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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Die eigentlichen Mäuse.

Alle angenehmen Eigenschaften, welche die Hausmaus besitzt, werden leider durch ihre große
Lüsternheit und Genäschigkeit sehr beeinträchtigt. Man kann sich schwerlich ein naschhafteres Geschöpf
denken, als eine Hausmaus, welche über eine gut gespickte Speisekammer verfügen kann! Sie sucht
sich sicher immer die besten Bissen aus und beweist dadurch auch auf das schlagendste, daß bei ihr
der Sinn des Geschmackes recht gut entwickelt ist. Süßigkeiten aller Art, Milch, gute Fleischspeisen,
Käse, Fette, Früchte und Körner werden von ihr vor allen übrigen Speisen bevorzugt, und wo sie
Wahl hat, kürt sie sich unter dem Guten immer das Beste. Da kommen nun die spitzen Nage-
zähne hinzu, um sie verhaßt zu machen. Wo sie etwas Genießbares wittert; weiß sie sich einen Zu-
gang zu verschaffen, und da kommt es ihr eben nicht darauf an, eine oder mehrere Nächte angestrengt
zu arbeiten und selbst feste, starke Thüren zu durchnagen. Findet sie viel Nahrung, welche ihr be-
sonders mundet, so trägt sie sich auch noch einen Vorrath davon in ihre Schlupfwinkel und sammelt
mit der Hast eines Geizigen an der Vermehrung ihrer Schätze. "An Orten, wo sie wenig Störung
erleidet," sagt Fitzinger, "findet man zuweilen ganze Haufen von Wall- oder Haselnüssen bis zu
einer halben Elle hoch in Winkeln aufgethürmt und so regelmäßig und zierlich fest an einander ge-
schlossen und mit allerlei Abfällen von Papier oder Kleiderstoffen überdeckt, daß man hierin kaum ein
Werk der Hausmaus vermuthen möchte." Wasser säuft sie, wenn sie andere saftige Stoffe haben
kann, gar nicht und auch bei trockenem Futter nur selten. Dagegen schlürft sie mit echtem Menschen-
verstand süße Getränke aller Art mit Wollust aus. Daß sie sich, wie die Waldmaus es zuweilen
thut, auch über geistige Getränke hermacht, beweist eine Beobachtung, welche mir erst vor wenig
Tagen mitgetheilt wurde. "Etwa im Jahre 1843," so schreibt mir der Förster Herr Block, "wurde
ich einmal beim Schreiben durch ein Geräusch gestört und erblickte eine Maus, welche an den glatten
Füßen eines Tischchens emporkletterte. Bald war sie oben und suchte emsig nach den Brosamen, welche
auf dem Frühstücksteller lagen. Jn der Mitte des Tellers stand ein ganz leichtes, glockenförmiges
Schnapsgläschen, zur Hälfte mit Kümmel gefüllt. Mit einem Sprung saß das Mäuschen oben auf
dem Glase, bog sich vorn über und leckte eifrig und sprang herunter; nahm aber noch eine Gabe von
dem süßen Gifte zu sich. Durch ein Geräusch meinerseits gestört, sprang sie mit einem Satz vom
Tische herab und verschwand hinter einem Glasschrank. Jetzt mochte der Geist über sie kommen;
denn gleich darauf war sie wieder da und führte die spaßhaftesten Bewegungen aus, versuchte auch,
obwohl vergeblich, den Tisch nochmals zu ersteigen. Jch stand auf und ging auf sie zu -- ich
behelligte sie nicht; ich holte eine Katze herbei, die Maus lief auf einen Augenblick davon, war aber
gleich wieder da. Von meinem Arme herab sprang die Katze zu, und das trunkene Mäuschen hing
an den Krallen ihrer Tatze."

Der Schaden, welchen die Hausmaus durch Wegfressen verschiedener Speisevorräthe anrichtet,
ist im ganzen gering: ihre hauptsächliche Schädlichkeit beruht in dem abscheulichen Zernagen werth-
voller Gegenstände. Jn Bücher- und Naturaliensammlungen hausen die Mäuse auf die verderblichste
Weise und können, wenn ihrer Zerstörungslust nicht mit allen Kräften Einhalt gethan wird, ganz
unschätzbaren Schaden anrichten. Es scheint, daß sie manchmal aus blosem Uebermuth Etwas bena-
gen, und soviel ist sicher, daß eine Maus mehr nagt, wenn sie durstig ist, als wenn sie immer zu
trinken bekommen kann. Deshalb pflegt man ihr in Bibliotheken außer Körnern, die man für sie auf-
speichert, auch Gefäße mit Wasser hinzustellen und sie so gradezu zu speisen und zu tränken.

