herabgebogen, so daß die Schnauzenspitze unten am Bauche aufliegt; er wird aber durch die vorge- legten Arme und Beine vollständig verdeckt. Die Gliedmaßen nämlich liegen dicht auf einander, ein Bein immer mit dem anderen abwechselnd, und sind so in einander verschränkt, daß man zwischendurch nicht sehen kann. Gewöhnlich sind die Krallen eines oder zweier Füße um eine Stange des Gerüstes geschlagen; nicht selten aber faßt Kees mit den Krallen des einen Fußes den anderen Oberarm oder Schenkel und verschlingt sich hierdurch in eigenthümlicher Weise. So sieht man von den Kopftheilen nicht das Geringste; man kann nicht einmal unterscheiden, wo der Rumpf in den Hals und dieser in den Kopf übergeht: kurz, man hat eben nur einen Haarballen vor sich, und man muß schon recht scharf hinsehen, wenn man wegbekommen will, daß dieser Ballen sich langsam auf- und niedersenkt. Gegen die Zuschauer ringsum, welche durch Klopfen, Rufen und schnelle Bewegungen mit den Hän- den irgend welche Wirkungen hervorzubringen suchen, beweist sich der Ballen vollkommen theilnahm- los; keine Bewegung verräth, daß er lebt, und gewöhnlich gehen die Beschauer recht mißmuthig von dannen, nachdem sie verdutzt den Namen des Thieres gelesen und einige, nicht eben schmeichelhafte Bemerkungen über dieses "garstige Vieh" gemacht haben.
Aber der Haarballen bekommt, wenn man es recht anfängt, sehr bald Leben; denn Kees ist keineswegs so stumpffinnig, als man behauptet, sondern ein gar netter, braver Gesell, welcher nur richtig behandelt sein will. Der Vorsteher des Gartens, Herr Westermann, ein Thierfreund und Thierkenner, wie man wenige finden dürfte, oder auch einer der Wärter braucht blos an den Käfig zu treten und ein paarmal "Kees, Kees!" zu rufen: da sieht man, wie der Haarballen nach und nach Leben bekommt. Bedächtig, oder wie man auch wohl sagen kann, langsam und etwas schwerfällig entwirrt sich der Knäuel und nach und nach entwickelt sich aus ihm ein, wenn auch nicht gerade wohl- gebildetes Thier, so doch keineswegs eine Mißgestalt, wie man gesagt hat, keineswegs ein aller höheren Fähigkeiten und Gefühle bares Wesen. Langsam und gleichmäßig erhebt das Thier einen seiner langen Arme und hängt die scharfen Krallen an eine der Querleisten des Gerüstes. Dabei ist es ihm voll- kommen gleich, welches von seinen Beinen es zuerst aufhob, ob das hintere oder das vordere; es ist ihm auch gleich, ob es die Krallen in der natürlichen Lage des Vorderarmes anhängen, oder ob es den Arm herumdrehen muß; denn alle seine Glieder erscheinen wie Stricke, welche kein Gelenk haben, sondern ihrer ganzen Länge nach beweglich sind. Jedenfalls ist die Beweglichkeit der Speiche und Elle eine so große, wie wir sie vielleicht bei keinem Geschöpfe wieder finden. Das Faulthier vermag es mit allen seinen vier Beinen sich derart fest zu hängen, daß die Krallen von jedem einzelnen in einer von den anderen abweichenden Richtung gestellt sind. Der eine Hinterfuß richtet sich vielleicht nach außen, der eine Vorderfuß nach innen, der entgegen gesetzte Vorderfuß nach vorn und der letzte Hinterfuß nach hinten, oder umgekehrt: man kann sich die verschiedenen Möglichkeiten der Stellung ausmalen, wie man will, das Faulthier verwirklicht alle. Es kann seine Beine gerade um sich herumdrehen, etwa wie ein geübter Gaukler, und es zeigt dabei, daß es ihm nicht die geringste Anstrengung macht. Deshalb krallt es sich an, wie es ihm eben paßt, und es kann sich auch, wenn es einmal festhält, förmlich um sich selbst herumdrehen, ohne die Stellung der angehängten Krallen irgendwie zu ver- ändern. Ob dabei der Kopf tief oder hoch hängt, ist ihm ebenfalls ganz gleichgiltig, denn es greift ebenso oft mit den Hinterbeinen nach oben, als mit den Vorderbeinen nach unten; es hängt mit dem rechten Vorderbein oder mit dem linken Hinterbein oder umgekehrt; es streckt sich oft recht gemüthlich hin, indem es sich mit den Hinterkrallen anhängt und den Rücken unten auflegt, wie besonders faule Hunde es zu thun pflegen. Bei solchen Gelegenheiten, welche jedenfalls große Gemüthlichkeit ausdrücken, kratzt sich Kees wohl auch mit einem der eben unbeschäftigten Beine an allen Stellen des Körpers, indem er das Bein geradezu um den Leib schlingt. Er kann Stellen seines Körpers mit den Krallen erreichen, welche jedem anderen Thiere unzugänglich sein würden: kurz, er zeigt eine Be- weglichkeit, die wahrhaft in Erstaunen setzt. Bei seiner gemüthlichen Faullenzerei macht er die Augen bald auf und bald wieder zu, gähnt, streckt die Zunge heraus und öffnet dabei die kleine Stumpf- schnauze soweit als möglich. Hält man ihm an das obere Gitter eine Leckerei, zumal ein Stückchen
Die Faulthiere.
