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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Die Wald- und Feldmaus.
Jungen, und zwar gleich vier, am 18. Juni. Hieraus erklärt sich die massenhafte Vermehrung des
Thieres trotz seiner Unzahl von Feinden. Die Mutter schlägt ihr Wochenbett in jedem Winkel auf,
welcher ihr eine weiche Unterlage bietet und einigermaßen Sicherheit gewährt. Nicht selten findet
man ihr Nest in ausgehöhltem Brod, Kohlrüben, in Taschen, in Todtenköpfen, ja selbst in Mause-
fallen. Gewöhnlich ist es aus Stroh, Heu, Papier, Federn und anderen weichen Stoffen sorgfältig
zusammengeschleppt, doch kommt es auch vor, daß blos Holzspäne oder selbst Nußschalen die Unter-
lage abgeben müssen. Die Jungen sind, wenn sie zur Welt kommen, außerordentlich klein und förm-
lich durchsichtig, namentlich die von Weißlingen; sie wachsen aber sehr rasch heran, bekommen zwischen
dem siebenten und achten Tag Haare, öffnen aber erst am 13. Tage die Augen. Nun bleiben sie nur
noch ein paar Tage im Neste; dann gehen sie selbständig auf Nahrungserwerb aus. Die Alte behan-
delt sie mit großer Zärtlichkeit und gibt sich ihrethalber selbst Gefahren preis. Weinland erzählt
ein rührendes Beispiel ihrer Mutterliebe. "Jn dem weichen Bette, welches eine Hausmaus ihren
Jungen bereitet hatte, entdeckte man sie und ihre neun Kinder. Die Alte konnte entrinnen, aber sie
macht keine Bewegung zur Flucht! Man schiebt die Jungen auf eine Schaufel und die Alte mit ihnen
-- sie rührt sich nicht. Man trägt sie frei auf der Schaufel fort, mehrere Treppen hinunter, bis
in den Hof, und sie harrt bei ihren Kindern aus -- zu ihrem Verderben!"

Der schlimmste aller Feinde der Hausmaus ist und bleibt die Katze. Jn alten Gebäuden hilft
die Eule dem Vierfüßler treulich mit, und auf dem Lande leisten Jltis und Wiesel, Jgel und
Spitzmaus recht gute Dienste; denn so klein auch die letztere ist, so eifrig liegt sie der Jagd auf
die ihr gegenüber weit schwächeren Nager ob.

Wald- und Feldmaus theilen die meisten Eigenschaften der Hausmaus. Erstgenannte
ist durch ganz Europa verbreitet, etwa mit Ausnahme der hochnordischen Gegenden; im Gebirge
steigt sie bis 6000 Fuß über das Meer empor. Sie lebt in Wäldern, an Waldrändern, in Gärten,
seltener auch in weiten, baumleeren Feldern und kommt im Winter gern in Häuser, Keller und
Speisekammern, steigt aber baldmöglichst nach oben hinauf und treibt sich in Bodenkammern und
unter den Dächern herum. Jn ihren Bewegungen ist sie ebenso gewandt, wie die Hausmaus, und
die Nahrung theilt sie so ziemlich auch mit ihr. Jm Freien frißt sie gern Kerbthiere und Würmer,
selbst kleine Vögel oder Obst, Kirschkerne, Nüsse, Eicheln, Bucheckern und in der Noth wohl auch die
Rinde junger Bäume. Sie trägt sich ebenfalls einen Wintervorrath ein, hält aber keinen Winterschlaf
und nascht blos an trüben Tagen von ihren aufgespeicherten Schätzen. Jm Hause bringt sie oft recht
empfindlichen Schaden und hat ganz eigene Gelüste. Sie dringt in der Nacht in Käfige und tödtet in
ihnen Kanarienvögel, Lerchen, Finken u. s. w. Häuschen von Leckerbissen, welche sie nicht gut weg-
schleppen kann, bedeckt sie mit Hälmchen, Papierstückchen und dgl. Von ihrem guten Geschmack
erzählt Lenz ein hübsches Beispiel. Eine seiner Schwestern hörte abends im Keller ein ganz eigenes,
fingendes Piepen, suchte mit der Laterne und fand eine Waldmaus, welche neben einer Flasche
Malaga saß, der Hereinkommenden freundlich und ohne Scheu ins Gesicht sah und sich in ihrem
Gesang dabei gar nicht stören ließ. Die junge Dame ging fort, holte Hilfe; es wurde mit Heeres-
macht in den Keller gezogen; die Maus war mit ihrem Liedchen noch nicht fertig, blieb ruhig sitzen
und war sehr verwundert, als sie mit einer eisernen Zange beim Schopfe gefaßt wurde. Bei weiterer
Untersuchung fand sich nun, daß die Flasche etwas auslief, und daß um den Fleck, wo die Tropfen
herumliefen, ein ganzer Kranz von Mäusemist lag, woraus der Schluß gezogen wurde, daß die hier
als Trunkenbold verhaftete Maus hier schon länger ihre Gelage gefeiert haben mochte.

