum. Mein Vater hatte einſt eine Ratte gefangen, welche, ohne ſich zu
rühren, in der Falle lag und ſich in derſelben hin- und herwerfen ließ. Das noch glänzende Auge
war aber zu auffallend, als daß ſolch ein Meiſter in der Beobachtung ſich hätte täuſchen ſollen! Mein
Vater ſchüttete die Künſtlerin auf dem Hoſe aus, aber in Gegenwart ihrer ſchlimmen Feindin, der
Katze, und ſiehe da — die ſcheinbar Tode bekam ſofort Leben und Beſinnung und wollte ſo ſchnell
als möglich davon, freilich vergeblich: denn Miez ſaß ihr auf dem Nacken, noch ehe ſie zwei Ellen
durchlaufen hatte.
Schließlich will ich zu Nutz und Frommen mancher meiner Leſer eine vortreffliche Falle anführen,
obgleich ſie dem menſchlichen Herzen nicht eben Ehre macht, ſondern eher von der Tücke des Erz-
feindes der Thiere beredtes Zeugniß gibt. An recht beſuchten Gangſtraßen der Ratten, etwa zwi-
ſchen Ställen, in der Nähe von Abtritten, Schleußen und an ähnlichen Orten legt man eine vier
Fuß tiefe Grube an und kleidet ſie innen mit glatten Steinplatten aus. Eine viereckige Platte von
drei Fuß im Geviert bildet den Grund, vier andere, oben ſchmälere, die Seiten. Die ganze Grube
muß vier Fuß tief und oben halbſoweit ſein, als unten, ſo daß alſo die Wände nach allen Seiten
hin überhangen und demnach ein Heraufklettern der in dieſe Grube gegangenen Ratten unmöglich
machen. Nun gießt man auf dem Boden geſchmolzenes Fett, mit Waſſer verdünnten Honig und
andere wohlriechende Stoffe aus, ſetzt ein thönernes, etwa zwei Zoll hohes Gefäß, welches oben
eine ganz enge Oeffnung hat, da hinein, tränkt es mit Honig und füllt es mit Mais, Weizen,
Hanf, Hafer, etwas gebratenem Speck und anderen Leckerbiſſen an. Dann kommt etwas Heckerling
auf den Boden der Grube und endlich ein Gitter über den Eingang, damit nicht zufällig ein Huhn
oder ein junges ungeſchicktes Hausthier da hineinfällt. Nunmehr kann man das Ganze ſich ſelbſt
überlaſſen. „Der liebliche Duft und der warme Heckerling,‟ ſagt Lenz, „verleiten den böſen Feind,
luſtig und erwartungsvoll in den Abgrund zu ſpringen. Dort riecht Alles gar ſchön nach Speck,
Honig, Käſe, Körnern; man muß ſich aber mit dem bloſen Geruche begnügen, weil das Jnnere
nicht zugänglich iſt, und ſo bleibt nichts Anderes übrig, als daß ein Gefangener immer den andern
auffrißt.‟ Die erſte Ratte, welche da hinabfällt, bekommt ſelbſtverſtändlich bald einen fürchterlichen
Hunger und müht und mattet ſich vergeblich ab, dem entſetzlichen Geſängniß zu entgehen. Da
ſtürzt eine zweite von oben hernieder. Hei, welch’ eine willkommene Erſcheinung iſt Das! Man
beſchnoppert ſich gegenſeitig; man berathet wohl auch gemeinſchaftlich, was da zu thun iſt; aber der
erſte Gefangene iſt viel zu hungrig, als daß er ſich auf lange Verhandlungen einlaſſen könnte. Der
Hunger verführt ihn zu Streit und Kampf, ein furchtbares Balgen, ein Kampf auf Leben und Tod
beginnt, und einer der Gefangenen mordet den andern. Blieb der Erſte Sieger, ſo macht er ſich
augenblicklich über die Leiche des Gefährten her, um ihn aufzufreſſen; ſiegte der Zweite, ſo geſchieht
Daſſelbe wenige Stunden ſpäter. Nur höchſt ſelten findet man drei Ratten zu gleicher Zeit in dieſer
Falle, am folgenden Tage aber ſicherlich immer eine weniger. Kurz, ein Gefangener frißt den andern
auf, die Grube bleibt ziemlich reinlich; aber ſie iſt eine Mordhöhle in des Wortes furchtbarſter
Bedeutung.
Weit lieblicher, anmuthiger und zierlicher, als dieſe häßlichen, langgeſchwänzten Hausdiebe,
ſind die Mäuſe, obwohl auch ſie trotz ihrer ſchmucken Geſtalt, ihres heitern und netten Weſens gar
arge Feinde des Menſchen ſind und von dieſem verfolgt werden, faſt mit demſelben Jngrimm, wie
ihre größeren und häßlicheren Verwandten. Man darf wohl ſagen, daß Jedermann eine im Käfig
Brehm, Thierleben. II. 9
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/143>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.