stumpfsinnige Alte gibt sich kaum die Mühe, das Junge zu füttern und zu reinigen, oder ihm andere Ammendienste zu leisten. Gleichgiltig läßt sie es sich sogar von der Brust wegreißen, und nur vor- übergehend zeigt sie eine gewisse Unruhe, als vermisse sie Etwas und wolle sich nun bemühen, es wieder aufzusuchen. Aber sie erkennt ihren Sprößling nicht eher, als bis er sie oder sie ihn berührt, und wenn derselbe selbst durch Schreien seine Nähe verrathen sollte. Oft kommt es vor, daß sie ein paar Tage lang hungert, oder sich wenigstens nicht nach Nahrung bemüht; demungeachtet säugt sie ihr Junges ununterbrochen, und dieses klebt mit derselben Zähigkeit an ihr, wie sie an dem Baumast.
Die Trägheit des Faulthieres zeigt sich auch, wenn es gemißhandelt oder verwundet wird. Es ist eine bekannte Erfahrung, daß die niedrigsten Thiere verhältnißmäßig die größten Mißhandlungen, Verletzungen und Schmerzen erleiden können; bei dem Faulthier nun scheint sich diese allgemeine Thatsache ebenfalls zu bestätigen. Die Berichte lauten allerdings noch nicht ganz übereinstimmend; doch behaupten anerkannt tüchtige Naturforscher, daß das Faulthier das unempfindlichste aller Säuge- thiere wäre. Es kommt gar nicht selten vor, daß dieses Geschöpf viele Tage und Wochen lang hungert: A. Caffer theilte der Versammlung der Naturforscher in Turin mit, daß er ein dreizehiges Faulthier in der Gefangenschaft gehabt habe, welches einen ganzen Monat laug nicht das Geringste zu sich nahm.
Die unglaubliche Lebenszähigkeit des Faulthieres offenbart sich übrigens auch in anderer Weise. Es erträgt fürchterliche Verwundungen mit der Gleichgiltigkeit eines Leichnams. Oft verändert es nach einer tüchtigen Schrotladung, die man ihm in den Leib schoß, nicht einmal die Stellung. Nach Schomburgk widersteht es auch dem furchtbaren Urarigift der Jndianer am längsten. "Mag dieses nun in seinem eigenthümlichen Gefäßsystem und dem dadurch so gehemmten und langsamen Blutumlauf seinen Grund haben, kurz, die Wirkungen treten bei ihm am spätesten ein und sind dabei auch am kürzesten in ihrer Dauer. Ebenso werden nur sehr schwache Zuckungen bemerkbar, wie sie doch bei den übrigen Thieren bei Beginn der Wirkung des Gifts immer sichtbar sind. Jch ätzte ein Faulthier in der Oberlippe und rieb ein wenig des Gifts in die Wunde. Als ich es darauf in die Nähe eines Baumes brachte, begann es diesen zu erklettern. Nachdem es aber zehn bis zwölf Fuß an dem Stamm empor geklettert war, blieb es plötzlich am Baume haften, wandte den Kopf nach dieser und jener Seite und suchte den Gang fortzusetzen, ohne Dies zu vermögen. Erst ließ es einen der Vorderfüße los, dann den anderen, blieb aber noch mit den Hinterfüßen am Baumstamme haften, bis auch diese kraftlos wurden und es zur Erde fiel, wo es ohne alle krampfhaften Zuckungen und ohne jenes im allgemeinen immer eintretende schwere Athemholen liegen blieb, bis in der dreizehnten Minute sein Leben entflohen war." Wenn man bedenkt, daß die vergiftete schwache Dornspitze dem Jaguar, welchem sie der Jndianer auf den Pelz blies, kaum die Haut ritzt und ihn doch in wenigen Minuten zu einem Kind des Todes macht, bekommt man erst einen Maßstab zur Beurtheilung der Lebenszähigkeit des Faulthieres.