herabgebogen, ſo daß die Schnauzenſpitze unten am Bauche aufliegt; er wird aber durch die vorge- legten Arme und Beine vollſtändig verdeckt. Die Gliedmaßen nämlich liegen dicht auf einander, ein Bein immer mit dem anderen abwechſelnd, und ſind ſo in einander verſchränkt, daß man zwiſchendurch nicht ſehen kann. Gewöhnlich ſind die Krallen eines oder zweier Füße um eine Stange des Gerüſtes geſchlagen; nicht ſelten aber faßt Kees mit den Krallen des einen Fußes den anderen Oberarm oder Schenkel und verſchlingt ſich hierdurch in eigenthümlicher Weiſe. So ſieht man von den Kopftheilen nicht das Geringſte; man kann nicht einmal unterſcheiden, wo der Rumpf in den Hals und dieſer in den Kopf übergeht: kurz, man hat eben nur einen Haarballen vor ſich, und man muß ſchon recht ſcharf hinſehen, wenn man wegbekommen will, daß dieſer Ballen ſich langſam auf- und niederſenkt. Gegen die Zuſchauer ringsum, welche durch Klopfen, Rufen und ſchnelle Bewegungen mit den Hän- den irgend welche Wirkungen hervorzubringen ſuchen, beweiſt ſich der Ballen vollkommen theilnahm- los; keine Bewegung verräth, daß er lebt, und gewöhnlich gehen die Beſchauer recht mißmuthig von dannen, nachdem ſie verdutzt den Namen des Thieres geleſen und einige, nicht eben ſchmeichelhafte Bemerkungen über dieſes „garſtige Vieh‟ gemacht haben.
Aber der Haarballen bekommt, wenn man es recht anfängt, ſehr bald Leben; denn Kees iſt keineswegs ſo ſtumpffinnig, als man behauptet, ſondern ein gar netter, braver Geſell, welcher nur richtig behandelt ſein will. Der Vorſteher des Gartens, Herr Weſtermann, ein Thierfreund und Thierkenner, wie man wenige finden dürfte, oder auch einer der Wärter braucht blos an den Käfig zu treten und ein paarmal „Kees, Kees!‟ zu rufen: da ſieht man, wie der Haarballen nach und nach Leben bekommt. Bedächtig, oder wie man auch wohl ſagen kann, langſam und etwas ſchwerfällig entwirrt ſich der Knäuel und nach und nach entwickelt ſich aus ihm ein, wenn auch nicht gerade wohl- gebildetes Thier, ſo doch keineswegs eine Mißgeſtalt, wie man geſagt hat, keineswegs ein aller höheren Fähigkeiten und Gefühle bares Weſen. Langſam und gleichmäßig erhebt das Thier einen ſeiner langen Arme und hängt die ſcharfen Krallen an eine der Querleiſten des Gerüſtes. Dabei iſt es ihm voll- kommen gleich, welches von ſeinen Beinen es zuerſt aufhob, ob das hintere oder das vordere; es iſt ihm auch gleich, ob es die Krallen in der natürlichen Lage des Vorderarmes anhängen, oder ob es den Arm herumdrehen muß; denn alle ſeine Glieder erſcheinen wie Stricke, welche kein Gelenk haben, ſondern ihrer ganzen Länge nach beweglich ſind. Jedenfalls iſt die Beweglichkeit der Speiche und Elle eine ſo große, wie wir ſie vielleicht bei keinem Geſchöpfe wieder finden. Das Faulthier vermag es mit allen ſeinen vier Beinen ſich derart feſt zu hängen, daß die Krallen von jedem einzelnen in einer von den anderen abweichenden Richtung geſtellt ſind. Der eine Hinterfuß richtet ſich vielleicht nach außen, der eine Vorderfuß nach innen, der entgegen