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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Die Faulthiere.
möglich gewesen wäre, den Hund ihm zu entreißen -- falls der arme Bursche nicht etwa ein Opfer
der Beobachtung geworden sein dürfte! Soviel steht fest, daß die Kraft der Arme des Faulthieres
eine sehr beträchtliche ist. Selbst ein starker Mann hat Mühe, sich wieder von ihm zu befreien,
und drei Männer sollen nicht im Stande sein, ein Faulthier von dem Baumast los zu reißen, an
welchen es sich angeklammert hat.

Ueber das Gefangenleben der Faulthiere war bisjetzt nur höchst wenig bekannt. Bisher hat
man unwillkürlich glauben müssen, daß es überaus schwer wäre, ein Faulthier längere Zeit am Leben
zu erhalten, und bisjetzt hat man immer noch, wenn auch nicht alle, so doch sehr viele von den Fabeln
für wahr gehalten, welche über dieses merkwürdige Geschöpf im Umlaufe sind. Eigentlich Zuver-
lässiges über das Gefaugenleben ist, meines Wissens wenigstens, nicht bekannt geworden. Wir
haben erfahren, daß das Faulthier einige Mal lebend nach Europa gebracht worden ist. Schon
Buffon erzählt, daß der Marquis von Montmirail ein Faulthier in Amsterdam kaufte, welches
man bisher im Sommer mit zartem Laub und im Winter mit Schiffszwieback ernährt hatte. Der
Marquis erhielt das Thier drei Jahre am Leben und fütterte es mit Brod, Aepfeln und Wurzeln,
welche Gegenstände sein Gefangener mit den Klauen seiner Vorderfüße nahm und so zum Munde
führte. Gegen Abend wurde das Thier munter, ohne übrigens je eine Leidenschaft zu zeigen, und
niemals bewies es, daß es seinen Wärter kennen gelernt habe. Von den Reisenden erfahren wir
noch, daß man sich kaum ein ungemüthlicheres Geschöpf denken könne, als ein gefangenes Faulthier.
Tagelang hänge es an einem Stock oder an einem Strick, ohne auch nur das geringste Verlangen nach
Nahrung auszudrücken. Einer fügt sogar hinzu, daß es lieber verhungern, als eine einzige Bewegung
machen würde, um die vorgehaltene Nahrung zu erlangen. Hierauf scheinen sich die Beobachtungen
zu beschränken.

Man kann sich nun meine Freude denken, als ich nach allen vergeblichen Versuchen, mehr über
das Faulthier zu erfahren, auf meiner Rundreise durch die Thiergärten Englands, Frankreichs, Hol-
lands, Belgiens und der Rheinlande, ein lebendes Faulthier und somit Gelegenheit fand, eigene
Beobachtungen anzustellen. Freilich erlaubte mir der große Reichthum des Gartens nicht, meine
Aufmerksamkeit in erwünschter Weise dem Faulthiere ausschließlich zu widmen, und leider konnte ich
nur ein paar Stunden am Käfig des wunderbaren Thieres verweilen. Aber auch dieser kurze Auf-
enthalt genügte, um mir zu beweisen, daß die bisher gegebenen Beschreibungen zum großen Theil sehr
übertrieben sind. Jch will gar nicht so kühn sein, zu behaupten, daß meine Beobachtungen auch für
das Freileben entscheidend sein sollen; mit anderen Worten: ich will Das, was ich am Gefangenen
sah, durchaus nicht auf das Freileben der Thiere übertragen; aber soviel kann ich behaupten, daß
die gefangenen Faulthiere nichts weniger als traurige, langweilige Geschöpfe, sondern im Gegentheil
ungemein fesselnde und in jeder Hinsicht würdige Mitglieder eines Thiergartens sind.