Man kann nicht eben sagen, daß das hilflose Geschöpf viel Feinde habe. Durch sein Baum- leben entgeht es den gefährlichsten, welche es bedrohen, den Säugethieren nämlich, und höchstens die großen Baumschlangen mögen ihm zuweilen nachstellen. Dazu kommt, daß sein Pelz im allgemeinen ganz die Färbung der stärkeren Aeste zeigt, an denen es unbeweglich hängt, wie die Frucht an einem Baume, und daß schon das geübte Falkenauge der Jndianer dazu gehört, um ein bewegungslos ver- harrendes Faulthier aufzufinden. Uebrigens ist das Thier doch nicht so ganz wehrlos, als es auf den ersten Blick hin scheinen mag. Auf dem Baume ist ihm natürlich schwer beizukommen, und wenn es auf dem Boden überrascht und angegriffen wird, wirft es sich schnell genug noch auf den Rücken und faßt seinen Angreifer mit den Krallen, ihn in einer Weise umarmend, daß ihm, auch wenn er stark ist, Hören und Sehen vergeht. Man kennt ein Beispiel, daß ein gefangenes und an einer wag- recht stehenden Stange aufgehängtes Faulthier den Hund, welchen man auf dasselbe gehetzt hatte, plötz- lich mit seinen Armen umklammerte, und ihn vier Tage lang fest hielt, bis er starb, ohne daß es
Die Faulthiere.
ſtumpfſinnige Alte gibt ſich kaum die Mühe, das Junge zu füttern und zu reinigen, oder ihm andere Ammendienſte zu leiſten. Gleichgiltig läßt ſie es ſich ſogar von der Bruſt wegreißen, und nur vor- übergehend zeigt ſie eine gewiſſe Unruhe, als vermiſſe ſie Etwas und wolle ſich nun bemühen, es wieder aufzuſuchen. Aber ſie erkennt ihren Sprößling nicht eher, als bis er ſie oder ſie ihn berührt, und wenn derſelbe ſelbſt durch Schreien ſeine Nähe verrathen ſollte. Oft kommt es vor, daß ſie ein paar Tage lang hungert, oder ſich wenigſtens nicht nach Nahrung bemüht; demungeachtet ſäugt ſie ihr Junges ununterbrochen, und dieſes klebt mit derſelben Zähigkeit an ihr, wie ſie an dem Baumaſt.
Die Trägheit des Faulthieres zeigt ſich auch, wenn es gemißhandelt oder verwundet wird. Es iſt eine bekannte Erfahrung, daß die niedrigſten Thiere verhältnißmäßig die größten Mißhandlungen, Verletzungen und Schmerzen erleiden können; bei dem Faulthier nun ſcheint ſich dieſe allgemeine Thatſache ebenfalls zu beſtätigen. Die Berichte lauten allerdings noch nicht ganz übereinſtimmend; doch behaupten anerkannt tüchtige Naturforſcher, daß das Faulthier das unempfindlichſte aller Säuge- thiere wäre. Es kommt gar nicht ſelten vor, daß dieſes Geſchöpf viele Tage und Wochen lang hungert: A. Caffer theilte der Verſammlung der Naturforſcher in Turin mit, daß er ein dreizehiges Faulthier in der Gefangenſchaft gehabt habe, welches einen ganzen Monat laug nicht das Geringſte zu ſich nahm.