Die Waldmaus wirft jährlich zwei oder drei Mal vier bis sechs, seltener auch acht nackte Junge,
welche ziemlich langsam wachsen und den schönen, rein rothgelben Anflug des Pelzes erst im zweiten
Jahre erhalten.

Die Brandmaus ist auf einen geringeren Verbreitungskreis beschränkt, als die verwandten

Die Wald- und Feldmaus.
Jungen, und zwar gleich vier, am 18. Juni. Hieraus erklärt ſich die maſſenhafte Vermehrung des
Thieres trotz ſeiner Unzahl von Feinden. Die Mutter ſchlägt ihr Wochenbett in jedem Winkel auf,
welcher ihr eine weiche Unterlage bietet und einigermaßen Sicherheit gewährt. Nicht ſelten findet
man ihr Neſt in ausgehöhltem Brod, Kohlrüben, in Taſchen, in Todtenköpfen, ja ſelbſt in Mauſe-
fallen. Gewöhnlich iſt es aus Stroh, Heu, Papier, Federn und anderen weichen Stoffen ſorgfältig
zuſammengeſchleppt, doch kommt es auch vor, daß blos Holzſpäne oder ſelbſt Nußſchalen die Unter-
lage abgeben müſſen. Die Jungen ſind, wenn ſie zur Welt kommen, außerordentlich klein und förm-
lich durchſichtig, namentlich die von Weißlingen; ſie wachſen aber ſehr raſch heran, bekommen zwiſchen
dem ſiebenten und achten Tag Haare, öffnen aber erſt am 13. Tage die Augen. Nun bleiben ſie nur
noch ein paar Tage im Neſte; dann gehen ſie ſelbſtändig auf Nahrungserwerb aus. Die Alte behan-
delt ſie mit großer Zärtlichkeit und gibt ſich ihrethalber ſelbſt Gefahren preis. Weinland erzählt
ein rührendes Beiſpiel ihrer Mutterliebe. „Jn dem weichen Bette, welches eine Hausmaus ihren
Jungen bereitet hatte, entdeckte man ſie und ihre neun Kinder. Die Alte konnte entrinnen, aber ſie
macht keine Bewegung zur Flucht! Man ſchiebt die Jungen auf eine Schaufel und die Alte mit ihnen
— ſie rührt ſich nicht. Man trägt ſie frei auf der Schaufel fort, mehrere Treppen hinunter, bis
in den Hof, und ſie harrt bei ihren Kindern aus — zu ihrem Verderben!‟

Der ſchlimmſte aller Feinde der Hausmaus iſt und bleibt die Katze. Jn alten Gebäuden hilft
die Eule dem Vierfüßler treulich mit, und auf dem Lande leiſten Jltis und Wieſel, Jgel und
Spitzmaus recht gute Dienſte; denn ſo klein auch die letztere iſt, ſo eifrig liegt ſie der Jagd auf
die ihr gegenüber weit ſchwächeren Nager ob.

