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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Die Hasen. -- Der Schnee- oder Alpenhase.
verrückt, bis fünf Fuß an den Wänden in die Höhe." Läßt man sie wieder frei, so verwildern sie
in kurzer Zeit, denn ihr Gedächtniß ist im ganzen doch recht schwach.

Der Nutzen, welchen der Hase uns bringt, übertrifft schwerlich den Schaden, welchen er
anrichtet. Das wohlschmeckende Wildpret und der gesuchte Winterbalg bezahlen kaum die Er-
haltung des Hasen, der sich bekanntlich nur auf Kosten des Menschen erhält. Jn Rußland ver-
wendet man sehr viel Felle, und in Böhmen, welches seit alten Zeiten in der Hutmacherei
einen großen Ruf sich erworben hat, werden alljährlich gegen vierzig Tausend zu diesem Erwerbs-
zweig gebraucht. Von der von Haaren entblößten und gegerbten Haut des Hasen verfertigt man
Schuhe und eine Art Pergament, oder benutzt sie auch zur Leimbereitung. Jn der alten Arznei-
kunde spielten Haar, Fett, Blut und Gehirn, selbst Knochen, ja sogar der Koth des Hasen eine be-
deutende Rolle, und noch heutigen Tages wenden abergläubische Menschen Lampes Fell und
Fett gegen Krankheiten an. Der Hase genoß denn auch längere Zeit die Ehre, als ein verzau-
bertes Wesen zu gelten. Noch im vorigen Jahrhundert glaubte man in ihm einen Zwitter zu sehen
und war fest überzeugt, daß er willkürlich das Geschlecht zu ändern im Stande sei, also ebensowohl
als Männchen, wie als Weibchen auftreten könne. Die schmalen Streifen, die er sich im hohen
Getreide durchbeißt, werden noch heutzutage für Herenwerk angesehen und mit dem Namen Hexen-
stiege belegt.

Noch ist keineswegs ausgemacht, ob die Schneehasen der Alpen und des hohen Nordens ein
und derselben Art augehören. Jm allgemeinen erweisen sich beide als treue Kinder ihrer Heimat. Sie
sind Thiere, welche ihr Kleid dem Boden nach den Umständen anpassen; doch kommen hier eigenthüm-
liche Abweichungen vor. Die Alpenschneehasen sind im Winter rein weiß, nur an der Spitze der
Ohren schwarz. Jm Sommer sind sie graubraun, aber rein einfarbig, nicht gesprenkelt, wie der
gemeine Hase. Die in Jrland lebenden, diesem sehr ähnlichen Thiere werden nie weiß und deshalb
von einigen Gelehrten als besondere Art (Lepus hibernicus) angesehen. Umgekehrt werden die im
höchsten Norden wohnenden Schneehasen aber im Sommer nicht grau, sondern bleiben das ganze
Jahr hindurch weiß und werden deshalb ebenfalls als eigene Art (Lepus glacialis) betrachtet. Die
skandinavischen Hasen, welche sämmtlich Schneehasen sind, unterscheiden sich ebenfalls; die einen
werden weiß bis auf die schwarze Ohrenspitze, die anderen graubraun: bei ihnen ist das Unterhaar
schiefergrau, die Mitte schmuzig rothbraun und die Spitze weiß. Diese Färbung scheint aber eine rein
zufällige zu sein. Man behauptet, daß oft Hasen ein und desselben Satzes beide Färbungen zeigen
sollen. Wir brauchen auf diese feinen Unterscheidungen nicht einzugehen, sondern beschäftigen uns
lieber mit dem Leben dieser Thiere, welches von dem unserer Hasen in vieler Hinsicht sehr verschieden
ist. Unter allen Naturforschern hat Tschudi den veränderlichen Schnee- oder Alpenhasen (Le-
pus variabilis
) am besten beschrieben. Seine vortreffliche Schilderung gebe ich hier wieder.