Die unglaubliche Lebenszähigkeit des Faulthieres offenbart ſich übrigens auch in anderer Weiſe. Es erträgt fürchterliche Verwundungen mit der Gleichgiltigkeit eines Leichnams. Oft verändert es nach einer tüchtigen Schrotladung, die man ihm in den Leib ſchoß, nicht einmal die Stellung. Nach Schomburgk widerſteht es auch dem furchtbaren Urarigift der Jndianer am längſten. „Mag dieſes nun in ſeinem eigenthümlichen Gefäßſyſtem und dem dadurch ſo gehemmten und langſamen Blutumlauf ſeinen Grund haben, kurz, die Wirkungen treten bei ihm am ſpäteſten ein und ſind dabei auch am kürzeſten in ihrer Dauer. Ebenſo werden nur ſehr ſchwache Zuckungen bemerkbar, wie ſie doch bei den übrigen Thieren bei Beginn der Wirkung des Gifts immer ſichtbar ſind. Jch ätzte ein Faulthier in der Oberlippe und rieb ein wenig des Gifts in die Wunde. Als ich es darauf in die Nähe eines Baumes brachte, begann es dieſen zu erklettern. Nachdem es aber zehn bis zwölf Fuß an dem Stamm empor geklettert war, blieb es plötzlich am Baume haften, wandte den Kopf nach dieſer und jener Seite und ſuchte den Gang fortzuſetzen, ohne Dies zu vermögen. Erſt ließ es einen der Vorderfüße los, dann den anderen, blieb aber noch mit den Hinterfüßen am Baumſtamme haften, bis auch dieſe kraftlos wurden und es zur Erde fiel, wo es ohne alle krampfhaften Zuckungen und ohne jenes im allgemeinen immer eintretende ſchwere Athemholen liegen blieb, bis in der dreizehnten Minute ſein Leben entflohen war.‟ Wenn man bedenkt, daß die vergiftete ſchwache Dornſpitze dem Jaguar, welchem ſie der Jndianer auf den Pelz blies, kaum die Haut ritzt und ihn doch in wenigen Minuten zu einem Kind des Todes macht, bekommt man erſt einen Maßſtab zur Beurtheilung der Lebenszähigkeit des Faulthieres.
Man kann nicht eben ſagen, daß das hilfloſe Geſchöpf viel Feinde habe. Durch ſein Baum- leben entgeht es den gefährlichſten, welche es bedrohen, den Säugethieren nämlich, und höchſtens die großen Baumſchlangen mögen ihm zuweilen nachſtellen. Dazu kommt, daß ſein Pelz im allgemeinen ganz die Färbung der ſtärkeren Aeſte zeigt, an denen es unbeweglich hängt, wie die Frucht an einem Baume, und daß ſchon das geübte Falkenauge der Jndianer dazu gehört, um ein bewegungslos ver- harrendes Faulthier aufzufinden. Uebrigens iſt das Thier doch nicht ſo ganz wehrlos, als es auf den erſten Blick hin ſcheinen mag. Auf dem Baume iſt ihm natürlich ſchwer beizukommen, und wenn es auf dem Boden überraſcht und angegriffen wird, wirft es ſich ſchnell genug noch auf den Rücken und faßt ſeinen Angreifer mit den Krallen, ihn in einer Weiſe umarmend, daß ihm, auch wenn er ſtark iſt, Hören und Sehen vergeht. Man kennt ein Beiſpiel, daß ein gefangenes und an einer wag- recht ſtehenden Stange aufgehängtes Faulthier den Hund, welchen man auf daſſelbe gehetzt hatte, plötz- lich mit ſeinen Armen umklammerte, und ihn vier Tage lang feſt hielt, bis er ſtarb, ohne daß es
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0297"n="277"/><fwplace="top"type="header">Die Faulthiere.</fw><lb/>ſtumpfſinnige Alte gibt ſich kaum die Mühe, das Junge zu füttern und zu reinigen, oder ihm andere<lb/>