Die Hausmaus vermehrt sich außerordentlich stark. Sie wirft 22 bis 24 Tage nach der
Paarung vier bis sechs, nicht selten aber auch acht Junge und in Jahresfrist sicherlich fünf bis sechs
Mal, so daß die unmittelbare Nachkommenschaft eines Jahres mindestens 30 Köpfe beträgt. Eine
weiße Maus, welche Struve in der Gefangenschaft hielt, warf am 17. Mai sechs, den 6. Juni sechs,
den 3. Juli acht Junge. Sie wurde am 3. Juli vom Männchen getrennt und am 28. Juli wieder
mit ihm zusammen gethan. Nun warf sie am 21. August wieder sechs Junge, am 1. Oktober eben-
falls sechs und am 24. Oktober fünf. Während des Winters ging sie gelte. Am 17. März kamen
wieder zwei Junge zur Welt. Eins von den am 6. Juni gebornen Weibchen bekam die ersten

Die eigentlichen Mäuſe.

Alle angenehmen Eigenſchaften, welche die Hausmaus beſitzt, werden leider durch ihre große
Lüſternheit und Genäſchigkeit ſehr beeinträchtigt. Man kann ſich ſchwerlich ein naſchhafteres Geſchöpf
denken, als eine Hausmaus, welche über eine gut geſpickte Speiſekammer verfügen kann! Sie ſucht
ſich ſicher immer die beſten Biſſen aus und beweiſt dadurch auch auf das ſchlagendſte, daß bei ihr
der Sinn des Geſchmackes recht gut entwickelt iſt. Süßigkeiten aller Art, Milch, gute Fleiſchſpeiſen,
Käſe, Fette, Früchte und Körner werden von ihr vor allen übrigen Speiſen bevorzugt, und wo ſie
Wahl hat, kürt ſie ſich unter dem Guten immer das Beſte. Da kommen nun die ſpitzen Nage-
zähne hinzu, um ſie verhaßt zu machen. Wo ſie etwas Genießbares wittert; weiß ſie ſich einen Zu-
gang zu verſchaffen, und da kommt es ihr eben nicht darauf an, eine oder mehrere Nächte angeſtrengt
zu arbeiten und ſelbſt feſte, ſtarke Thüren zu durchnagen. Findet ſie viel Nahrung, welche ihr be-
ſonders mundet, ſo trägt ſie ſich auch noch einen Vorrath davon in ihre Schlupfwinkel und ſammelt
mit der Haſt eines Geizigen an der Vermehrung ihrer Schätze. „An Orten, wo ſie wenig Störung
erleidet,‟ ſagt Fitzinger, „findet man zuweilen ganze Haufen von Wall- oder Haſelnüſſen bis zu
einer halben Elle hoch in Winkeln aufgethürmt und ſo regelmäßig und zierlich feſt an einander ge-
ſchloſſen und mit allerlei Abfällen von Papier oder Kleiderſtoffen überdeckt, daß man hierin kaum ein
Werk der Hausmaus vermuthen möchte.‟ Waſſer ſäuft ſie, wenn ſie andere ſaftige Stoffe haben
kann, gar nicht und auch bei trockenem Futter nur ſelten. Dagegen ſchlürft ſie mit echtem Menſchen-
verſtand ſüße Getränke aller Art mit Wolluſt aus. Daß ſie ſich, wie die Waldmaus es zuweilen
thut, auch über geiſtige Getränke hermacht, beweiſt eine Beobachtung, welche mir erſt vor wenig
Tagen mitgetheilt wurde. „Etwa im Jahre 1843,‟ ſo ſchreibt mir der Förſter Herr Block, „wurde
ich einmal beim Schreiben durch ein Geräuſch geſtört und erblickte eine Maus, welche an den glatten
Füßen eines Tiſchchens emporkletterte. Bald war ſie oben und ſuchte emſig nach den Broſamen, welche
auf dem Frühſtücksteller lagen. Jn der Mitte des Tellers ſtand ein ganz leichtes, glockenförmiges
Schnapsgläschen, zur Hälfte mit Kümmel gefüllt. Mit einem Sprung ſaß das Mäuschen oben auf
dem Glaſe, bog ſich vorn über und leckte eifrig und ſprang herunter; nahm aber noch eine Gabe von
dem ſüßen Gifte zu ſich. Durch ein Geräuſch meinerſeits geſtört, ſprang ſie mit einem Satz vom
Tiſche herab und verſchwand hinter einem Glasſchrank. Jetzt mochte der Geiſt über ſie kommen;
denn gleich darauf war ſie wieder da und führte die ſpaßhafteſten Bewegungen aus, verſuchte auch,
obwohl vergeblich, den Tiſch nochmals zu erſteigen. Jch ſtand auf und ging auf ſie zu — ich
behelligte ſie nicht; ich holte eine Katze herbei, die Maus lief auf einen Augenblick davon, war aber
gleich wieder da. Von meinem Arme herab ſprang die Katze zu, und das trunkene Mäuschen hing
an den Krallen ihrer Tatze.‟