"Der Alpenhase, oft auch Schneehase genannt, unterscheidet sich im Körperbau und Wesen
ganz bestimmt vom Feldhasen. Er ist munterer, lebhafter, dreister, hat einen kürzeren, runderen,
gewölbteren Kopf, eine kürzere Nase, kleine Ohren, breitere Backen. Die Hinterläufe sind länger,
die Sohlen stärker behaart, mit tief gespaltenen, weit ausdehnbaren Zehen, die mit langen, spitzen,
krummen, leicht zurückziehbaren Nägeln bewaffnet sind. Die Augen sind nicht, wie bei den krank-
haften Spielarten der weißen Kaninchen, weißen Eichhörnchen und weißen Mäuse, roth, sondern
dunkler braun, als die der Feldhasen. Jn der Regel ist der Alpenhase etwas kleiner, als der Berghase,
doch gibt es auch zwölf Pfund schwere Rammler; in Bünden wurde sogar ein funfzehnpfündiger geschoffen.
Eine genaue Vergleichung eines halb ausgewachsenen veränderlichen und eines gleich alten gemeinen
Hasen zeigte, daß der erstere ein weit feineres, klügeres Aussehen hatte, in seinen Bewegungen leich-
ter, weniger dummschen war. Sein Schienbein war auffallend stärker gewölbt, Kopf und Nase kür-
zer, die Löffel kleiner, aber die Hinterläufe länger, als die des braunen Hasen, der furchtsamer
war, als sein alpiner Vetter, und mehr Zeit verschlief, als dieser. Die bündener Berghasenjäger

Die Haſen. — Der Schnee- oder Alpenhaſe.
verrückt, bis fünf Fuß an den Wänden in die Höhe.‟ Läßt man ſie wieder frei, ſo verwildern ſie
in kurzer Zeit, denn ihr Gedächtniß iſt im ganzen doch recht ſchwach.

Der Nutzen, welchen der Haſe uns bringt, übertrifft ſchwerlich den Schaden, welchen er
anrichtet. Das wohlſchmeckende Wildpret und der geſuchte Winterbalg bezahlen kaum die Er-
haltung des Haſen, der ſich bekanntlich nur auf Koſten des Menſchen erhält. Jn Rußland ver-
wendet man ſehr viel Felle, und in Böhmen, welches ſeit alten Zeiten in der Hutmacherei
einen großen Ruf ſich erworben hat, werden alljährlich gegen vierzig Tauſend zu dieſem Erwerbs-
zweig gebraucht. Von der von Haaren entblößten und gegerbten Haut des Haſen verfertigt man
Schuhe und eine Art Pergament, oder benutzt ſie auch zur Leimbereitung. Jn der alten Arznei-
kunde ſpielten Haar, Fett, Blut und Gehirn, ſelbſt Knochen, ja ſogar der Koth des Haſen eine be-
deutende Rolle, und noch heutigen Tages wenden abergläubiſche Menſchen Lampes Fell und
Fett gegen Krankheiten an. Der Haſe genoß denn auch längere Zeit die Ehre, als ein verzau-
bertes Weſen zu gelten. Noch im vorigen Jahrhundert glaubte man in ihm einen Zwitter zu ſehen
und war feſt überzeugt, daß er willkürlich das Geſchlecht zu ändern im Stande ſei, alſo ebenſowohl
als Männchen, wie als Weibchen auftreten könne. Die ſchmalen Streifen, die er ſich im hohen
Getreide durchbeißt, werden noch heutzutage für Herenwerk angeſehen und mit dem Namen Hexen-
ſtiege belegt.

Noch iſt keineswegs ausgemacht, ob die Schneehaſen der Alpen und des hohen Nordens ein
und derſelben Art augehören. Jm allgemeinen erweiſen ſich beide als treue Kinder ihrer Heimat. Sie
ſind Thiere, welche ihr Kleid dem Boden nach den Umſtänden anpaſſen; doch kommen hier eigenthüm-
liche Abweichungen vor. Die Alpenſchneehaſen ſind im Winter rein weiß, nur an der Spitze der
Ohren ſchwarz. Jm Sommer ſind ſie graubraun, aber rein einfarbig, nicht geſprenkelt, wie der
gemeine Haſe. Die in Jrland lebenden, dieſem ſehr ähnlichen Thiere werden nie weiß und deshalb
von einigen Gelehrten als beſondere Art (Lepus hibernicus) angeſehen. Umgekehrt werden die im
höchſten Norden wohnenden Schneehaſen aber im Sommer nicht grau, ſondern bleiben das ganze
Jahr hindurch weiß und werden deshalb ebenfalls als eigene Art (Lepus glacialis) betrachtet. Die
ſkandinaviſchen Haſen, welche ſämmtlich Schneehaſen ſind, unterſcheiden ſich ebenfalls; die einen
werden weiß bis auf die ſchwarze Ohrenſpitze, die anderen graubraun: bei ihnen iſt das Unterhaar
ſchiefergrau, die Mitte ſchmuzig rothbraun und die Spitze weiß. Dieſe Färbung ſcheint aber eine rein
zufällige zu ſein. Man behauptet, daß oft Haſen ein und deſſelben Satzes beide Färbungen zeigen
ſollen. Wir brauchen auf dieſe feinen Unterſcheidungen nicht einzugehen, ſondern beſchäftigen uns
lieber mit dem Leben dieſer Thiere, welches von dem unſerer Haſen in vieler Hinſicht ſehr verſchieden
iſt. Unter allen Naturforſchern hat Tſchudi den veränderlichen Schnee- oder Alpenhaſen (Le-
pus variabilis
) am beſten beſchrieben. Seine vortreffliche Schilderung gebe ich hier wieder.