Ammendienſte zu leiſten. Gleichgiltig läßt ſie es ſich ſogar von der Bruſt wegreißen, und nur vor-<lb/>
übergehend zeigt ſie eine gewiſſe Unruhe, als vermiſſe ſie Etwas und wolle ſich nun bemühen, es<lb/>
wieder aufzuſuchen. Aber ſie erkennt ihren Sprößling nicht eher, als bis er ſie oder ſie ihn berührt,<lb/>
und wenn derſelbe ſelbſt durch Schreien ſeine Nähe verrathen ſollte. Oft kommt es vor, daß ſie ein<lb/>
paar Tage lang hungert, oder ſich wenigſtens nicht nach Nahrung bemüht; demungeachtet ſäugt ſie<lb/>
ihr Junges ununterbrochen, und dieſes klebt mit derſelben Zähigkeit an ihr, wie ſie an dem<lb/>
Baumaſt.</p><lb/><p>Die Trägheit des Faulthieres zeigt ſich auch, wenn es gemißhandelt oder verwundet wird. Es<lb/>
iſt eine bekannte Erfahrung, daß die niedrigſten Thiere verhältnißmäßig die größten Mißhandlungen,<lb/>
Verletzungen und Schmerzen erleiden können; bei dem Faulthier nun ſcheint ſich dieſe allgemeine<lb/>
Thatſache ebenfalls zu beſtätigen. Die Berichte lauten allerdings noch nicht ganz übereinſtimmend;<lb/>
doch behaupten anerkannt tüchtige Naturforſcher, daß das Faulthier das unempfindlichſte aller Säuge-<lb/>
thiere wäre. Es kommt gar nicht ſelten vor, daß dieſes Geſchöpf viele Tage und Wochen lang<lb/>
hungert: A. <hirendition="#g">Caffer</hi> theilte der Verſammlung der Naturforſcher in Turin mit, daß er ein dreizehiges<lb/>
Faulthier in der Gefangenſchaft gehabt habe, welches einen ganzen Monat laug nicht das Geringſte<lb/>
zu ſich nahm.</p><lb/><p>Die unglaubliche Lebenszähigkeit des Faulthieres offenbart ſich übrigens auch in anderer Weiſe.<lb/>
Es erträgt fürchterliche Verwundungen mit der Gleichgiltigkeit eines Leichnams. Oft verändert es<lb/>
nach einer tüchtigen Schrotladung, die man ihm in den Leib ſchoß, nicht einmal die Stellung. Nach<lb/><hirendition="#g">Schomburgk</hi> widerſteht es auch dem furchtbaren Urarigift der Jndianer am längſten. „Mag<lb/>
dieſes nun in ſeinem eigenthümlichen Gefäßſyſtem und dem dadurch ſo gehemmten und langſamen<lb/>
Blutumlauf ſeinen Grund haben, kurz, die Wirkungen treten bei ihm am ſpäteſten ein und ſind dabei<lb/>
auch am kürzeſten in ihrer Dauer. Ebenſo werden nur ſehr ſchwache Zuckungen bemerkbar, wie ſie<lb/>
doch bei den übrigen Thieren bei Beginn der Wirkung des Gifts immer ſichtbar ſind. Jch ätzte ein<lb/>
Faulthier in der Oberlippe und rieb ein wenig des Gifts in die Wunde. Als ich es darauf in die<lb/>
Nähe eines Baumes brachte, begann es dieſen zu erklettern. Nachdem es aber zehn bis zwölf Fuß an<lb/>
dem Stamm empor geklettert war, blieb es plötzlich am Baume haften, wandte den Kopf nach dieſer<lb/>
und jener Seite und ſuchte den Gang fortzuſetzen, ohne Dies zu vermögen. Erſt ließ es einen der<lb/>
Vorderfüße los, dann den anderen, blieb aber noch mit den Hinterfüßen am Baumſtamme haften, bis<lb/>
auch dieſe kraftlos wurden und es zur Erde fiel, wo es ohne alle krampfhaften Zuckungen und ohne<lb/>
jenes im allgemeinen immer eintretende ſchwere Athemholen liegen blieb, bis in der dreizehnten<lb/>
