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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Die eigentlichen Mäuse.
Arten; sie lebt zwischen dem Rhein und Westsibirien, Nord-Holstein und der Lombardei. Jn Mittel-
deutschland ist sie überall gemein; im Hochgebirge fehlt sie. Jhre Aufenthaltsorte sind Ackerfelder,
Waldränder, lichte Gebüsche und im Winter die Getreidefeime oder die Scheuern und Ställe; auch
lebt sie in Erdlöchern. Beim Mähen des Getreides sieht man sie im Herbste scharenweise über die
Stoppeln flüchten. Pallas erzählt, daß sie in Sibirien zuweilen regellose Wanderungen anstellen.
Jn ihren Bewegungen ist sie ungeschickter, in ihrem Wesen weit gutmüthiger oder dümmer, als ihre
Verwandten. Jhre Nahrung besteht hauptsächlich aus Getreide, Sämereien, Pflanzen, Knollen,
Kerbthieren und Würmern. Sie trägt sich ebenfalls Vorräthe ein. Jm Sommer wirft sie drei bis
vier Mal zwischen vier und acht Junge, welche, wie die der Waldmaus, erst im folgenden Jahre voll-
ständig ausgefärbt sind. Ueber ihre Fortpflanzung erzählt Lenz Folgendes: "Vor nicht langer Zeit
nahm ich ein Brandmausweibchen nebst seinen Jungen, die eben zu sehen begannen, in die Stube,
that die Familie ganz allein in ein wohl verwahrtes Behältniß und fütterte sie gut. Die Alte machte
sich ein Nestchen und säugte darin ihre Jungen sehr eifrig. Funfzehn Tage nach dem, wo die
Familie eingefangen und eingesperrt worden war, als eben die Jungen selbständig zu werden be-
gannen, heckte die Alte unvermuthet wieder sieben Junge, mußte sich also schon im Freien, nachdem
sie die vorigen geheckt, wieder gepaart haben. Lustig war es mit anzusehen, wenn ich die alte Brand-
maus, während sie die Jungen säugte, so störte, daß sie weglief. Die Jungen, welche gerade an
ihren Zitzen hingen, blieben dann daran, sie mochte so schnell laufen, wie sie wollte, und sie kam mit
der immer bedeutenden Last doch immer schnell vom Flecke. Jch habe auch im Freien Mäuse gesehen,
welche ihre Jungen, wenn ich sie störte, so wegschafften."

Die Feinde der beiden genannten Mäusearten sind dieselben, welche die Hausmaus hat. Ueber
ihre Vertilgung will ich hier nicht weiter reden, sondern die hierauf bezüglichen Angaben mir bis zur
Feldmaus aufsparen. --

So schmuck und nett alle kleinen Mäuse sind, so allerliebst sie sich in der Gefangenschaft be-
tragen: das kleinste Mitglied der Familie, die Zwergmaus (Mus minutus) übertrifft jene doch in
jeder Hinsicht. Sie ist beweglicher, geschickter, munterer, kurz ein viel anmuthigeres Thierchen, als
alle übrigen. Jhre Länge beträgt blos fünf Zoll und davon kommen auch noch 2 1/3 Zoll auf das
Schwänzchen, so daß der eigentliche Körper nur 2 2/3 Zoll lang ist. Die Höhe am Widerrist beträgt
nur einen Zoll; das Gewicht schwankt zwischen ein und zwei Quentchen. Die Zwergmaus verdient
also ihren Namen; es gibt ja auch nur ein einziges Sängethier, die uns schon bekannte Zwergspitz-
maus,
welche noch kleiner ist, als sie selbst.