„Der Alpenhaſe, oft auch Schneehaſe genannt, unterſcheidet ſich im Körperbau und Weſen
ganz beſtimmt vom Feldhaſen. Er iſt munterer, lebhafter, dreiſter, hat einen kürzeren, runderen,
gewölbteren Kopf, eine kürzere Naſe, kleine Ohren, breitere Backen. Die Hinterläufe ſind länger,
die Sohlen ſtärker behaart, mit tief geſpaltenen, weit ausdehnbaren Zehen, die mit langen, ſpitzen,
krummen, leicht zurückziehbaren Nägeln bewaffnet ſind. Die Augen ſind nicht, wie bei den krank-
haften Spielarten der weißen Kaninchen, weißen Eichhörnchen und weißen Mäuſe, roth, ſondern
dunkler braun, als die der Feldhaſen. Jn der Regel iſt der Alpenhaſe etwas kleiner, als der Berghaſe,
doch gibt es auch zwölf Pfund ſchwere Rammler; in Bünden wurde ſogar ein funfzehnpfündiger geſchoffen.
Eine genaue Vergleichung eines halb ausgewachſenen veränderlichen und eines gleich alten gemeinen
Haſen zeigte, daß der erſtere ein weit feineres, klügeres Ausſehen hatte, in ſeinen Bewegungen leich-
ter, weniger dummſchen war. Sein Schienbein war auffallend ſtärker gewölbt, Kopf und Naſe kür-
zer, die Löffel kleiner, aber die Hinterläufe länger, als die des braunen Haſen, der furchtſamer
war, als ſein alpiner Vetter, und mehr Zeit verſchlief, als dieſer. Die bündener Berghaſenjäger