Minute ſein Leben entflohen war.‟ Wenn man bedenkt, daß die vergiftete ſchwache Dornſpitze dem<lb/>
Jaguar, welchem ſie der Jndianer auf den Pelz blies, kaum die Haut ritzt und ihn doch in wenigen<lb/>
Minuten zu einem Kind des Todes macht, bekommt man erſt einen Maßſtab zur Beurtheilung der<lb/>
Lebenszähigkeit des Faulthieres.</p><lb/><p>Man kann nicht eben ſagen, daß das hilfloſe Geſchöpf viel Feinde habe. Durch ſein Baum-<lb/>
leben entgeht es den gefährlichſten, welche es bedrohen, den Säugethieren nämlich, und höchſtens die<lb/>
großen Baumſchlangen mögen ihm zuweilen nachſtellen. Dazu kommt, daß ſein Pelz im allgemeinen<lb/>
ganz die Färbung der ſtärkeren Aeſte zeigt, an denen es unbeweglich hängt, wie die Frucht an einem<lb/>
Baume, und daß ſchon das geübte Falkenauge der Jndianer dazu gehört, um ein bewegungslos ver-<lb/>
harrendes Faulthier aufzufinden. Uebrigens iſt das Thier doch nicht ſo ganz wehrlos, als es auf den<lb/>
erſten Blick hin ſcheinen mag. Auf dem Baume iſt ihm natürlich ſchwer beizukommen, und wenn<lb/>
es auf dem Boden überraſcht und angegriffen wird, wirft es ſich ſchnell genug noch auf den Rücken<lb/>
und faßt ſeinen Angreifer mit den Krallen, ihn in einer Weiſe umarmend, daß ihm, auch wenn er<lb/>ſtark iſt, Hören und Sehen vergeht. Man kennt ein Beiſpiel, daß ein gefangenes und an einer wag-<lb/>
recht ſtehenden Stange aufgehängtes Faulthier den Hund, welchen man auf daſſelbe gehetzt hatte, plötz-<lb/>
lich mit ſeinen Armen umklammerte, und ihn vier Tage lang feſt hielt, bis er ſtarb, ohne daß es<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[277/0297]
Die Faulthiere.
ſtumpfſinnige Alte gibt ſich kaum die Mühe, das Junge zu füttern und zu reinigen, oder ihm andere
Ammendienſte zu leiſten. Gleichgiltig läßt ſie es ſich ſogar von der Bruſt wegreißen, und nur vor-
übergehend zeigt ſie eine gewiſſe Unruhe, als vermiſſe ſie Etwas und wolle ſich nun bemühen, es
wieder aufzuſuchen. Aber ſie erkennt ihren Sprößling nicht eher, als bis er ſie oder ſie ihn berührt,
und wenn derſelbe ſelbſt durch Schreien ſeine Nähe verrathen ſollte. Oft kommt es vor, daß ſie ein
paar Tage lang hungert, oder ſich wenigſtens nicht nach Nahrung bemüht; demungeachtet ſäugt ſie
ihr Junges ununterbrochen, und dieſes klebt mit derſelben Zähigkeit an ihr, wie ſie an dem
Baumaſt.
Die Trägheit des Faulthieres zeigt ſich auch, wenn es gemißhandelt oder verwundet wird. Es
iſt eine bekannte Erfahrung, daß die niedrigſten Thiere verhältnißmäßig die größten Mißhandlungen,
Verletzungen und Schmerzen erleiden können; bei dem Faulthier nun ſcheint ſich dieſe allgemeine
Thatſache ebenfalls zu beſtätigen. Die Berichte lauten allerdings noch nicht ganz übereinſtimmend;
doch behaupten anerkannt tüchtige Naturforſcher, daß das Faulthier das unempfindlichſte aller Säuge-
thiere wäre. Es kommt gar nicht ſelten vor, daß dieſes Geſchöpf viele Tage und Wochen lang
hungert: A. Caffer theilte der Verſammlung der Naturforſcher in Turin mit, daß er ein dreizehiges
Faulthier in der Gefangenſchaft gehabt habe, welches einen ganzen Monat laug nicht das Geringſte
zu ſich nahm.