Der Schaden, welchen die Hausmaus durch Wegfreſſen verſchiedener Speiſevorräthe anrichtet,
iſt im ganzen gering: ihre hauptſächliche Schädlichkeit beruht in dem abſcheulichen Zernagen werth-
voller Gegenſtände. Jn Bücher- und Naturalienſammlungen hauſen die Mäuſe auf die verderblichſte
Weiſe und können, wenn ihrer Zerſtörungsluſt nicht mit allen Kräften Einhalt gethan wird, ganz
unſchätzbaren Schaden anrichten. Es ſcheint, daß ſie manchmal aus bloſem Uebermuth Etwas bena-
gen, und ſoviel iſt ſicher, daß eine Maus mehr nagt, wenn ſie durſtig iſt, als wenn ſie immer zu
trinken bekommen kann. Deshalb pflegt man ihr in Bibliotheken außer Körnern, die man für ſie auf-
ſpeichert, auch Gefäße mit Waſſer hinzuſtellen und ſie ſo gradezu zu ſpeiſen und zu tränken.

Die Hausmaus vermehrt ſich außerordentlich ſtark. Sie wirft 22 bis 24 Tage nach der
Paarung vier bis ſechs, nicht ſelten aber auch acht Junge und in Jahresfriſt ſicherlich fünf bis ſechs
Mal, ſo daß die unmittelbare Nachkommenſchaft eines Jahres mindeſtens 30 Köpfe beträgt. Eine
weiße Maus, welche Struve in der Gefangenſchaft hielt, warf am 17. Mai ſechs, den 6. Juni ſechs,
den 3. Juli acht Junge. Sie wurde am 3. Juli vom Männchen getrennt und am 28. Juli wieder
mit ihm zuſammen gethan. Nun warf ſie am 21. Auguſt wieder ſechs Junge, am 1. Oktober eben-
falls ſechs und am 24. Oktober fünf. Während des Winters ging ſie gelte. Am 17. März kamen
wieder zwei Junge zur Welt. Eins von den am 6. Juni gebornen Weibchen bekam die erſten