geſetzte Vorderfuß nach vorn und der letzte Hinterfuß nach hinten, oder umgekehrt: man kann ſich die verſchiedenen Möglichkeiten der Stellung ausmalen, wie man will, das Faulthier verwirklicht alle. Es kann ſeine Beine gerade um ſich herumdrehen, etwa wie ein geübter Gaukler, und es zeigt dabei, daß es ihm nicht die geringſte Anſtrengung macht. Deshalb krallt es ſich an, wie es ihm eben paßt, und es kann ſich auch, wenn es einmal feſthält, förmlich um ſich ſelbſt herumdrehen, ohne die Stellung der angehängten Krallen irgendwie zu ver- ändern. Ob dabei der Kopf tief oder hoch hängt, iſt ihm ebenfalls ganz gleichgiltig, denn es greift ebenſo oft mit den Hinterbeinen nach oben, als mit den Vorderbeinen nach unten; es hängt mit dem rechten Vorderbein oder mit dem linken Hinterbein oder umgekehrt; es ſtreckt ſich oft recht gemüthlich hin, indem es ſich mit den Hinterkrallen anhängt und den Rücken unten auflegt, wie beſonders faule Hunde es zu thun pflegen. Bei ſolchen Gelegenheiten, welche jedenfalls große Gemüthlichkeit ausdrücken, kratzt ſich Kees wohl auch mit einem der eben unbeſchäftigten Beine an allen Stellen des Körpers, indem er das Bein geradezu um den Leib ſchlingt. Er kann Stellen ſeines Körpers mit den Krallen erreichen, welche jedem anderen Thiere unzugänglich ſein würden: kurz, er zeigt eine Be- weglichkeit, die wahrhaft in Erſtaunen ſetzt. Bei ſeiner gemüthlichen Faullenzerei macht er die Augen bald auf und bald wieder zu, gähnt, ſtreckt die Zunge heraus und öffnet dabei die kleine Stumpf- ſchnauze ſoweit als möglich. Hält man ihm an das obere Gitter eine Leckerei, zumal ein Stückchen
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[279/0299]
Die Faulthiere.
herabgebogen, ſo daß die Schnauzenſpitze unten am Bauche aufliegt; er wird aber durch die vorge-
legten Arme und Beine vollſtändig verdeckt. Die Gliedmaßen nämlich liegen dicht auf einander, ein
Bein immer mit dem anderen abwechſelnd, und ſind ſo in einander verſchränkt, daß man zwiſchendurch
nicht ſehen kann. Gewöhnlich ſind die Krallen eines oder zweier Füße um eine Stange des Gerüſtes
geſchlagen; nicht ſelten aber faßt Kees mit den Krallen des einen Fußes den anderen Oberarm oder
Schenkel und verſchlingt ſich hierdurch in eigenthümlicher Weiſe. So ſieht man von den Kopftheilen
nicht das Geringſte; man kann nicht einmal unterſcheiden, wo der Rumpf in den Hals und dieſer in
den Kopf übergeht: kurz, man hat eben nur einen Haarballen vor ſich, und man muß ſchon recht
ſcharf hinſehen, wenn man wegbekommen will, daß dieſer Ballen ſich langſam auf- und niederſenkt.
Gegen die Zuſchauer ringsum, welche durch Klopfen, Rufen und ſchnelle Bewegungen mit den Hän-
den irgend welche Wirkungen hervorzubringen ſuchen, beweiſt ſich der Ballen vollkommen theilnahm-
los; keine Bewegung verräth, daß er lebt, und gewöhnlich gehen die Beſchauer recht mißmuthig von
dannen, nachdem ſie verdutzt den Namen des Thieres geleſen und einige, nicht eben ſchmeichelhafte
Bemerkungen über dieſes „garſtige Vieh‟ gemacht haben.