Die unglaubliche Lebenszähigkeit des Faulthieres offenbart ſich übrigens auch in anderer Weiſe.
Es erträgt fürchterliche Verwundungen mit der Gleichgiltigkeit eines Leichnams. Oft verändert es
nach einer tüchtigen Schrotladung, die man ihm in den Leib ſchoß, nicht einmal die Stellung. Nach
Schomburgk widerſteht es auch dem furchtbaren Urarigift der Jndianer am längſten. „Mag
dieſes nun in ſeinem eigenthümlichen Gefäßſyſtem und dem dadurch ſo gehemmten und langſamen
Blutumlauf ſeinen Grund haben, kurz, die Wirkungen treten bei ihm am ſpäteſten ein und ſind dabei
auch am kürzeſten in ihrer Dauer. Ebenſo werden nur ſehr ſchwache Zuckungen bemerkbar, wie ſie
doch bei den übrigen Thieren bei Beginn der Wirkung des Gifts immer ſichtbar ſind. Jch ätzte ein
Faulthier in der Oberlippe und rieb ein wenig des Gifts in die Wunde. Als ich es darauf in die
Nähe eines Baumes brachte, begann es dieſen zu erklettern. Nachdem es aber zehn bis zwölf Fuß an
dem Stamm empor geklettert war, blieb es plötzlich am Baume haften, wandte den Kopf nach dieſer
und jener Seite und ſuchte den Gang fortzuſetzen, ohne Dies zu vermögen. Erſt ließ es einen der
Vorderfüße los, dann den anderen, blieb aber noch mit den Hinterfüßen am Baumſtamme haften, bis
auch dieſe kraftlos wurden und es zur Erde fiel, wo es ohne alle krampfhaften Zuckungen und ohne
jenes im allgemeinen immer eintretende ſchwere Athemholen liegen blieb, bis in der dreizehnten
Minute ſein Leben entflohen war.‟ Wenn man bedenkt, daß die vergiftete ſchwache Dornſpitze dem
Jaguar, welchem ſie der Jndianer auf den Pelz blies, kaum die Haut ritzt und ihn doch in wenigen
Minuten zu einem Kind des Todes macht, bekommt man erſt einen Maßſtab zur Beurtheilung der
Lebenszähigkeit des Faulthieres.
Man kann nicht eben ſagen, daß das hilfloſe Geſchöpf viel Feinde habe. Durch ſein Baum-
leben entgeht es den gefährlichſten, welche es bedrohen, den Säugethieren nämlich, und höchſtens die
großen Baumſchlangen mögen ihm zuweilen nachſtellen. Dazu kommt, daß ſein Pelz im allgemeinen
ganz die Färbung der ſtärkeren Aeſte zeigt, an denen es unbeweglich hängt, wie die Frucht an einem
Baume, und daß ſchon das geübte Falkenauge der Jndianer dazu gehört, um ein bewegungslos ver-
harrendes Faulthier aufzufinden. Uebrigens iſt das Thier doch nicht ſo ganz wehrlos, als es auf den
erſten Blick hin ſcheinen mag. Auf dem Baume iſt ihm natürlich ſchwer beizukommen, und wenn
es auf dem Boden überraſcht und angegriffen wird, wirft es ſich ſchnell genug noch auf den Rücken
und faßt ſeinen Angreifer mit den Krallen, ihn in einer Weiſe umarmend, daß ihm, auch wenn er
ſtark iſt, Hören und Sehen vergeht. Man kennt ein Beiſpiel, daß ein gefangenes und an einer wag-
recht ſtehenden Stange aufgehängtes Faulthier den Hund, welchen man auf daſſelbe gehetzt hatte, plötz-
lich mit ſeinen Armen umklammerte, und ihn vier Tage lang feſt hielt, bis er ſtarb, ohne daß es
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/297>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.