Wald- und Feldmaus theilen die meiſten Eigenſchaften der Hausmaus. Erſtgenannte
iſt durch ganz Europa verbreitet, etwa mit Ausnahme der hochnordiſchen Gegenden; im Gebirge
ſteigt ſie bis 6000 Fuß über das Meer empor. Sie lebt in Wäldern, an Waldrändern, in Gärten,
ſeltener auch in weiten, baumleeren Feldern und kommt im Winter gern in Häuſer, Keller und
Speiſekammern, ſteigt aber baldmöglichſt nach oben hinauf und treibt ſich in Bodenkammern und
unter den Dächern herum. Jn ihren Bewegungen iſt ſie ebenſo gewandt, wie die Hausmaus, und
die Nahrung theilt ſie ſo ziemlich auch mit ihr. Jm Freien frißt ſie gern Kerbthiere und Würmer,
ſelbſt kleine Vögel oder Obſt, Kirſchkerne, Nüſſe, Eicheln, Bucheckern und in der Noth wohl auch die
Rinde junger Bäume. Sie trägt ſich ebenfalls einen Wintervorrath ein, hält aber keinen Winterſchlaf
und naſcht blos an trüben Tagen von ihren aufgeſpeicherten Schätzen. Jm Hauſe bringt ſie oft recht
empfindlichen Schaden und hat ganz eigene Gelüſte. Sie dringt in der Nacht in Käfige und tödtet in
ihnen Kanarienvögel, Lerchen, Finken u. ſ. w. Häuſchen von Leckerbiſſen, welche ſie nicht gut weg-
ſchleppen kann, bedeckt ſie mit Hälmchen, Papierſtückchen und dgl. Von ihrem guten Geſchmack
erzählt Lenz ein hübſches Beiſpiel. Eine ſeiner Schweſtern hörte abends im Keller ein ganz eigenes,
fingendes Piepen, ſuchte mit der Laterne und fand eine Waldmaus, welche neben einer Flaſche
Malaga ſaß, der Hereinkommenden freundlich und ohne Scheu ins Geſicht ſah und ſich in ihrem
Geſang dabei gar nicht ſtören ließ. Die junge Dame ging fort, holte Hilfe; es wurde mit Heeres-
macht in den Keller gezogen; die Maus war mit ihrem Liedchen noch nicht fertig, blieb ruhig ſitzen
und war ſehr verwundert, als ſie mit einer eiſernen Zange beim Schopfe gefaßt wurde. Bei weiterer
Unterſuchung fand ſich nun, daß die Flaſche etwas auslief, und daß um den Fleck, wo die Tropfen
herumliefen, ein ganzer Kranz von Mäuſemiſt lag, woraus der Schluß gezogen wurde, daß die hier
als Trunkenbold verhaftete Maus hier ſchon länger ihre Gelage gefeiert haben mochte.

Die Waldmaus wirft jährlich zwei oder drei Mal vier bis ſechs, ſeltener auch acht nackte Junge,
welche ziemlich langſam wachſen und den ſchönen, rein rothgelben Anflug des Pelzes erſt im zweiten
Jahre erhalten.

Die Brandmaus iſt auf einen geringeren Verbreitungskreis beſchränkt, als die verwandten