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[134/0148] Die eigentlichen Mäuſe. Alle angenehmen Eigenſchaften, welche die Hausmaus beſitzt, werden leider durch ihre große Lüſternheit und Genäſchigkeit ſehr beeinträchtigt. Man kann ſich ſchwerlich ein naſchhafteres Geſchöpf denken, als eine Hausmaus, welche über eine gut geſpickte Speiſekammer verfügen kann! Sie ſucht ſich ſicher immer die beſten Biſſen aus und beweiſt dadurch auch auf das ſchlagendſte, daß bei ihr der Sinn des Geſchmackes recht gut entwickelt iſt. Süßigkeiten aller Art, Milch, gute Fleiſchſpeiſen, Käſe, Fette, Früchte und Körner werden von ihr vor allen übrigen Speiſen bevorzugt, und wo ſie Wahl hat, kürt ſie ſich unter dem Guten immer das Beſte. Da kommen nun die ſpitzen Nage- zähne hinzu, um ſie verhaßt zu machen. Wo ſie etwas Genießbares wittert; weiß ſie ſich einen Zu- gang zu verſchaffen, und da kommt es ihr eben nicht darauf an, eine oder mehrere Nächte angeſtrengt zu arbeiten und ſelbſt feſte, ſtarke Thüren zu durchnagen. Findet ſie viel Nahrung, welche ihr be- ſonders mundet, ſo trägt ſie ſich auch noch einen Vorrath davon in ihre Schlupfwinkel und ſammelt mit der Haſt eines Geizigen an der Vermehrung ihrer Schätze. „An Orten, wo ſie wenig Störung erleidet,‟ ſagt Fitzinger, „findet man zuweilen ganze Haufen von Wall- oder Haſelnüſſen bis zu einer halben Elle hoch in Winkeln aufgethürmt und ſo regelmäßig und zierlich feſt an einander ge- ſchloſſen und mit allerlei Abfällen von Papier oder Kleiderſtoffen überdeckt, daß man hierin kaum ein Werk der Hausmaus vermuthen möchte.‟ Waſſer ſäuft ſie, wenn ſie andere ſaftige Stoffe haben kann, gar nicht und auch bei trockenem Futter nur ſelten. Dagegen ſchlürft ſie mit echtem Menſchen- verſtand ſüße Getränke aller Art mit Wolluſt aus. Daß ſie ſich, wie die Waldmaus es zuweilen thut, auch über geiſtige Getränke hermacht, beweiſt eine Beobachtung, welche mir erſt vor wenig Tagen mitgetheilt wurde. „Etwa im Jahre 1843,‟ ſo ſchreibt mir der Förſter Herr Block, „wurde ich einmal beim Schreiben durch ein Geräuſch geſtört und erblickte eine Maus, welche an den glatten Füßen eines Tiſchchens emporkletterte. Bald war ſie oben und ſuchte emſig nach den Broſamen, welche auf dem Frühſtücksteller lagen. Jn der Mitte des Tellers ſtand ein ganz leichtes, glockenförmiges Schnapsgläschen, zur Hälfte mit Kümmel gefüllt. Mit einem Sprung ſaß das Mäuschen oben auf dem Glaſe, bog ſich vorn über und leckte eifrig und ſprang herunter; nahm aber noch eine Gabe von dem ſüßen Gifte zu ſich. Durch ein Geräuſch meinerſeits geſtört, ſprang ſie mit einem Satz vom Tiſche herab und verſchwand hinter einem Glasſchrank. Jetzt mochte der Geiſt über ſie kommen; denn gleich darauf war ſie wieder da und führte die ſpaßhafteſten Bewegungen aus, verſuchte auch, obwohl vergeblich, den Tiſch nochmals zu erſteigen. Jch ſtand auf und ging auf ſie zu — ich behelligte ſie nicht; ich holte eine Katze herbei, die Maus lief auf einen Augenblick davon, war aber gleich wieder da. Von meinem Arme herab ſprang die Katze zu, und das trunkene Mäuschen hing an den Krallen ihrer Tatze.‟ Der Schaden, welchen die Hausmaus durch Wegfreſſen verſchiedener Speiſevorräthe anrichtet, iſt im ganzen gering: ihre hauptſächliche Schädlichkeit beruht in dem abſcheulichen Zernagen werth- voller Gegenſtände. Jn Bücher- und Naturalienſammlungen hauſen die Mäuſe auf die verderblichſte Weiſe und können, wenn ihrer Zerſtörungsluſt nicht mit allen Kräften Einhalt gethan wird, ganz unſchätzbaren Schaden anrichten. Es ſcheint, daß ſie manchmal aus bloſem Uebermuth Etwas bena- gen, und ſoviel iſt ſicher, daß eine Maus mehr nagt, wenn ſie durſtig iſt, als wenn ſie immer zu trinken bekommen kann. Deshalb pflegt man ihr in Bibliotheken außer Körnern, die man für ſie auf- ſpeichert, auch Gefäße mit Waſſer hinzuſtellen und ſie ſo gradezu zu ſpeiſen und zu tränken. Die Hausmaus vermehrt ſich außerordentlich ſtark. Sie wirft 22 bis 24 Tage nach der Paarung vier bis ſechs, nicht ſelten aber auch acht Junge und in Jahresfriſt ſicherlich fünf bis ſechs Mal, ſo daß die unmittelbare Nachkommenſchaft eines Jahres mindeſtens 30 Köpfe beträgt. Eine weiße Maus, welche Struve in der Gefangenſchaft hielt, warf am 17. Mai ſechs, den 6. Juni ſechs, den 3. Juli acht Junge. Sie wurde am 3. Juli vom Männchen getrennt und am 28. Juli wieder mit ihm zuſammen gethan. Nun warf ſie am 21. Auguſt wieder ſechs Junge, am 1. Oktober eben- falls ſechs und am 24. Oktober fünf. Während des Winters ging ſie gelte. Am 17. März kamen wieder zwei Junge zur Welt. Eins von den am 6. Juni gebornen Weibchen bekam die erſten

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/148>, abgerufen am 27.11.2024.