Ganz wunderbar im Verhältniß zu dieser geringen Größe ist die auffallende Verbreitung des
lieblichen Thierchens. -- Von jeher hat die Zwergmaus den Thierkundigen viel Kopfzerbrechen gemacht.
Pallas entdeckte sie in Sibirien, beschrieb sie genau und bildete sie auch ganz gut ab; aber fast
jeder Forscher nach ihm, dem sie in die Hände kam, stellte sie als eine neue Art auf, und jeder
glaubte in seinem Rechte zu sein. Allerdings wechselt die Pelzfärbung der Zwergmaus nicht unbe-
trächtlich ab. Gewöhnlich ist sie zweifarbig, die Oberseite des Körpers und der Schwanz gelblich-
braunroth, die Unterseite und die Füße scharf abgesetzt weiß; nun aber kommen dunklere und hellere,
röthlichere und bräunlichere, grauere und gelbere vor; die Unterseite steht nicht so scharf im Gegensatz
mit der oberen; junge Thiere haben andere Körperverhältnisse, als die alten, und noch eine ganz
andere Leibesfärbung, nämlich viel mehr grau auf der Oberseite: kurz, diese Verschiedenheit kann
den nicht sehr sorgfältig prüfenden Forscher schon verwirren. Außerdem erschien es ja auch zu wun-
derbar, daß ein Thier, welches in Sibirien entdeckt wurde, in Deutschland leben sollte! Aber die
fortgesetzte Beobachtung ergab als unumstößliche Wahrheit, daß unser Zwerglein wirklich von Sibi-
rien an durch ganz Rußland, Ungarn, Polen und Deutschland bis nach Frankreich, England und
Jtalien reicht, und jetzt wird allgemein angenommen, daß sie nur ausnahmsweise in manchen Ge-
genden nicht vorkommt. Sie findet sich eigentlich in allen Ebenen, wo der Ackerbau blüht, und

Die eigentlichen Mäuſe.
Arten; ſie lebt zwiſchen dem Rhein und Weſtſibirien, Nord-Holſtein und der Lombardei. Jn Mittel-
deutſchland iſt ſie überall gemein; im Hochgebirge fehlt ſie. Jhre Aufenthaltsorte ſind Ackerfelder,
Waldränder, lichte Gebüſche und im Winter die Getreidefeime oder die Scheuern und Ställe; auch
lebt ſie in Erdlöchern. Beim Mähen des Getreides ſieht man ſie im Herbſte ſcharenweiſe über die
Stoppeln flüchten. Pallas erzählt, daß ſie in Sibirien zuweilen regelloſe Wanderungen anſtellen.
Jn ihren Bewegungen iſt ſie ungeſchickter, in ihrem Weſen weit gutmüthiger oder dümmer, als ihre
Verwandten. Jhre Nahrung beſteht hauptſächlich aus Getreide, Sämereien, Pflanzen, Knollen,
Kerbthieren und Würmern. Sie trägt ſich ebenfalls Vorräthe ein. Jm Sommer wirft ſie drei bis
vier Mal zwiſchen vier und acht Junge, welche, wie die der Waldmaus, erſt im folgenden Jahre voll-
ſtändig ausgefärbt ſind. Ueber ihre Fortpflanzung erzählt Lenz Folgendes: „Vor nicht langer Zeit
nahm ich ein Brandmausweibchen nebſt ſeinen Jungen, die eben zu ſehen begannen, in die Stube,
that die Familie ganz allein in ein wohl verwahrtes Behältniß und fütterte ſie gut. Die Alte machte
ſich ein Neſtchen und ſäugte darin ihre Jungen ſehr eifrig. Funfzehn Tage nach dem, wo die
Familie eingefangen und eingeſperrt worden war, als eben die Jungen ſelbſtändig zu werden be-
gannen, heckte die Alte unvermuthet wieder ſieben Junge, mußte ſich alſo ſchon im Freien, nachdem
ſie die vorigen geheckt, wieder gepaart haben. Luſtig war es mit anzuſehen, wenn ich die alte Brand-
maus, während ſie die Jungen ſäugte, ſo ſtörte, daß ſie weglief. Die Jungen, welche gerade an
ihren Zitzen hingen, blieben dann daran, ſie mochte ſo ſchnell laufen, wie ſie wollte, und ſie kam mit
der immer bedeutenden Laſt doch immer ſchnell vom Flecke. Jch habe auch im Freien Mäuſe geſehen,
welche ihre Jungen, wenn ich ſie ſtörte, ſo wegſchafften.‟

Die Feinde der beiden genannten Mäuſearten ſind dieſelben, welche die Hausmaus hat. Ueber
ihre Vertilgung will ich hier nicht weiter reden, ſondern die hierauf bezüglichen Angaben mir bis zur
Feldmaus aufſparen. —