Kees, so heißt das jetzt in Amsterdam lebende Faulthier, bewohnt seinen Käfig bereits seit
neun Jahren und befindet sich jedenfalls so wohl in der Gefangenschaft, als andere Thiere auch. Wer
jemals Säugethiere lebend gehalten hat, weiß, daß er sehr froh sein kann, wenn seine Gefangenen
durchschnittlich neun Jahre am Leben bleiben, und wer noch einigermaßen die zahnarmen Thiere kennt,
wird zugestehen müssen, daß solche Zeit für ein Mitglied dieser merkwürdigen Gesellschaft sicherlich eine
sehr hohe ist. Der Käfig, in welchem Kees gehalten wird, hat in der Mitte ein Holzgerüst, an
welchem sein Bewohner emporklettern kann; unten ist er dick mit Heu ausgepolstert; nach den Seiten
hin schließen ihn starke Glasscheiben ab; von oben her ist er offen. Wenn man bei Tage den Thieren
einen Besuch abstattet, sieht man in diesem Glaskasten nur einen Ballen, welcher lebhaft an einen Hau-
fen von trockenem Riedgras erinnert; denn die struppigen, braungrau und schwärzlich gefärbten Haare
des Faulthieres sind in der ungewöhnlichsten Weise geordnet und laufen von mehreren Haarwirbeln so
verschieden aus, daß an einen Strich eigentlich nicht zu denken ist. Dieser Ballen erscheint formlos, weil
man von den Gliedmaßen des Thieres eigentlich so gut als Nichts sieht. Bei genauerer Betrachtung ergibt
sich, daß Kees seine gewöhnliche Ruhe- oder Schlafstellung angenommen hat. Der Kopf ist auf die Brust

Die Faulthiere.
möglich geweſen wäre, den Hund ihm zu entreißen — falls der arme Burſche nicht etwa ein Opfer
der Beobachtung geworden ſein dürfte! Soviel ſteht feſt, daß die Kraft der Arme des Faulthieres
eine ſehr beträchtliche iſt. Selbſt ein ſtarker Mann hat Mühe, ſich wieder von ihm zu befreien,
und drei Männer ſollen nicht im Stande ſein, ein Faulthier von dem Baumaſt los zu reißen, an
welchen es ſich angeklammert hat.

Ueber das Gefangenleben der Faulthiere war bisjetzt nur höchſt wenig bekannt. Bisher hat
man unwillkürlich glauben müſſen, daß es überaus ſchwer wäre, ein Faulthier längere Zeit am Leben
zu erhalten, und bisjetzt hat man immer noch, wenn auch nicht alle, ſo doch ſehr viele von den Fabeln
für wahr gehalten, welche über dieſes merkwürdige Geſchöpf im Umlaufe ſind. Eigentlich Zuver-
läſſiges über das Gefaugenleben iſt, meines Wiſſens wenigſtens, nicht bekannt geworden. Wir
haben erfahren, daß das Faulthier einige Mal lebend nach Europa gebracht worden iſt. Schon
Buffon erzählt, daß der Marquis von Montmirail ein Faulthier in Amſterdam kaufte, welches
man bisher im Sommer mit zartem Laub und im Winter mit Schiffszwieback ernährt hatte. Der
Marquis erhielt das Thier drei Jahre am Leben und fütterte es mit Brod, Aepfeln und Wurzeln,
welche Gegenſtände ſein Gefangener mit den Klauen ſeiner Vorderfüße nahm und ſo zum Munde
führte. Gegen Abend wurde das Thier munter, ohne übrigens je eine Leidenſchaft zu zeigen, und
niemals bewies es, daß es ſeinen Wärter kennen gelernt habe. Von den Reiſenden erfahren wir
noch, daß man ſich kaum ein ungemüthlicheres Geſchöpf denken könne, als ein gefangenes Faulthier.
Tagelang hänge es an einem Stock oder an einem Strick, ohne auch nur das geringſte Verlangen nach
Nahrung auszudrücken. Einer fügt ſogar hinzu, daß es lieber verhungern, als eine einzige Bewegung
machen würde, um die vorgehaltene Nahrung zu erlangen. Hierauf ſcheinen ſich die Beobachtungen
zu beſchränken.