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[135/0149] Die Wald- und Feldmaus. Jungen, und zwar gleich vier, am 18. Juni. Hieraus erklärt ſich die maſſenhafte Vermehrung des Thieres trotz ſeiner Unzahl von Feinden. Die Mutter ſchlägt ihr Wochenbett in jedem Winkel auf, welcher ihr eine weiche Unterlage bietet und einigermaßen Sicherheit gewährt. Nicht ſelten findet man ihr Neſt in ausgehöhltem Brod, Kohlrüben, in Taſchen, in Todtenköpfen, ja ſelbſt in Mauſe- fallen. Gewöhnlich iſt es aus Stroh, Heu, Papier, Federn und anderen weichen Stoffen ſorgfältig zuſammengeſchleppt, doch kommt es auch vor, daß blos Holzſpäne oder ſelbſt Nußſchalen die Unter- lage abgeben müſſen. Die Jungen ſind, wenn ſie zur Welt kommen, außerordentlich klein und förm- lich durchſichtig, namentlich die von Weißlingen; ſie wachſen aber ſehr raſch heran, bekommen zwiſchen dem ſiebenten und achten Tag Haare, öffnen aber erſt am 13. Tage die Augen. Nun bleiben ſie nur noch ein paar Tage im Neſte; dann gehen ſie ſelbſtändig auf Nahrungserwerb aus. Die Alte behan- delt ſie mit großer Zärtlichkeit und gibt ſich ihrethalber ſelbſt Gefahren preis. Weinland erzählt ein rührendes Beiſpiel ihrer Mutterliebe. „Jn dem weichen Bette, welches eine Hausmaus ihren Jungen bereitet hatte, entdeckte man ſie und ihre neun Kinder. Die Alte konnte entrinnen, aber ſie macht keine Bewegung zur Flucht! Man ſchiebt die Jungen auf eine Schaufel und die Alte mit ihnen — ſie rührt ſich nicht. Man trägt ſie frei auf der Schaufel fort, mehrere Treppen hinunter, bis in den Hof, und ſie harrt bei ihren Kindern aus — zu ihrem Verderben!‟ Der ſchlimmſte aller Feinde der Hausmaus iſt und bleibt die Katze. Jn alten Gebäuden hilft die Eule dem Vierfüßler treulich mit, und auf dem Lande leiſten Jltis und Wieſel, Jgel und Spitzmaus recht gute Dienſte; denn ſo klein auch die letztere iſt, ſo eifrig liegt ſie der Jagd auf die ihr gegenüber weit ſchwächeren Nager ob. Wald- und Feldmaus theilen die meiſten Eigenſchaften der Hausmaus. Erſtgenannte iſt durch ganz Europa verbreitet, etwa mit Ausnahme der hochnordiſchen Gegenden; im Gebirge ſteigt ſie bis 6000 Fuß über das Meer empor. Sie lebt in Wäldern, an Waldrändern, in Gärten, ſeltener auch in weiten, baumleeren Feldern und kommt im Winter gern in Häuſer, Keller und Speiſekammern, ſteigt aber baldmöglichſt nach oben hinauf und treibt ſich in Bodenkammern und unter den Dächern herum. Jn ihren Bewegungen iſt ſie ebenſo gewandt, wie die Hausmaus, und die Nahrung theilt ſie ſo ziemlich auch mit ihr. Jm Freien frißt ſie gern Kerbthiere und Würmer, ſelbſt kleine Vögel oder Obſt, Kirſchkerne, Nüſſe, Eicheln, Bucheckern und in der Noth wohl auch die Rinde junger Bäume. Sie trägt ſich ebenfalls einen Wintervorrath ein, hält aber keinen Winterſchlaf und naſcht blos an trüben Tagen von ihren aufgeſpeicherten Schätzen. Jm Hauſe bringt ſie oft recht empfindlichen Schaden und hat ganz eigene Gelüſte. Sie dringt in der Nacht in Käfige und tödtet in ihnen Kanarienvögel, Lerchen, Finken u. ſ. w. Häuſchen von Leckerbiſſen, welche ſie nicht gut weg- ſchleppen kann, bedeckt ſie mit Hälmchen, Papierſtückchen und dgl. Von ihrem guten Geſchmack erzählt Lenz ein hübſches Beiſpiel. Eine ſeiner Schweſtern hörte abends im Keller ein ganz eigenes, fingendes Piepen, ſuchte mit der Laterne und fand eine Waldmaus, welche neben einer Flaſche Malaga ſaß, der Hereinkommenden freundlich und ohne Scheu ins Geſicht ſah und ſich in ihrem Geſang dabei gar nicht ſtören ließ. Die junge Dame ging fort, holte Hilfe; es wurde mit Heeres- macht in den Keller gezogen; die Maus war mit ihrem Liedchen noch nicht fertig, blieb ruhig ſitzen und war ſehr verwundert, als ſie mit einer eiſernen Zange beim Schopfe gefaßt wurde. Bei weiterer Unterſuchung fand ſich nun, daß die Flaſche etwas auslief, und daß um den Fleck, wo die Tropfen herumliefen, ein ganzer Kranz von Mäuſemiſt lag, woraus der Schluß gezogen wurde, daß die hier als Trunkenbold verhaftete Maus hier ſchon länger ihre Gelage gefeiert haben mochte. Die Waldmaus wirft jährlich zwei oder drei Mal vier bis ſechs, ſeltener auch acht nackte Junge, welche ziemlich langſam wachſen und den ſchönen, rein rothgelben Anflug des Pelzes erſt im zweiten Jahre erhalten. Die Brandmaus iſt auf einen geringeren Verbreitungskreis beſchränkt, als die verwandten

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/149>, abgerufen am 12.05.2024.