So ſchmuck und nett alle kleinen Mäuſe ſind, ſo allerliebſt ſie ſich in der Gefangenſchaft be-
tragen: das kleinſte Mitglied der Familie, die Zwergmaus (Mus minutus) übertrifft jene doch in
jeder Hinſicht. Sie iſt beweglicher, geſchickter, munterer, kurz ein viel anmuthigeres Thierchen, als
alle übrigen. Jhre Länge beträgt blos fünf Zoll und davon kommen auch noch 2⅓ Zoll auf das
Schwänzchen, ſo daß der eigentliche Körper nur 2⅔ Zoll lang iſt. Die Höhe am Widerriſt beträgt
nur einen Zoll; das Gewicht ſchwankt zwiſchen ein und zwei Quentchen. Die Zwergmaus verdient
alſo ihren Namen; es gibt ja auch nur ein einziges Sängethier, die uns ſchon bekannte Zwergſpitz-
maus,
welche noch kleiner iſt, als ſie ſelbſt.

Ganz wunderbar im Verhältniß zu dieſer geringen Größe iſt die auffallende Verbreitung des
lieblichen Thierchens. — Von jeher hat die Zwergmaus den Thierkundigen viel Kopfzerbrechen gemacht.
Pallas entdeckte ſie in Sibirien, beſchrieb ſie genau und bildete ſie auch ganz gut ab; aber faſt
jeder Forſcher nach ihm, dem ſie in die Hände kam, ſtellte ſie als eine neue Art auf, und jeder
glaubte in ſeinem Rechte zu ſein. Allerdings wechſelt die Pelzfärbung der Zwergmaus nicht unbe-
trächtlich ab. Gewöhnlich iſt ſie zweifarbig, die Oberſeite des Körpers und der Schwanz gelblich-
braunroth, die Unterſeite und die Füße ſcharf abgeſetzt weiß; nun aber kommen dunklere und hellere,
röthlichere und bräunlichere, grauere und gelbere vor; die Unterſeite ſteht nicht ſo ſcharf im Gegenſatz
mit der oberen; junge Thiere haben andere Körperverhältniſſe, als die alten, und noch eine ganz
andere Leibesfärbung, nämlich viel mehr grau auf der Oberſeite: kurz, dieſe Verſchiedenheit kann
den nicht ſehr ſorgfältig prüfenden Forſcher ſchon verwirren. Außerdem erſchien es ja auch zu wun-
derbar, daß ein Thier, welches in Sibirien entdeckt wurde, in Deutſchland leben ſollte! Aber die
fortgeſetzte Beobachtung ergab als unumſtößliche Wahrheit, daß unſer Zwerglein wirklich von Sibi-
rien an durch ganz Rußland, Ungarn, Polen und Deutſchland bis nach Frankreich, England und
Jtalien reicht, und jetzt wird allgemein angenommen, daß ſie nur ausnahmsweiſe in manchen Ge-
genden nicht vorkommt. Sie findet ſich eigentlich in allen Ebenen, wo der Ackerbau blüht, und