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[258/0276] Die Haſen. — Der Schnee- oder Alpenhaſe. verrückt, bis fünf Fuß an den Wänden in die Höhe.‟ Läßt man ſie wieder frei, ſo verwildern ſie in kurzer Zeit, denn ihr Gedächtniß iſt im ganzen doch recht ſchwach. Der Nutzen, welchen der Haſe uns bringt, übertrifft ſchwerlich den Schaden, welchen er anrichtet. Das wohlſchmeckende Wildpret und der geſuchte Winterbalg bezahlen kaum die Er- haltung des Haſen, der ſich bekanntlich nur auf Koſten des Menſchen erhält. Jn Rußland ver- wendet man ſehr viel Felle, und in Böhmen, welches ſeit alten Zeiten in der Hutmacherei einen großen Ruf ſich erworben hat, werden alljährlich gegen vierzig Tauſend zu dieſem Erwerbs- zweig gebraucht. Von der von Haaren entblößten und gegerbten Haut des Haſen verfertigt man Schuhe und eine Art Pergament, oder benutzt ſie auch zur Leimbereitung. Jn der alten Arznei- kunde ſpielten Haar, Fett, Blut und Gehirn, ſelbſt Knochen, ja ſogar der Koth des Haſen eine be- deutende Rolle, und noch heutigen Tages wenden abergläubiſche Menſchen Lampes Fell und Fett gegen Krankheiten an. Der Haſe genoß denn auch längere Zeit die Ehre, als ein verzau- bertes Weſen zu gelten. Noch im vorigen Jahrhundert glaubte man in ihm einen Zwitter zu ſehen und war feſt überzeugt, daß er willkürlich das Geſchlecht zu ändern im Stande ſei, alſo ebenſowohl als Männchen, wie als Weibchen auftreten könne. Die ſchmalen Streifen, die er ſich im hohen Getreide durchbeißt, werden noch heutzutage für Herenwerk angeſehen und mit dem Namen Hexen- ſtiege belegt. Noch iſt keineswegs ausgemacht, ob die Schneehaſen der Alpen und des hohen Nordens ein und derſelben Art augehören. Jm allgemeinen erweiſen ſich beide als treue Kinder ihrer Heimat. Sie ſind Thiere, welche ihr Kleid dem Boden nach den Umſtänden anpaſſen; doch kommen hier eigenthüm- liche Abweichungen vor. Die Alpenſchneehaſen ſind im Winter rein weiß, nur an der Spitze der Ohren ſchwarz. Jm Sommer ſind ſie graubraun, aber rein einfarbig, nicht geſprenkelt, wie der gemeine Haſe. Die in Jrland lebenden, dieſem ſehr ähnlichen Thiere werden nie weiß und deshalb von einigen Gelehrten als beſondere Art (Lepus hibernicus) angeſehen. Umgekehrt werden die im höchſten Norden wohnenden Schneehaſen aber im Sommer nicht grau, ſondern bleiben das ganze Jahr hindurch weiß und werden deshalb ebenfalls als eigene Art (Lepus glacialis) betrachtet. Die ſkandinaviſchen Haſen, welche ſämmtlich Schneehaſen ſind, unterſcheiden ſich ebenfalls; die einen werden weiß bis auf die ſchwarze Ohrenſpitze, die anderen graubraun: bei ihnen iſt das Unterhaar ſchiefergrau, die Mitte ſchmuzig rothbraun und die Spitze weiß. Dieſe Färbung ſcheint aber eine rein zufällige zu ſein. Man behauptet, daß oft Haſen ein und deſſelben Satzes beide Färbungen zeigen ſollen. Wir brauchen auf dieſe feinen Unterſcheidungen nicht einzugehen, ſondern beſchäftigen uns lieber mit dem Leben dieſer Thiere, welches von dem unſerer Haſen in vieler Hinſicht ſehr verſchieden iſt. Unter allen Naturforſchern hat Tſchudi den veränderlichen Schnee- oder Alpenhaſen (Le- pus variabilis) am beſten beſchrieben. Seine vortreffliche Schilderung gebe ich hier wieder. „Der Alpenhaſe, oft auch Schneehaſe genannt, unterſcheidet ſich im Körperbau und Weſen ganz beſtimmt vom Feldhaſen. Er iſt munterer, lebhafter, dreiſter, hat einen kürzeren, runderen, gewölbteren Kopf, eine kürzere Naſe, kleine Ohren, breitere Backen. Die Hinterläufe ſind länger, die Sohlen ſtärker behaart, mit tief geſpaltenen, weit ausdehnbaren Zehen, die mit langen, ſpitzen, krummen, leicht zurückziehbaren Nägeln bewaffnet ſind. Die Augen ſind nicht, wie bei den krank- haften Spielarten der weißen Kaninchen, weißen Eichhörnchen und weißen Mäuſe, roth, ſondern dunkler braun, als die der Feldhaſen. Jn der Regel iſt der Alpenhaſe etwas kleiner, als der Berghaſe, doch gibt es auch zwölf Pfund ſchwere Rammler; in Bünden wurde ſogar ein funfzehnpfündiger geſchoffen. Eine genaue Vergleichung eines halb ausgewachſenen veränderlichen und eines gleich alten gemeinen Haſen zeigte, daß der erſtere ein weit feineres, klügeres Ausſehen hatte, in ſeinen Bewegungen leich- ter, weniger dummſchen war. Sein Schienbein war auffallend ſtärker gewölbt, Kopf und Naſe kür- zer, die Löffel kleiner, aber die Hinterläufe länger, als die des braunen Haſen, der furchtſamer war, als ſein alpiner Vetter, und mehr Zeit verſchlief, als dieſer. Die bündener Berghaſenjäger

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/276>, abgerufen am 23.11.2024.