gewachsenes Gras zu fressen bekommen. Wenn sie abziehen wollen, sammeln sie sich, wie die Schwalben; manchmal aber sterben sie haufenweise und verpesten die Luft, wovon die Men- schen Schwindel oder Gelbsucht bekommen, oder werden von den Hermelinen aufgefressen, welche letztere sich förmlich mit ihnen mästen."
Andere Berichterstatter schreiben dem Bischof seine Erzählung nach, und Olaus Wornius gibt im Jahre 1633 ein ganzes Buch heraus, in welchem er sich zu erklären bemüht, daß Thiere in den Wolken entstehen und herunterfallen können. Er fügt auch hinzu, daß man vergeblich versucht habe, die Lemminge durch Beschwörungen zu vertreiben. Erst Linne schildert in den schwedischen Ab- handlungen vom Jahre 1740 die Lemminge der Natur gemäß und so ausführlich, daß man seiner Beschreibung nicht viel hinzufügen kann. Jch selbst habe die Thiere im Jahre 1860 namentlich auf dem Dovrefjeld zu meiner Freude in großer Menge angetroffen und mich durch eigene Anschauungen
[Abbildung]
Der norwegische Lemming (Myodes Lemmus).
über sie unterrichten können. Wie ich in Norwegen erfuhr, finden sie sich auf allen höheren Gebirgen des Landes und auch auf den benachbarten Jnseln, falls diese bergig sind. Weiter oben im Norden gehen sie bis in die Tundra herab. Jn den ungeheuren Morästen zwischen dem Altenfjord und dem Tanaflusse fand ich ihre Losung auf allen trockenen Stellen in unglaublicher Menge, sah aber nicht einen einzigen Lemming mehr. Auf dem Dovrefjeld waren sie im Mai überall sehr gemein, am häufigsten im höchsten Gürtel zwischen 4 und 6000 Fuß über dem Meere, oder von der Grenze der Fichtenwälder an bis zur Grenze des ewigen Schnees hinauf. Einige fand ich aber auch in Gul- brandsdalen nur wenige Hundert Fuß über dem Meere, in den wasserreichen Gegenden in der Nähe des Laugen. Auf dem Dovrefjeld wohnte einer neben dem andern, und man sah und hörte oft acht bis zehn zu gleicher Zeit.
Der norwegiſche Lemming.
gewachſenes Gras zu freſſen bekommen. Wenn ſie abziehen wollen, ſammeln ſie ſich, wie die Schwalben; manchmal aber ſterben ſie haufenweiſe und verpeſten die Luft, wovon die Men- ſchen Schwindel oder Gelbſucht bekommen, oder werden von den Hermelinen aufgefreſſen, welche letztere ſich förmlich mit ihnen mäſten.‟
Andere Berichterſtatter ſchreiben dem Biſchof ſeine Erzählung nach, und Olaus Wornius gibt im Jahre 1633 ein ganzes Buch heraus, in welchem er ſich zu erklären bemüht, daß Thiere in den Wolken entſtehen und herunterfallen können. Er fügt auch hinzu, daß man vergeblich verſucht habe, die Lemminge durch Beſchwörungen zu vertreiben. Erſt Linné ſchildert in den ſchwediſchen Ab- handlungen vom Jahre 1740 die Lemminge der Natur gemäß und ſo ausführlich, daß man ſeiner Beſchreibung nicht viel hinzufügen kann. Jch ſelbſt habe die Thiere im Jahre 1860 namentlich auf dem Dovrefjeld zu meiner Freude in großer Menge angetroffen und mich durch eigene Anſchauungen
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Der norwegiſche Lemming (Myodes Lemmus).
über ſie unterrichten können. Wie ich in Norwegen erfuhr, finden ſie ſich auf allen höheren Gebirgen des Landes und auch auf den benachbarten Jnſeln, falls dieſe bergig ſind. Weiter oben im Norden gehen ſie bis in die Tundra herab. Jn den ungeheuren Moräſten zwiſchen dem Altenfjord und dem Tanafluſſe fand ich ihre Loſung auf allen trockenen Stellen in unglaublicher Menge, ſah aber nicht einen einzigen Lemming mehr. Auf dem Dovrefjeld waren ſie im Mai überall ſehr gemein, am häufigſten im höchſten Gürtel zwiſchen 4 und 6000 Fuß über dem Meere, oder von der Grenze der Fichtenwälder an bis zur Grenze des ewigen Schnees hinauf. Einige fand ich aber auch in Gul- brandsdalen nur wenige Hundert Fuß über dem Meere, in den waſſerreichen Gegenden in der Nähe des Laugen. Auf dem Dovrefjeld wohnte einer neben dem andern, und man ſah und hörte oft acht bis zehn zu gleicher Zeit.
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Der norwegiſche Lemming.
gewachſenes Gras zu freſſen bekommen. Wenn ſie abziehen wollen, ſammeln ſie ſich, wie die
Schwalben; manchmal aber ſterben ſie haufenweiſe und verpeſten die Luft, wovon die Men-
ſchen Schwindel oder Gelbſucht bekommen, oder werden von den Hermelinen aufgefreſſen, welche
letztere ſich förmlich mit ihnen mäſten.‟
Andere Berichterſtatter ſchreiben dem Biſchof ſeine Erzählung nach, und Olaus Wornius gibt
im Jahre 1633 ein ganzes Buch heraus, in welchem er ſich zu erklären bemüht, daß Thiere in den
Wolken entſtehen und herunterfallen können. Er fügt auch hinzu, daß man vergeblich verſucht habe,
die Lemminge durch Beſchwörungen zu vertreiben. Erſt Linné ſchildert in den ſchwediſchen Ab-
handlungen vom Jahre 1740 die Lemminge der Natur gemäß und ſo ausführlich, daß man ſeiner
Beſchreibung nicht viel hinzufügen kann. Jch ſelbſt habe die Thiere im Jahre 1860 namentlich auf
dem Dovrefjeld zu meiner Freude in großer Menge angetroffen und mich durch eigene Anſchauungen
[Abbildung Der norwegiſche Lemming (Myodes Lemmus).]
über ſie unterrichten können. Wie ich in Norwegen erfuhr, finden ſie ſich auf allen höheren Gebirgen
des Landes und auch auf den benachbarten Jnſeln, falls dieſe bergig ſind. Weiter oben im Norden
gehen ſie bis in die Tundra herab. Jn den ungeheuren Moräſten zwiſchen dem Altenfjord und dem
Tanafluſſe fand ich ihre Loſung auf allen trockenen Stellen in unglaublicher Menge, ſah aber nicht
einen einzigen Lemming mehr. Auf dem Dovrefjeld waren ſie im Mai überall ſehr gemein,
am häufigſten im höchſten Gürtel zwiſchen 4 und 6000 Fuß über dem Meere, oder von der Grenze
der Fichtenwälder an bis zur Grenze des ewigen Schnees hinauf. Einige fand ich aber auch in Gul-
brandsdalen nur wenige Hundert Fuß über dem Meere, in den waſſerreichen Gegenden in der Nähe
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/181>, abgerufen am 28.11.2024.
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