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[136/0150] Die eigentlichen Mäuſe. Arten; ſie lebt zwiſchen dem Rhein und Weſtſibirien, Nord-Holſtein und der Lombardei. Jn Mittel- deutſchland iſt ſie überall gemein; im Hochgebirge fehlt ſie. Jhre Aufenthaltsorte ſind Ackerfelder, Waldränder, lichte Gebüſche und im Winter die Getreidefeime oder die Scheuern und Ställe; auch lebt ſie in Erdlöchern. Beim Mähen des Getreides ſieht man ſie im Herbſte ſcharenweiſe über die Stoppeln flüchten. Pallas erzählt, daß ſie in Sibirien zuweilen regelloſe Wanderungen anſtellen. Jn ihren Bewegungen iſt ſie ungeſchickter, in ihrem Weſen weit gutmüthiger oder dümmer, als ihre Verwandten. Jhre Nahrung beſteht hauptſächlich aus Getreide, Sämereien, Pflanzen, Knollen, Kerbthieren und Würmern. Sie trägt ſich ebenfalls Vorräthe ein. Jm Sommer wirft ſie drei bis vier Mal zwiſchen vier und acht Junge, welche, wie die der Waldmaus, erſt im folgenden Jahre voll- ſtändig ausgefärbt ſind. Ueber ihre Fortpflanzung erzählt Lenz Folgendes: „Vor nicht langer Zeit nahm ich ein Brandmausweibchen nebſt ſeinen Jungen, die eben zu ſehen begannen, in die Stube, that die Familie ganz allein in ein wohl verwahrtes Behältniß und fütterte ſie gut. Die Alte machte ſich ein Neſtchen und ſäugte darin ihre Jungen ſehr eifrig. Funfzehn Tage nach dem, wo die Familie eingefangen und eingeſperrt worden war, als eben die Jungen ſelbſtändig zu werden be- gannen, heckte die Alte unvermuthet wieder ſieben Junge, mußte ſich alſo ſchon im Freien, nachdem ſie die vorigen geheckt, wieder gepaart haben. Luſtig war es mit anzuſehen, wenn ich die alte Brand- maus, während ſie die Jungen ſäugte, ſo ſtörte, daß ſie weglief. Die Jungen, welche gerade an ihren Zitzen hingen, blieben dann daran, ſie mochte ſo ſchnell laufen, wie ſie wollte, und ſie kam mit der immer bedeutenden Laſt doch immer ſchnell vom Flecke. Jch habe auch im Freien Mäuſe geſehen, welche ihre Jungen, wenn ich ſie ſtörte, ſo wegſchafften.‟ Die Feinde der beiden genannten Mäuſearten ſind dieſelben, welche die Hausmaus hat. Ueber ihre Vertilgung will ich hier nicht weiter reden, ſondern die hierauf bezüglichen Angaben mir bis zur Feldmaus aufſparen. — So ſchmuck und nett alle kleinen Mäuſe ſind, ſo allerliebſt ſie ſich in der Gefangenſchaft be- tragen: das kleinſte Mitglied der Familie, die Zwergmaus (Mus minutus) übertrifft jene doch in jeder Hinſicht. Sie iſt beweglicher, geſchickter, munterer, kurz ein viel anmuthigeres Thierchen, als alle übrigen. Jhre Länge beträgt blos fünf Zoll und davon kommen auch noch 2⅓ Zoll auf das Schwänzchen, ſo daß der eigentliche Körper nur 2⅔ Zoll lang iſt. Die Höhe am Widerriſt beträgt nur einen Zoll; das Gewicht ſchwankt zwiſchen ein und zwei Quentchen. Die Zwergmaus verdient alſo ihren Namen; es gibt ja auch nur ein einziges Sängethier, die uns ſchon bekannte Zwergſpitz- maus, welche noch kleiner iſt, als ſie ſelbſt. Ganz wunderbar im Verhältniß zu dieſer geringen Größe iſt die auffallende Verbreitung des lieblichen Thierchens. — Von jeher hat die Zwergmaus den Thierkundigen viel Kopfzerbrechen gemacht. Pallas entdeckte ſie in Sibirien, beſchrieb ſie genau und bildete ſie auch ganz gut ab; aber faſt jeder Forſcher nach ihm, dem ſie in die Hände kam, ſtellte ſie als eine neue Art auf, und jeder glaubte in ſeinem Rechte zu ſein. Allerdings wechſelt die Pelzfärbung der Zwergmaus nicht unbe- trächtlich ab. Gewöhnlich iſt ſie zweifarbig, die Oberſeite des Körpers und der Schwanz gelblich- braunroth, die Unterſeite und die Füße ſcharf abgeſetzt weiß; nun aber kommen dunklere und hellere, röthlichere und bräunlichere, grauere und gelbere vor; die Unterſeite ſteht nicht ſo ſcharf im Gegenſatz mit der oberen; junge Thiere haben andere Körperverhältniſſe, als die alten, und noch eine ganz andere Leibesfärbung, nämlich viel mehr grau auf der Oberſeite: kurz, dieſe Verſchiedenheit kann den nicht ſehr ſorgfältig prüfenden Forſcher ſchon verwirren. Außerdem erſchien es ja auch zu wun- derbar, daß ein Thier, welches in Sibirien entdeckt wurde, in Deutſchland leben ſollte! Aber die fortgeſetzte Beobachtung ergab als unumſtößliche Wahrheit, daß unſer Zwerglein wirklich von Sibi- rien an durch ganz Rußland, Ungarn, Polen und Deutſchland bis nach Frankreich, England und Jtalien reicht, und jetzt wird allgemein angenommen, daß ſie nur ausnahmsweiſe in manchen Ge- genden nicht vorkommt. Sie findet ſich eigentlich in allen Ebenen, wo der Ackerbau blüht, und

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/150>, abgerufen am 27.11.2024.