Aber der Haarballen bekommt, wenn man es recht anfängt, ſehr bald Leben; denn Kees iſt
keineswegs ſo ſtumpffinnig, als man behauptet, ſondern ein gar netter, braver Geſell, welcher nur
richtig behandelt ſein will. Der Vorſteher des Gartens, Herr Weſtermann, ein Thierfreund und
Thierkenner, wie man wenige finden dürfte, oder auch einer der Wärter braucht blos an den Käfig zu
treten und ein paarmal „Kees, Kees!‟ zu rufen: da ſieht man, wie der Haarballen nach und nach
Leben bekommt. Bedächtig, oder wie man auch wohl ſagen kann, langſam und etwas ſchwerfällig
entwirrt ſich der Knäuel und nach und nach entwickelt ſich aus ihm ein, wenn auch nicht gerade wohl-
gebildetes Thier, ſo doch keineswegs eine Mißgeſtalt, wie man geſagt hat, keineswegs ein aller höheren
Fähigkeiten und Gefühle bares Weſen. Langſam und gleichmäßig erhebt das Thier einen ſeiner langen
Arme und hängt die ſcharfen Krallen an eine der Querleiſten des Gerüſtes. Dabei iſt es ihm voll-
kommen gleich, welches von ſeinen Beinen es zuerſt aufhob, ob das hintere oder das vordere; es iſt
ihm auch gleich, ob es die Krallen in der natürlichen Lage des Vorderarmes anhängen, oder ob es
den Arm herumdrehen muß; denn alle ſeine Glieder erſcheinen wie Stricke, welche kein Gelenk haben,
ſondern ihrer ganzen Länge nach beweglich ſind. Jedenfalls iſt die Beweglichkeit der Speiche und Elle
eine ſo große, wie wir ſie vielleicht bei keinem Geſchöpfe wieder finden. Das Faulthier vermag es mit
allen ſeinen vier Beinen ſich derart feſt zu hängen, daß die Krallen von jedem einzelnen in einer von
den anderen abweichenden Richtung geſtellt ſind. Der eine Hinterfuß richtet ſich vielleicht nach außen,
der eine Vorderfuß nach innen, der entgegen geſetzte Vorderfuß nach vorn und der letzte Hinterfuß
nach hinten, oder umgekehrt: man kann ſich die verſchiedenen Möglichkeiten der Stellung ausmalen,
wie man will, das Faulthier verwirklicht alle. Es kann ſeine Beine gerade um ſich herumdrehen,
etwa wie ein geübter Gaukler, und es zeigt dabei, daß es ihm nicht die geringſte Anſtrengung macht.
Deshalb krallt es ſich an, wie es ihm eben paßt, und es kann ſich auch, wenn es einmal feſthält,
förmlich um ſich ſelbſt herumdrehen, ohne die Stellung der angehängten Krallen irgendwie zu ver-
ändern. Ob dabei der Kopf tief oder hoch hängt, iſt ihm ebenfalls ganz gleichgiltig, denn es greift
ebenſo oft mit den Hinterbeinen nach oben, als mit den Vorderbeinen nach unten; es hängt mit dem
rechten Vorderbein oder mit dem linken Hinterbein oder umgekehrt; es ſtreckt ſich oft recht gemüthlich
hin, indem es ſich mit den Hinterkrallen anhängt und den Rücken unten auflegt, wie beſonders faule
Hunde es zu thun pflegen. Bei ſolchen Gelegenheiten, welche jedenfalls große Gemüthlichkeit
ausdrücken, kratzt ſich Kees wohl auch mit einem der eben unbeſchäftigten Beine an allen Stellen des
Körpers, indem er das Bein geradezu um den Leib ſchlingt. Er kann Stellen ſeines Körpers mit
den Krallen erreichen, welche jedem anderen Thiere unzugänglich ſein würden: kurz, er zeigt eine Be-
weglichkeit, die wahrhaft in Erſtaunen ſetzt. Bei ſeiner gemüthlichen Faullenzerei macht er die Augen
bald auf und bald wieder zu, gähnt, ſtreckt die Zunge heraus und öffnet dabei die kleine Stumpf-
ſchnauze ſoweit als möglich. Hält man ihm an das obere Gitter eine Leckerei, zumal ein Stückchen
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/299>, abgerufen am 23.11.2024.
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