Man kann ſich nun meine Freude denken, als ich nach allen vergeblichen Verſuchen, mehr über
das Faulthier zu erfahren, auf meiner Rundreiſe durch die Thiergärten Englands, Frankreichs, Hol-
lands, Belgiens und der Rheinlande, ein lebendes Faulthier und ſomit Gelegenheit fand, eigene
Beobachtungen anzuſtellen. Freilich erlaubte mir der große Reichthum des Gartens nicht, meine
Aufmerkſamkeit in erwünſchter Weiſe dem Faulthiere ausſchließlich zu widmen, und leider konnte ich
nur ein paar Stunden am Käfig des wunderbaren Thieres verweilen. Aber auch dieſer kurze Auf-
enthalt genügte, um mir zu beweiſen, daß die bisher gegebenen Beſchreibungen zum großen Theil ſehr
übertrieben ſind. Jch will gar nicht ſo kühn ſein, zu behaupten, daß meine Beobachtungen auch für
das Freileben entſcheidend ſein ſollen; mit anderen Worten: ich will Das, was ich am Gefangenen
ſah, durchaus nicht auf das Freileben der Thiere übertragen; aber ſoviel kann ich behaupten, daß
die gefangenen Faulthiere nichts weniger als traurige, langweilige Geſchöpfe, ſondern im Gegentheil
ungemein feſſelnde und in jeder Hinſicht würdige Mitglieder eines Thiergartens ſind.

Kees, ſo heißt das jetzt in Amſterdam lebende Faulthier, bewohnt ſeinen Käfig bereits ſeit
neun Jahren und befindet ſich jedenfalls ſo wohl in der Gefangenſchaft, als andere Thiere auch. Wer
jemals Säugethiere lebend gehalten hat, weiß, daß er ſehr froh ſein kann, wenn ſeine Gefangenen
durchſchnittlich neun Jahre am Leben bleiben, und wer noch einigermaßen die zahnarmen Thiere kennt,
wird zugeſtehen müſſen, daß ſolche Zeit für ein Mitglied dieſer merkwürdigen Geſellſchaft ſicherlich eine
ſehr hohe iſt. Der Käfig, in welchem Kees gehalten wird, hat in der Mitte ein Holzgerüſt, an
welchem ſein Bewohner emporklettern kann; unten iſt er dick mit Heu ausgepolſtert; nach den Seiten
hin ſchließen ihn ſtarke Glasſcheiben ab; von oben her iſt er offen. Wenn man bei Tage den Thieren
einen Beſuch abſtattet, ſieht man in dieſem Glaskaſten nur einen Ballen, welcher lebhaft an einen Hau-
fen von trockenem Riedgras erinnert; denn die ſtruppigen, braungrau und ſchwärzlich gefärbten Haare
des Faulthieres ſind in der ungewöhnlichſten Weiſe geordnet und laufen von mehreren Haarwirbeln ſo
verſchieden aus, daß an einen Strich eigentlich nicht zu denken iſt. Dieſer Ballen erſcheint formlos, weil
man von den Gliedmaßen des Thieres eigentlich ſo gut als Nichts ſieht. Bei genauerer Betrachtung ergibt
ſich, daß Kees ſeine gewöhnliche Ruhe- oder Schlafſtellung angenommen hat. Der Kopf iſt auf die Bruſt

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[278/0298] Die Faulthiere. möglich geweſen wäre, den Hund ihm zu entreißen — falls der arme Burſche nicht etwa ein Opfer der Beobachtung geworden ſein dürfte! Soviel ſteht feſt, daß die Kraft der Arme des Faulthieres eine ſehr beträchtliche iſt. Selbſt ein ſtarker Mann hat Mühe, ſich wieder von ihm zu befreien, und drei Männer ſollen nicht im Stande ſein, ein Faulthier von dem Baumaſt los zu reißen, an welchen es ſich angeklammert hat. Ueber das Gefangenleben der Faulthiere war bisjetzt nur höchſt wenig bekannt. Bisher hat man unwillkürlich glauben müſſen, daß es überaus ſchwer wäre, ein Faulthier längere Zeit am Leben zu erhalten, und bisjetzt hat man immer noch, wenn auch nicht alle, ſo doch ſehr viele von den Fabeln für wahr gehalten, welche über dieſes merkwürdige Geſchöpf im Umlaufe ſind. Eigentlich Zuver- läſſiges über das Gefaugenleben iſt, meines Wiſſens wenigſtens, nicht bekannt geworden. Wir haben erfahren, daß das Faulthier einige Mal lebend nach Europa gebracht worden iſt. Schon Buffon erzählt, daß der Marquis von Montmirail ein Faulthier in Amſterdam kaufte, welches man bisher im Sommer mit zartem Laub und im Winter mit Schiffszwieback ernährt hatte. Der Marquis erhielt das Thier drei Jahre am Leben und fütterte es mit Brod, Aepfeln und Wurzeln, welche Gegenſtände ſein Gefangener mit den Klauen ſeiner Vorderfüße nahm und ſo zum Munde führte. Gegen Abend wurde das Thier munter, ohne übrigens je eine Leidenſchaft zu zeigen, und niemals bewies es, daß es ſeinen Wärter kennen gelernt habe. Von den Reiſenden erfahren wir noch, daß man ſich kaum ein ungemüthlicheres Geſchöpf denken könne, als ein gefangenes Faulthier. Tagelang hänge es an einem Stock oder an einem Strick, ohne auch nur das geringſte Verlangen nach Nahrung auszudrücken. Einer fügt ſogar hinzu, daß es lieber verhungern, als eine einzige Bewegung machen würde, um die vorgehaltene Nahrung zu erlangen. Hierauf ſcheinen ſich die Beobachtungen zu beſchränken. Man kann ſich nun meine Freude denken, als ich nach allen vergeblichen Verſuchen, mehr über das Faulthier zu erfahren, auf meiner Rundreiſe durch die Thiergärten Englands, Frankreichs, Hol- lands, Belgiens und der Rheinlande, ein lebendes Faulthier und ſomit Gelegenheit fand, eigene Beobachtungen anzuſtellen. Freilich erlaubte mir der große Reichthum des Gartens nicht, meine Aufmerkſamkeit in erwünſchter Weiſe dem Faulthiere ausſchließlich zu widmen, und leider konnte ich nur ein paar Stunden am Käfig des wunderbaren Thieres verweilen. Aber auch dieſer kurze Auf- enthalt genügte, um mir zu beweiſen, daß die bisher gegebenen Beſchreibungen zum großen Theil ſehr übertrieben ſind. Jch will gar nicht ſo kühn ſein, zu behaupten, daß meine Beobachtungen auch für das Freileben entſcheidend ſein ſollen; mit anderen Worten: ich will Das, was ich am Gefangenen ſah, durchaus nicht auf das Freileben der Thiere übertragen; aber ſoviel kann ich behaupten, daß die gefangenen Faulthiere nichts weniger als traurige, langweilige Geſchöpfe, ſondern im Gegentheil ungemein feſſelnde und in jeder Hinſicht würdige Mitglieder eines Thiergartens ſind. Kees, ſo heißt das jetzt in Amſterdam lebende Faulthier, bewohnt ſeinen Käfig bereits ſeit neun Jahren und befindet ſich jedenfalls ſo wohl in der Gefangenſchaft, als andere Thiere auch. Wer jemals Säugethiere lebend gehalten hat, weiß, daß er ſehr froh ſein kann, wenn ſeine Gefangenen durchſchnittlich neun Jahre am Leben bleiben, und wer noch einigermaßen die zahnarmen Thiere kennt, wird zugeſtehen müſſen, daß ſolche Zeit für ein Mitglied dieſer merkwürdigen Geſellſchaft ſicherlich eine ſehr hohe iſt. Der Käfig, in welchem Kees gehalten wird, hat in der Mitte ein Holzgerüſt, an welchem ſein Bewohner emporklettern kann; unten iſt er dick mit Heu ausgepolſtert; nach den Seiten hin ſchließen ihn ſtarke Glasſcheiben ab; von oben her iſt er offen. Wenn man bei Tage den Thieren einen Beſuch abſtattet, ſieht man in dieſem Glaskaſten nur einen Ballen, welcher lebhaft an einen Hau- fen von trockenem Riedgras erinnert; denn die ſtruppigen, braungrau und ſchwärzlich gefärbten Haare des Faulthieres ſind in der ungewöhnlichſten Weiſe geordnet und laufen von mehreren Haarwirbeln ſo verſchieden aus, daß an einen Strich eigentlich nicht zu denken iſt. Dieſer Ballen erſcheint formlos, weil man von den Gliedmaßen des Thieres eigentlich ſo gut als Nichts ſieht. Bei genauerer Betrachtung ergibt ſich, daß Kees ſeine gewöhnliche Ruhe- oder Schlafſtellung angenommen hat. Der Kopf iſt auf die Bruſt

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/298>, abgerufen am 23.11.2024.